Donnerstag 18.07.2024. Fast wie eine kleine Zeitreise spielt sich der Tag heute ab. Ich sitze völlig übermüdet an einem Busbahnhof irgendwo zwischen Paris und Frankfurt. Das Irgendwo ist Brüssel. Warum man da umsteigen muss, um in die Olympia-Hochburg-2024 zu gelangen bleibt mir immer noch ein Rätsel, genauso wie die Tatsache, dass die komplette Fahrt über 13 Stunden dauert.
Das Szenario gleicht sehr meiner Art zu reisen vor drei Jahren. In Rumänien, drum herum und seitdem weiterhin. Mit einem viel zu schweren Rucksack auf dem Rücken und neben (in meinen Augen!) guten Snacks, sprudelnden Abenteuergeist im Bauch. Quasi alles gleich? Irgendwie schon und gleichzeitig so gar nicht. Seit dem FSJ mit Kulturweit ist ziemlich viel passiert. Sich selbst treu bleibend, ist man ja immer noch der gleiche Mensch und trotzdem völlig gewandelt. Gewachsen, gestrahlt, hin und wieder geschrumpft und auch einfach mal fälschlicherweise der Mottenlampe hinterher. Seit der Zeit in Brasov hat sich meine Welt ziemlich auf den Kopf gestellt. Meine Ziele und Wünsche wurden an manchen Stellen von der Realität überrumpelt, haben an anderen einfach Vollgas gegeben. Die Mischung aus beidem hat mich jedenfalls um zwölf Uhr nachts an den frankfurter Busbahnhof, in einen quietschgrünen, randvollen Reisebus gebracht, mit zwei Urgestalten an Busfahrern, auf dem Weg nach Brüssel.
Eigentlich liegt meine Wahlheimat Innsbruck noch einen Tick weiter südlich. Hier wurde nach einem Jahr Studium auch meine Bewerbung für die Zeit im Ausland angenommen. Die Bewerbung für die weite Welt war für mich eine logische Konsequenz aus Geographie und europäischer Ethnologie, um meine Horizonte auf die Probe zu stellen.
Also zurück nach Brüssel:
Der Abenteuergeist in meinem Bauch gerät ein bisschen ins Stocken, freudiges Sprudeln verwandelt sich in Gedankenspiralen und sackt ab. Innsbruck, mein Zuhause, erneut aufgeben? Alles aufgebaute, vertraute, geliebte erstmal zurücklassen? Tief durchatmen und nach dem 807er Bus suchen. Umstieg nach Paris.
Als ich vor einigen Wochen erfahren habe, dass mein Semester in Valdivia klappen würde, bin ich kaum noch zurück in mein Häuschen gekommen, vor lauter Vorfreude. Mein Spanisch wieder rauspoliert traf ich ein paar Vorkehrungen. Anreise? Puh schwierig. Containerschiff? Möglich, nur die vielen Wochen Vorlauf werden unmöglich. Segelschiff? Nicht bezahlbar. Zug? Leider zig Kilometer Atlantik im Weg. Was jetzt klingt wie eine Rechtfertigung, ist auch eine. Vor allem vor mir selbst. Die für mich beste Variante: einen einzigen durchgehenden Flug, die restlichen Strecken auf dem Landweg. Scheinbar, meine Recherchen haben ergeben, dass Flugzeuge wohl mit Abstand am meisten Kerosin bei Start und Landung verbrauchen. Sobald die Reisehöhe erreicht ist, geht die Rechnung zwar nicht auf null, ist aber einfach weniger relevant.
Von allen europäischen Ländern bieten in meinem Zeitraum allerdings nur Fluggesellschaften von Paris oder Madrid direkte Verbindungen an. Madrid mit Zug oder Bus ist ein fieser Ritt. Bestimmt eine traumhafte Strecke, doch etwas zu weit um nicht mal Zeit dort zu verbringen. Paris? Viel besser! Olympische Spiele 2024? Mist. Okay aber egal wird schon gehen.
Bei der Ankunft in der Hauptstadt Frankreichs tummeln sich überall in den türkisenen Leibchen der Spiele angezogene Menschen und scheinen wichtige Dinge zu tun, AthletInnen zu begrüßen und Wege zu weisen. Auch einfach witzig zu beobachten und ohne Komplikationen für mich. Bis zu diesem Punkt.
Nach gerade mal 11 Stunden Umstiegszeit zum Flug nach Santiago de Chile, in der ich jeden Gang des Terminals drei Mal abspaziert und alle Plakate, Produkte und Ecken inspiziert hatte, begann das Boarding.
Mega spannend mal wieder in einem startenden Flugzeug zu sitzen. Unser Flug der Letzte des Tages und wir verlassen das glitzernde Paris. Völlig gefesselt folge ich der Welt unter uns. Als wir Frankreich und Spanien hinter uns lassen, wirft der Mond einen langen Lichtkegel auf den Ozean, macht Boote, Schiffe und große Wasserflächen sichtbar, taucht alles in ein mystisches Licht. Ich will hier wirklich nichts romantisieren, aber ich war extrem begeistert. Nach neun Stunden Flug durch die Nacht, überqueren wir Sinop sowie dunkle Peripherie Brasiliens. Höfe und kleine Orte wirken in der Dunkelheit wie auseinander getriebene Boote im Meer, als würden sich die Sterne auf der riesigen Fläche spiegeln. Beim Passieren des bolivianischen Hochlandes erscheinen mir die Lichter näher als zuvor, alles ist ein wenig dunkler, der Horizont beginnt sich langsam in einem schwachen rot einzufärben. Allmählich holt uns die Sonne wieder ein, als sich der Kurs nach Süden einstellt und wir uns der Hauptstadt Chiles nähern.
Noch knapp zwei Stunden. Dann heißt es erstmal wieder ankommen. Ich bin sehr aufgeregt, was die kommende Zeit bringen wird. Nach ein paar Tagen in Santiago plane ich nach Valdivia runterzufahren und mein neues Zuhause für die kommenden fünf Monate kennen zu lernen. Ende Juli startet auch schon das Semester an der Universidad Austral de Chile.
Den Blog nun weiterzuführen, kommt vor allem daher, weil ich glaube, dass mich vor allem die Zeit mit Kulturweit hier hergebracht hat. Die Erfahrungen, scheinbar schwerelos ankommen zu können und die Verbundenheit zu Menschen, Orten und Realitäten, unabhängig vom konkreten Ort. Mit der Erfahrung in Brasov wurde mein Wunsch nochmal längere Zeit im Ausland leben zu können potenziert. Nun gut und hier bin ich nun. Seit einigen Monaten inzwischen in Chile angekommen und noch immer kann ich nicht ganz bereifen, was mir diese Zeit bereits alles geschenkt hat.
Den originalen Text hatte ich tatsächlich noch im Flugzeug auf dem Weg nach Santiago verfasst. Danach wollte ich aber dennoch abwarten mit dem Hochladen, war mir irgendwie unsicher, ob ich den Blog weiterführen möchte. Doch jetzt fühlt es sich doch gut an, einige Erinnerungen und Erlebnisse hier festzuhalten und so meine Zeit aus Rumänien, mit meiner Studienzeit in Chile verschmelzen lassen zu können, um später nochmal aus einem anderen Blickwinkel darauf zurückschauen zu können.
Also, auf ein neues und mit vielen Eindrücken aus Santiago de Chile, nach fünf phantastischen Tagen des Ankommens, und Wartens auf meinen verloren gegangenen Koffer, auf das Verschwinden der Müdigkeit der Zeitumstellung, des Genießens der Kühle der Luft, der warmen Offenheit meiner Gastgeberin und der tausenden neuer Eindrücke.
Die ersten Zeilen dieses neuen Abschnitts sind mindestens genauso konfus wie meine anfänglichen Gedanken und Bedenken des Auslandssemesters, doch alles was kam und inzwischen auch noch kommen wird, hielt und hält mit jedem Tag neue Überraschungen und Geschenke bereit. Inzwischen auch das Gefühl ein weiteres Zuhause gefunden und fest in mein Herz geschlossen zu haben. Das zieht wohl zu gewissen Teilen immer mit mir um. Vielleicht auch eine beruhigende Erkenntnis.