Rupac-warum geht der Mensch wandern?

Trotz der harten Matratze im Bett des Hostels habe ich gut geschlafen. Am Samstagmorgen wird meine freudige Erwartung nur davon geschmälert, dass ich die süßen Honigpops vom Hostel-Frühstück verpasse. Die haben mich an meine gaaaanz jungen Jahre erinnert, in denen ich die wahrscheinlich kiloweise mit Milch in mich reingeschüttet habe. Aber das Frühstück fängt erst um acht Uhr an und ich treffe mich schon um sieben (oder war es sieben Uhr dreißig?) mit Luisa und Johanna am Gran Terminal Terreste in Lima, Peru.  Als ich dort ankomme ist das Zelt, das wir uns übers Wochenende ausleihen schon da und so können wir am Z-Buss Schalter direkt unsere Tickets kaufen. Dank der UNESCO und unseres von kulturweit so toll konzipierten Freiwilligenausweises bekommen wir sogar den ermäßigten Preis. Wir fahren erst mit dem Bus zwei Stunden aus Lima raus in die kleine Stadt Huaral. Das Grau der Stadt wandelt sich langsam zum Grün der Erdbeerfelder außerhalb Limas.

An dieser Stelle könnte ich vielleicht kurz erklären was wir überhaupt vorhaben. Zu diesem Zeitpunkt WOLLEN wir noch wandern gehen. Circa vier Stunden von Lima entfernt gibt es auf 3.700 Metern Ruinen einer Stadt einer präinkaischen Kultur, die man nur durch eine 3-4 h lange Wanderung erreichen kann. Das ist unser Ziel, noch liegt ein langer Weg von uns.  Ursprünglich wollten Luisa und ich nach Macahuasi, eine Wanderung die sehr ähnlich verläuft aber bekannter ist und deshalb mehr ausländische Touristen anzieht. Spontan hat Johanna sich angeschlossen, die schon in Macahuasi war, aber von ihrem Mitbewohner den Rupac-Tipp bekommen hat. Diese Wanderung ist weit weniger bekannt und so hatten wir von Anfang an Angst, dass wir die einzigen sein würden, die auf dem Berg übernachten.

In Huaral also besorgen wir uns ein Taxi, dass uns in circa zwei Stunden 3.000 Meter hoch in die Anden fahren soll. Beziehungsweise es wird uns besorgt. Natürlich fallen wir mit unseren Backpacks auf dem Rücken auf und man kann uns als ausländisch identifizieren. Dann kommen meistens viele Männer mit Autoschlüsseln in der Hand angerannt und bieten dir ein Taxi an.  Dieses Mal brauchen wir tatsächlich eins und so sitzen wir schnell zusammengepresst auf der Rückbank eines funktionstüchtigen Autos. Spontan fällt uns auf, dass keiner von uns vorher das Wetter gecheckt hat. Dank mobiler Daten lässt sich das (glücklicherweise) nachholen. Erschreckt und ein bisschen belustigt stellen wir fest, dass Regen bzw. Gewitter und Kälte vorhergesagt ist. Warum ist hier außer uns eigentlich kein anderer, der aussieht als würde er wandern gehen wollen?

Wir haben Glück: mit dem nächsten Bus kommt doch tatsächlich ein Mann mit Rucksack, und es werden mehr! Dann sitzen wir wenigstens nicht alleine im Regen! Kurze Zeit später joint uns auf unsere Rückbank eine Peruanerin aus Lima, ihr Freund nimmt vorne Platz. Da das Auto jetzt aber auch wirklich voll ist beginnen wir unsere Fahrt. Im Auto ist es eng und je höher wir uns den staubigen Bergweg hocharbeiten desto heißer und eben staubiger wird es im Auto. Das wäre ein Problem, wenn der Fahrer nicht einen wirklich guten Mix an englischsprachiger Musik und Reggaeton auf seinem Stick hätte.

So passieren wir La Floripa, eine fast verlassenen Stadt in den Anden. Hier kassiert ein älterer Peruaner ein paar Sol. Unser Eintritt in die Berge! Nach weiteren dreißig Minuten kommen wir in der Geisterstadt an, in der man seinen Aufstieg beginnt. Die ehemaligen Bewohner haben die Stadt verlassen als La Florida ans Stromnetz angeschlossen wurde. Jetzt gibt es hier nur noch ein Restaurant, in dem wir Tequenos und Choclo con queso essen. Unsere letzte richtige Mahlzeit.

Dann beginnen wir unseren Aufstieg, schon nach 15 min. sind wir nicht sicher ob wir auf dem richtigen Weg sind. Ein bisschen irritiert und begleitet von einer Kuh gehen wir einfach weiter. Es stellt sich heraus, dass wir natürlich richtig waren. Kurzer Fotostopp auf der so pitoresken Brücke, weiter gehts. Durchschnittlich wahrscheinlich alle 45 min. machen wir eine Pause. Kekse werden verspeist, Zitronenbonbons werden gelutscht. Die helfen gegen die Höhe. Es wird immer heißer, die Sonne brennt auf unsere Haut. 

 

 

 

Am Wegrand gibt es keine Schilder die anzeigen, wie viel man schon geschafft hat. Also können wir nach jeder Kurve oder Windung nur hoffen, dass die Ruinen, die man manchmal aufblitzen sieht, näher kommen. Oder das die Geisterstadt, die wir zurückgelassen haben immer weiter weg erscheint. Immer mehr merke ich, dass ich fürs Fahrrad geschaffen bin. Zu Fuß ist man so unglaublich langsam. Der Weg ist insgesamt 7 km lang, das schaffe ich mit dem Fahrrad in unter 30 Minuten, geht mir immer wieder durch den Kopf. Leider ist kein Fahrrad dabei und der Weg eignet sich auch wirklich nicht.

Auf jeder Pause finden wir erneut Motivation. Zum Beispiel werden nach circa anderthalb Stunden die Esel an uns vorbeigetrieben. Bepackt mit den Habseligkeiten der Mitwanderer. Wir haben uns gegen Esel entschieden, wenn wir uns aus freien Stücken für den Aufstieg entscheiden, soll auch kein anderer unsere Sachen schleppen. Vorangetrieben vom Stolz geht es also weiter.

Man merkt den Höhenunterschied schon sehr. Die Schritte sind, für meine Verhältnisse, winzig und genau so ineffizient fühlt sich jeder Atemzug an. Auf der nächsten Pause bezeichnet man uns als „Kriegerinnen“, das spornt an!

Irgendwann passieren wir das 800 Meter Schild. Was sind schon 800 Meter wenn man 6 KILOmeter hinter sich hat? Immer mehr wird allerdings klar 800 Meter sind eben auch fast ein Kilometer. So schnell können wir dann doch kein Bergfest feiern. Nach gefühlten Ewigkeiten kommt das 300 Meter Schild, das ist jetzt wirklich nicht mehr so lange!

Nach drei Stunden Aufstieg haben wir es endlich geschafft, um 18 Uhr kommt der Zeltplatz in Sicht. Auf den letzten Metern treffen wir einen Guide, der uns freundlicherweise in seine Gruppe aufnimmt. So haben wir als wir ankommen direkt einen Zeltplatz am Lagerfeuer. Das Zelt ist schnell aufgebaut und uns wird eine kleine Tour angeboten, nehmen wir natürlich dankend an!

Kurze Information aus dem Off: ich bin an dieser Stelle schon weeeeeeeeit über der empfohlenen Wortanzahl von 500, wer will kann nachzählen. Trotzdem werde ich weiter schreiben und freue mich über jeden, der es bis jetzt geschafft hat und weiter liest. 

Mit den anderen Teilnehmern der Reisegruppe, die wahrscheinlich tatsächlich für diese Tour bezahlt haben, geht es in die Ruinen. Mein persönliches Highlight ist der Sonnenuntergang, der wahrscheinlich schönste (und verdienteste!) meines doch so kurzen Lebens.

    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf dem Rückweg wird Feuerholz gesammelt, dann geht es für eine kurze Pause ins Zelt. Wir ziehen uns eine Schicht mehr an, es wird sehr kalt! Nachdem wir ungefähr eine Stunde geruht haben bekommen wir Hunger und packen so unser Abendbrot aus. Am Abend zuvor waren wir einkaufen und so haben wir Käse, Baguette, Aufstrich und Thunfisch.

Physisch geht es für mich nach dem Abendbrot leider bergab. Ich bekomme Kopf- und Bauchschmerzen. Das wird durch den harten Untergrund, auf dem wir liegen nicht unbedingt besser. Trotzdem werden wir irgendwann zum Lagerfeuer gerufen, die Hitze des Feuers tut gut. Uns wird ein Marshmallow und Koka-Tee angeboten. Nach einer Gruselgeschichte, die mir glücklicherweise erst am nächsten Tag übersetzt wurde, gehen wir ins Bett.

Alles anziehen was geht und versuchen zu schlafen! Die Betonung liegt auf versuchen, das ganze fällt leider nicht besonders erfolgreich aus. Während die anderen beiden neben mir scheinbar friedlich vor sich hin schlummern liege ich grübelnd wach. Natürlich bin ich am nächsten Tag nicht besonders ausgeschlafen. Außerdem merke ich stark, dass die 3.700 Meter mich daran hindern so zu Atmen wie ich will.

Ich fühle mich absolut elend und meine körperliche Fitness fühlt sich stark eingeschränkt an. Tolle Vorraussetzungen für den Abstieg, denke ich mir. Aber erstmal gibt es Frühstück: Dosenpfirsiche, Bananen und Äpfel. Langsam versuchen wir unseren Kreislauf hochzufahren. Endlich erreicht die Sonne unser Zelt und die Kälte hat ein Ende. Die anderen machen noch einen letzten Rundgang. Ich bleibe lieber auf einem Stein sitzen und sammle meine Energie.

Weil wir so viel gegessen haben fühlt sich wenigstens der Rucksack viel leichter an, als wir ihn umschnallen und ich falle nicht wie erwartet hinten über. Wie beginnen unseren Abstieg, ich setze einfach einen Fuß vor den anderen. Noch bevor wir das 800 Meter Schild erreichen spüren ich wie der Boden unter meinen Füßen wegrutscht und falle einmal der Länge nach hin. Ich sehe aus, wie eine Schildkröte, die auf ihrem Panzer liegt. Während des Sturzes sehe ich mich schon auf einem Esel den Berg runter reiten, vielleicht kann mich jemand abholen. Das alles passiert nicht. Ich stehe auf, bekomme ein bisschen Desinfektionsmittel auf meine Hände und begleitet von einem schmerzenden Steißbein geht es weiter.

Ich passe erheblich auf nicht noch einmal hinzufallen, laufe ganz hinten und konzentriere mich einfach auf die Gespräche von Luisa und Johanna. Schon gestern haben wir uns gefragt: aus was für einem selbstzerstörerischen Willen heraus entscheidet man sich wandern zu gehen? Bestimmt 70% der Zeit ging es bei unserem Ausflug darum wann wir da seien, wie lange es noch brauche, wir haben uns darüber ausgetauscht wie elend es uns ginge. Es schien absolut keinen Spaß zu machen. Und doch hat sich jeder von uns vorher dazu entschieden mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken sieben Kilometer Land staubige Wege hoch zu laufen. Es muss das Gefühl sein, wenn man ankommt. Wenn man weiß, dass man es geschafft hat. So hoffen wir jedenfalls.

Pausen legen wir aus strategischen Gründen im Schatten ein. Sie sind weitaus kürzer als gestern, dafür gibt es mehr. Langsam und Schritt für Schritt arbeiten wir uns voran. Ich rede nicht viel, folge nur den Anderen und so geht es Minute für Minute den Berg herab. Da ist der Stein, an dem wir gestern verzweifelt sind. Hier das Schild, auf dem steht, man solle auf die Natur achten. Nur die Zitronenbonbons und die billigen Schokokekse halten uns am Leben.

Mal werden wir von einer Gruppe überholt, mal überholen wir selber.

Irgendwann hören wir den Wasserfall, vor dem wir gestern unser erstes Foto gemacht haben. Hier noch eine letzte Pause, bevor es nochmal ein paar hundert Meter bergauf geht und wir endlich die Geisterstadt erreichen. Wir setzen uns in den Schatten, essen unsere letzten Kekse, fragen uns ob es das alles wert war. Rückblickend kann ich sagen: Ja. Wir hatten so viele Insider nach dieser kurzen Zeit, so vieles über das wir im Rückblick lachen können. Man vergisst wie absolut elend man sich gefühlt hat und erinnert sich nur noch daran wie schön die gemeinsame Zeit und der Geschmack der Zitronenbonbons ist.

Mit diesem Gedanken im Kopf schaffen wir auch noch die letzten Meter, die leider zahlreicher sind als erwartet. Viermal legen wir eine Pause ein. Ich will nicht sterben kurz bevor wir ankommen, dann lieber eine Pause mehr. Natürlich gehen wir am Ende noch ein bisschen falsch, sodass wir nicht beim Restaurant rauskommen, sondern etwas weiter oben. Die letzte Strapaze unserer Reise ist es also den Berg hinabzuklettern.

Ich erinnert mich jetzt noch an den Moment. Noch nie war es so schön auf einem Plastikstuhl zu sitzen mit einer Banane in der Hand, der Rucksack steht daneben. Mit einer kalten Cola in der Hand (die ich eigentlich gar nicht mag) und man weiß, gleich steht man nicht wieder auf um weiter zu gehen. Um durch so kleine Dinge, ein so schönes Gefühl hervorzurufen muss man wahrscheinlich eine strapazierende Wanderung hinter sich haben.

2 Gedanken zu „Rupac-warum geht der Mensch wandern?

  1. Angela Brinkmann

    Liebe Clara,
    das liest sich ja wirklich sehr spannend! Mein Traum ist es einmal nach Peru zu reisen und dort unsere Welthauspraktikantin vom letzten Jahr zu besuchen.

    Liebe Grüße

    Angela

    1. Clara Bobbert Beitragsautor

      Hallo Angela,

      Peru war wirklich schön! Nur wenn man schöne Strände sehen will, sollte man sich wahrscheinlich ein anderes Land aussuchen 😉
      Beim Welthaus wollte ich mich eigentlich auch bewerben, habe mich dann aber lieber auf die Bewerbung meiner Erstwahl konzentriert.Aber es ist schön zu hören, dass ihr eine Praktikantin vom Welthaus hattet!

      Clara

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