Leichtigkeit

Leichtigkeit, behaupte ich, kommt vom Leben. Vom Berührtsein im Theater, vom Lachen über Missgeschicke, vom Torkeln, nachts, an Neonröhren entlang, vom Wellenreiten, vom Säuseln, Grummeln, Schnattern. Und sie kommt vom Vergessen.

Die Silhouette

Ich stehe an einem See. Drumherum: Milliarden von zarten, bunten Blüten, die sich zum Himmel recken. Sehr weit weg, an der anderen Uferseite, erkenne ich eine Silhouette. Ihr Gesicht ist verschleiert. Jedes Mal, wenn ich versuche, ihr in die Augen zu schauen, wird mein Sichtfeld milchig, fast, als würde ich erblinden. Ich wende meinen Blick ab. Ein fürchterlicher Sturm ergreift mich. Ich will rennen, merke bald, dass der Sturm schneller ist, dass er mich derart erfasst, dass ich ihn in meinem Inneren spüre. Ich springe in den See, um mich zu befreien.

Das Leben im Wasser ist wunderbar. Ein blauer, unberührter Planet, der ausschließlich aus Kristallen, Eiszapfen und Schneeflocken besteht. Ich erfahre, dass es sich um den Planeten der Tränen handelt. Gletscher aus Tränen, Grotten, alle Materie besteht aus geretteten und verwandelten Tränen. Ein feuchter Salzgeruch liegt in der Luft. Ich beginne, alle Schneeflocken und Kristalle mit meiner Zunge einzufangen, noch eine, eine Letzte, und eine Allerletzte, natürlich ohne zu bemerken, dass mein Gesicht blau anläuft, dann violett. Ich verliere das Bewusstsein. Mein Körper wird schwer. Ich sinke Richtung Grund.

Als ich nach Luft schnappe, ist der Sturm vorüber. Von sehr weit her höre ich eine dünne Stimme – die der Silhouette. Ich werde wach, berappele mich schnell und versuche sie auf der anderen Seite des Sees zu verorten. Ich lasse mich von ihrer Stimme leiten, aber sie scheint sich mit jedem Meter, den ich zurücklege, weiter zu entfernen. Ich laufe ihr hinterher, jogge, immer weiter, blind.

Plötzlich nähern sich zwei Fremde. Ich laufe ihnen in die Arme. Immer schon waren mir Fremde weniger fremd als die Silhouette. Mich in ihren Armen haltend, erklären sie mir, dass die Silhouette nur eine unter vielen sei. Unglücklicherweise könne sich jedoch genau diese nicht öffnen. Aber es würde andere geben, die dazu fähig wären. Aber welche? frage ich. Das musst du selbst herausfinden, antworten die Fremden, und lächeln. Aber du findest es nur heraus, wenn du aufhörst, deinen ewigen Kreis um den See fortzusetzen. Ich bin verwirrt. Aber warum? frage ich. Weil das ein Teufelskreis ist. Der Planet der Tränen ist von einem Teufelskreis umgeben. Eine schreckliche Stille breitet sich zwischen uns aus. Als die Fremden die Schwere in meinen Augen sehen, fügen sie hinzu, die Öffnung seiner Silhouette hängt von der Position der Sonne und des Mondes, der Leuchtkraft der Sterne und den Gezeiten ab. Das alles liegt weit zurück, sehr weit.

Ideal

Keine Ahnung

an welche Bilder

ich dachte

bevor ich dich aufsuchte

aber was ich fühlte

war warm

und warm

warm und warm und warm und warm und

idealerweise eben

weniger fahl

nackt

aufgebahrt
unterm Skalpell
öffnet die Ärztin Hirn und Herz
und verspricht mir sichere Führung
ihrer passgenauen Fingerspitzen
im Moment der größten Nacktheit
hört die Fremde mich entblößter
als jeder Nahestehende

Die Suggestion

Manchmal zieht mich die Musik

In einen blendenden Tunnel

Oberkörperfrei

Erfasst mich die Kälte

Und die Haut soll ihr trotzen

Unter schepperndem Bass

Bis die Wände vibrieren

Und nur der Gesang

Den Rausch kontrolliert

Den Kopf

Den Tanz

Die springenden Füße

Und sich der Oberkörper

Zur grellen Deckenwölbung neigt

Let me go blind tonight

Let me just lose lose lose

All bonds to reality

Let me be free

From load

From fuming thee

Singt die Stimme

In die Venen meines Körpers hinein

Volle Dröhnung ohne Schuss

Alles gut, alles bestens

Je länger der Tunnel

Desto größer der Abstand

Leere

Ist der Preis für die Suggestion

Tür zum Schmerz

Schützen heißt nicht

Mauer aufbauen

Schützen heißt

Rückzug

Still

Und ohne Beschluss

In ein verriegeltes Versteck

Hinter dieser Türe

Gibt’s kein Ego

Kein Lob, kein Schmerz

Nur Taubheit

Die Seele

Weit entfernt, tief verborgen

Unangreifbar

Jedes Mal eine Errungenschaft

Wenn das Ich dorthin verschwindet

Doch dieses Mal

Zerbrach der Riegel

Zum ersten Mal

Ohne

Verschluss

Der Fallschirmsprung

I.

Eigentlich fühlt sich das Fallen

Nicht nach Freiheit an

Der Flug nicht nach Rausch

Zu schnell

Trifft man auf den Boden

Erschüttert

Betäubt

 

II.

Das Bodenlose:

Kaum zu erkennen

Schon als der Atem verschwindet

Im Geschwindigkeitswahn

Und das Bewusstsein verfliegt

Kündigt sie sich an

Die Härte des Asphalts

 

III.

Der Fallschirm selbst:

(Sofern er vorhanden)

Zwei einfache Hände

Die sich behutsam

Um die Schultern legen

Tragen

Und dämpfen

 

IV.

Am Boden:

Steht die Zeit still

Das Gehör ist benebelt

Reset.

Und beruhigend ist nur

Dass man einmal am Boden

Nicht noch tiefer fällt