Archiv für den Monat: Oktober 2018

Ele Não – Er nicht

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„Ele Não“ dt. „Er nicht“ ist die Bewegung gegen den rechtsradikalen vorraussichtlichen Präsidenten von Brasilien.

Beim Verfassen dieses Beitrages stehe ich vor einem Problem. Ich sehe mich eigentlich nicht in der Lage einen politischen Kommentar abzugeben. Ich bin erst seit kurzer Zeit hier in Brasilien. Ich kann nicht beurteilen, was in diesem Land wirklich vor sich geht. Ich weiß nicht welche Probleme im alltäglichen Leben für einen Staatsbürger dieses Landes am wichtigsten sind. Ich spreche nicht mal die Sprache. Noch dazu gibt es zu diesem Thema so viele Meinungen, Gründe, Ansichten, dass ich unmöglich alle nennen kann. 

Ganz sicher kann ich aber nicht meinen nächsten Blogpost verfassen ohne dieses Thema angesprochen zu haben, und das soll nicht in einem Nebensatz geschehen.

Am 7. Oktober hat Brasilien das erste mal gewählt. In die Stichwahl für das Amt des Präsidenten kamen Jair Bolsonaro und Fernando Haddad. Jair Bolsonaro ist rechtsextrem, Haddas links. Das erste Problem in dieser Wahl sei für viele, dass diese Kandidaten und ihre Parteien so radikal unterschiedlich seien und deswegen kein Austausch, kein Kompromiss zwischen den Wählern statt finden könne. 

Und im Grunde war es schon vor dem heutigen Ausgang für viele klar, dass Bolsonaro der nächste Präsident Brasiliens wird. Er will jeden „guten“ Brasilianer mit Waffen ausstatten um die Kriminalität zu bekämpfen und um hart gegen die Korruption vorzugehen. Das finden viele gut. Noch dazu ist er streng religiös und viele gläubige Brasilianer haben das Gefühl, dass die Kirchen in Brasilien an Wert verlieren.

Gegen Haddads Partei PT (Partidos dos Trabalhadores) ist der Hass groß. Die Tagesschau schreibt: “Die Arbeiterpartei […] war tief verstrickt in die Schmiergeldaffäre. Sie regierte das Land von 2003 bis 2016. Der beschädigte Ruf der Partei ließ auch Haddads Wahlkampfkampagne nicht recht vom Fleck kommen.” Der Expräsident, der von allen nur Lula genannt wird und auch aus der PT kam, sitzt wegen Korruption im Gefängnis. Und Korruption scheint für viele hier ein rotes Tuch zu sein, weil sie so viele Chancen dieses Landes zu Grunde richtet. Ich habe viele meiner Kollegen gefragt und alle (wirklich alle) haben dasselbe gesagt. Die Leute wählen nicht für Bolsonaro sondern gegen die Korruption. 

Schon nach den Stichwahlen Anfag Oktober war es klar, dass dieser Mann der nächste Präsident Brasiliens wird. Doch gestern Abend kam das Ergebnis dann wie ein Schlag ins Gesicht. Im letzten Monat habe ich vor allem wahrgenommen wie kontrastreich dieses Land ist. Auf der Straße sieht man schneeweiße Männer mit roten Haaren, schwarze Frauen und Männer, braungebrannte Mädchen mit braunen, blonden, schwarzen Haaren. Keine Hautfarbe, Haarfarbe oder Augenfarbe ist hier ungewöhnlich. Nirgendswo habe ich homosexuellePaare so selbstverständlich rumlaufen sehen wie in Sao Paulo. Dieses Land hat so offen für alles auf mich gewirkt, ich glaube, besonders deswegen bin ich so erschüttert. 

Denn Bolsonaro äußert sich abschätzend gegenüber jedem, der nicht so ist wie er. Männlich, weiß, hetero, reich und militaristisch. “Ich bin homophop und sage diese Worte mit Stolz,”  hat er in einem Radiointerview gesagt. Er äußert sich frauenfeindlich und hetzt gegen ethnische Minderheiten. Er ist für Folter, verheerlicht die Militärdiktatur,die es in Brasilien gab. Unnötig zu sagen, dass diese Ansichten  Viele beschreiben ihn als Trump Südamerikas. Hier fehlen mir um ehrlich zu sein die Worte. Ich habe nicht ansatzweise das Gefühl wirklich verpacken zu können, was dieser Mann für ein Hass gegenüber Schwarzen, Frauen oder Schwulen vermittelt und wie sauer mich das macht. Dafür fehlt mir zum einen der Platz, zum anderen das Geschick. 

Joinville ist der Wahlbezirk in Brasilien in dem der Anteil der gültigen Stimmen für Bolsonaro am höchsten waren. Insgesamt haben 55% für Bolsonaro gestimmt. Hier in Joinville waren es 83%. Das hat man gestern Abend ganz klar gemerkt. Ich bin mit der Uber vom Busbahnhof nach Hause gefahren. Überall in der Stadt war Stau. Begleitet vom ständigen Hupkonzert fahren ganze Familien im mit Auto behängten Fahnen durch die Stadt. Man sieht Radfahrer, die sich eine Fahne umgebunden haben, überall sind Motorroller mit wehenden Fahnen. Manche Autos hatten Musikanlagen im Kofferraum aus denen Bolsonaros Name als Technobeat dröhnt. Bis spät in die Nacht hört man Feuwerwerke. Es war wie eine große öffentliche Party mit Freibier. Gefühlt war die ganze Stadt auf den Beinen. Der Wahlsieger ist für viele ein Messias. Für manche nur eine Notlösung, für andere der Albtraum. 

Bolsonaro wird wenn alles verläuft wie erwartet sein Amt im Januar antreten. Ich habe Angst erleben zumüssen, was die Wahl eines rassistischen, homphoben und sexistischen Präsidenten mit sich bringt. 

Professor, tenho uma pergunta!

In der einsamen Verzweiflung, die ich in den ersten Tagen hier gespürt habe, (warum bin ich nicht zu Hause geblieben?) habe ich die Musik lauter gemacht, eine Liste geschrieben, und mich zusammengerissen. Warum mache ich den FWD in Brasilien? 

  1. Um einen neuen Teil der Welt zu entdecken
  2. Um mich selber besser kennen zu lernen
  3. Um Portugiesisch zu lernen

Die Punkte haben mich in meiner Zerstörungsphase des eigenen Glücks nicht wirklich überzeugt. Im Nachhinein fällt mir auf: ich habe einen ganz wesentlichen Punkt vergessen, der mir im Moment am Meisten Spaß macht.

Von zuhause bekommt man eine bestimmte Lebensrealität mit. Ich weiß wie das Leben abläuft mit vier Schwestern. Wie es ist, wenn die Eltern zu Hause arbeiten. Wie das Leben auf einem Bauernhof, als Landwirt ist. Was ich aber wissen will: wie ist das Leben als Lehrer? Und wichtiger: wie ist das Leben als Lehrer für mich? Hier also ein erster Bericht über meine Arbeit in der Schule.

Das muss ich unbedingt sagen: ich habe jetzt einen eigenen WLAN-Zugang, eine Schul-emailaddresse und eine Zugangskarte mit einem Foto von mir drauf, die jetzt immer um meinen Hals hängt. Da fühlt man sich direkt viel besser aufgenommen.

Die meiste Zeit verbringe ich am Computer. Ich helfe den älteren Schülern ihre Power-Points für mündliche Prüfungen richtig zu strukturieren und angemeßene zu Sprache zu verwenden. Ich ordne über Google-Drive Dokumente für neue Unterrichtseinheiten. Dabei sitze ich oft in einem kleinen Besprechungsraum, den ich insgeheim als mein Büro ansehe.

Demnächst werde ich mit den deutschen Expat-Kindern eine Unterrichtseinheit zum Thema Umwelt machen. Dafür muss ich Arbeitsblätter erstellen, mir überlegen wie ich die Stunden einleite und für die Schüler interessant halte.

Wenn Deutsch- oder Englischlehrer krank sind übernehme ich deren Stunden. Manchmal erhalte ich detaillierte Anweisungen per Email was zu machen ist. Manchmal stehe ich angsterfüllt vor den Kindern und improvisiere. Am Anfang dachte ich: die nehmen mir das doch nicht ernsthaft ab, dass ich ihr Lehrer bin. Sie bestehen aber darauf mich zu siezen und immer Frau Bobbert zu sagen. Das ist für mich, die vor ein paar Monaten noch selber im Klassenraum saß, sehr lustig und ein bisschen befremdlich.

Mein Schüler-Ich flippt innerlich immer noch ein bisschen aus wenn ich abends mit allen Deutschlehrern grille oder an einer für Lehrer gekennzeichneten Stelle in der Cafeteria sitze. Ich weiß jetzt wofür BPLK steht und beaufsichtige Schüler bei ihrer Vorbereitungszeit für die mündlichen Prüfung, kriege mit wie die Lehrer die Leistungen der Schüler bewerten.

Ich unterhalte mich mit Lehrern über die Probleme des Berufs. Man wird immer mehr als Dienstleister gesehen, die Wahrscheinlichkeit eines Burnouts ist überdurchschnittlich hoch…

Trotz des vielen Spaßes, den ich hier habe merke ich, dass der Lehrerberuf nicht der Beste für mich ist. Ich verbringe mehr Zeit als mir lieb ist im Geschlossenen und sitze viel vor dem Computer. Natürlich ist mir klar, dass ich mich in einer besonderen Situation befinde, aber definitiv bekomme ich genug Eindrücke um sagen zu können: der Spaß, den ich mit den Kindern habe ist nichts gegen die Freude, die ich empfinde, wenn ich abends einen Apfelkuchen backe. Ich bin mir jetzt also sicher, dass Lebensmitteln in meinem Leben keine Nebenrolle spielen sollen. Gerade wegen dieser Einsicht freue ich mich, diese Chance wahrgenommen zu haben und freue mich auf alles neue, was ich noch lernen werde.