Der Charme liegt im Unbekannten

Um ehrlich zu sein war ich mir nicht sicher ob ich hier nochmal irgendwann etwas posten würde. Aber es tut mir leid dem Ganzen so ein abruptes Ende zu geben. Und so langsam tut es mir mehr leid, als das meine Faulheit mich davon abhält noch einen Beitrag zu schreiben.
Erst habe ich gedacht ich hätte im Moment einfach keine Zeit. Nach tiefgehender Reflektion bin ich aber zu der Erkenntnis gekommen, dass ich anstatt der 30 min. YouTube Kochvideos, die meine Zeit definitiv auch wert sind, auch diesen Eintrag schreiben könnte. Mein innerer Schweinehund hat also verloren, 1:0 für die Produktivität.

Wenn ich eins auf jeden Fall bin, habe ich bis jetzt gedacht, dann offen. Ich probiere (fast) alles, sage deutlich mehr „Ja, das probiere ich“ als „Nein“. Und doch habe ich hier gemerkt bin ich doch schon festgefahren in manchen meiner Gewohnheiten.

Das Obst schmeckt hier super. Noch nie habe ich so saftige Ananas oder süße Mangos gegessen. Die brasilianischen Bananen sind nicht mit den Deutschen, die ich wohl nie wieder essen kann, zu vergleichen.  Und doch erwische ich mich immer öfter dabei wie ich anstatt der saftigen Ananas die vergleichsweise geschmacklosen Äpfel kaufe. „Die haben einfach eine andere Konsistenz, die mir sonst im Obstsalat fehlt“, versuche ich meinen Fehlkauf recht zu fertigen. Eigentlich ist es aber pure Gewohnheit, Faulheit von dem gewohnten abzuweichen. Es kostet mich jedes Mal aufs neue Überwindung die Äpfel nicht in meinen Einkaufskorb zu legen.

Seit meinem zweiten Tag hier in Brasilien fahre ich alle meine Strecken in der Stadt mit dem Fahrrad. Weil mir das unglaublich viel Spaß macht, weil ich dann keine zusätzlichen Schadstoffe erzeuge, weil ich morgens dann erst richtig wach bin, weil es am billigsten ist und, weil ich das in Deutschland auch schon so gemacht habe.

Nach drei Monaten, als mein Reifen einen Platten hatte, bin ich dann mal mit dem Bus gefahren. Im Bus stand ich zwischen all den Menschen, die ich sonst immer nur durch die Busfenster gesehen hatte. Und da sind sie mir erst so richtig aufgefallen. Ich hatte Zeit, wie ich so mit meinen Kopfhörern im Bus stand und sie alle beobachtete.
Am nächsten Tag war der Reifen geflickt und ich wieder auf dem Fahrradweg.
Und irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl in einem Rhythmus unterwegs zu sein und der Rest der Stadt in einem ganz anderen. Wir spielten gleichzeitig, aber komplett unterschiedlich. Ich war irgendwie außerhalb. „Vielleicht liegt das daran, dass ich meine Kopfhörer in den Ohren habe?“ Also nahm ich sie raus und hörte den Geräuschen der Stadt anstatt AnnenMayKantereit zu. Trotzdem fühlte ich mich als jemand Fremdes. Anders als im Bus, in dem ich gar nicht aufgefallen war.

Genauso wie ich meine Sonntage in zwei verschiedene Arten einteile, teile ich inzwischen die Cafés hier in zwei Verschiedene ein. Manchmal ist die Welt eben doch Schwarz und Weiß.
Auf der einen Seite gibt es Cafés, wie ich sie kenne. Gemütliche Sitze, eine schöne Einrichtung. Es wird viel Wert auf Aussehen gesetzt. Sowohl bei der Einrichtung, beim Essen, beim Instagramfeed als auch bei der Bedienung.
Oft wird dabei leider der Geschmack des Servierten vergessen. Der Kuchen ist definitiv „instagram-worthy“, aber auch eben nur, weil man ihn dort nicht schmecken kann.

Und wenn mir in meinem Leben eines wichtig ist, dann das Essen.

Und so stehen auf der anderen Seite die hier sogenannten „Padarias“. Bäckereien, in denen sich jeder morgens seine Brötchen oder pão de queijo holt. Dort kann man sich aber auch an einen der Tische mit Plastikstühlen setzen und sich Kuchen und Gebäck aus der Theke direkt auf den Teller wünschen. Der Kaffee kostet hier nur einen Euro. Da fühlt man sich wie im Italienurlaub. Übrigens ein Bruchteil des Preises, den man in den selbsternannten „Hipstercafés“ zahlen würde. Und richtiger Luxus ist, wie ich finde, sich im Café einen zweiten Kaffee bestellen zu können. Ja, seine Bestellung muss man hier selber am Tresen machen und auf Plastikstühlen in einem Raum mit wenig Dekoration sitzen. Der Charme liegt im Verborgenen. Ich habe schon so manches zweite Frühstück eingelegt, weil es bis auf den Fahrradweg nach Frischgebackenem geduftet hat. Außerdem ist die Masse der Kaffeetrinker hier viel heterogener. Und so eignen sich die Cafés zweiter Sorte besser zum „People Watching“.

Besonders in meinen letzten drei Monaten hier versuche ich meine, wie ich gemerkt habe, doch eingefahrenen Angewohnheiten ein bisschen los zu lassen. Das wollte ich einfach mal Teilen und dazu aufmuntern jeden Tag etwas Neues zu probieren. Und wenn man im Supermarkt einfach mal „Boskoop“-Äpfel anstatt „Elstar“ kauft.  Oder wie in meinem Fall Bananen Sorte „Figo“ anstatt „Branca“.