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Scham und Wut – „Fair-Berichten“

Ich habe mich relativ plakativ und flach über das nicht-Erhalten eines Visums für Bolivien beschwert. Das möchte ich gerne zurücknehmen, das war nicht richtig. Es ist mir mittlerweile peinlich. Es geht aber um mehr. Ich möchte niemanden allzu hart auf die Schuhe treten, aber versuchen einen Dialog anzustoßen.

Der wohl am priviligierteste Pass der Welt, jener der EU und Deutschlands, hat mir nicht seine angeborenen Dienste erwiesen. Ich habe geschimpft auf die Behörden, auf die Verfahren des Estado Plurinacional de Bolivia. Zu Unrecht, wie ich mir nun eingestehen muss. Zur Erinnerung, fast jeder Kulturweit-Freiwillige hatte in den ersten Monaten ein Visum erhalten, in Peru beispielsweise musste man laut Berichten auf dem Zwischenseminar bloß zur Botschaft gehen und sich anmelden, damit man eine Woche später wiederkommt um sein Visum abzuholen. Erinnere ich mich da richtig?

Freunde von mir bekommen kein Visum für die Schweiz, kein Visum für die USA, sie bekommen gar nichts. Auch kein Tourismus-Visum, geschweige denn ein Arbeits-Visum, so wie ich es beantragt hatte. Das macht mich wütend, denn diese Leute sind mir mittlerweile wichtig geworden, ich verstehe ihre Wut und ich schäme mich für meine Arroganz erwartet zu haben, problemlos ein Visum zu bekommen. Mein Freund Rolando hat schon zweimal ein Visum für die touristische Einreise in die Schweiz verwehrt bekommen. Er hat nicht den geforderten Status. Status Bolivien ist den europäischen Behörden offentsichtlich nicht viel wert.* Meine Freundin Daniela, eine Mormonin aus der Nähe von Santa Cruz, wartet zum dritten Mal, ob ihrer Anfrage bei den amerikanischen Behörden, den besonderen Mormonen-Tempel in Utah zu besuchen, entsprochen oder widersprochen wird. Status Bolivien hat auch hier die letzten zweimale keinen Wert gehabt.* Wenn mir von solchen Fällen erzählt wurde, wusste ich meistens nicht viel zu sagen, meine Wangen röteten sich und ich ermutigte sie, es weiter zu versuchen.

Nun aber zu den Problemen, die wir selbst lösen können. Denn der geringe Wert* der bolivianischen Staatsangehörigkeit, an dem können wir im besten Willen nichts ändern.

Die Autoren der Kulturweit-Blogs, mein eigener mitinbegriffen, machen Fehler. Sie berichten mit einer deutschen Brille, mit Vorurteilen und sind in einigen Situationen unreflektiert, auch wenn sie sicherlich ihr Bestes geben. Mein Blog ist hundertemale gelesen worden, die Tetxe in denen ich mich über das Fehlen eines Visums echauffiert habe, von 138 Leser*innen aus 21 Ländern. Ich hoffe, diesen Artikel lesen genauso viele. Verbreitung von persönlichen Geschichten in Ländern des globalen Südens, mit einer eurozentristischen Perspektive sind gefährlich und rechtfertigen koloniale Strukturen und Kontinuitäten seitens des kulturweit-Programmes.

Abschließend eine Forderung, weil das System der über 500 Kulturweit-Blogs von Alumni ins Leben gerufen wurde und auf dem Vorbereitungsseminar mit einem Workshop zum „Fair-berichten“ legitmiert wird. Die Vorbereitung auf das verantwortungsvolle Führen eines (vielgelesenen) Blogs, also die Bedienung eines gewaltigen Megafons, sowie die länderspezifische Vorbereitung gibt kulturweit aus der Hand. Man kann das Eigenverantwortung des Freiwilligen nennen, oder Inkaufnahme von kolonialen, rassistischen, unreflektierten Kommentaren aus aus einer unterhaltenden, weißen, europäischen Perspektive, die sicherlich nicht bösegemeint ist. Mehr Zeit für Sensibilisierung für die mögliche Rolle eines Blogs auf den Kulturweit-Seminaren zu diesem Thema würde helfen, weniger Stereotype im Namen kulturweits zu reproduzieren.

Ja, wir haben uns mit dem Thema Rassismus auseinandergesetzt, das letzte Vorbereitungsseminar anscheinend sehr ausgiebig, damit wir später ein gutes Gefühl bei der Ausreise haben konnten. Aber Auseinandersetzung mit eigenen oder strukturellen Rassismen darf nicht nach einem Seminar enden, sondern muss, auch wenn sie weh tut, da man an seiner eigenen Rolle sicherlich Problemzonen entdecken wird, weiter stattfinden. Wir haben eine Verantwortung, ich habe Zahlen in einem vieldiskutierten Migazin-Beitrag gefunden, die nahelegen, dass die Kulturweit-Blog-Seiten bis zu 80.000 Mal monatlich aufgerufen werden. Diese famose Werbeplattform, sollte kulturweit mehr als ein Workshopangebot auf einem Vorbereitungsseminar wert sein, da sie sonst weitere koloniale Kontinuitäten auch in dieser Form unterstützen.

Als regelmäßiger Konsument der Texte verschiedener kulturweit-Blogs, möchte ich hier zwar keinen einzeln herausheben, dennoch muss erwähnt werden, es gibt viele gute, reflektiert geführte Blogs. Auch die Idee des „Stimmen aus der Welt“-Blogs geht in die richtige Richtung, denn es wird eine andere Perspektive in den Geschichten und Berichten aufgemacht. Die Struktur des Für sie zusprechen wird aufgebrochen und aus verschiedenen Einsatzländern kommen andere Stimmen zu Wort, als unsere.

Ich hoffe auf eine Diskussion zu dem Thema unter dem Eintrag. Beteiligt Euch mit eurem Blickpunkt und scheut keine Kritik (auch keine Selbstkritik).

3 Tage nach Veröffentlichung: 302 Leser*innen aus 27 Ländern. Danke!
Was für ein Megafon.

 

*ein Freund, der den Text ebenfalls gelesen hat, hat mir Feedback gegeben, das ich gerne in den Text aufnehmen möchte: „Es geht nicht um den Wert des Passes, sondern darum, dass die Behörden die bolivianische Migration in ihre Länder unterbinden wollen.“ Mag wahr sein, möchte ich gerne zur Diskussion freigeben.

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