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See, Berg, Insel: Copacabana auf 3800 Metern

Als ich um kurz nach sieben die Treppe runterkomme, schlecht gelaunt, weil die Dusche nicht funktioniert hat und die Zimmertemperatur über Nacht dem Gefrierpunkt nahe gekommen ist, steht das Frühstück schon auf dem Tisch. Es gibt Rührei und Bananenmilch und warme in Öl gebackene Brötchen. Auf einmal finde ich Copacabana ganz gastlich. Und als wir eine halbe Stunde später in das kleine Motorboot einsteigen, das uns zur Isla del Sol bringen soll, wir während der Fahrt auf das Dach klettern und dabei zugucken können, wie der Himmel über Copacabana blau wird, da finde ich es sogar richtig schön.

Boliviens Copacabana könnte auch irgendwo in Las Vegas liegen, dort neben dem Pariser Eifelturm stehen, eine traurige Nachbildung der großen stolzen Copacabana in Rio de Janeiro. Aber: Rio liegt nicht am Titticacasee, sondern nur am Atlantik. Und der Titticacasee ist der größte See Lateinamerikas, mit 8562 Quadratkilometer Wasseroberfläche ungefähr 13 Mal so groß wie der Bodensee. Das ist schon eine Hausnummer, meint meine Mitbewohnerin, die aus Konstanz kommt, bevor sie sich an den Bootsführer wendet: „Was glauben Sie, kriegen wir heute noch so richtig schönes Wetter?“ Claro que sí, ist die Antwort, schließlich fahren wir zur Sonneninsel.

IMG_2091Im Nordteil der Isla steigen wir aus, der Bootsführer vertaut sei Gefährt und bietet sich als Inselführer an. Es stellt sich heraus, dass der Mann ein Einheimischer ist, der jeden Stein auf der Insel mit Namen kennt. Ccrgana zeigt uns den Ort an dem die Sonne geboren wurde und Jungfrauen auf steinernen Altaren ihr Leben lassen mussten. Außderdem die Ruinen eines Inka-Palastes, der in seinen besten Tagen aus lauter Gold und Silber bestanden haben muss, das nun irgendwo im See herumschwimmt. Vielleicht haben es aber auch die Japaner oder die Deutschen. Ccrgana nickt traurig. Wir nicken auch, die Steine sind zwar ganz schön, aber der Blick über auf das glitzernde Wasser und die schneebedeckten Berge dahinter ist gigantisch. Mit Sonnenbrille kann man sogar die Küste von Peru ausmachen.

Aber wir sind ja nicht nur zum Gucken da. Wir wollen zum Süden der Insel laufen, schultern unsere Rucksäcke, essen einen Müsliriegel (vier von uns kommen aus Deutschland). Unterwegs kaufe ich eine Pachamama-Schlüsselanhänger von einem Mädchen, das außerdem noch Steine und Blätter im Angebot hat. „Junger Mann, wenn Sie Fotos von mir machen wollen, müssen Sie zahlen,“ sagt die Kleine zu meinem dreißigjährigen Mitbewohner, als er die Kamera auf sie richtet. Der plufft und schießt noch ein Foto von der Landschaft dahinter. Wir einigen uns, dass es hier ein bisschen wie in der Toskana, meistens aber wie in Neuseeland aussieht – wie in Herr der Ringe eben.

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Wir übernachten in einem Hotel namens Utama, das der Familie von Flora gehört, der Señora, die bei uns in La Paz den Haushalt schmeißt. Am nächsten Morgen machen wir noch einen Tempel-Abstecher und verpassen deshalb fast das Boot zurück nach  Copacabana, das schon aus allen Nähten platzt. Mit uns befinden sich dann ca. fünfzig Reisende und die dopplete Anzahl Gepäckstücke an Bord, provisorisch installierte Plastikstühle aus dem Kisok am Hafen versperren den Fußraum, aber unser Bootsführer ist die Ruhe in Person. In Bolivien werden die Menschen einfach mit einem Urvertrauen in jegliche Transportmittel geboren.

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In Copacabana angekommen verstehe ich dann auch, warum: Sonntags kann man hier vor der Básilika sein Auto weihen lassen. Man steckt noch ein paar Blumen dran und schüttet Bier drüber –  jetzt kann einem verkehrstechnisch eigentlich nichts mehr passieren. Ich sehe mich nach unserem Bus für die Heimfahrt um, dem so eine Weihe vermutlich ganz guttun würde, kann ihn aber nirgends entdecken.

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Es ist Mittag, wir haben noch Zeit für den Leidensweg Christi, der uns auf den Calvario führt. Hier ist die Aussicht noch besser als auf dem Bootsdach, das bunte Häusermeer unter uns, die Straßen, in denen der Sonntagnachmittags-Markt gerade in vollem Gange ist und natürlich der Titticacasee in kaltem Dunkelblau, 3800 Meter über dem  Meeresspiegel. Rio würde blass werden vor Neid.

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