La alemanidad

26 06 2010

Die Schule hat einen Tanzverein, der sich Alpenrose nennt.

Kramt eure Vorurteile raus. Was bildet sich so in euren Köpfen?

Ein Tanzverein namens Alpenrose … was könnte das wohl bedeuten? Bild steht?

Dann bitteschön:

IMG_1981

Heute war ein “Cafékonzert” in der Schule, sprich: Die Tanzkünste wurden vorgeführt und man aß dazu Kuchen, um die Vereinskasse aufzubessern. Die Torten waren über jeden Zweifel erhaben und bildeten mein Abendessen – himmlisch. Wenn es Torten backende Engel gibt, dann ist einer davon hier in Bariloche und hat mein Abendessen gebacken. Unglaublich.

Jedenfalls: Ich nehme diese Vorführung mal zum Anlass, mir mal um mein Deutschsein Gedanken zu machen. In meinem Kopf ist nämlich diese Art von Tanz streng und ausschließlich mit meiner Urgroßelterngeneration verknüpft – und kein Wunder, denn eben diese Generation besiedelte damals Bariloche und nahm die damalige deutsche Kultur eben mit. Das es Menschen in meinem Alter – ja sogar Erstklässler – gibt, die hier mitmachen hat mich dann doch sehr befremdet. Sollte es eigentlich nicht, hat es aber. Den Kindern macht es offensichtlich großen Spaß und sie wissen auch, dass ihre Altersgenossen in DACH in ihrer Freizeit vermutlich Anderes machen. Trotzdem könnte ich mir nie vorstellen, hier mitzumachen.

Wieso eigentlich nicht?

Weil es für mich persönlich unauslöschbar mit einem Deutschland verbunden ist, das ich nicht sehr mag. Ein staubiges, verknöchertes, preußisch-bayrisches erzkonservatives und reaktionäres Deutschland. So betrachtet, gibt es wohl also mehrere Deutschlands. Oder vielmehr eines mit unendlichen vielen Facetten (siehe hierzu auch meine Ausführungen zu Argentinien).

Im Moment habe ich trotz aller Unkenrufe und Hiobsbotschaften ein positives Deutschlandbild – das wird sich wahrscheinlich nach meiner Ankunft relativ rasch ändern.

Wenn ich zur Zeit an Deutschland denke, dann an meines: Ein junges, modernes, zunehmend mobiles, internationales, wohlhabendes und multikulturelles. Sicherlich beeinflusst mein Umfeld dieses Bild auch sehr: diskussionsbereit, tolerant, aufgeschlossen, frisch, kreativ.

Wir stehen im internationalen Vergleich ziemlich gut da, jedenfalls in meinen Augen: Es gibt ein soziales Absicherungssystem. An dem scheiden sich zwar die Geister, aber es gibt eines. Auch ist die medizinische Versorgung gesichert. Darüber wird zwar auch gestritten, aber für den Großteil der Bevölkerung gilt: Man hat Zugang zu sehr guten ärztlichen Diensten zu vergleichsweise erschwinglichen Preise. “Die Rente ist sicher”. Es gibt ein Sozial- und Kulturbudget im Haushalt. Das wird zwar IMG_1976kaputt gespart, aber es gibt eines. Und das “Tabuthema” Bildungssystem: Es könnte zwar zu den Besten der Welt gehören, aber ganz ehrlich – so schlecht ist es auch nicht. Wer letztens Abi gemacht hat (auch in NRW) dürfte dies wissen, und diejenigen, bei denen es schon länger zurück liegt, sollen mal aus dem Stand eine Klausur schreiben. Es wird uns auf Staatskosten so einiges an Bildung vermittelt (immer vom Gymnasium ausgehend).

Um das jetzt mal an einem persönlichen Beispiel fest zu machen:

Der deutsche Staat hat meine Bildung finanziert und wird dies auch weiterhin tun. Dafür zahlen wir alle Steuern (auch die Nichterwerbstätigen: Mehrwert- und Benzinsteuer bspw.).

Außerdem leistet wir uns den Luxus mich, einen völlig unqualifizierten (sieht man einmal von Abi und Zivi ab) jungen Mann ins Ausland zu schicken. Im Klartext: Die deutsche Regierung investiert grob überschlagen 1200€ Flugkostenzuschuss, 4200€ Mietzuschuss und Taschengeld und dann noch laufende Programmkosten in unbekannter Höhe in mich (und andere).

Ich bezahle dafür nichts. Das was ich aus Deutschland überwiesen kriege reicht leider nicht ganz aus, sodass ich zusätzlich aufs Kindergeld und meine eigenen Rücklagen ausm Zivi angewiesen bin. Aber immerhin!

Keine vertraglichen Verpflichtungen, keine expliziten Erwartungen (von den impliziten schweigen wir jetzt mal höflich 🙂 ), nichts.

Das in mich investierte Geld fließt ziemlich direkt in die argentinische Volkswirtschaft, also zieht man in Deutschland auch keinen direkten finanziellen Nutzen daraus. Das dürfte bei allen meinen Kollegen und Kolleginnen ähnlich sein.

Bin ich denn blöd? Hab ich was übersehen? Warum macht man sowas?

Weil es uns gut geht. Das ist die einfache Antwort. Und zwar ziemlich gut. Dass die argentinische Regierung mal so eben mir nichts dir nichts ihre Jugend auf Staatskosten ins Ausland schickt wird wohl auf absehbare Zeit eine Irrenhausfantasie bleiben. Es sei denn mir ist etwas entgangen.

Ich bin also privilegiert, weil in meinem Pass “deutsch” steht.

Harter Brocken. Denn wo selektiert wird, bleiben auch Menschen draußen; dazu gleich mehr. Zuerst allerdings gilt: Hey, danke! Das es uns so gut geht, dass wir uns solche Vergnügungen leisten (können) freut mich schon. Und ein bisschen stolz macht es mich auch.

Da ist es also, dieses Wort: Stolz. Hier scheiden sich die Geister. Darf man das überhaupt? Stolz sein auf ein Land? Gar seine Herkunft? Oder genauer: Darf man das als Deutscher?

Wenn ich sage “Ich bin stolz drauf Deutscher zu sein” dann ist mir das seeeehr unangenehm. Erstens impliziert es für mich (unangebrachten) Nationalstolz und zweitens klingt es unangenehm nach vergangenen Zeiten. Ih bäh. Ich kenne Menschen, die diesen Satz am liebsten unter Todesstrafe verbieten würden (ja, damit bist du gemeint, D.W.). Ganz davon abgesehen ist es auch eine kaum zu unterbietende Dummheit auf einen Zufall stolz zu sein.

Mit “Ich komme gerne aus Deutschland” könnte ich schon eher leben. Es bezieht sich nicht so sehr auf den Nationalstaat, sondern die Kultur. Für mich jedenfalls. Und obwohl es auch hier zu Recht genug zu kritisieren gibt (latent braun, spießig und verknöchert – siehe oben, man kann seine Vergangenheit eben nicht leicht abschütteln), bin ich doch gerne Deutscher: wir haben das beste Bier und das beste Brot der Welt, wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, wir haben Presse-, Meinungs-, Versammlungs-, Aufenthaltswahl- und Redefreiheit. Alles keine Selbstverständlichkeit.

Alles in allem also: Es gibt schlimmeres als deutsch zu sein.

Das kann man natürlich auch anders sehen: während und aufgrund von Zwangsabschiebungen sterben Menschen, deutsche Politik erinnert zunehmend an schlechtes Theater, Hartz-IV-Empfänger werden teilweise unter aller Sau behandelt, die Integrationspolitik ist verkorkst, wir sind im Krieg, “die Rente ist sicher”, Maikrawalle und Polizisten, von denen einige ihre Nichtidentifizierbarkeit ausnutzen und auf Demonstranten einschlagen, ein hochverschuldeter Haushalt und kein Ende in Sicht…

Kurzum: es steht nicht zum Besten. Es gibt besseres als deutsch zu sein.

Wat nu?

Im Endeffekt hat mich dieses Jahr gelehrt, dass es auch Gründe gibt aus denen man zu Recht so etwas wie Heimatverbundenheit auch als Deutscher entwickeln kann. Gleichzeitig weiß ich aus Erfahrung, dass es auch genügend Gründe dagegen gibt.








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