„Irina Michailowna hat den Keks aus der Dose geklaut!!“

Orscha, 30. Januar 2019. – Sätze wie im Titel entstehen, wenn man Viert- und Fünftklässlern „Wer hat den Keks aus der Dose geklaut“ beibringt, und zu wenige Schüler in der Gruppe sind…

Am vergangenen Wochenende war, wie gesagt, Linus aus Maladetschna zu Besuch, was soweit ziemlich schön und angenehm war. Orscha hat, wie ich Linus gegenüber auch sage, genau die richtige Größe und Anzahl an Sehenswürdigkeiten für einen Wochenendbesuch: wenn man alles in zwei Tagen sieht, erscheint es viel und beeindruckend, aber bliebe man noch etwas, sähe die Sache anders aus. Der Vergleich zwischen „Molly“ und Orscha fällt leider so oder so deutlich zugunsten von Orscha aus. Wenn ich mir alles vorstelle, gibt es hier in Orscha doch sehr viel, auch viele Orte, die ich kaum kenne (wie zum Beispiel den riesigen Markt, wo ich kaum jemals bin, obwohl man dort wirklich fast alles kaufen kann). Der Vergleich mit deutschen Städten zeigt dann wiederum ein etwas anderes Bild – aber wie dem auch sei, es ist grundsätzlich wirklich schön hier.

Am Wochenende zeigt sich alles wunderschön winterlich schneeweiß, ohne dass es zu kalt ist- quasi perfekt.

Und Orscha ist sogar international: es gibt ein vietnamesisches Café (Кафе Виет), was grundsätzlich ziemlich cool ist, und an diesem Sonntag besuchen wir beide es zusammen zum ersten Mal.

Am Montag kommt wieder ein eher schmerzhaftes Beispiel für den Unterricht hier: die Schüler in Klasse 10 müssen Texte über das Thema „Massenmedien“ auswendig aufsagen. Dabei sind auch die Antworten auf Fragen nach der Meinung der Schüler schon vorgegeben, genauso wie die Antworten auf alle persönlichen Fragen.

Solche Arbeitsblätter zu sehen, tut schon weh, aber irgendwo kann ich es nachvollziehen, da das leider wirklich die beste Vorbereitung ist, die man für die belarussischen Abschlussprüfungen in Deutsch machen kann. Schon in Deutschland beschweren sich die Schüler häufig (zurecht), dass die Lerninhalte oft wenig realitätsnah oder praxisorientiert sind – in Belarus ist es definitiv viel schlimmer.

Dafür sind Schüler in Klasse 4 und 5 sehr motiviert, wenn ihnen etwas Spaßiges angeboten wird. Kurioserweise ist das Highlight der Deutschstunde in Klasse 5 das Spiel „der, die, das“, bei dem die Schüler spielerisch die Artikel wiederholen. Da bevorzugt Klasse 4 doch lieber Basteln und Malen. Und drei Schülerinnen aus Klasse 10 drehen gerade einen Film über unsere Schule (indem auch zwei Darias aus Klasse 8 mitspielen dürfen/müssen), nachdem sie Linus und mich am Samstag schon stundenlang professionell durch die Stadt geführt haben. Ansonsten bereitet sich Klasse 8 auf die A2-Prüfung vor, Klasse 6 auf die A1-Prüfung, und Klasse 3 lernt das Thema „Meine Schulsachen“.

Jaja, unsere liebe Schule Nr. 20 ist sehr schöpferisch und tüchtig, wenn auch nicht immer zierlich und manierlich.

Das alte Jesuitenkollegium in Orscha

Der nächste Blogeintrag wird erst nach einigen neuen Ereignissen kommen: nach einem Besuch in der Kleinstadt Барань morgen, und nach einem Freiwilligentreffen in Kiew am Wochenende. Die Hauptstadt der Ukraine ist gar nicht so weit weg von hier, wir werden sogar mit dem Bus fahren (über Nacht). Wir sind vermutlich zu acht, aus Belarus, Ukraine und Moldau. Da gleich vier Freiwillige aus Belarus anreisen, ist der Anteil der Menschen, die sich in der Ukraine auskennen, leider eher klein; und wenn ich die Lage richtig einschätze, weiß niemand wirklich, was wir machen werden (auf jeden Fall wissen wir  „Belarussen“ es nicht) –  also müssen wir einfach sehen, was passiert. Das Leben in der Ukraine kommt mir sehr viel spontaner vor als Belarus, und es ist sehr ungewohnt, wieder aus der Umgebung herauszukommen, in der ich mich gut zurechtfinde (wie Linus wahrscheinlich gemerkt hat). Посмотрим (schaumermal).

Es ist übrigens ein sehr besonderes Gefühl, im einem Land zu leben, wo man in der Regel weder die Muttersprache noch Englisch so richtig verwenden kann. Dieses Gefühl werde ich in Deutschland vermissen, denke ich, wenn die erste Phase der großen Erleichterung, einfach alles sagen zu können, wie man will, ohne als Ausländer aufzufallen, vorbei ist.

Es wird wieder Zeit, nach Deutschland zurückzukommen, aber dabei habe ich ein grundsätzlich sehr komisches Gefühl, das wahrscheinlich nur meine „Kollegen“ (und auch nicht alle) verstehen könnten. Ich bin nur noch zwanzig Tage in Belarus und das fühlt sich immer seltsamer an. Das richtige „Zurückkommen“ nach Deutschland wird vielleicht sehr schwierig, mehr als gedacht, und ich verstehe noch nicht, was es bedeuten wird.

Alles Gute und bis dann

Йонатан