Al Palo

30 06 2010

Ich habe an anderer Stelle schon geschildert, wie es mir mit meinem Deutschsein so geht.

Um einmal aufzuzeigen, wie es auch gehen kann: “La argentinidad al palo” von Bersuit Vergarabat, eine der argentinischsten Bands der Welt mit einem der argentinischsten Lieder Argentiniens.

Man kann sich das Lied hier anhören (und -gucken). Leider scheint das mit dem Einbinden nicht mehr zu funktionieren 🙁

Das Lied stellt in seinen fünfeinhalb Minuten ziemlich kompakt vor, was Argentinien eigentlich so ist. Für mich persönlich jedenfalls. Und die Band wahrscheinlich auch. Es hat Groove, Folkloreeinflüsse (besonders das “Schlagzeugsolo” folgt einem hier viel gehörtem Folkloretakt) und viel Rock (con bolas) – Argentinien ist nämlich kaum zu leugnendes Rocker- und Reggaeland. Der rock nacional hat hier nämlich Vergangenheit, die mit den Beatles anfing und heute bis zu den Divididos (u.a.) zurück verfolgbar ist.

Textlich kriegt man einen Überblick über gängige Argentinienklischees geliefert so wie eine Aufzählung der Skandale und eher unschönen Fälle der jüngeren Vergangenheit. So wie Lukas ein Lied gefunden hat, das für ihn den Vibe Buenos Aires’ perfekt einfängt, habe ich in diesem Land mein Argentinien wiedergefunden: Laut, chaotisch, verrockt, arm und reich, unerträglich süß und ungenießbar bitter – aber meistens sympathisch.

Ich bleibe bei meiner Übersetzung mal relativ nah am Original, es wird so schon schwer genug.

La calle más larga,
el río más ancho,
las minas más lindas del mundo…

el dulce de leche,
el gran colectivo,
alpargatas, soda y alfajores…

las huellas digitales,
los dibujos animados,
las jeringas descartables,
la birome…
la transfusión sanguínea,
el seis a cero a perú,
y muchas otras cosas más…

La argentinidad al palo…
la argentinidad al palo…

Gigantes como el obelisco,
campeones de fútbol,
boxeo y hockey.
locatti, barreda,
monzón y cordera
también, matan por amor.

tanos, gallegos, judíos,
criollos, polacos, indios, negros,
cabecitas… pero con pedigree francés
somos de un lugar
santo y profano a la vez,
mixtura de alta combustión

La argentinidad al palo…
la argentinidad al palo…

Diseminados, y en franca expansión,
hoy nos espera el mundo entero,
no es para menos la coronación,
brota el encanto del suelo argento.

¡vamo´…! ¡vamo´…!

¡y no me vengan con cuentos chinos!
que el che, gardel y maradona
son los number one,
como también lo soy yo,
y argentinos
¡gracias a dios!

diarieros:
también videla y el mundial 78
spadone y la leche adulterada
manzano se hizo la cirugía del orto
descuartizan vacas en el norte.
y siguen los nariguetazos en el congreso
galtieri y „los estamos esperando“.
más desnutridos
en el „granero del mundo“.
cayó la fundación padre bufarra.
alfonsín con „la casa está en orden“
„el que apuesta al dólar pierde“,
dijo el ministro.
también menem y su primer inmundo
cavallo y sus lágrimas de cocodrillo.
cinco presidentes en una semana.
encontraron al muñeco de yabrán
con un tiro en la cabeza.
de la rúa con su tímida boludez…

Pero… ¿qué me vienen a coger
a mí con la pija muerta?
¡yo la tengo mucho mas grande que vos!
a los boludos como vos me los cojo
de parado.
cuando vos fuiste,
yo ya fui y vine… ¡cuarenta veces!
¿cómo no querés que los cague,
si son unos boludos de mierda?
¡son todos una manga de garcas!
¡este país está lleno de ladrones!

¿yo?… ¡argentino!

Como el tiro en el corazón
de favaloro.

Del éxtasis a la agonía
oscila nuestro historial.
podemos ser lo mejor, o también lo peor,
con la misma facilidad.

¡al palo! ¡al palo! ¡al palo!

Die größte Straße
der breiteste Fluss
die schönsten Mädels der Welt

argentinisches Nutella (und doch so viel mehr)
Luxusreisebusse (man frage jegliche KW-Freiwillige)
Was Soda mit Argentinien zu tun hat konnte mir bisher keiner erklären – wohl aber alfajores

Fingerabdrücke (1) (für den Pass, den Perso etc)
animierte Zeichnungen (hä?)
Einwegspritzen (hä?)
Kugelschreiber (eine “argentinische” Erfindung)
Bluttransfusion (hä?)
6:0 gegen Peru (WM 78)
und so manches mehr

”Argentinität” bis zum Äußersten
argentinisch bis zum Extrem (“al palo” hat je nach Auslegung mehr oder weniger starke schmutzige Anklänge)

Giganten wie der Obelisk
Weltmeister im Fussball
Boxen und Hockey
berühmt-berüchtigte Argentinier:
Locatti ist ein Schauspieler,
Roberto Barreda ein Mörder (2),
Carlos Monzón war von ‘70-‘77 Boxweltmeister,
Gustavo Cordera ist der Sänger von Bersuit.

Italiener, Spanier, Juden, Mestizen, Polen, Indios, Schwarze, das “Proletariat” … aber mit französischem Stammbaum (3)

wir kommen von einem Ort
heilig und sündhaft zugleich
eine hochexplosive Mischung

In der Diaspora (4)

uns erwartet heute die ganze Welt
nicht umsonst gekrönt
der Zauber Argentiniens erblüht.

”Hau rein!” “Let’s go” (ganz besonders typische Anfeuerei beim Fussball etc)

Und erzählt mir keine Ammenmärchen

von wegen Che, Gardel (DER Tangomann überhaupt) und Maradona seien die Nummer eins
das bin nämlich auch ich (Bescheidenheit ist keine typisch argentinische Stärke)
und die Argentinier
Gott sei Dank!

In diesem Teil des Liedes hört man Zeitungsverkäufer Schlagzeilen rufen.

Für eine unvollständige Auflistung der Schlagzeilen bzw. Situationen auf die sie anspielen gucke man sich die Fußnoten an.

Videla und die WM 1978 (5)
Spadone und die gepanschte Milch (6)
Nariguetazos (7)
Galtieri und “Sollen sie nur kommen!” (8)
Mehr Unterernährte in der Kornkammer der Welt (9)

”Wer auf den Dollar setzt verliert” (10)

Cavallo und seine Krokodilstränen (11)

Fünf Präsidenten in einer Woche (12)

De la Rúa und seine bescheuerte Feigheit (13)

”Aber warum wollt ihr mich jetzt mit euren toten Schwänzen ficken?”
Auf eine weitere Übersetzung verzichte ich an dieser Stelle einmal – es genüge die Anmerkung, dass die Argentinier im Schimpfen und sich gegenseitig beleidigen wahrhaft kreativ und sowieso Weltmeister sind. Auch das ist Argentinien.

”Dieses Land ist voller Diebe!” – ein oft gehörter Ausruf – oft im Zusammenhang mit Politikern.

Ich? … Argentinier!

Siehe unten. (14)

Zwischen Ekstase und Leid
verläuft unsere Geschichte.
Wir können die Besten und die Schlechtesten sein – alles mit der gleichen Leichtigkeit.

(1) Hier kenne leider nur halbe Geschichten: Während der Militärdiktatur musste man ZU JEDER ZEIT ausweisbar sein, sprich seinen Perso mitschleppen. Abgesehen davon stand das Tragen langer Haare für Männer unter Strafe. Zurück zum Thema: Teil des Personalausweises war anscheinend und ist wohl auch heute noch ein Daumenabdruck. Da findet man auch gar nichts dran, war schon immer so. Weiß jemand mehr?

(2) Roberto Barreda hat ‘92 seine Frau, Töchter und Schwiegermutter umgebracht, wurde ‘95 lebenslänglich inhaftiert und ist seit ‘08 auf freiem Fuß. Führte damals zu einem großen Skandal, weil es in einigen Städten Graffiti gab, auf denen Barreda gelobt wurde. Der machismo lässt grüßen.

(3) Mit dem Aufkommen der Rinder-, Politiker- und Handelsdynastien entstand in Argentinien eine Ober eine Adelsschicht, die immer Richtung Europa blickte. Europa war Kultur, man selber war zu einem Leben in der Kolonie verdammt. Ganz besonders Paris war das Zentrum der Aufmerksamkeit – man wollte als Adliger um jeden Preis Franzose werden. Nicht umsonst wird daher Buenos Aires gerne mal mit Paris verglichen. Ganz abgesehen davon hat natürlich fast jeder hier einen Richtung Europa weisenden Stammbaum. Ein Blick ins Telefonbuch genügt.

(4) Es ist nicht nur unmöglich, im Ausland keinen Deutschen zu begegnen, nein auch Argentinier gibt es überall: “hay argentinos in todos los lugares” ist eine Tatsache. Das ist allerdings weniger der zweifellos vorhandenen Reiselust geschildert als der Tatsache, dass aufgrund Argentiniens wilder Vergangenheit viele ins Exil geflohen sind und dort erst einmal blieben.

(5) Jorge Rafael Videla war der argentinische De-facto-Diktator zwischen ’76 und ’81 und somit der Hauptverantwortliche eines grausamen Überwachungsregimes, das bis heute sichtbare Spuren im Land hinterlassen hat. Die WM ’78 wurde von ihm zu Propagandazwecken genutzt (ähnlich wie die Olympischen Spiele in Berlin 1936) um von den schlimmen Menschenrechtsverletzungen im Land abzulenken.

(6) Carlos Spadone hat ’91 in seiner Funktion als Gesundheitsminister unter Menem annähernd 2000 Tonnen Milchpulver gekauft, von denen knapp 50 schlecht waren. Das an sich ist ja schon merkwürdig genug … wäre es nicht seine eigene Milchfirma gewesen, von der er das Milchpulver kaufte, hätte es vermutlich niemanden interessiert.

(7) „Nariguetazos“ kommt Nariz (Nase) und bezieht sich auf den angeblich exorbitanten Kokainverbrauch im Kongress.

(8) Leopoldo Galtieri war der de-facto-Diktator nach Videla. Er versuchte von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken, indem er die Islas Malvinas (dem Rest der Welt als Falklandinseln bekannt) besetzte. Schliesslich gehören die nach argentinischer Auffassung zum argentinischen Staatsgebiet. Nun saßen also die argentinischen Soldaten auf den frisch eroberten Malvinas, Argentinien freute sich aufgrund des Gebietszuwachses und keiner dachte im Traum daran, dass Margaret Thatcher sich dazu entscheiden würde in den Krieg zu ziehen. Nun kann man sich denken, dass die britischen Soldaten besser ausgestattet und ausgebildet waren als die teilweise aus 18jährigen „Freiwilligen“ bestehende argentinische Streitkraft. Galtieri war jedoch davon überzeugt, dass man mit denen schon fertig werden würde: „Die sollen nur kommen!“ (les estamos esperando). Ein paar Monate später waren insgesamt 650 argentinische Soldaten gefallen, die Inseln wieder in britischen Händen und Galtieri im Gefängnis

(9) „el granero del mundo“ – „die Kornkammer der Welt“. Wie kann es sein, so die Bedeutung des Textes, dass es noch immer Unterernährte in einem landwirtschaftlich derart reichen Land wie Argentinien gibt?

(10) „el que apuesta al dólar pierde“ – „wer auf den Dollar setzt verliert.“ Anfang der Neunziger gab es in Argentinien eine Hyperinflation, die den Peso von Tag zu Tag weiter entwertete. Dies veranlasste viele Leute dazu, sich von ihrem Lohn, der in Bar in Peso ausgezahlt wurde (wenn überhaupt), sofort und umgehends Dollar zu kaufen, bevor der Peso noch weniger wert war. Dies führte natürlich dazu, dass der Peso noch weniger wert war und so weiter und so fort. Die Regierung versuchte die Menschen dazu zu bringen, doch Vernunft anzunehmen und mit Pesos zu bezahlen, denn „wer auf den Dollar setzt, verliert“. Dies geschah letzten Endes erst, als der Peso per Regierungsdekret 1:1 an den Dollar gebunden wurde. Was dann wiederum starken Anteil an der Wirtschaftskrise 2001 hatte.

(11) Domingo Cavallo war Wirtschaftsminister unter de la Rúa. Die Krokodilstränen („lágrimas de cocodrilo“), die im Lied angesprochen werden, beziehen sich darauf, dass Cavallo weinend im Fernsehen zu sehen war. Das kam so: Vertreter von Renterorganisationen sprachen bei ihm vor und baten um eine Rentenerhöhung, den von der Rente allein konnte niemand leben. Leider musste er ablehnen, aber die Misere der Renter und seine Ohnmacht setzten ihm so zu, dass er besagte Krokodilstränen vergoss. Wovon sich die Hungernden natürlich auch nichts kaufen konnten.

(12) Zur Zeit der schlimmen Wirtschaftskrise 2001 hatte Argentinien fünf Präsidenten in einer Woche. Schließlich wurde dann Duhalde gewählt – der knapp fünf Monate im Amt blieb.

(13) Präsident Fernando de la Rúa zeichnet sich im Gedächtnis vieler Argentinier vor allem durch seine zauderhaftes Verhalten und seine Zögerlichkeit aus.

(14) Die Fundación de Favaloro sollte jedem bekannt sein, der in Argentinien mal ab und an Wasser in Flaschen kauft. Auf diesen prangt nämlich oft ein Logo der selbigen. René Favaloro war Herzchirurg von Weltrang, bekannt unter anderem für die erste Bypass-Operation der Welt. Er war sehr beliebt, nicht zuletzt aufgrund seiner Stiftung (fundación), die Forschung und Austausch für Mediziner ermöglicht und kostengünstige Operationen für Arme anbietet. Als der Stiftung im Zuge der Wirtschaftskrise 2000-2001 das Geld auszugehen drohte, bat er die Regierung um Hilfe. Diese jedoch ließ nichts von sich vernehmen. Entmutigt beging er Selbstmord („un tiro en el corazón de Favaloro“ – „ein Schuss ins Herz von Favaloro“).

Trotz der vielen Beispiele für das was schief läuft in diesem Land (weswegen auch nicht wenige Argentinier davon überzeugt sind, in einem país de mierda zu leben) beinhaltet das Lied ein klares Bekenntnis: Yo, Argentino!

Man kann eben seine Herkunft, seine Kultur niemals gänzlich leugnen. So sehr wir das auch manchmal versuchen.

Können die anderen Argentinien-Freiwilligen meine Verbundenheit zu diesem Lied irgendwie nachfühlen? Generell – bei Ergänzungen und Kritik immer die Kommentarfunktion nutzen damit alle was davon haben.

Eine Geschichts- und Popkulturlektion in fünf Minuten. Beileibe nicht vollständig (wobei ganz ehrlich – jedes Land entzieht sich dem Versuch, es objektiv abzubilden), aber für einen guten Eindruck reicht es. Wer zieht jetzt die Analogie zu den Prinzen?





La alemanidad

26 06 2010

Die Schule hat einen Tanzverein, der sich Alpenrose nennt.

Kramt eure Vorurteile raus. Was bildet sich so in euren Köpfen?

Ein Tanzverein namens Alpenrose … was könnte das wohl bedeuten? Bild steht?

Dann bitteschön:

IMG_1981

Heute war ein “Cafékonzert” in der Schule, sprich: Die Tanzkünste wurden vorgeführt und man aß dazu Kuchen, um die Vereinskasse aufzubessern. Die Torten waren über jeden Zweifel erhaben und bildeten mein Abendessen – himmlisch. Wenn es Torten backende Engel gibt, dann ist einer davon hier in Bariloche und hat mein Abendessen gebacken. Unglaublich.

Jedenfalls: Ich nehme diese Vorführung mal zum Anlass, mir mal um mein Deutschsein Gedanken zu machen. In meinem Kopf ist nämlich diese Art von Tanz streng und ausschließlich mit meiner Urgroßelterngeneration verknüpft – und kein Wunder, denn eben diese Generation besiedelte damals Bariloche und nahm die damalige deutsche Kultur eben mit. Das es Menschen in meinem Alter – ja sogar Erstklässler – gibt, die hier mitmachen hat mich dann doch sehr befremdet. Sollte es eigentlich nicht, hat es aber. Den Kindern macht es offensichtlich großen Spaß und sie wissen auch, dass ihre Altersgenossen in DACH in ihrer Freizeit vermutlich Anderes machen. Trotzdem könnte ich mir nie vorstellen, hier mitzumachen.

Wieso eigentlich nicht?

Weil es für mich persönlich unauslöschbar mit einem Deutschland verbunden ist, das ich nicht sehr mag. Ein staubiges, verknöchertes, preußisch-bayrisches erzkonservatives und reaktionäres Deutschland. So betrachtet, gibt es wohl also mehrere Deutschlands. Oder vielmehr eines mit unendlichen vielen Facetten (siehe hierzu auch meine Ausführungen zu Argentinien).

Im Moment habe ich trotz aller Unkenrufe und Hiobsbotschaften ein positives Deutschlandbild – das wird sich wahrscheinlich nach meiner Ankunft relativ rasch ändern.

Wenn ich zur Zeit an Deutschland denke, dann an meines: Ein junges, modernes, zunehmend mobiles, internationales, wohlhabendes und multikulturelles. Sicherlich beeinflusst mein Umfeld dieses Bild auch sehr: diskussionsbereit, tolerant, aufgeschlossen, frisch, kreativ.

Wir stehen im internationalen Vergleich ziemlich gut da, jedenfalls in meinen Augen: Es gibt ein soziales Absicherungssystem. An dem scheiden sich zwar die Geister, aber es gibt eines. Auch ist die medizinische Versorgung gesichert. Darüber wird zwar auch gestritten, aber für den Großteil der Bevölkerung gilt: Man hat Zugang zu sehr guten ärztlichen Diensten zu vergleichsweise erschwinglichen Preise. “Die Rente ist sicher”. Es gibt ein Sozial- und Kulturbudget im Haushalt. Das wird zwar IMG_1976kaputt gespart, aber es gibt eines. Und das “Tabuthema” Bildungssystem: Es könnte zwar zu den Besten der Welt gehören, aber ganz ehrlich – so schlecht ist es auch nicht. Wer letztens Abi gemacht hat (auch in NRW) dürfte dies wissen, und diejenigen, bei denen es schon länger zurück liegt, sollen mal aus dem Stand eine Klausur schreiben. Es wird uns auf Staatskosten so einiges an Bildung vermittelt (immer vom Gymnasium ausgehend).

Um das jetzt mal an einem persönlichen Beispiel fest zu machen:

Der deutsche Staat hat meine Bildung finanziert und wird dies auch weiterhin tun. Dafür zahlen wir alle Steuern (auch die Nichterwerbstätigen: Mehrwert- und Benzinsteuer bspw.).

Außerdem leistet wir uns den Luxus mich, einen völlig unqualifizierten (sieht man einmal von Abi und Zivi ab) jungen Mann ins Ausland zu schicken. Im Klartext: Die deutsche Regierung investiert grob überschlagen 1200€ Flugkostenzuschuss, 4200€ Mietzuschuss und Taschengeld und dann noch laufende Programmkosten in unbekannter Höhe in mich (und andere).

Ich bezahle dafür nichts. Das was ich aus Deutschland überwiesen kriege reicht leider nicht ganz aus, sodass ich zusätzlich aufs Kindergeld und meine eigenen Rücklagen ausm Zivi angewiesen bin. Aber immerhin!

Keine vertraglichen Verpflichtungen, keine expliziten Erwartungen (von den impliziten schweigen wir jetzt mal höflich 🙂 ), nichts.

Das in mich investierte Geld fließt ziemlich direkt in die argentinische Volkswirtschaft, also zieht man in Deutschland auch keinen direkten finanziellen Nutzen daraus. Das dürfte bei allen meinen Kollegen und Kolleginnen ähnlich sein.

Bin ich denn blöd? Hab ich was übersehen? Warum macht man sowas?

Weil es uns gut geht. Das ist die einfache Antwort. Und zwar ziemlich gut. Dass die argentinische Regierung mal so eben mir nichts dir nichts ihre Jugend auf Staatskosten ins Ausland schickt wird wohl auf absehbare Zeit eine Irrenhausfantasie bleiben. Es sei denn mir ist etwas entgangen.

Ich bin also privilegiert, weil in meinem Pass “deutsch” steht.

Harter Brocken. Denn wo selektiert wird, bleiben auch Menschen draußen; dazu gleich mehr. Zuerst allerdings gilt: Hey, danke! Das es uns so gut geht, dass wir uns solche Vergnügungen leisten (können) freut mich schon. Und ein bisschen stolz macht es mich auch.

Da ist es also, dieses Wort: Stolz. Hier scheiden sich die Geister. Darf man das überhaupt? Stolz sein auf ein Land? Gar seine Herkunft? Oder genauer: Darf man das als Deutscher?

Wenn ich sage “Ich bin stolz drauf Deutscher zu sein” dann ist mir das seeeehr unangenehm. Erstens impliziert es für mich (unangebrachten) Nationalstolz und zweitens klingt es unangenehm nach vergangenen Zeiten. Ih bäh. Ich kenne Menschen, die diesen Satz am liebsten unter Todesstrafe verbieten würden (ja, damit bist du gemeint, D.W.). Ganz davon abgesehen ist es auch eine kaum zu unterbietende Dummheit auf einen Zufall stolz zu sein.

Mit “Ich komme gerne aus Deutschland” könnte ich schon eher leben. Es bezieht sich nicht so sehr auf den Nationalstaat, sondern die Kultur. Für mich jedenfalls. Und obwohl es auch hier zu Recht genug zu kritisieren gibt (latent braun, spießig und verknöchert – siehe oben, man kann seine Vergangenheit eben nicht leicht abschütteln), bin ich doch gerne Deutscher: wir haben das beste Bier und das beste Brot der Welt, wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, wir haben Presse-, Meinungs-, Versammlungs-, Aufenthaltswahl- und Redefreiheit. Alles keine Selbstverständlichkeit.

Alles in allem also: Es gibt schlimmeres als deutsch zu sein.

Das kann man natürlich auch anders sehen: während und aufgrund von Zwangsabschiebungen sterben Menschen, deutsche Politik erinnert zunehmend an schlechtes Theater, Hartz-IV-Empfänger werden teilweise unter aller Sau behandelt, die Integrationspolitik ist verkorkst, wir sind im Krieg, “die Rente ist sicher”, Maikrawalle und Polizisten, von denen einige ihre Nichtidentifizierbarkeit ausnutzen und auf Demonstranten einschlagen, ein hochverschuldeter Haushalt und kein Ende in Sicht…

Kurzum: es steht nicht zum Besten. Es gibt besseres als deutsch zu sein.

Wat nu?

Im Endeffekt hat mich dieses Jahr gelehrt, dass es auch Gründe gibt aus denen man zu Recht so etwas wie Heimatverbundenheit auch als Deutscher entwickeln kann. Gleichzeitig weiß ich aus Erfahrung, dass es auch genügend Gründe dagegen gibt.





Nicht so Schönes

22 06 2010

In Argentinien herrscht Ausnahmezustand. In Bariloche ganz besonders.

Das ganze Land (das ganze Land? Nein, ein wackerer junger Deutscher in einem kleinen Dorf am Rande der Anden…) ist dem Fußballfieber verfallen. Leere Straßen, nichts geht mehr, man guckt Fussball. An Unterricht ist nicht zu denken. Währenddessen räumen ein paar Findige in Buenos Aires Wohnungen aus, deren Eigentümer bei Freunden gucken.

Will sagen: Es liegt eine deutliche onda in der Luft, man kann es fast riechen. Der Argentinier an und für sich legt jetzt besonders viel Leidenschaft an den Tag.

In ausgerechnet diese Atmosphäre platzt am Donnerstag um 5 Uhr nachts ein Mord bzw. “ein Unfall”, je nach Lesart.

Unweit der Kindertagesstätte in einem der sozial schwachen Viertel hier wo wir jeden Donnerstag Kinder bespaßen (gotitas de esfuerzo) hat ein 15-jähriger Junge ein Haus beklaut. Diversen Gerüchten zufolge war er grade dabei, einen Fernseher aus dem Haus zu tragen, als die Polizei ihn in flagranti ertappt.

Soviel wiederum ist verbürgt: Der Junge fängt an zu rennen und wird dabei von einem Polizisten erschossen. Kopfschuss.

Die Nachricht breitet sich natürlich wie ein Lauffeuer aus und im Laufe der Nacht geht unter anderem die Aussenstelle der Polizei in der Gegend in Flammen auf. Der Vater des Getöteten gibt sich alle Mühe, den Mob zu beschwichtigen.

Am Abend des nächsten Tages wird die Nachricht über Radio etc. verbreitet und es tritt ein, was manche bereits befürchtet haben: Es kommen Leute zu Wort, die den Tod des Jungen nicht nur als bedauerlich, aber notwendig, sondern als “richtig” bezeichnen: “Einer weniger!”

In der Zwischenzeit gab es zwei weitere Tote, ein 28jähriger Familienvater und der 16jährige Kumpel des ermordeten 15jährigen.

Das natürlich heizt die Atmosphäre noch weiter auf. Am nächsten Tag, also am Freitag, gibt es mittags auf dem Dorfplatz eine Demo. Besorgte Eltern holen ihre Kinder früher aus der Schule ab oder schicken sie gar nicht erst hin. Vor allem die Grundschule leert sich ziemlich schnell. Etwa eine halbe Stunde nachdem die Demo angefangen hatte war ich mit Lotte dort einmal die Lage auschecken. War so ungefähr die friedlichste Demo die ich je erlebt habe.

Etwa eine Stunde später hingegen lieferten sich dort Polizei und Randalierer Straßenkämpfe. Molotowcocktails, eingeschmissene Schaufenster, Plünderungen, Tränengas, Ziegelsteine, Gummigeschosse, das ganze Programm halt.

Am Freitagabend hatten dann auch schon alle Geschäfte auf unserer Hauptstraße geschlossen, manche Ladeninhaber hatten ihre Läden regelrecht verbarrikadiert. Auch der Mexikaner, zu dem ich mit Lotte noch hin bin um ein Bierchen zu trinken, schloss nach jedem Gast die Tür ab(!). Damit ja keiner von den bösen Menschen neikommt.

Was ja an sich schon traurig genug ist. Aber viele Menschen begehen jetzt den klassischen Fehler, die Welt in schwarz und weiß zu malen und sind der Überzeugung, alle Demonstranten seien “Scheißdelinquenten”. Wobei es diversen Augenzeugenberichten zufolge nur etwa 20 gewesen seien, die Stress gemacht hätten und meiner Schätzung nach ungefähr das zehn mal so viele Leute an der Demo teilnahmen.

Was mich jedoch besonders betroffen macht ist das teilweise sogar mir persönlich bekannte Jugendliche(!) im Alter von 15-18(!!) bei dieser Vorverurteilung einer bestimmten Bevölkerungsschicht mitmachen. Es ist ja so, dass in dem Viertel, wo der junge Mensch umgebracht wurde, vornehmlich arme Leute leben. Die oftmals eine etwas dunklere Hautfarbe haben. Jetzt höre ich “man sollte sie alle umbringen”, “negros* de mierda”, “diese leute haben keine kultur” und so weiter. Ich bin doch ein wenig schockiert.

Natürlich gibt es auch Viele, die sich energisch gegen dieses Verhalten zur Wehr setzen und Aufklärung betreiben. Und mein Umfeld besteht nun einmal in erster Linie aus dem Nachwuchs von Eltern, die es sich leisten können ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken. Klar dass die zu Hause von ihren Eltern andere Werte übernehmen als ich es eventuell gewöhnt bin. Ich bin nur so überrascht, weil mir immer noch die Worte meines alten Biolehrers im Kopf klingen: “Wer als er jung war nicht links war, der hat nicht gelebt. Wer allerdings mit 50 immer noch links ist, der hat was nicht verstanden.” War allerdings auch eher ein Scherz.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Öffentlichkeit hier (und es ist ÜBERALL Thema, egal wo man hingeht) ist ziemlich genau in der Mitte gespalten. Es gibt diejenigen, die meinen man sollte “diese Menschen” in eine Grube werfen und töten und diejenigen, die das Ganze etwas differenzierter sehen, aber vor allem erst einmal den Mord an einem 15jährigen (egal welcher Herkunft und Biographie) verurteilen. Und alles andere dazwischen, daneben und dadrüber/drunter auch.

Die Menschliche ist eben eine bunte Gesellschaft. Und das soll sie bitteschön auch bleiben.

* wörtlich: Scheißschwarze. In einem Land wie Argentinien, in dem political correctness ungefähr eine so lange Tradition hat wie Vuvuzelas in Südafrika hat das wahrscheinlich auch nicht die gleiche Bedeutung wie in Deutschland. Schließlich nannte man hier auch einen Präsidenten liebevoll “el turco”, der Türke, weil sein Vater aus Syrien (damals noch zum Osmanischen Reich gehörend) kam.





Liebe

15 06 2010

„Meine Hobbys sind Sport, Meerschweinchen und Liebe.“

Nicht schlecht für eine Fünftklässlerin. Nachdem sie dann im weiteren Verlauf ihres Aufsatzes noch erklärte, dass sie Meerschweinchen ganz doll lieb hat, ging mir ein Licht auf. Es hätte heißen sollen:

„Meine Hobbys sind Sport und meine Meerschweinchen, die ich liebe.“

Aber damit noch nicht genug, nein, gestern war Amor wohl auf Ecstasy gewesen: Bei meiner Sprachdiplomvorbereitung rede ich ja ersteinmal ziemlich viel mit den Schülern, damit die einfach das freie Reden üben. Wir unterhalten uns dabei über so ziemlich alles, orientieren uns aber an den sog. „persönlichen Fragen“ der Prüfungskommission, d.h. den Fragen, die in der Prüfung unter Umständen auch dran kommen…

Timon: „… soso. Und wer ist deine beste Freundin?“

Schülerin: „Das ist Delfina [ja, das ist tatsächlich ein total üblicher Mädchenname hier], die kenne ich seit der achten Klasse. Ich liebe dich.“

T: „Öööh. *rotwerd* Bist du sicher?“

S (voller Verwunderung): „Ja!“

T: „Hm. Ich fühle mich geehrt. Trotzdem will ich dass du noch einmal drüber nachdenkst.“

Es herrscht betretenes Schweigen. Erst als ich mein Grinsen nicht mehr unterdrücken kann schreit sie auf einmal:

S: „NEINneinnnein! Ich liebe SIE, Delfina, meine beste Freundin!!! O Dios…“

Gut dass wir drüber geredet haben.





Großer Aufwasch

5 06 2010

Nein, nicht Abwasch, denn hab ich schon vorhin erledigt. Haha. Ist wohl wieder was im Kräutertee drin.

Wie dem auch sei, seit dem letzten Eintrag hier ist ja doch einiges passiert. Das Wichtigste in Kürze und Würze zusammengefasst:

Horsti is wech. Lotte liest mir die Schlagzeilen zu potentiellen Nachfolgern vor. Mir wird erst schlecht, dann schlimmer: Zensursula, dann Steuerhinterzieher und Stasi-2.0-Initiator Schäuble. Ich geh dann mal die argentinische Staatsbürgerschaft beantragen… 🙂

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Sprachdiplomvorbereitung habe ich jetzt auch auf den Nachmittag ausgeweitet. Das macht Spaß, denn die Schüler und Schülerinnen, die kommen, kommen freiwillig. Spiegelt sich dann natürlich auch in der Motivation wieder und damit in den Ergebnissen. Außerdem sollte man sich überlegen was man sagt wenn die ebenfalls in der Bücherei anwesenden Schüler alle mehr oder weniger Deutsch verstehen:

Timon: “Und was hast du so für Hobbies?”

Schülerin A: “Keine. Ich mache nichts.”

Timon: “Wie jetzt? Und was machst du wenn du nach der Schule nach Hause kommst?”

Schülerin A: “Dann trinke ich Milch, schaue Fernsehen und esse und schlafe.”

Timon: “Liest du denn wenigstens ab und zu was?”

Schülerin A: “Nein, ich habe keine Zeit.”

Alle die zugehört haben lachen.

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Ich habe schon vor Wochen eine totale Schnapsidee gehabt, war mir aber nie sicher ob das Ergebnis den Aufwand rechtfertigen würde. Aber wer mich kennt, weiß ja wie gut ich Schnapsideen widerstehen kann 😉

Jetzt ist sie jedenfalls fertig, meine eigene Galerie bei Whitewall.

Sinn der ganzen Aktion war es, meine Bilder einfach mal in einem anderen Rahmen zu präsentieren. Abgesehen davon kann ich natürlich jetzt meine Bilder verkaufen. Der zweite Teil dahinter ist nämlich herauszufinden, ob Leute die mich nicht kennen, meine Bilder trotzdem gut finden. Eventuell sogar so gut, dass sie sich das eine oder andere kaufen. Wie gesagt, eine Schnapsidee 😀

Wer also über betuchte Verwandte verfügt die dringend Fotos kaufen wollen, der weise diese also bitte auf meine Galerie hin 😉

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Buenos Aires lohnt definitiv einen etwas längeren Besuch als ich dort zubrachte. Ich war allerdings auch für meinen TOEFL-Test da. Fotos sind in der Entwicklung.

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Argentinien ist 200 Jahre alt geworden und hat dies mit viel Traram gefeiert. An dieser Stelle noch einmal Herzlichen Glückwunsch.

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Das Ende rückt langsam in greifbare Nähe. Weniger als drei Monate verbleiben. Habe mich gestern das erste Mal dabei ertappt, wie ich es innerlich vor mir selber zu rechtfertigen versuchte, doch noch lieber ein bisschen länger Siesta zu halten als zum Fotokurs zu gehen: “Is ja jetz’ auch schon fast vorbei, also egal quasi…” – ABER NIX DA! Die letzten Monate wird jetzt noch richtig fett gepowert! Vielleicht geh ich sogar noch zum Tanzkurs 🙂

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Je mehr ich über die Uni Freiburg lese, desto interessanter und spannender wirds. Ob ich da wohl reinkomm mit meinem NRW-Luschenabi?

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Seitdem ich das letzte Mal über Google Analytics bzw. dessen bisweilen recht kurzweilige Datenerhebung schrieb, haben sich natürlich noch mehr mehr Leute für im Kochtopf Gebratenes interessiert.

Mittlerweile haben gar 10 weitere Spezialisten den Versuch unternommen, bei Google nach “im Kochtopf braten” zu suchen und damit auf meine Seite zu gelangen. Was den Leuten auch alles so einfällt…

Apropos: Es findet übrigens auch hierhin, wer nach “heroinsuchtig blog” sucht. Das sollte mir wohl zu denken geben. Vor ein paar Wochen war auch mal “reiterhof tote Hose” in der Hitliste. Liebe Leser, wie findet ihr eigentlich immer den Weg hierhin? 😀

Achso und wo wir schon dabei sind: Es gab in den letzten paar Tagen mehr Besucher von google.ch als üblich. Hallo liebe Schweizer!

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Zu guter Letzt: Bariloche @ night, ums mal neudeutsch zu formulieren.

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