Wenn es Dunkel wird…

fühle ich mich unsterblich. Das ist eine unglaubliche Fähigkeit, die ich hier in Moskau entwickelt habe. Tagsüber stehe ich noch halbwegs mit Ehrfrucht erfüllt an der Ampel, aber Nachts erweckt der Jagdinstinkt in mir und wie wild springe ich von einer Seite auf die andere, singe hörbar meine Liedchen vor mich hin und mein Schritt ist von Durchsetzungsvermögen geprägt. Jawohl. Eine Sache also, die mir ziemlich gut gefällt, denn sich unsterblich fühlen fetzt! Ich lade hiermit alle mir bekannten Menschen ein, mich bei meinem Gefühlstrip zu begleiten – natürlich geht dies nur in Moskau und dafür hat es noch einen Monat Zeit.

Meine Großstadt Angst hat sich in Luft aufgelöst und vor kurzem wurde mir schon der nächste Superknaller vorgeschlagen – São Paulo und dies ist auf alle Fälle nicht mit St. Petersburg zu verwechseln. Aber so schön sich nächtliche Unkaputtbarkeit anfühlt, so stressig ist dann doch das, was zwischen Aufstehen und Heimweg liegt und so langsam werde ich müde. Selbst mein super toller Augenringwegroller zeigt nur wenig bis bedingte Erfolge und offensichtliches Altern fetzt mir gerade nicht so. Deswegen habe ich wieder eine ländliche Verjüngungskur in der russischen Kleinstadt Novgorod gemacht und mir gefallen Bäume doch besser als Hochhäuser, obwohl ich Plattenbauten mittlerweile schon richtig ästhetisch finde. Es gibt sie mit den entzückendsten Farben, den ausgeprägtesten Formen und den unglaublichsten Abschließemechanismen innerhalb der Wohnungen – der Fantasie sind also keine Grenzen gesetzt, naja fast keine. Aber das liegt wieder an der Definition von Grenze oder auch Fantasie oder auch grenzbedingter Fantasie…

Aber das in Russland die Grenzen manchmal ineinander übergehen, hab ich gestern wieder feststellen müssen. Bei meiner Zugfahrt von Novgorod nach St. Petersburg wurde ich von zwei älteren Herren begleitet – beides Onkel meiner russischen Freundin. Weil die Gentlemankultur,  oder wie von mir insgeheim als das „Recht auf unfreie Selbstbestimmung“ gennant, hier weit ausgeprägt ist, wurde mir im Zug alles gekauft, vom Zug alles in die Metro getragen und ich darüber hinaus noch bis zum Busbahnhof gebracht (natürlich inklusiver Trageleistung). Und obwohl ich bestimmt mehr Kraft in den Armen habe, wurde jeder Versuch der Mithilfe abgeschmettert – ich musste quasi um meine Tasche und meinen Rucksack kämpfen. Auch die Verweigerung des Sitzplatzes in der Metro stieß bei den älteren Herren auf großes Unverständnis. Alles in allem sehr lieb gemeint, aber so richtig umgehen konnte ich weniger damit. Letztendlich aber hat der Handkuss und das Leuchten in den Augen bei den Abschiedsworten „auf deutsch-russische Freundschaft“ auch in mir Freude ausgelöst – sowas ist ja schon rührig, rührend und rühert auch ständig in meinem Russlandbild herum, was eigentlich keines ist. Denn irgendwie sind meine Eindrücke als mehr oder minder verückte, absurde, unverständliche, großartige, unfassbare Erlebnisse zu beschreiben – so groß wie das Land, so vielseitig die Menschen. Auch die Omi in der Metro, die mich von meinem Platz verscheucht und sich danach zehnmal dafür entschuldigt, kommt auf meine Kuriositätenliste. Dafür liebe ich Russland. Und für die großartigen Worte, die hier auch zu finden sind und die ich leider nicht wirklich verstehen…Aber ich habe mein erstes russisches Buch geschenkt bekommen und jetzt werde ich mich durch Literatur kämpfen, die bestimmt ziemlichen Brei aus meiner Seele rühert, denn für phatetische Worte schlägt mein Herz (neben Eiskrem, wohlbemerkt).

Es gäbe noch so viel mehr zu berichten, aber nach dieser Liebeserklärung beschränke ich mich vielleicht doch lieber wieder auf einen meiner russischen Überlebenstipps: посмотрим – wir werden sehen.