Einleitung
Ich habe mich lange darum gedrückt diesen Artikel zu schreiben. Aus Respekt vor dem Thema. Nun habe ich zu lange gewartet um ihn noch vor den Wahlen zu veröffentlichen, also musste ich ihn umschreiben. Erneut. Denn die bolivianische Politik ist wie jede Politik ein spannendes Feld, nicht nur für ausländische Betrachter. Ich habe mit vielen Menschen hier gesprochen, meistens habe ich sie ausreden lassen und mir versucht ihre wichtigsten Aussagen zu merken. Ich hoffe, ich habe sie richtig verstanden. Meine eigene Meinung zu den Vorkommnissen der letzten Tage habe ich mir trotzdem nicht bilden wollen, zu groß der Respekt, aber auch und mein Unkenntnis.
Worum geht es?
Hauptsächlich gibt es in Bolivien ein Gesicht der Politik: Evo Morales. Er ist seit 2006 der bolivianische Präsident und mit seiner linken Partei „Bewegung zum Sozialismus“ sehr beliebt. Präsident bleibt er auch noch sicher bis 2019.
Nun hat er für seine vierte Amtszeit gekämpft und verloren.
Die bolivianische Verfassung sieht vor, dass ein Präsident höchstens zwei Amtszeiten regieren darf. Wieso Evo Morales dann in seiner dritten Amtszeit ist? Weil 2013 das oberste Gericht entschied, dass Morales‘ erste Amtszeit wegen einer Umbenennung der Staatsform von 2009 nicht mitgezählt werden kann. So wurde ihm eine dritte Amtszeit ab 2014 möglich. Eigentlich wäre nun 2019 Schluss – doch das wollte der Präsident verhindern. Durch Änderung des Artikels 168 wollte er mit Vizepräsident Álvaro García Linera die Option auf eine nochmalige Wiederwahl und dann – im Falle eines Wahlsieges – eine vierte Amtszeit erreichen. Das Thema wurde kontrovers diskutiert in Straßen und an Hausmauern. Viel Angst gab es um einen Wahlbetrug, die Wahlen wurden jedoch von Beobachtern als fair erklärt. Am letzten Sonntag war es soweit und die gesamte bolivianische Gesellschaft stimmte ab.
Die gesamte? Ja, de gesamte Gesellschaft, denn hier herrscht Wahlpflicht. Die Sanktionen betreffen Bankgeschäfte, für die betreffende Personen drei Monate gesperrt werden können. An Wahlwochenenden gibt es ein striktes Alkoholverbot und ein Fahrverbot für den gesamten Verkehr. Ich bin dann mal Rad gefahren und habe Orangensaft getrunken 😉
Zum Ergebnis
52 Prozent der Wähler stimmten gegen eine dafür notwendige Verfassungsänderung und nur 48 Prozent dafür. In den ländlichen Wahlbezirken, verliert Morales seinen Rückhalt um durchschnittlich mehr als 5 Prozent im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen im Jahr zu vor. Vor allem in den Städten wurde seinem Vorhaben eine deutliche Absage erteilt. 2014 hatten ihn noch 64 Prozent der Bürger zum Präsidenten gewählt.
¡Con Evo vamos bien!
In der beinahe 200-jährigen Politik-Geschichte Boliviens gab es keinen Präsidenten, der so lange Zeit regierte: Es ist eine lange Zeit der Stabilität und des Wachstums sagen die einen. Sie beziehen sich auf das kontinuierliche Wirtschaftswachstum der letzten Jahre um durchschnittlich 5% im Jahr, was weit über dem regionalen Durchschnitt liegt. Die Zeit attestierte dem linksgerichteten Morales eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik: Seit dessen Amtsantritt seien durch Steuererhöhungen und Verstaatlichungen die Staatseinnahmen bis 2013 um 460 Prozent gewachsen, woraus die bolivianische Regierung diverse sozialpolitische Maßnahmen finanziert habe. Auch habe sich die Umverteilungspolitik positiv auf den Konsum ausgewirkt. Die 60% der Menschen, die in den ländlichen Gegenden leben und nicht in den Städten, sind durch die Reformen der linken Regierung nun besser da gestellt als vorher. Auch die gesamte indigene Bevölkerung ist sichtbarer geworden und erhält mehr Unterstützung vom Staat, beispielsweise bei Missernten oder Verhandlungen über Ländereien zur Gasförderung. Die Sozialreformen wurden bezahlbar dank guter Einnahmen aus dem 2009 verstaatlichten Gasgeschäft, die Exporteinnahmen sind um das Neunfache angestiegen. So gelang es, die Infrastruktur stark auszubauen und zwischen 2005 und 2014 den Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung von 53 auf 29 Prozent zu senken. Das Sozialprogramm der Regierung beinhaltete ebenfalls Subventionen für Schulkinder und Pensionen für ältere Bürger einzuführen. Auch die Weltmarktpreise für Quinoa stiegen, sodass sich die Anbauflächen in Bolivien verdreifachten seit 2009. (Die Monokultur von Quinoa wird Thema eines neuen Artikels). Das brachte mehr Arbeitsplätze und ein erhöhtes Bruttoinlandsprodukt und beflügelte den Aufstieg der bolivianischen Wirtschaftskraft.
¡No a la Re-Re-reelecion!
Andere werfen Morales allerdings autoritäre Züge vor. Auch sei der Einfluss Chinas auf seine Politik und Rohstoffförderung in ökologisch sensiblen Gebieten groß. So steht beispielsweise die 28-jährige Ex-Freundin des Präsidenten als Verhandlunsgführerin und Juristin dem Unternehmens CAMC vor. Mit diesem waren Investitionsprogramme und Rohstoffförderungen ausgehandelt worden. Wie Gabriela Zapata in der kurzen Zeit ihre Abschlüsse und diese Karriere geschafft haben soll, wird in den Klatschblättern aber auch seriösen Zeitungen unlängst diskutiert. Am Wochenende kam es nun zu ihrer Festnahme. Das chinesische Unternehmen betreibt Ausländische Direktinvestitionen in Bolivien. Jedoch gibt es um die Vertragsabschlüsse einige Korruptionsvorwürfe. Insgesamt erlebt man um Morales‘ Bewegung zum Sozialismus viele Korruptionsskandale. Der Bürgermeister der zweitgrößten, an La Paz grenzenden Stadt El Alto wurde aus dem Amt gejagt, er sitzt im Gefängnis. Nun regiert eine Oppositionspartei im Rathaus. Nun gab es einen Brand im Rathaus von El Alto, kurz vor dem Referendum: 6 Menschen werden bei einem Feuer getötet. Beschuldigungen gehen in alle Richtungen, die Polizei reagierte nicht auf Anrufe. Es gibt Gerüchte, dass Dokumente über die Korruption der Polizei verbrannt wären und die Polizei folglich ein gewissen Eigeninteresse daran gehabt hätte, nicht zeitig einzugreifen.
Ein weiterer Nachteil für die MAS-Regierung ist der Rückgang des Wirtschaftswachstums in den letzten Monaten, der auch die ambitionierten Sozialprojekte der Regierung ausbremst. Dadurch ist der Wahlspruch „Mit dem Ja für Kontinuität, Entwicklung und Stabilität – für Deine Zukunft“ weniger wirkungsmächtig. Dass Morales die versprochene Stabilität nur bedingt garantieren kann, demonstrierten Anfang Februar die Transportarbeiter: mit in diesem Ausmaß lange nicht da gewesenen tagelangen Straßenblockaden, die das ganze Land ausgerechnet vor der Karnevalszeit mit normalerweise starkem Reiseverkehr für eine Woche lahmlegten.
Bolivianische Stimmen
Ein Schüler kommentierte zum Ergebnis: „Ein Glück hat das Nein gewonnen, natürlich hat sich Bolivien gut entwickelt, vieles ist besser geworden. Aber wäre es das nicht auch mit einem anderen Präsidenten geworden?“ Eine Lehrerin ergänzt: „Die Quinoa-Preise wären auch ohne ihn gestiegen und das Lehrergehalt zu halbieren, war eine schlechte Entscheidung.“ Mein Mitbewohner meint: „Er hat viel angefangen, sich in Korruption verstrickt und hauptsächlich für die Armen Politik gemacht. Die Interessen der Städter sind auf der Strecke geblieben. Das ist in Ordnung, es war dringend nötig, dass sich jemand um die Campecinos kümmert, aber dann muss man sich auch diesen Vorwurf gefallen lassen.“ Ein Taxifahrer sagt, er verehre Evo, er sei ein echter Bolivianer und grenze sich klar von dem imperialistischen Amerika ab, „… dass es Amerikaner nun schwerer haben, ein Visum zu bekommen, ist absolut gerechtfertigt durch ihre Vergangenheit in Lateinamerika.“ Für seine Familie sei vieles besser geworden, sie hätten Arbeit gefunden auf Baustellen und in Taxibetrieben. „Man braucht eben Zeit, ein kaputtes Haus wieder aufzubauen“, versuchte eine Verkäuferin auf dem Markt es in ein Bild zu übersetzen. Außerdem gäbe es überhaupt keine anderen Kandidaten, die Evo ersetzen könne. Sie sei „Generacion Evo“ und das könne auch gerne so weiter gehen. „Für die Campecinos“, ergänzt sie, „hat er viel gemacht. Sie sind viel sichtbarer geworden und haben mehr Rechte bekommen“. Ein Kopierladenbesitzer äußert sich kritisch auf die Frage nach dem Referendum: „Er will nur seine Macht sichern, dass dürfen wir nicht zu lassen. Morales wird verlieren, weil die Menschen diesen arroganten Schachzug erkannt haben.“ In Corioco sagte eine Frau an einem Saltena-Stand zu mir: „Dass er das Koka legalisiert und entkriminalisiert hat, ist sein größter Verdienst. Er gab uns unsere Arbeit zurück.“
Der Präsident hat noch 4 Jahre Zeit für seine Politik. Bei Interesse schreibe ich einen neuen Artikel zur bolivianischen Politik. Ganz sicher auch nicht so lang.
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