…noch mal über die Sprachsituation

Hier kommt noch ein ausführlicher Kommentar über die sprachliche Situation in Belarus, für mich ein sehr spannendes Thema.

Wenn man es kurz machen wollte, könnte man einfach sagen „Es gibt zwar Belarussisch, aber das spricht fast niemand“. Das ist die einfache Wahrheit, die aber entsprechend undifferenziert ist. Die ganze Geschichte sieht etwas anders aus.

Zunächst einmal sollte man als Tourist unbedingt Russisch lernen anstatt Belarussisch, wenn man sich dort verständigen möchte. Russisch dominiert vollkommen, das ist klar – eigentlich ist die Frage nur, welche Rolle Belarussisch hat. Und um das zu Beginn klarzustellen – „Weißrussisch“ ist nicht bloß eine Art russischer Dialekt, es ist eine eigene Sprache, die allerdings dem Russischen oft nahesteht. Um Einzelheiten über den Sprachaufbau soll es in diesem Text aber nicht gehen.

Die Situation ist folgende: Belarus ist offiziell zweisprachig, Russisch/Belarussisch. Beide Sprachen werden in den Schulen gelernt und sind nominell gleichgestellt. Offizielle Dokumente sind zweisprachig, Namen werden in beiden Sprachen angegeben, und so weiter. Die meisten Menschen (die überwältigende Mehrheit) bevorzugen im Alltag allerdings Russisch – obwohl auch die meisten Menschen Belarussisch sprechen könnten oder zumindest verstehen. Das sieht man zum Beispiel daran, dass oft Hinweisschilder (vor allem in Minsk), Straßennamen oder Durchsagen auf Belarussisch sind – ohne dass das ein Problem ist. (In Minsk wird üblicherweise Belarussisch/Englisch ausgeschildert.)

Man bekommt unterschiedliche Antworten, wenn man die Menschen nach der Sprachsituation fragt. Die typischsten sind

a: „Wir haben zwei Sprachen in Belarus, Russisch und Belarussisch. Jeder spricht, was ihm lieber ist. Ich spreche Russisch, aber einige Menschen sprechen Belarussisch.“

b: „Ja, es gibt Belarussisch und wir lernen es in der Schule, aber wir sprechen es eigentlich nicht.“

Ich habe während meines Freiwilligendienstes nur von sehr wenigen Personen die Antwort bekommen, dass sie selbst Belarussisch sprechen. Eine Bibliothekarin; eine Frau am GI (das Goethe-Institut verwendet Belarussisch und Deutsch); und an meiner Schule soll es auch eine Lehrerin gegeben haben, die konsequent nur Belarussisch spricht. Natürlich bin ich hier nicht repräsentiv, so weit im Osten, wie ich war. Das ist allerdings mein Eindruck.

Wer spricht denn dann überhaupt Belarussisch?

Belarussisch galt lange als Sprache der politischen Opposition. Das ist mittlerweile nicht mehr so; es scheint so zu sein, dass die Opposition Belarussisch klar bevorzugt – aber nicht jeder, der Belarussisch spricht, gehört zur Opposition. Andere wichtige Gruppen sind Teile der Landbevölkerung (aber nicht immer das „korrekte“ Belarussisch) und Menschen, die einen gewissen Nationalstolz zeigen wollen (die Sprache gehört durchaus mit zur nationalen Identität). Auch im Kulturbereich wird die Sprache oft verwendet, zum Beispiel im belarussischen Theater. Die wichtigsten Schriftsteller aus Belarus schrieben ebenfalls auf Belarussisch. Belarussisch findet man also in Literatur, Kultur, Heimatmuseen, bestimmten Dörfern, in der Opposition, auf Hinweisschildern und in zweisprachigen Dokumenten, um es so auszudrücken.

Was mir noch besonders aufgefallen ist – das ist meine Erfahrung aus dem Osten des Landes – ist, wie wenig populär die Sprache unter jungen Menschen ist. Es gibt einige Schüler, die an der Sprache in der Schule Spaß haben und sie gerne sprechen – aber die meisten haben die Haltung „b“ von oben. Kein einziger Jugendlicher hat mir geantwortet, dass er Belarussisch gegenüber Russisch bevorzugt. Dazu kann man aber natürlich auch sagen, dass in Orscha vielleicht am wenigsten Belarussisch überhaupt gesprochen wird (keine der Verwendungen von oben trifft wirklich zu). Die Deutschlehrerinnen in der Schule haben manchmal erwähnt, wie es ihnen Probleme macht, offizielle Briefe an das GI zu schreiben, da alles noch ins Belarussische übersetzt werden muss, deren Rechtschreibung sie früher nicht gelernt haben und die sie im Alltag so gut wie nie nutzen. So geht es vermutlich vielen Menschen.

Die belarussische Sprache hat also nur eine sehr begrenzte Verwendung, obwohl sie bei den meisten Belarussen in irgendeiner Form präsent ist, mindestens passiv. Die Sprache gehört unbestritten zum Land, zur Heimat dazu und wird entsprechend gepflegt. Es gibt einen gewissen Stolz, diese eigene Sprache zu haben, auch wenn Russisch massiv dominiert.

Hoffentlich konnte ich hiermit zu mehr Verständnis beitragen und habe die Situation nicht falsch oder verzerrt dargestellt. Ich bin für Rückmeldung offen.