„Das ist Russisch, es gibt keinen Sinn“

Orscha, 22. Oktober 2018. – Sätze wie den im Titel (auf die Frage „почему?“ –  Warum?) bekomme ich hier immer wieder mal zu hören, auch wenn es mit Russisch vorangeht. Irgendwie wollte ich gerne mit diesem Satz einsteigen, weil ich ihn beim ersten Hören sehr witzig und irgendwie treffend fand. Immerhin gibt man diese Tatsache bei Russisch zu, während Deutsch aus irgendwelchen Gründen immer noch als „logisch“ gilt – was ganz offensichtlich nicht der Fall ist, wie man nach ausreichend Zeit im DaF-Unterricht merkt.

Heute beginnt nach einem Wochenende, das ich bei Linus in Молодечно (gespr. Maladjetschna, Betonung auf je) verbracht habe, die letzte Woche vor den belarussischen Herbstferien. Echte Ferien sind es allerdings nicht; die Lehrer werden weiter in der Schule sein, solange sie keine Überstunden abfeiern können, einige Kurse treffen sich und auch andere Freiwillige müssen in irgendeiner Form arbeiten. Bei mir in der Schule ist es nicht sehr streng: ich komme ein paar Mal in die Schule und werde kleinere Aufträge für zuhause bekommen, aber das ist vermutlich auch alles.

(Für alle, die es nicht wissen: Linus ist einer der fünf kulturweit-Freiwilligen in Belarus.)

„Man kann sich ja mal gönnen“ – noch ein Satz, den die SuS vermutlich noch nicht kennen

Damit bleibt Zeit in den Ferien, um zusammen als Freiwillige etwas zu unternehmen. Wir haben uns bereits ein wenig abgesprochen und möchten zu viert die Städte Витебск (Witebsk) und Полоцк (Polozk) besuchen; dafür hatte sich vor allem Irina, meine Ansprechpartnerin in Orscha, eingesetzt. Die beiden Städte liegen nördlich von Orscha, nicht allzu weit entfernt, und damit nicht gerade in der Nähe der anderen Freiwilligen. Meine letzten Reiseziele, Maladjetschna und Baranowitschi, waren aus meiner Sicht allerdings auch nicht um die Ecke (bis zu sechs Stunden Fahrt) – die anderen können auch gerne mal in „meine“ Region kommen, zusammen wird es sich interessant.

Bis Anfang November werde ich mich also um die Planung dafür kümmern, aber vielleicht ergeben sich auch noch andere Reisen und Ausflüge bis dahin. In meiner Wohnung hängt eine Belarus-Karte, auf der ich meine Reisen, Zugstrecken usw. eintrage, das halte ich für eine sehr schöne Möglichkeit, das Ganze zu dokumentieren. In fünf Städten war ich bisher schon, das ist schon etwas. Meine Standardstrecke bisher (und vermutlich auch in Zukunft) ist die Strecke Orscha – Minsk bzw. Minsk – Orscha, die ich insgesamt schon neun Mal gefahren bin, davon acht Mal im Zug.

Und das schon nach einem Monat…

Die letzte Woche in der Schule verspricht fürs Erste nicht zu viele Überraschungen. Am Mittwoch wird die erste Runde der „Deutscholympiade“ stattfinden – ein großer Wettbewerb, in welchem die Schüler sich in mehreren Runden bis auf Landesebene durchkämpfen können. Es ist relativ klar, wer von den SuS weit kommen wird, mittlerweile kenne ich diejenigen. Diese Schülerinnen (nein, keine Jungs) werden auch besonders gefördert, wie mir immer mehr auffällt – das sind zum Beispiel genau diejenigen, die auch im Unterricht andere Aufgaben bekommen. So dürfen die „starken“ Schülerinnen aus Klasse 10 mir heute Morgen auswendig gelernte Prüfungstexte aufsagen und Fragen dazu beantworten. (Zur Erklärung: Die Prüfungstexte für Deutsch hier sind im Voraus bekannt. Daher bemüht man sich, das gesamte – sehr umfangreiche – Material im Voraus durchzuarbeiten. Etwas ungewohnt, vielleicht kann man es sich schwer vorstellen, wenn man es nicht so kennt.)

Außerhalb der Schule habe ich die Zeit mit Linus genossen, ebenso wie auch das Skypen oder Schreiben mit den Daheimgebliebenen. Es tut einfach gut, danke an euch. Aber auch einfach mal Zeit zum Lesen zu haben war sehr schön. Mir gefällt es in Orscha wirklich, es ist insgesamt ein schönes Plätzchen für ein halbes Jahr (oder de facto deutlich weniger Zeit), auch wenn ich weiß, dass ich danach definitiv zurückmuss. Das wird sehr seltsam werden, ich ahne es schon. Ich werde viel zurücklassen, um wieder in einen neuen Lebensabschnitt zu springen, wie auch immer der aussehen wird. Ich kann diese Gedankengänge kaum in Worte fassen, deswegen lasse ich es. Immer wieder bin ich sehr nachdenklich, gerade auf Zugfahrten, wenn ich irgendwo zwischen крупки und толочин bin und mich frage, was ich eigentlich gerade tue. Genauso wie wenn ich auf den Deutschlandkarten in der Schule Gießen, Alsfeld, Leverkusen usw. sehe, die so viel mehr für mich sind als nur Punkte auf einer Karte.

Am letzten Freitag habe ich meine Briefwahl für die Landtagswahl in Hessen abgeschickt, die vielleicht sogar noch rechtzeitig ankommt. Ich bin vor der Wahl ziemlich gespannt und werde sie sehr interessiert mitverfolgen.

Übrigens: ich versuche gerade ein bisschen, mein Hessisch zu verbessern, damit ich es hier vorstellen kann, unter dem Thema „Dialekte“. Wenn ihr Ideen für typisch hessische Wörter und Sätze habt, gebt mir das gerne weiter, ich freue mich!

Zuletzt das Wetter: Nach warmen Temperaturen wird es kühler, zwischen 1° nachts und noch etwas über 10°C am Tag, dank Sonnenschein heute.

До свидания и всего хорошего!

Jonathan

P.S.: Polozk hat eine dreimanualige Orgel :)))

2 Gedanken zu „„Das ist Russisch, es gibt keinen Sinn““

  1. Hallo Jonathan,
    wie hast du denn das neunte mal Minsk-Orscha zurück gelegt… per Anhalter im Vogonenschiff ?
    Schön, wenn du in Linus einen Freund findest.
    Hessische Worte:
    Krabbelaast – Garderobe
    Huinkdibbe – Topf mit Pflaumenmus
    Ja, Bahnfahren macht manchmal melancholisch. Und das zu Hause sein an wechselnden Orten kenn ich. Fühlt sich komisch an z.B. in Leverkusen am alten Zuhause vorbei zu laufen.
    Liebe Grüße Kerstin

    1. Hallo Kerstin,
      Nein, nicht ganz. Das letzte Mal war im Bus, auf einem Schulausflug – und leider auch ganz ohne Babelfisch. Danke für die beiden Wörter, ich schreibe dir noch eine Mail als Antwort. Liebe Grüße Jonathan

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