Die Fischgräte im Pelzparadies oder der Druck der Eindrücke

9:30 Uhr  morgendlicher Metrocheck:

Es gibt eine Person ohne Pelz – mich. Aber das ist nicht weiter schlimm, denn Fischgrätenmuster hat im Endeffekt auch irgendwas mit Tieren und deren  Beschaffenheit zu tun. Deswegen: Erster Teil des Einbürgerungstests bestanden.

Weiter gehts. Der Weg von der Metro bis ans Tageslicht dauert auf der Rolltreppe mindestens eine Minute. Eine Minute in welcher annähernd tausend Menschen an einem vorbei rollen, ohne nach links oder rechts zu schauen. Leider entwickel ich in fremden Ländern immer einen Voyeurismus, dessen Zuschreibung dem Wort „latent“ nicht gerechtet wird. Also starre ich quitsch vergnügt meine Mitmenschen an, leider bleibt das Vergnügen doch nur auf meine Seite.

Meinen empirischen Studien zufolge lohnt es sich auch in Moskau eine gewisse Körpergröße zu besitzen. Dann stehen dem lebensnotwendigem Luftstrom in der Metro nicht all zu viele Menschen im Wege. Mein Genick schmerzt bereits vom Kopf in den Nacken legen, aber für meine Atmung nehme ich doch gerne einige Schmerzen in Kauf. Dies bringt mich übrigens auch schon wieder der russischen Mentalität ein wenig näher. In meinem Reiseführer habe ich gelesen, das Leiden und die russischen Seele untrennbar miteinander verbunden sind.

Hat mensch es aus der Metro heraus geschafft, sprintet er oder sie regelrecht zum gewünschten Ziel. Bummeln oder Schlänkern a la Monika ist dabei eher ein Hindernis. Deswegen gilt: Geschwindigkeitsassimilation. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so, schließlich ist Bummelletzte sein oftmals nur bedingt fetzig.

Einkaufen stellt bis jetzt für mich ein Hindernis dar, denn bei der Hälfte der Dinge weiß ich nicht über deren Zusammensetzung oder Zubereitung bescheid. Aber ich werde mich demnächst wagemutig in die Regale eines Supermarktes stürzen und mich von netten Verpackungen zum Kaufen verführen lassen – top. Und wenn auf dem Wasser „mineralnaja“ steht, dann lass ich in Zukunft die Finger davon – salzig war noch nie eine meiner Lieblingsgeschmacksrichtungen.

 

 

 

Ein Königreich für ein isoliertes Rohr

Ich wurde in letzter Zeit schon öfter vor Moskau gewahrnt. Kriminalität, Korruption, übermässiger Alkoholkonsum. Das Stichwort Kälte fiel hier und da auch, aber weitaus nicht so inflationär wie vorangegangene Vorfreuden. Dabei prägt sie doch gerade den gegenwärtigen weltlichen Zustand, welchen ich bereits hier in Deutschland zu spüren bekomme. Nicht nur wunderschöne Eisblumen verzieren am frühen Morgen meine Fensterscheiben von innen, auch zugefrorene Rohre tragen zu einer übertriebenen Erheiterung meines Gemüts bei. Dabei dachte ich doch immer, dass Halle an der Saale auf einem sehr viel südlicherem Breitengrad liegt. Aber der Mensch irrt, so lang er lebt. Und auch wenn ich nicht gerne in Muttis Weisheitenfundus herum wühle, in diesem Punkt scheint sie wohl Recht zu behalten.

Mit dem zugefroreren  Rohr würde ich jetzt trotzdem gerne tauschen. Immerhin hat es die ganze Nacht einen Heizradiator neben sich stehen, der für eine wohlige Wärme garantiert. Ich benötige dafür wiederum Funktionsunterwäsche und drei Federbetten. Wenn dies jetzt schon unter optimale Vorbereitung fällt, dann weiß ich nicht wie es um das Steigerungspotenzial steht. Ziemlich schlecht schätze ich. Vielleicht sollte ich meine Energie in geistige und nicht in körperliche umwandeln. Abhärtung soll ja bekanntlich helfen (das war aus dem Fundus von Oma). Deswegen geht der nächste Gedanke nicht an mein unsibirisches Temperaturempfinden, sondern an die liebevoll gestaltete aber kryptisch umgesetzte Sprache meiner temporären Wahlheimat. Immerhin kann ich mich dort mit Wollstrumpfhosen und Daunendecke nicht gegen Unverständnis wehren. Und jeder weiß, Unverständnis führt zwangsweise zu Kälte (aus meinem Fundus).