Es ist morgens sehr kalt. Arschkalt, um es in den Worten des großartigen Bierherstellers Astra zu formulieren. Dann ist es nachmittags warm, sehr warm. Das Wetter wechselt von Winternacht auf Sommertag während des Tages. Wenn ich aufstehe, sind es knackige drei Grad, wenn ich aus der Schule komme, werden es 35 Grad sein. Da komme ich mir manchmal komisch vor, wenn ich meine dicke Winterjacke mit Ski-Unterwäsche mittags zum T-Shirt wechsle. Abends schlafe ich mit Omas Wärmflasche und Tee im kalten Bett ein. Die Fenster sind nicht im Ansatz isoliert und die Sonne blinzelt erst spät und flach in mein Fenster. Die Nächte sind sternenklar, ebenso wie später der wolkenlose, blaue Himmel, der täglich wieder grüßt. Aber genug der Einleitung, ich wollte von Donnerstagen sprechen.
Es sind drei Stunden, die ich donnerstags gebe ¦ 4., 10. und 12. Klasse ¦
Morgens bereite ich die Stunden vor, recherchiere zu Uni-Bewerbungen in Kiel und Hamburg und trinke Kaffee und Tee gegen die Kälte. Heute sitzen die Bibliothekarin und zwei Lehrer in unserem Lehrerzimmer und wir wiederholen, was sie letzten Donnerstag an Adjektiven, Possessivpronomen und Verben im Perfekt gelernt haben. Wir sind schon eine Weile dabei und sie machen erste Fortschritte. Nächstes Mal wird die Aussprache geübt. Ein Themenbereich, in dem ich mir nicht mühsam so viel anlesen musste.
Joaquin, der Mathelehrer, verbessert durchgängig mein Spanisch, ich gebe ihm noch einen Keks und er schiebt ihn sich in den Mund, ich habe einige Sätze, bei denen Joaquin zwecks gefüllten Mundes nichts sagen kann, dafür grinst er breit.
Sie haben sich daran gewöhnt, dass ihnen ein jüngerer, privilegierter, gringo-ähnlich-aussehender, motivierter, aber minderbemittelter Brillenträger etwas über die deutsche Sprache und Kultur vermittelt.
Es ist also endlich mittags, die Kurse beginnen, die Kurse enden, die anstehenden Bimester-Prüfungen werden so vielleicht leichter, ich wünsche es ihnen.
Nach der Arbeit treffe ich mich auf ein Eis in der Stadt, die Wintersonne blendet und ich setze meine Sonnenbrille auf. Wir fahren zum Markt, steigen aus dem Bus aus, weil dieser nicht voran kommt im Wirrwarr am Anfang des Marktes, schlendern durch die Gassen, weichen rollenden Verkaufsständen aus, essen etwas leckeres, riechen etwas ekeliges, kaufen unser Gemüse und erzählen uns von unserem Leben.
Am Busterminal trinken wir einen frischen Orangensaft und laufen zurück ins Zentrum.
Ich gehe zu meinem Quechua-Kurs, der vor zwei Wochen angefangen hat. Melissa bringt mir viel über die Sprache bei und ich helfe ihr mit ihren Deutsch-Hausaufgaben.
Quechua, das ist die Sprache, die vor Spanisch in dieser Region gesprochen wurde. Geschrieben wurde sie selten, ich lerne durch das Sprechen.
Danach gehe ich ein kleines Café an einem großen Platz, rauche einige Zigaretten und lese Zeitung. Einmal pro Woche ist das in Ordnung 😉
Die Musik schwappt aus den vorbeifahrenden Autos herein, dröhnende Lautsprecher verkünden eine Demonstration draußen. Mein Kaffee „cortado grande“ kommt und ich frage die Kellnerin nach einem Wort in der Zeitung. Sie erklärt es mir geduldig. Mein Mitbewohner kommt zufällig mit einem Date rein, wir grüßen uns, bieten uns gegenseitig Zigaretten an und sie setzen sich an den Nachbartisch. Die Zeitung ist dick und hängt an einem Holzstab, mit dem sie auch wieder in der Halterung aufgehängt werden kann. Die Themen sind: „Tische und Stühle im Wert von einer Million Bolivianos für 33 Schulen in Quillacollo, ein Schulessen soll bis 2020 für alle Schulen finanziert werden und kostenlos ausgeteilt werden“, ein anderes Thema „Die Bloqueos sind kriminell, es muss aufhören“, außerdem „Die Opposition in Venezuela ist nicht einverstanden mit den Beschlüssen der OAS, ebenso wenig Bolivien“, und zu guter letzt „Cybereducation SI, Cybercensura No“.
Heute ist ein Konzert zu Ehren eines Mädchens, das von Geburt an eine Erbkrankheit hat und nun eine nächste Operation benötigt. Da treffe ich eine Kollegin und trinke ein schönes Bier. Zwar kein Astra Arschkalt, aber ein Flens Winterbock, denn es wird schon wieder Winter heute Nacht.