Reiseblog #5
In der Nähe von Cusco, 17/12/15
Wir sind unterwegs mit einem Pass, welcher den Eintritt zu kleineren Inka-Stätten mit einem Guide ermöglicht. 130 Soles kostet er, nicht gerade wenig, etwa fünf Hostelnächte. Die Stopps sind so geplant, dass die örtlichen Märkte mit ihrem farbenfrohen Kunsthandwerk von uns profitieren, ich vermute eine Absprache, kann es aber niemanden anlasten. Sie sind gefüllt mit Ohrringen, bunten Tüchern, selbstgestrickten Lamapullis und Schals, mystischen Quarzen, bestickte oder bemalte Leinwände und vielem Mehr.
Ich aber habe genug von den „amigo, amigo“-Rufen der Verkäufer*innen und ausserdem Hunger. Also suche ich nach Empanadas und lasse den Einkaufsrummel hinter mir. Ich finde ein Haus am Fluss vor der Ortschaft und trete hungrig ein. Vor der Brücke steht ein Schild, das mich glücklich macht: Hay Empandas!
Hinter der Brücke treffe ich auf Juliana, sie ist klein, Mitte 40 und lebt in diesem Haus mit ihren vier Kindern. Sie verkaufe hier vier Sorten, alle mit Quinoa gebacken und gefüllt von süss bis herzhaft. Fabelhaft, denke ich und fange an zu probieren. Sie lacht über mein Gesicht, als ich den mit Fricasee im Mund habe, ich hatte die Schärfe erst bei dem Exemplar „picante“ erwartet..
Wir kommen ins Gespräch, so gut das mit meinem castellano eben zulässt, es scheint ihr recht zu sein. „Normalerweise“, beginnt sie, „muss ich keine Empanadas verkaufen, ich bin Bäuerin. Nichts ist einfach im Moment, es fehlt der Regen hier“. Ich bin froh, dass ich mich nicht lange vorstellen muss oder eine Frage formulieren muss und höre zu. Sie wirft ihr Gesicht in Falten, „Es hätte schon den ganzen Dezember regnen müssen, aber es ist einfach nur trocken“, nein, ob das mit El Niño zusammenhänge, wisse sie jetzt auch nicht. Dann deutet sie auf den flackernden Ofen, „Hier backe ich die Empanadas aus unserem Quinoa mit meinen Söhnen und Töchtern.“ Ihr Mann habe eine Arbeit auf dem Bau in Cusco gefunden. In der Stadt werde immer gebaut. „Wenn der Regen kommt, ist er wieder da, dann können wir unser Land bewirtschaften. Dann kann ich das tun, was ich gerne tue. Tourismus ist anstrengender als Landwirtschaft. Weil man viel daran verdienen kann, versuchen viele ihr Glück als Touranbieter, Schmuckverkäufer oder als Bedienung in einem neueröffnenten Restaurant.“ Ich zeige auf meinen Lama-Pulli, den ich zwei Dörfer weiter in einem schwachen Moment bei 40% Preisnachlass gekauft habe. Sie nickt und sagt, die Gewinnspanne sei sehr hoch, bei solchen Podukten, besonders wenn sie von Hand gefertigt wurden. Es wundere sie nicht, dass der Verkäufer soweit runtergehen konnte mit dem Preis. Die Touristen kümmere es nicht, ob sie 200 Soles oder 120 Soles ausgeben. Dass man von den 80 Soles mindestens 6 Mal ein Menu (sopita, segundo, refresco) in einem Restaurant essen kann, bemerkten viele nicht. Sie würden nur denken: 54,50€ für einen selbstgestrickten Pullover aus Baby-Alpaka ist ein guter Preis, günstiger als Kaschmir-Pullover bei Zalando. So oder so ähnlich ist es bei mir angekommen, als sie ihre spanischen Sätze auf die Reise zu meinen Ohren schickte.
Die Kinder haben gerade Sommerferien und helfen ihrer Mutter beim Backen und Verkaufen. Aber auf dem Feld könnten sie ihr viel mehr helfen, auch deswegen erwartet sie den Regen. „Bald ist es vielleicht schon zu spät für eine gute Ernte.“ Ob sie schon für den Regen gebetet habe, frage ich. Sie schaut mich böse an und schüttelt den Kopf, was habe ich den für eine Vorstellung von ihrer Kultur. Sie hat natürlich Recht, ich habe keine Ahnung von der Kultur der Menschen in den Anden.
Aber nun habe ich einen Einblick erhalten und sie lächelt wieder, wie könnte ich auch, nach drei Monaten in Lateinamerika, sagt sie versöhnlich. Ich kaufe noch einen Empanada für den Weg und setze mich wieder in den Bus zur nächsten Inkastätte. Wie die Anderen. Und weg bin ich, verschwunden aus Julianas Welt, aber mit einem Teil davon im Gepäck zu anderen Orten.