Zu Hause zu Gast und zurück nach Minsk

Minsk, 31. Dezember 2018. – Nach einer Weihnachtspause melde ich mich wieder aus der belarussischen Hauptstadt, wo ich mit meiner Schwester Silvester verbringen werde. Das neue Jahr beginnt hier schon zwei Stunden früher als in Deutschland, wir feiern also gleichzeitig mit den Menschen in Moskau, St. Petersburg und Istanbul.

Der größte „Weihnachtsbaum“ des Landes mit wechselndem Leuchtmuster

Aber eins nach dem anderen.

Über die letzte Schulwoche habe ich nichts mehr geschrieben, hier nur so viel: es ist alles ganz gut gelaufen, bin gut durchgekommen. Am Ende war es gar nicht so heftig stressig wie erwartet und die Treffen mit den Witebsker Gästen und in Schule 17 waren sehr angenehm.

Am Freitag dann Antritt zur Zugfahrt. Die РЖД (Russische Eisenbahn) schickt vorher noch eine Erinnerungsmail inkl. Wettervorhersage, die mir einen 20-gradigen Temperaturunterschied zwischen Orscha und Berlin vorhersagt (-10°C vs. +10°C) und nach langem Packen, Aufräumen und Überlegen bin ich rechtzeitig am Bahnhof und kann in den Zug einsteigen. Dieser wirkt ganz anders als der belarussische Zug, mit dem wir in der Ukraine zum ZWS waren – gefühlt sehr viel näher an der Deutschen Bahn als an der БЧ (Belarussische Eisenbahn), im positiven Sinne. Soll heißen, alles ist etwas moderner, bequemer, komfortabler und auch internationaler als das bei unserer Fahrt nach Lwow der Fall war. Ich vermute, dass es an der Strecke liegt (Moskau <–> Berlin), wahrscheinlich eine absolute Prestigestrecke.

Meine Russischlehrerin hatte mir vorher Angst gemacht, dass das Passieren der Grenze einige Stunden dauern kann. Ich kann aber jetzt bestätigen, dass das nicht stimmt, obwohl die Fuhrwerke an der Grenze wegen der unterschiedlich breiten Gleise in Polen und Belarus/Russland umgestellt werden müssen. (Besser noch mal googeln, ich verstehe es selbst nicht genau.) Das Überqueren der Grenze samt aller Kontrollen hat insgesamt etwa 1:30 h gedauert, was völlig in Ordnung ist.

Der deutsche Teil der Reise (Berlin Ost–> Kassel –> Gießen) verläuft ebenfalls problemlos. Und natürlich fallen mir sofort alle Kleinigkeiten auf, die Deutschland von Belarus unterscheiden, vor allem die fehlenden Wartesäle am Bahnhof und die teureren Preise. Das wichtigste für mich aber war tatsächlich, wieder deutsche Umgangssprache zu hören. Wie man überall einen Hauch Dialekt, regionales Gebabbel und umgangssprachliche Wendungen und Verkürzungen („nee, Tee hammer net“) hören kann, wenn man will. Und außerdem, wie einfach alles doch scheint, sobald man ohne jede Anstrengung grundsätzlich einfach genau das sagen kann, was man sagen will (ohne dass man als einziger Ausländer im Zug erkannt und neugierigen Fragen ausgesetzt wird).

Da merkt man doch, wie weit man sich von der Komfortzone entfernt hat.

Ich habe mich riesig gefreut, nach Hause fahren zu können, auch wenn es wirklich ein seltsames Gefühl ist. Ich war zuhause nur Gast, nur für eine kurze Zeit, und habe nicht nur all die Menschen daheim sehen können, sondern auch wieder das, was ich zurückgelassen habe und wohin ich bald zurückkomme. Das gibt meiner Zeit in Belarus jetzt noch mehr das Gefühl von Begrenzt-, Abgeschlossenheit, da ich genau weiß, dass es danach in Deutschland weitergehen wird.

Es war definitiv die richtige Entscheidung, über Weihnachten für diese kurze Zeit nach Deutschland zu kommen, um dann schnell wieder aus der Komfortzone zu verschwinden. Länger wäre vielleicht wirklich nicht gut gewesen, sonst tritt mein jetziges normales Leben in Belarus weiter in den Hintergrund.

Ich muss am Ende einfach einen guten Abschluss mit der Zeit in Orscha finden, sodass ich beruhigt nach Deutschland kann. Aber natürlich möchte ich nochmal zurück – und zum Glück kann man zumindest zwei Orte in Belarus auch ohne Visum und ohne Flug besuchen.

Die Zeit in Deutschland war wahnsinnig schnell vorbei und jetzt geht es schon wieder weiter. Schon von gestern und heute gibt es wieder genug zu erzählen. An dieser Stelle deshalb noch einmal vielen lieben Dank an all die Menschen, die ich in dieser für mich ganz besonderen Weihnachtszeit 2018 treffen und wiedersehen konnte!!!

Puh.

Seit gestern bin ich mit meiner fast sechszehnjährigen Schwester wieder in Belarus, in Minsk. Ich kann und möchte gar nicht alle Details erklären, aber bis jetzt ist alles überraschend gut verlaufen. Unser Hostel war nicht meine erste Wahl – doch jetzt hat es sich als ausgezeichnet herausgestellt. Wir sind im Osten der Stadt, Metro-Station Московская. Passend zu diesem Namen („Moskauer Station“) sind zwei Frauen aus Moskau im Hostel, mit denen wir am Abend zusammensitzen. Die beiden packen ihr Schuldeutsch und ihre begrenzten Englischkenntnisse aus und wir unterhalten uns eine ganze Weile über alles Mögliche – Schüler in Moskau und Deutschland („Sind die Schüler bei euch auch so schlecht erzogen?“), Sprachen lernen (der einmonatige Englischkurs hat bei Irina nicht so viel gebracht, aber ein tolles Zertifikat), noch mehr über Sprachen (meine Schwester musste Französisch reden, weil die Sprache ja so toll klingt) und zuletzt das Thema Urlaub: auf der Krim sei es total toll, es sei sehr schön, dass man als Russe jetzt dort hin fahren könne. Und diese tolle neue Brücke!

(Das letzte Thema ist natürlich etwas kritisch, aber ich fand es um so spannender, auch diese Sichtweise zu hören, die man in Deutschland so nicht kennt.)

 

Heute dann noch ein längerer Stadtrundgang in dem Teil von Minsk, den ich kenne – der gar nicht so klein ist, wie ich gemerkt habe. Dazu gehören die großen Plätze (Unabhängigkeitsplatz, Platz der Republik, Siegesplatz) am breiten Прaспект Незалежнасцi (Unabhängigkeitsprospekt), die „rote Kirche“, die größten Kaufhäuser, Parks, der Bahnhof und ein Café. Gar nicht wenig für einen Tag, und alles ganz ohne Probleme oder Langeweile.

Wie man sieht, sind Bürgersteige in Minsk grundsätzlich eng und überfüllt

Ein Einkaufszentrum

Nicht zu vergessen die Metro.

Es läuft also soweit ziemlich gut. Nach dem Übergang ins nächste Jahr (Neujahr ist ein riesiges Fest hier, mal schauen, wieviel wir heute Abend noch davon mitbekommen) geht es morgen wieder nach Orscha, von dort aus melde ich mich demnächst wieder.

Zuletzt das Wetter: es ist gar nicht übertrieben kalt, um die 0°C. Heute hat es auch eher geregnet als geschneit, aber Schnee bleib   t noch liegen.

:)

С новым годом вам! Frohes Neues!

Jonathan

Vorweihnachtsstresschen in Orscha

Orscha, 16. Dezember 2018. – Es ist immer noch gar nicht soo kalt, trotzdem bin ich gerade viel drinnen in meiner Wohnung. Diese Woche bin ich schon das zweite Wochenende in Folge nicht unterwegs, und das ist auch ganz angenehm so. Alles Andere wäre gerade auch unvernünftig. Seitdem ich am Samstag aufgestanden bin und mich fertig gemacht habe, sprinte ich nur so durch meine To-do-Liste, um möglichst gut durchzukommen. Die nächste Woche wird ordentlich voll, ich muss unbedingt vorarbeiten. Die Präsentation „Deutsche Massenmedien“ für Montag habe ich bewusst auf heute aufgeschoben, denn gestern musste ich mich zuerst auf Dienstag vorbereiten. Deutschlernende Schüler (und ihre Lehrer) aus Witebsk werden unsere Schule besuchen, deshalb müssen wir uns ins Zeug legen. Die Grundidee: wahrscheinlich ist diese andere Schule besser in Deutsch, aber wir haben tollere Projekte und eine schöpferischere Atmosphäre. (Die Schüler sagen aus irgendeinem Grund schöpferisch, wenn sie kreativ meinen.) Konkret bedeutet das eine Vorstellung der Schule mit allen ihren schönen Seiten. Von mir wird noch eine Stunde über Weihnachten erwartet, diesmal ganz anders, da das Niveau vermutlich höher sein muss. Die Planung ist nicht so ganz einfach. Jedenfalls muss ich am Samstag zuerst meine Dokumente mit Weihnachtsbildern fertigmachen, da wir in der Schule keinen Farbdrucker haben und der Kopiershop unter meiner Wohnung samstags früh schließt.

Falls ich es noch nicht erwähnt habe: meine Bushaltestelle heißt центр/Zentr, und das sagt schon alles über die Umgebung meiner Wohnung. Ich bin genau mittendrin im Stadtzentrum, fast alles Wichtige ist in der Nähe – oder sogar im gleichen Gebäude.

Im gleichen Zeitraum am Samstag ist dann noch Russisch (Vokabeln aufschreiben; aus den letzten 90 min Unterricht habe ich ganze 35 neue Vokabeln mitgenommen), SIM-Karte aufladen, Kochen, Wäsche, Einkaufen und Geld abheben angesagt. Auch einen Geldautomaten gibt es direkt in meiner Straße, obwohl ich es nicht mag, dort Geld abzuheben – er liegt genau auf der Straße, durch die ständig Leute laufen, ich fühle mich immer beobachtet. Leider hat man bei so etwas andere Ansprüche als in Deutschland, so kommt es mir zumindest vor – es kann immer wieder mal sein, dass Menschen direkt neben einem selbst warten, während man am Schalter Geld abhebt, was mich immer nervös macht.

Ich bin sehr froh, dass es mir gerade gut geht und ich gut durch die Arbeitsphase durchkomme, sonst wäre ich gerade nur noch demotiviert.

Am Nachmittag treffe ich mich wieder mit P., sodass ich am Wochenende nicht die ganze Zeit alleine bin. Der mittlerweile ganz normale Treffpunkt Leninplatz ist noch eine dieser vielen Kleinigkeiten, die dieses einmalige halbe Jahr ausmachen. Bei unserem längeren Spaziergang quer durch die halbe Stadt findet sich das ein oder andere Mitbringsel für Weihnachten, aber leider kein берёзовый квас (Birkensaftkwas). Das wäre auch zu schön gewesen…

Außer „Massenmedien“ und den Gästen aus Witebsk ist nächste Woche natürlich noch mehr: an einem Tag bin ich in P.s Schule, dazu kommt noch eine Präsentation in Orscha, zwei Mal Russischunterricht und die Vorbereitung auf die Abreise: am Freitag geht es auf Heimaturlaub. Vorbereitung heißt Packen, Aufräumen und Saubermachen, aber auch Klavier üben, denn ich habe für Gottesdienste an Weihnachten zugesagt. Es gibt also mehr als genug zu tun, deswegen freue ich mich sehr darauf, am Ende der Woche in den Zug zu steigen und für Weihnachten nach Deutschland zu kommen.

Wenn alles gut läuft, wird sich auch meine Entscheidung, Zug zu fahren, sehr lohnen. Ich kann von Orscha aus direkt nach Berlin fahren (das ist die Zugverbindung Moskau – Berlin) und muss deswegen nur zwei Mal umsteigen. Der Großteil der Fahrt ist über Nacht, also werde ich die meiste Zeit einfach schlafen. Das ist sogar ziemlich bequem im Zug, so war es zumindest letztes Mal bei der Fahrt zum Zwischenseminar. Und der besondere Reiz ist, meinem Zuhause in Deutschland Schritt für Schritt immer näher zu kommen. Das wird etwas ganz Besonderes, und ebenso Einmaliges. Ich kann es schwer beschreiben, aus meiner Sicht ist es einfach einzigartig.

In dieser Woche war ich außerdem noch einmal in Dubrowna, was mir ziemlich gut gefallen hat. Mein interaktives Sprech-Spiel kam für die Schüler etwas überraschend, war aber am Ende (по-моему, meiner Meinung nach) erfolgreich. Auch in Dubrowna gibt es motivierte Schüler(innen)… Dazu dann noch Weihnachtslieder singen in der Aula und ein kleiner Spaziergang durch das Stadtdorf mit den stärkeren Schülerinnen. Dubrowna ist zwar klein, aber dennoch kann man hier die bedeutenden Sieben Wunder von Dubrowna bestaunen. Nach dieser Woche kenne ich noch nicht alle, vielleicht lerne ich noch mehr davon kennen. Und es tut mir leid, dass ich das Dubrowner Schloss – eines der Wunder, auch wenn „Schloss“ eine Übertreibung ist – nicht fotografiert habe und dieser Beitrag wieder bilderlos ist.

Die kommende Woche wird also voll, aber ich hoffe, am Freitag dann problemlos die Rückfahrt antreten zu können.

Zuletzt noch das Wetter: aktuell nur leichte Minustemperaturen, -2 oder -3° C. Schnee liegt überall noch ein bisschen, Matsch hält sich in Grenzen. Es soll bald kälter werden, aber das gilt hier ja grundsätzlich immer.

Alles Gute und bis bald!

Jonathan

P.S.: Nachdem das Treppenhaus vor meiner Wohnungstür monatelang nach 17 Uhr völlig finster war, hat man am ersten Advent eine Lampe angebracht. Diese leuchtet jetzt allerdings durchgängig 24/7, mal schauen, wie lange noch.

Gemischte Tage und Gefühle

Orscha, 8. Dezember 2018. – Seit meinem letzten Eintrag ist es Dezember und damit Advent geworden und der Heimaturlaub ist noch einmal näher gerückt. Es hat seinen Grund, dass ich länger als üblich nichts geschrieben habe, aber ab jetzt geht es hoffentlich normal weiter.

Nach dem Ende des Seminars war meine Ansprechpartnerin eine Woche lang auf einer Fortbildung und ich daher bei den anderen Lehrerinnen eingesetzt, meistens mit weniger Stunden als normal. Genauso wie immer läuft das manchmal gut, manchmal weniger. Mittlerweile kann ich die Schüler wie auch die Lehrer besser einschätzen, kenne die Klassen besser, kann die Lehrer besser „beurteilen“, sofern mir das überhaupt zusteht. Nach einer Weile sind manche Menschen doch etwas anders, als zunächst erwartet, meine Meinung hat sich bei einigen etwas verändert- positiv und negativ…

Es ist eben so, dass viele Unterrichtsstunden sich letztendlich für keinen der Beteiligten lohnen. Klasse 4 und 5 ist da meistens sehr dankbar, aber in Klasse 8 (wo ich oft bin) kann viel danebengehen. Die Schüler dürfen Texte über „Musikfestivals in Deutschland“ auswendig lernen oder in Gruppenarbeit erarbeiten. Und es ist viel zu klar, dass mindestens die Hälfte der Klasse den Zusammenhang des Textes nicht versteht. Eine andere achte Klasse darf ihre Lieblingssänger vorstellen, wirkt dabei aber genauso motiviert wie Klasse 8б beim Aufsagen der Biographie Beethovens.

(Diese Biographie war als Text im Buch und übrigens nicht mal korrekt, um ehrlich zu sein. Im Text stand, dass Mozart Beethovens Lehrer war, doch die beiden haben sich nicht einmal getroffen.)

Der spannendste Tag dieser vorigen Woche war der Donnerstag, an dem ich in eine weitere Schule eingeladen war: Дубровно (Dubrowna) liegt noch etwas östlich von Orscha, nur noch dreißig Kilometer entfernt von der russischen Grenze. Die Straße Orscha-Dubrowna führt schnurgerade von meiner Einsatzstadt in den 8000-Einwohner-Ort, der offiziell Stadt ist, sogar Zentrum des dortigen Landkreises, aber irgendwie auch ziemlich Dorf. „Dorfstadt“ oder „Stadtdorf“ passt meiner Meinung nach am besten. Von Dubrowna aus würde die Straße vermutlich genauso gerade weiter nach Russland führen. Das Bittere: die Grenze ist offen und wird nicht kontrolliert, aber genau deshalb darf ich sie nicht überschreiten. Belarus und Russland arbeiten so eng zusammen, dass man alle Grenzkontrollen gestrichen hat; das bedeutet gleichzeitig, Ausländer dürfen die Grenze nicht passieren, da sie dann nicht kontrolliert werden können und ihr Visum so nicht überprüft werden kann. Demnach werde ich leider nicht ins nahe Russland fahren können und Dubrowna bleibt vorerst der östlichste Punkt Europas, an dem ich je war.

Den Kontakt nach Dubrowna hat eine Lehrerin in Orscha hergestellt. Es ist relativ offensichtlich, warum ich die Schule besuchen soll: die Schüler haben kaum Sprachpraxis und werden außer mir in nächster Zeit kaum noch einen Deutschen treffen. Diese Erwartung bestätigt sich in der Schule: die Schüler scheinen wenig darauf vorbereitet, ihre Sprachkenntnisse tatsächlich anzuwenden, und sind sehr scheu. Ich möchte die Schule gerne noch einmal besuchen, um vor allem sprechen zu üben.

Neben dem Austausch mit den Schülern werde ich noch von einigen Lehrern empfangen, darunter die beiden Deutschlehrer, eine Englischlehrerin und die Schulleitung. Es geht vor allem um Sprachen, wie schade es doch ist, dass immer mehr Schüler Englisch lernen wollen und so weiter. In Dubrowna gibt es bisher noch Deutsch und Französisch, und ich als Freiwilliger werde auch nicht verhindern können, dass beides neben Englisch weiter und weiter schrumpfen wird.

Am Abend komme ich noch zur Probe der Schulmusikgruppe, die zurzeit deutsche Weihnachtslieder einstudiert. Eigentlich mache ich nicht viel außer ein bisschen Aussprache üben, aber die Lehrerin findet es trotzdem toll und stellt irgendwelche Videos davon auf Facebook. Nach dem Weihnachtsteil üben die SuS- es sind tatsächlich zwei Jungs dabei, für die ich großen Respekt habe – noch die spaßigeren Stücke, ihre belarussischen und russischen Lieder und Tänze. Ich bitte eine weitere anwesende Lehrerin, sie möge mir doch bitte jeweils die Namen der Stücke aufschreiben, sodass ich später noch mal reinhören kann, und sie schreibt gleich den ganzen Text mit. Problem dabei: die Texte sind teilweise auf Belarussisch, der Sprache, die eigentlich niemand in Orscha spricht. Über die Rechtschreibung muss die Lehrerin sich also wieder mit anderen Kollegen beraten. Eine insgesamt ziemlich lustige Situation, finde ich, aber vielleicht muss man hier sein, um das zu verstehen. Jedenfalls kenne ich jetzt etwas mehr Musik auf Russisch und Belarussisch.

Am ersten Adventswochenende bin ich wieder in Minsk, Denise aus Sluzk hat Geburtstag. Wir verbringen das Wochenende zusammen, unsere „Feier“ gefällt mir insgesamt aber weniger, ich schreibe hier nichts mehr dazu. Ich bin jedenfalls relativ froh, als ich am Sonntag gegen 18 Uhr wieder in Orscha ankomme und noch ein bisschen telefonieren kann, doch schon am nächsten Tag bin ich krank. Vermutlich habe ich mich über das Wochenende erkältet, das trifft mich in dieser Woche mit voller Wucht. Ich gehe noch in die Schule, weil es gerade noch geht, aber ohne große Lust.

Am Mittwoch bin ich wieder in Minsk, für das „Kulturmittlertreffen“. Weil ein Zug ausfällt, muss ich frühmorgens losfahren und komme abends am gleichen Tag zurück, insgesamt fünf Stunden im Zug. Im Voraus hatte ich gar keine Lust, am Ende ist es aber doch sehr okay. Dieses Mal sind wieder alle fünf Freiwilligen da, was relativ selten ist. Vor dem Treffen sind wir мальчики noch im ГУМ, dem staatlichen Kaufhaus, wo man von allen Seiten beim Einkaufen oder Bummeln überwacht und damit unsanft daran erinnert wird, in welchem Land man sich gerade befindet. Trotzdem spricht mich hier eine Verkäuferin an, ich soll beurteilen, welche von zwei Farben modischer ist, als junger Mann müsse ich das doch wissen. Das wiederum könnte auch Deutschland sein.

Nachdem mein Russisch zwischendurch ein paar Mal Aussetzer hatte, habe ich am Mittwoch überraschend noch einen Erfolg: ein ziemlich langes Gespräch im Zug. Mein Gegenüber wird neugierig, als ich (endlich mal wieder :/ ) meine Karteikarten durchgehe, und spricht mich darauf an. Als meine Situation klar wird, kommt ein Feuerwerk der Standardfragen. Ich werde über alles ausgefragt, der junge Familienvater ist fasziniert. Er will mich am Ende sogar zu sich nach Hause einladen und mich seiner Familie vorstellen, wir haben auch Telefonnummern ausgetauscht – aber trotz seiner Beteuerung „я позвоню!“ ist bisher, am Samstag Abend, nichts gekommen.

Dann Freitag wieder Schule, Wochenende eher frei. Habe mir endlich die Haare schneiden lassen, es war höchste Zeit. Gerade liegen die Temperaturen bei etwa -3°, aber natürlich wird es noch kälter. Momentan ist außerdem alles glatt, nachdem der Schnee für einen Tag geschmolzen und dann wieder gefroren ist.

Zum Schluss noch etwas zum Schmunzeln: Klasse 4 redet gerade über ihre Familie, ein tolles Thema, weil die Schüler dafür einen schönen Stammbaum gestalten durften. Sie verwechseln nur immer mal Wörter und sagen Dinge wie „Meine Mutter ist sechsunddreißig Jahres Zeit“. Knuffig.

Всё… До свидания и всего хорошего!

Jonathan