Dieser Beitrag ist nur für Leute, die sich stärker für mein Leben hier interessieren. Er ist lang und reflektierend, nicht unbedingt unterhaltsam. Also, überlegt euch, ob ihr ihn lesen wollt. Wenn ihr etwas nicht versteht antworte ich gerne darauf. Er enthält Beobachtungen und Erfahrungen, ich habe versucht möglichst wenig zu Bewerten. Gliederung: Die Schule, Das Kollegium, Fragen, Selbstreflexion.
Für die einen die Kurzfassung: Es geht mir gut, ich habe eine interessante Arbeitsstelle. Mit meiner Position als Deutsch-Experte komme ich klar, auch wenn mich das Unterrichten und die Sprache anfangs sehr überfordert haben. Im Februar geht die Schule wieder los und ich freue mich nach zwei Monaten Sommerferien und Reisen sehr darauf.
Einleitung
Durch die Reise habe ich Abstand von meiner Arbeit bekommen und habe Zeit gefunden um zu reflektieren, wie es momentan hier (für mich) läuft. Auch das ruhige Seminar hat mir die Chance zum Austausch gegeben und ich konnte meine Rolle auch in den kulturweit-Kontext nochmal neu einordnen. Das hat mir am Anfang sehr gefehlt, weil ich ankam, und das gemacht habe, was gebraucht wurde. Ohne nach links und rechts zu gucken, einfach durch. Manchmal war das so, wenn ich mal sehr überfordert war mit der Situation in der Klasse. Wenn eine Stunde ungeplant oder gegen meinen Plan verlaufen ist und ich mir nicht sicher war, wie ich dazu stehe, weil ich weiter gehetzt bin zur nächsten Stunde. Und dann gibt es die Tage, an denen ich viel herum sitze, mit meinem PC am Schreibtisch. Keine Motivation habe im Unterricht zu assistieren oder dabei zu sitzen. Keine Lust habe, die Nachhilfestunden vorzubereiten. Sondern da sitze, manchmal auch ohne Nachzudenken, manchmal auch mit Gedanken über die Situation hier und die Situation, die kommen wird, wenn ich wieder in Deutschland bin.
Aber soweit ist es noch lange nicht, ich habe noch satte acht Monate, auf die ich mich freue. Sehr freue.
Genug der Einleitung, ich fang‘ jetzt mal strukturiert an.
Die Schule
Das Colegio Aléman Frederico Froebel ist eine private Bildungseinrichtung in Cochabamba. Wenn ich mit Taxifahrern spreche und erzähle, wo ich arbeiten, kommt meistens diesselbe Reaktion: Ja, das ist eine der besten Schulen hier. Es gab mal eine andere, katholische Privatschule, die auch einen sehr guten Ruf hatte, aber dann ist der Orden mit seinem Geld wieder aus der Stadt verschwunden.
Das schmeichelt mir natürlich, Lob über meine Arbeitsstelle zu hören. Ein guter Ruf ist immer was wert. Aber genau das ist es: Das Geld, was es vielleicht wert ist, können sich nicht viele Eltern für ihre Kinder leisten. 150$ kostet ein Schulmonat pro Kind, wenn ich richtig informiert bin. Ab dem dritten Kind bezahlt man nicht mehr für weitere Schulanmeldungen.
Die Schule ist unübersichtlich, viele Sachen laufen aus meinem Blickwinkel kreuz und quer. Einige Sachen laufen hier anders, als ich sie mir vorstelle, aber das ist nicht schlimm. Es wird viel getanzt und geübt für Aufführungen. Der Sport ist auch sehr wichtig, das belegt zumindest die goldene Ehrung- und Pokalwand im Eingangsbereich der Schule.
Unser Kollegium
Die Lehrer an der Schule sind mir bisher durch die Bank weg positiv begegnet. Ich bin ja ein bunter Hund, also kennt man mich mittlerweile, und ich habe noch keine schlechte Erfahrung mit den Lehrern gemacht. Viele finde ich sehr nett, gegen einige habe ich schon im Futsal gewonnen (gut, gegen die Mehrheit habe ich leider auch schon verloren), und alle schauen mich interessiert, aber auch mit Respekt an, wenn ich beispielsweise draußen Unterricht gebe.
Das Deutsch-Kollegium ist in einem anderen Lehrerzimmer untergebracht, nahe dem Gang der Deutsch-Lehrräume. In fünf Klassenzimmern wird täglich Deutsch unterrichtet und mit meiner Chefin und mir sind wir 7 „Lehrer“. In Anführungszeichen, weil meines Wissens nur zwei von Ihnen wirklich Lehramt studiert haben. Vielleicht kommen bald noch neue Praktikant*innen dazu, es gibt Bewerbungen von deutschen Studenten.
So wie es momentan ist, gefällt mir die Situation ganz gut. Ich komme mit eigentlich allen gut aus, biete meine Hilfe an und habe gute Gespräche in den Pausen. Für meine Reise habe ich von einem Lehrer ein Erich Kästner-Buch geschenkt bekommen, was ich immer in der Jackentasche hatte (also, auch mal in der Hand, sonst wäre das mit dem Lesen so schwierig geworden). Ich gehe also täglich gerne in dieses Lehrerzimmer 🙂
Beobachten und Fragen
Warum die Kinder hier Deutsch lernen? Ich verstehe es nicht ganz. Das überall erklärte Ziel „Studieren in Deutschland“ ist in meinen Augen nur schwerlich zu erreichen. Gut, es mag Ausnahmen geben – Muttersprachler oder sehr fleißige Schülerinnen und Schüler.
Warum ist es nicht so einfach zu erreichen? Für internationale Studiengänge an deutschen Universitäten wird kein deutsches Sprachdiplom (DSD) gefordert. In Ordnung, aber wie sieht es mit den anderen Studiengängen aus?
Um eine Hochschulberechtigung zu erlange, braucht man ein Zeugnis, dem Abitur gleichwertig. An großen Auslandsschulen wie in La Paz, wird das DSD II angeboten und abgeprüft. In Cochabamba ist es seit einem Jahr möglich das DSD I – Zertifikat zu erwerben. Das entspricht in etwa dem Niveau B1. Um an einer Uni zu studieren, braucht man aber B2/C1.
Zur Erinnerung, wem die Buchstaben gerade nichts sagen: Es gibt drei Niveaustufen im Fremdsprachen-Bereich: „A bescheinigt Kenntnisse für die elementare Sprachverwendung, B für eine selbstständige Sprachverwendung und C für eine kompetente Sprachverwendung.
In diesem Jahr haben 22 der 70 Prüflinge die Prüfung zu B1 bestanden.
Die anderen sind auf dem Niveau A2, was nach einer Schulausbildung mit dem einzigen Fremdsprachenunterricht im Fach Deutsch, an unseren Standards nicht viel ist. Wir legen in unseren Abiturprüfungen nach derselben Zeit Fremdsprachenunterricht im Fach Englisch mit B2/C1 ab.
An der Schule war die Freude groß, dass 22 der 70 B1 bestanden haben. Wenn ich richtig rechne, sind das knapp über zweidrittel der Schüler, die nicht bestanden haben. Oder anders gesagt, etwa jeder dritte hat bestanden.
Und es gibt also Schüler, die nach so vielen Jahren die Schule ohne DSD I verlassen, was den Titel „Colegio Aléman“ im ganzen relativiert.
Selbstreflexion der Rolle
Als Freiwilliger habe ich ein breitgefächertes Aufgabenspektrum in der Einsatzstelle. Unterrichten gehört offiziell nicht dazu. Ich habe, wenn man es Unterricht nennen mag, von Anfang an Unterricht gegeben. Auch weil ich wollte, aber größtenteils weil „Not am Mann“ war.
Von weiter weg betrachtet laufe ich im normalen Trott mit, ich habe noch keine eigenen Projekte verwirklicht, sondern bin eingesprungen, wenn ich gebraucht wurde. Habe Stunden übernommen und im Buch weitergearbeitet, einen Film gesehen oder neue Themen (Kultur, Grammatik) in die Zeit gepackt.
Der Unterricht hat sich in etwa im Gleichschritt mit der Sprache verbessert. Die Abhängigkeit von meiner eigenen Sprachkompetenz ist doof. Es ist ungewohnt anstrengend deutsche Grammatik zu erklären, aber in einer Fremdsprache ist das noch ungewohnter und anstrengender. Mir fehlen die manchmal Worte, obwohl ich viele Sätze aus den anderen Unterrichten mitgenommen habe. Das Unterrichten alleine wäre wahrscheinlich schon ausreichend Grund für meine momentane Überforderung 🙂 Aber ich versuche es gelassen zu nehmen, wenn etwas nicht klappt. Und es klappt öfter mal nicht. Das habe ich gelernt: Nicht an die Perfektion oder Patentlösungen glauben. Und Herauszufinden, was mir in solchen Momenten hilft. Manchmal gehe ich aber auch triumphierend grinsend aus dem Klassenzimmer und klopfe mir innerlich selbst ein wenig auf die Schulter. Unterrichten bringt mir Spaß und ich werde besser darin. Vor allem strukturierter, was den Stoff und die Methoden angeht. Das ist schön zu merken.
In meinem Unterricht ist Vieles anders, im Vergleich zu den alltäglichen Deutschstunden. Ich bringe viel Motivation und Mut mit ins Klassenzimmer, das überrascht die Jugendlichen. Und ich lächle mehr und mache manchmal sogar Witze. Manchmal aber nur für mich selbst, aber immerhin war es in meinem Kopf dann lustig 🙂
Anfangs habe ich versucht auf den netten Kumpel zu tun. Doch im letzten Unterrichtsmonat vor den Sommerferien kam die Klausurenphase und mir eins bewusst: Es geht um Noten, leider. Und es bringt ihnen wahrscheinlich nicht viel, wenn ich über die Tische tanze und vorne meine eigene Musik anmache. Und vielleicht untergräbt es die Stellung der vorne-stehenden-Person im Allgmeinen. Ich will schließlich auch etwas vermitteln und ernst genommen werden. Trotzdem bin ich immer noch davon überzeugt, dass man mit Spaß besser lernt als mit Angst. Kein Aber. Ich werde respektiert, nicht wegen meinem Alter oder meiner Stellung, sondern weil ich mehr über Deutsch weiß als sie. Was ich meine: Ich bin im Zweifel nur 2 Jahre älter als meine ältesten Schüler. Und ich vergebe keine Noten, mit denen gedroht werden könnte. Ich bin in der Position des Helfers und Ansprechpartners, wenn man nicht direkt zum Lehrer gehen will. Hausaufgaben mache ich aber natürlich nicht 🙂
Es ist gut, dass es meine Stelle an der Schule gibt. Und es ist auch gut, dass ich auf dieser Stelle bin, ich will das nicht jedem zumuten um ehrlich zu sein. Dafür werde ich mich auch am Ende meiner Zeit hier stark machen, weil ich die Überforderung am Anfang einfach viel zu krass fand.