Der Tag der Arbeit fiel in diesem Jahr auch in Bolivien auf einen Sonntag. Aber keine Zeit für lange Gesichter, wir hatten dafür am Montag frei. „Es kann nicht sein, dass den Arbeitgebern regelmäßig zusätzliche Arbeitstage geschenkt werden, die eigentlich als bezahlte Feiertage den Beschäftigten zustehen“, sagte die Bundestagsabgeordnete der Linken Sabine Zimmermann. Dem kann ich dann mal so zustimmen. Jetzt aber schnell zum eigentlichen Thema.
Ich habe ein optimales Wochenende gehabt: Eine Nacht mit Freunden feiern, einen Kater-Tag mit Chicha* und Mitbewohner verbringen und trotzdem noch zwei Tage reisen können und eine Freundin besuchen.
Von diesem Besuch möchte ich erzählen. Besser gesagt von ihrer Religion.
*Chicha ist ein typisches, leicht säuerliches Maisgetränk aus der Region Cochabamba, auf dem Bild zu sehen, in einem neuen Artikel zu lesen.
Nach 9 Stunden im Nachtbus für etwa 9€, komme ich morgens in Montero an. Montero liegt auf dem Weg nach Santa Cruz de la Sierra in der Regenwaldregion Chapare. Da wird das Coca für Kokain angebaut. Aber pssst! Wie sich sonst einige ihre riesigen Land Rover, Outlander, SUV , Pathfinder, Cruiser und wie die Modelle heißen leisten können, hatte man sich schon in den 80ern vor den großen Razzien gefragt. Übrigens 1985 für den Spiegel recherchiert. Und auch in Pulp Fiction geht es um Kokain aus derselben Provinz. Aber das nur als kleine Notiz am Rande 🙂
In der Mitte der Strecke liegt einer der größten Coca-Anbau-Gebiete. Und Umschlagsplätze. Weiterverarbeitung und Schmuggel.
Der Busfahrer wünschte mir jedenfalls eine gute Weiterfahrt und ich stieg noch recht müde aus und auf das nächste Motorradtaxi. Durchgepustet vom Fahrtwind steige ich am anderen Ende der Kleinstadt ab und fahre weiter nach Minero, einer noch kleineren Kleinstadt. Dort wohnt sie also.
Mormonen in Minero
Angekommen in ihrem Haus frühstücke ich und ziehe mich um für die Kirche. Es ist Sonntagmorgen und es ist üblich für Mormonen einen Gottesdienst in der Kapelle zu feiern. Sie und ihre Familie sind Mormonen. Alle haben sich sehr schick gemacht: Anzüge, lange Kleider, Krawatten und weiße Hemden haben auf den Plastikstühlen Platz genommen. Unter ihnen auch die jungen Missionare, die mit ihren schwarzen Schildern an der Brust als solche ausgewiesen sind. Über unseren Köpfen kreiseln 16 Ventilatoren, der Raum ist es trotzdem stickig. Ich sitze zwischen ihren Eltern, die mich abwechselnd halb argwöhnisch, halb grinsend anschauen. Ich fange die Blicke auf, achte aber nur darauf, was sie machen, um es nachzuahmen.
Buch aufklappen. Buch zuklappen. Zuhören. Lesen. Nicken. Gesicht verzerren. Klatschen.
Es wird gesungen und ich werde eingeladen, am Abendmahl teilzunehmen. Eine Predigt gibt es nicht, das Herzstück des Gottesdienstes besteht aus öffentlichen Beichten, Lobpreisungen und Bitten. Die Beiträge, von Kindern stockend vorgelesen, von Familienvätern frei vorgetragen und von Omas wieder stammelnd abgelesen, sind unterschiedlich und folgen keinem Rhythmus. Eine einheitliche Meinung gibt es nicht, in den 30 Minuten fallen immer wieder Begriffe wie, ich weiß, dass…, der Herr sieht alles, meine Liebe zu Gott ist …, es ist schön, dass…, ich versuche zu verstehen, wie…
Auch meine Gastgeber sprechen. Sie zwinkert mir dabei vom Rednerpult zu. Nach dem Ende des offiziellen Teils, schütteln mir viele die Hände und wünschen mir eine gute Zukunft und ein herzliches Willkommen unter den Mormonen.
Ich war bereit zum fürs Mittagessen und fühlte mich noch leicht gerädert von der Fahrt, da wurde ich in einem Raum mit anderen Mitglieder geführt, wo nun eine Unterrichtsstunde stattfand. Wenn sowieso alle in der Kirche sind, dann kann man schließlich auch noch gleich einige Bibelstellen lesen. Jeder stellte sich mit Namen und einer Sache, die ihm Spaß macht, vor. Die Kleingruppe wird betreut von den Missionaren, die zwei Jahre freiwillig im Dienst der Kirche arbeiten.
Das könnte ich mir nicht vorstellen. Sie reisen nicht, sie kümmern sich jeden Tag der Woche um die Mitglieder und haben ein sehr enges Verhältnis zu den Familien. Sie leben in einer Stadt, kleiner als Krempe und daran ändert sich auch zwei Jahre nichts. Sie kennen praktisch jeden Horst, aber weder Elskop noch Sommerland. Damit will ich es bei schleswig-holsteinischen Parabeln belassen.
Nach dem Kurs zum „Heiligen Geist“ sitze ich eine weitere Stunde in einer Runde aus Männern, die sich über die Gestaltung des Abendmahles beraten. Die Frauen sitzen zu einem anderen Thema zusammen. Alles ist sehr persönlich. Man kennt sich hier gut.
Hungrig freue ich mich auf das Ende der Sitzung.
Dann kommen noch einmal alle Mitglieder zusammen: Welche Mitglieder können helfen beim nächsten Straßenfest? Wer hat eine grosse Pfanne, wer eine Hüpfburg? Welches Ehepaar kann die Missionare zu einem Gespräch mit einer Familie mit Eheproblemen begleiten? Vielleicht könnte man das Datum verlegen? Helfende Hände und wissende Köpfe sind schnell gefunden. Man kümmert sich umeinander, macht sich Sorgen, sollte eine Familie nicht mehr kommen.
Zum Schluss gibt es nach 4 Stunden einen Mini-Donut und eine Coca Cola. Dann fahren wir zum Mittagessen.
Dabei will ich es belassen, ich habe gesehen, wie viel es ihr gibt, wie wichtig es ihr ist. Ich respektiere das, werde aber das Buch, das sie mir geschenkt hat, nicht lesen. Die Widmung ist trotzdem sehr schön.
Heute ist die Miraç-Nacht bei den Muslimen.
Für mich sind diese Feste nicht wichtig, es ist aber interessant zu sehen, wie wichtig dieselben Feste für andere Menschen sind.
Bis Bald.
In der alten Version habe ich Mormonen auch als Zeugen Jehovas bezeichnet, das ist nun geändert.