Archiv für den Monat: September 2018

Arbeitsweisen.

Seit nunmehr zwei Wochen gehöre ich zum arbeitenden Teil der Bevölkerung. Jeden Morgen, von Montag bis Freitag, führt mich mein Weg um kurz nach 07:00 Uhr die Treppe unseres Apartmentblocks herunter, an unseren freundlich grüßenden porteros vorbei (viele vergleichsweise teure Unterkünfte in Cochabamba habe Portiere oder Portierinnen, die kontrollieren, wer das Gelände betritt) auf die vielbefahrenen Straße, an der unser Gebäude liegt. Von da an geht es immer weiter in den Norden Cochabambas, immer weiter den Berg hoch, näher an die gut über der Stadt sichtbaren Bergketten heran. Nach ungefähr einer halben Stunde, in der ich die noch frische Luft und sanfte Morgensonne genieße, zwischendurch aber auch immer wieder dicht befahrene Straßen kreuzen muss (ein wahres Abenteuer im morgendlichen Berufsverkehr!), erreiche ich mein Ziel, meinen Arbeitsplatz: das Colegio Alemán Federico Froebel, eine Privatschule, an der Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 18 Jahren lernen.

Genauso lang lernen die Schüler*innen an der Froebel auch Deutsch. Bereits im Kindergarten, hier lustiger Weise nur „Kinder“ gennant, singen die Kinder einige Male in der Woche Lieder auf Deutsch, sagen laut Tiernamen oder Farben auf. Mit sechs Jahren beginnt dann die sogenannte „primaria“, also die Unterstufe. Ab der 7. Klasse gehören die Jugendlichen der „secundaria“ an. Mit dem Ende der 12. Klasse erhalten die Schüler*innen das bolivianische Pendant zum deutschen Abitur. Zusätzlich bietet die Schule die Möglichkeit, mit dem Bestehen einer der zwei DSD-Prüfungen (Deutsches Sprach-Diplom) ein Studium an einer deutschen Universität zu beginnen. Ein Studium an einer deutschen Hochschule ist für einige der Schüler*innen, mit denen ich arbeite, das ganz große Ziel. Sie wollen nach Aachen, Marburg oder Berlin, um dort eine ihrer Meinung nach bessere Ausbildung und mit einem deutschen Abschluss bessere Zukunftsmöglichkeiten, sowohl in Bolivien als auch anderswo, zu haben. Doch nicht allen Schüler*innen steht diese Möglichkeit offen, da nicht alle in der 11. oder 12. Klasse bereits das notwendige Niveau erreicht haben, um die doch sehr anspruchsvollen Prüfungen zu bestehen.

Da wären wir auch schon bei meinen „Aufgabenbereichen“ angekommen, wenn ich überhaupt von so etwas sprechen kann – eigentlich mache ich nämlich von allem ein wenig! Ich bin hauptsächlich mit der Unterstützung schwächerer Schüler*innen betraut; jeden Tag betreue ich mit einer deutschen Praktikantin gemeinsam eine kleine Gruppe aus einer bestimmten Jahrgangsstufe. Wir üben das Konjugieren von trennbaren Verben, exerzieren „müssen, sollen, dürfen“ rauf und runter oder spielen Galgenmännchen. Wichtig ist auch, zu versuchen, die Kinder zum Sprechen zu bewegen: Vielen ist es unangenehm, zu zeigen, dass sie auf viele Fragen nicht die richtige Antwort geben können. Deshalb schweigen sie lieber. Doch da wir zu zweit für meistens nicht mehr als zehn Schüler*innen zuständig sind, bietet sich oft die Gelegenheit, in noch kleineren Gruppen zu arbeiten – in denen fällt es dann gleich leichter!

Ansonsten gleicht im Colegio kein Tag dem anderen: Ich betrete morgens völlig unbedarft und ohne genauen Plan davon, wie der Vormittag verlaufen wird, das gemütliche Lehrer*innenzimmer der Deutsch-Abteilung. Vielleicht werde ich bis zur Nachhilfe um 12:00 keinen „Termin“ haben und die Zeit dafür nutzen, an Projekten, wie zum Beispiel einer Collage aus selbstgestalteten Mauerstücken für den Tag der deutschen Einheit oder einer deutschen Wandzeitung, zu arbeiten. Vielleicht werde ich aber auch von meiner Chefin oder einer meiner Kolleginnen mit „Hast du ein bisschen Zeit?“ begrüßt, was bedeutet, dass ich entweder eine Kollegin in ihrer Klasse unterstütze, eingesammelte Texte korrigiere oder nachschreibende Kinder beaufsichtige. Meine Tage sind bunt und intensiv, allerdings habe ich auch reichlich Zeit um mich eben in Projekte zu vertiefen, ein Pläuschchen mit den Lehrerinnen zu halten oder sogar an meinem Spanisch zu arbeiten.

Das also ist meine Arbeit. Ich bin weiterhin gespannt, was kommen wird: welche Projekte sich ergeben, wie sich die Dynamiken innerhalb des Kollegiums verändern werden (zwei Lehrerinnen gehen für zwei Monate an Schulen in Deutschland und wir bekommen Vertretungen dazu) und ob ich bis Weihnachten wohl im Stande sein werde, die Nachhilfeklassen allein, nicht wie bisher in Zusammenarbeit mit einer Praktikantin, zu leiten – bei solchen Rasselbanden gar nicht so einfach…

Leider kann ich diesem Beitrag keine Fotos anfügen: Innerhalb meiner Schule gibt es eine recht strenge Datenschutzrichtlinie, mit der ich mich noch nicht genau genug beschäftigt habe, um hier guten Gewissens Bilder zu teilen. Bei meinem nächsten Beitrag wird sich das allerdings ändern: Ich möchte mit euch eine virtuelle Tour durch meine Stadt unternehmen! Auf bald, meine Lieben.

Spurwechsel!

Gleich zu Beginn eine Absage an alle meine Tübinger Freund*innen, die den Titel dieses Beitrags gleich mit einem vor kurzen in der „Zeit“ erschienen Artikel zur deutschen Flüchtlingspolitik verbinden: Nein, heute soll es nicht um den allseits bekannten und beliebten Tübinger Bürgermeister Boris Palmer gehen, sondern darum, wie sich Bewegung und Transport für mich im Zuge meines Umzugs hierher verändert haben.

Ich bin geboren und aufgewachsen in Berlin, einer großen Stadt, in der bestimmt auch an der ein oder anderen Ecke die ein oder andere Gefahr lauert. Dennoch habe ich mich dort stets mit einem Gefühl der Sicherheit durch die Straßen bewegt, habe mir im Vornherein keine Gedanken darum gemacht, wie ich nach einem Barbesuch im Dunkeln und allein nachhause komme – ich bin einfach gefahren. Hier verhält sich das anders.

„Cochabamba ist gefährlich“, hieß es für mich gleich mehrfach in den ersten Tagen. Es gibt hier verschiedenstes zu beachten: So soll ich nicht nach Einbruch der Dunkelheit allein zu Fuß unterwegs sein, was dazu geführt hat, dass ich während meiner ersten Tage bei Einbruch der Dämmerung (was hier gegen 18 Uhr bedeutet) zügig unser Apartment-Gebäude, den sicheren Hafen, ansteuerte. Inzwischen hat sich das Ganze relativiert, „im Dunkeln nicht allein“ bedeutet möglichst nicht nach 22 Uhr die Straßen durchstreifen, davor ist das kein Problem. Ansonsten nehme ich einfach ein Taxi.

Einfach? Taxi? Nein, leider nicht. Zumindest nicht wenn ich verschiedensten wahren Geschichten über schreckliche Ereignisse Gehör schenke, die Leuten, Cochabambinos und Cochabambinas genauso wie Ausländer*innen, zugestoßen sind, welche sich nicht vergewissert haben, in ein lizensiertes Taxi zu steigen und daraufhin ausgeraubt wurden. Deshalb habe ich mir auf den Rat meiner lieben Mitbewohnerinnen eine Telefonnummer in meinem Telefon eingespeichert, die zu einem stadtbekannten Taxi-Unternehmen gehört – ich rufe mir also ein Taxi, wenn ich nachts nachhause gefahren werden möchte.

Warum ich nicht die öffentlichen Verkehrsmittel nutze, fragt ihr euch vielleicht. Tja. Auch das funktioniert hier anders: Es gibt keine Haltestellen, ich winke mir das jeweilige Gefährt (wovon es wirklich beeindruckend viele verschiedene gibt, doch dazu an anderer Stelle mehr!) an den Straßenrand und schwinge mich mehr hinein als dass ich einsteige – denn nur selten möchten die Fahrer*innen Zeit damit verschwenden, auf wenig geschickte Einsteiger*innen wie meine Wenigkeit zu warten. Doch das eigentliche „Problem“ (wenn ich überhaupt von einem Problem sprechen kann…) ist, dass es in meinem eigenen Ermessen liegt, wann ich denn das Kraftfahrzeug wieder verlassen möchte. Mit einem lauten „Voy abajar, por favor!“ muss ich mich bemerkbar machen, damit die Fahrer*innen verlangsamen. Das bedeutet, dass ich wissen muss, wie die Ecke aussieht, an der ich abgesetzt werde. DOCH DAS TUE ICH NICHT! Deshalb scheue ich oft noch davor zurück, die Trufis (so heißen die Minibusse hier) zu benutzen, wenn ich eigentlich  auch laufen kann.

Doch warum lasse ich mich jetzt hier so ausgiebig darüber aus, wie ich ich hier fortbewegen kann und vor welche Schwierigkeiten mich ebendiese Fortbewegung stellt? Weil ich mich hier in Cochabamba in einer mir bisher unbekannten Situation befinde: Ich bin auf gewisse Weise in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Diese Einschränkung betrifft mein tägliches Leben so sehr wie kaum eine andere Veränderung, die mein Umzug nach Bolivien mit sich brachte: Ich muss mich umstellen. Dieser Umstellung war ich mir im Vornherein bewusst; sie hat mir so einige Gedanken bereitet. Doch jetzt, wo ich hier bin, fällt mir die Anpassung nicht schwer: Ich kann ja doch machen, was ich möchte. Ich muss es nur eben anders machen. Bildlich gesprochen, fahre ich immer noch auf derselben Straße, aber auf einer anderen Spur. WAS FÜR EINEN BOGEN ICH HIER ZU MEINER ÜBERSCHRIFT SCHLAGE, ICH BIN STOLZ WIE BOLLE!

Vamos a ver. – Wir werden sehen.

„Vamos a ver“ oder „Wir werden sehen“ – Hiermit lässt sich meine Einstellung  für die kommenden zwölf Monate, für meine Zeit in Bolivien, kurz und knackig zusammenfassen, weshalb auch mein Blog diesen Titel trägt.

Dazu ein kurzer Schwenk in die Vergangenheit: Mit meiner Zusage an kulturweit, ab September 2018 für 12 Monate den Deutsch-Unterricht am Colegio Alemán Federico Froebel in Cochabamba, Bolivien zu unterstützen, war für mich bei Weitem noch nicht alles in trockenen Tüchern. Ich habe in der vergangenen Monaten hin und her überlegt, ob ich Deutschland verlassen soll oder nicht, jeden Gedanken wie ein besonders dickes Buch (Tolstoi?) hin und her gewälzt. Habe mir die verschiedensten Szenarien ausgemalt, von himmelhochjauchzendend bis zu solchen, die mir ziemliche Bauchschmerzen bereitet haben.

Doch warum habe ich mich so entschieden, wie ich mich entschieden habe? Warum sitze ich heute, Sonntag, den 16. September 2018, an meinem Schreibtisch in der Sonne Cochabamba, von dem aus sich mir über den Smog der Stadt hinweg der Blick über die von Wolken verhangenen Gipfel des naheliegenden Gebirges offenbart? Warum habe ich mich für dieses Jahr voller Unwägbarkeiten entschieden, voller Ereignisse, die ich nicht voraussehen geschweige denn planen kann? Genau deswegen.

Auf meinem ebenso intensiven wie inspirierenden Vorbereitungsseminar habe ich eine Gruppe von Leuten kennengelernt, denen ich eben diese Ängste, die Angst vor dem Kontrollverlust, die Angst vor der Orientierungslosigkeit, schildern konnte. Ihre Antwort darauf war zugleich eine ganze Einstellung: „Das wird schon werden“, sagten sie. Oder, so ähnlich, auf Spanisch: „Vamos a ver“, „Wir werden sehen“.

Ich kann nicht wissen, was kommt. Doch ich bin von Vorfreude erfüllt und sehr froh darüber, dort zu stehen, wo ich gerade stehe: Morgen beginnt meine Arbeit in meiner Einsatzstelle. Ich bin gespannt!

Auf diesem Blog hoffe ich, mir Frust und (bestimmt viel mehr!) Freude von der Seele schreiben zu können. Und ich hoffe, dass meine zukünftigen Ergüsse einige von euch da draußen interessieren und vielleicht sogar inspirieren. Auf bald!