Leutnant in deiner Armee

„Komm in meine Armee, dann bist du mein Leutnant“, sagt sie. Nachts, wenn sie schon im Bett liegt, und ich mit geputzten Zähnen im Zimmer erscheine. Sie wirft die Decke auf und lädt ein, mit ihrem linken Arm. Ich krieche zu ihr, schmiege mich an ihren warmen Körper. Spüre ihr Herz, ihre Brust, ihren Bauch. Vergrabe mich in ihrem Gesicht. Es liegt leicht über mir, mit Augen, deren Lieder sich kurz aufklappen. Sie lächeln zu mir herunter. Der lange Mund folgt. Dann schließen sich die Lieder wieder. Alles gut. Alles beisammen. Hinter dem gelben Laternenlicht, das durch die Ritzen im Rollladen schimmert, liege ich in ihrer Armee. Bin ihr Leutnant. Schaue auf das gelbe Sternenmuster an der Wand.

Sie zuckt, wenn ich mich bewege. Greift nach meiner Hand. Ihr Körper reagiert auf meinen. Spürt mich neben sich.

Wir lachen einander zu. Sehen einander.

Irgendwann drifte ich ab. Sie ist eingeschlafen. Das Bett ist zu klein. Schön, dass es dich gibt. Wunderschön.

Zug von dannen

Weißer Himmel, zugezogen

So siehst du aus,

der weder Sonne noch Regen spüren lässt.

Hinterm Bahnhofsgelände

Da rauschen die Züge

Von ganz weit her nach ganz weit weg

Und ein jeder einzelner

Bringt einen um den Atem

Dabei weiß doch jeder Fahrgast

dass Züge ziehen müssen,

des freien Reiseherzens Willen.

Nackt und transparent

Wenn es sich so anfühlt, das Aufwachen nach einem chirurgischen Eingriff, der einst tatkräftig und kalkuliert versuchte, es zu richten oder gar zu errichten, sodann will ich mich auf die Stelle ins Krankenhaus begeben, mich unter die Klingen werfen, zuvor bis aufs Nötigste enthüllen, ja, vielleicht gerade drum, tragen sie dort bloß weiße, luftige Gewänder, in denen es sich, so glaube ich, ausgezeichnet atmen lässt, und vielleicht gerade drum, sind sie auf der Straße so schichtenweise bunt ummantelt, dass einem gar schwindelig werden kann; nach so einem wundersamen Aufenthalt in der Chirurgie, in der man es wässrig schwenkte, behutsam massierte und Yo-Yo-flugartig in die Höhe schnellen ließ, da verweile es für einige Sekunden, ja, es suhle sich in einem mit Lammfell bedeckten Schaukelstuhl, mit ruhig anhaltendem Puls, wie ein Ausstellungsstück, nackt und transparent, sowie man es sezierte, das geerdete Herz.

Von deiner unbeirrbaren Zuversicht

Was wärst du ohne deine stille Zuversicht? Ohne deine Augen, die sich zu allem Anderen wenden, vielmehr als zu dir selbst. Ich merk, wie deine Erzählungen langsamer werden. Worte finden ist schwer. Sich die Welt in Erinnerung zu rufen auch. Was Anderen ihr Charisma ist, ist dir deine Weichheit. Aus ihr spricht dein Leben. Deine Lebendigkeit. Das i meines Namens, das du bewundernd in die Länge ziehst. Stärke in deiner gemächlichen Ruhe. In deiner unbeirrbaren Zuversicht. Dass ich das schon schaffe. Ob du weißt, was du da sagst? Fühlen bestimmt. Dein Herz ist mit mir. Zumeist erwartungslos. Wie schön. Wie liebevoll. Ich werd dir Bücher widmen, ja eine ganze Bibliothek. Dass du für immer bei uns bleibst.

Tausendjähriger Hefeteig

Die Zeit, die vergeht ohne etwas von dir zu hören, kommt mir ewig vor. Ewig lange her. Wo hat man das schon, dass das Ticken eines Zeigers sich wundersam über mehrere Zeitzonen erstreckt? Dass die Zeit sich einmal dehnt, statt zu schmelzen; wie ein über Tausend Jahre gedeihender Hefeteig

El memoria

Erinnerst du dich noch? An deinen Blick? Du hast ihn ja nicht gesehen. Wenngleich bei dir wohl ungewiss ist, was du siehst. Wer weiß, wo dir überall Spiegel stehen. Bestimmt vielerorts. Jedenfalls hast du so betont bedächtig, so lauthals nachdenklich geschaut, dass es ja doch kein Nachdenken sein konnte, was in dir stattfand. Vielleicht verriet dich bloß dein Mundwinkel, dein intensiv zuhörender Blick. Er war herrlich, dein Blick. Ich sah Opa in dir. Wie verwunschen. Und dann riefst du mich von weit weg. Und ich antwortete. Welche Farben hörten deine Ohren? Sie hallten nach, deine Frage, meine Antwort. Und als ich schließlich kam, da begrüßtest du mich, obwohl der Tag doch schon seit vielen, vielen Stunden angebrochen war. Du sagtest etwas Verspieltes, Musikalisches. Und ich antwortete. In genau demselben Duktus.  Ich hab’s erst überhört, das abermals nachschwingende Echo, die Süße. Du hast sofort gelacht. Ich dann auch, konnte gar nicht mehr zu Ende atmen, prustete die Luft heraus. Vorbei. Flüchtig. Niedlich und sanft. Erinnerst du dich noch?

Von Wein und Liebe, trotz allen Ernstes, Nüchternheit

Es ist einfach schön, Wein zu trinken und sich zu umarmen.

Sich lieb zu kosen.

Als hätte man das ganze Leben lang aufeinander gelegen.

Als gäbe es keine Konventionen.

Als seien alle Verbote ausgesprochen.

Und es ist schön, Worte ernst zu meinen.

Im nüchternen Zustand.

Ohne Wein.

Ohne Schock.

Als wäre man sein ganzes Leben lang alkoholisiert ins gleiche Bett gestiegen.

Nicht nackt.

Und am nächsten Morgen versöhnlich aufgestanden.

Ohne Schock.

Als wäre der Wein eben doch nur Wein gewesen.

Als bliebe die Liebe Liebe.

Als seien ernste Worte möglich.

Nicht verhängnisvoll.

Bedingungslos.

Frei.

Wie ein Gestern und ein Morgen.

Was ein Drama, Baby!

Ganz leibhaftig hab ich es vor Augen, das nach Tagen und Nächten ersehnte Gewitter. Und wie es prasselt und prasselt. Und fegt und fegt. Und, oh Hölle, wo bist du, du. Der Teufel? Land unter, das Dorf, die Felder. Dein Grauen. Über mich. Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt. So du, Gewitter, brauch ich dich. Und es prasselt und prasselt und schüttet sich nieder.

Erst die plötzlich vor mir auftauchenden Bremslichter holen mich wieder zurück auf die Autobahn. Gehupe. Schweiß. Stau, steht bevor. Noch ist es ruhig, friedlich. Die Sonne erglüht über dem Armaturenbrett. Wind ist da. Meine 150 h/km kommen mir gähnend langsam vor. 60! Stau! blinkt ein automatisches Warnschild auf. Sonne, immer noch. Seelenruhig fließt der Verkehr immer weiter gen Osten, nichtsahnend von einer dunkelblauen Wand geschoben, derer ich mir im Rückspiegel gewahr werde. Oh, du saftig, korpulentes Gewitter, komm hole mich doch ein, lache ich lauter und lauter, übertöne die exotische Radiomusik, afrikanische Klänge. Trompeten, Oboe, ein wilder Haufen Blasinstrumente wirbelt Wind auf. Und dieser die gelben Blätter, die mir über den grauen Asphalt entgegen schießen. Frech und unschuldig das Ende des Sommers einläuten. Herbst? Geschwind. Auf Sommer wieder Wolken blühn. Und Himmel hellblau, vor mir, tiefdunkel hab ich dich in meinem Nacken. Musik, Musik, die ich nicht versteh. „Don’t know where we’re goin“, ist die einzige Zeile, die ich vermag zu entziffern. Ich wipe von einer Pobacke auf die andere. Was ein Drama, Baby! Wie im Theater.

Noch einmal höre ich den ghanaischen Song, sitze mit offenen Türen in der Terassentür und sehe mich satt, an dem Gewitter, das jetzt endlich zuschlägt. Sich dann beruhigt. Das Schauspiel genießt die Ruhe nach dem tosenden Applaus. Was will man mehr, denkt sich das Gewitter. Und zieht von dannen.

 

https://www.youtube.com/watch?v=MO3vNO6yhlM