Sechszehntes Türchen – Chè is love

Sie sitzt vor mir, sieht mich mit einem riesigen Grinsen im Gesicht an und beginnt damit, zu erklären:
„If this were all foods in Vietnam“ (nun streckt sie mir eine ihrer Hände mit gespreizten Fingern entgegen)
Weiter geht‘s mit „that would be all kinds of Che“ und klappt nun zwei Finger zu.
Man sieht nur noch drei ausgestreckte Finger und sie schaut mich fragend an, ob ich das verstanden habe.
Meinem Blick kann sie Überraschung entnehmen. Damit hätte ich nämlich wirklich nicht gerechnet.

Nun aber mal von Anfang an. Wovon eine meiner Schülerinnen da begeistert spricht und warum sich bei mir ziemlich viel darum dreht, was es mit Weihnachten zu tun hat und vieles mehr findest du im heutigen, sechszehnten Türchen heraus.

Ach, wo soll ich anfangen, ohne gleich ins Schwärmen zu kommen? Vielleicht erst mal bei einer Definition.
Von was denn? Na von Chè, denn darum geht es heute!

Natürlich könnte ich dir jetzt meine recht einfache Definition von Chè liefern: „Chè is love“, aber vermutlich hilft dir das nicht sonderlich weiter.
Erst mal solltest du wissen, dass es sich bei Chè um Nahrung geht – wie in den meisten Türchen, wie mir jetzt aufgefallen ist.
Never mind, jetzt geht‘s wirklich los:
Chè ist ein Begriff für eigentlich jedes Getränk, jede Dessertsuppe und jede Art Pudding. Wichtig dabei ist, dass das Produkt süß schmeckt und eben noch aus Vietnam kommt, was jedoch nicht sonderlich verwunderlich sein sollte.
Varianten von Chè gibt es so viele, dass man sie gar nicht mehr zählen kann. Wie oben schon gesagt: 3 von 5 „Gerichte“ in Vietnam sind Chè.
Bei so vielen Arten ist auch mit vielen verschiedenen Zutaten zu rechnen:
Mungbohnen, Klebreis, Nüsse, Mandeln, Lotuskerne, Tapioka, schwarze Bohnen, Kidneybohnen, Jelly (in allen möglichen Formen und Farben), frische Früchte wie Mango, Durian, Jackfrucht, Litschi oder auch getrocknete Früchte und getoppt wird es oft mit einem Löffel Kokosnussmilch. Im Prinzip kann eigentlich alles in Chè hinein, Hauptsache es schmeckt!
Die wohl wichtigste Zutat ist jedoch mal mehr, mal weniger Zucker, damit es seinen süßlichen Geschmack erhält.

„A kaleidoscopic world of luminous colours, shifting shapes, unfamiliar textures, esoteric ingredients, and rich flavours“

so wird Chè auf einer anderen Website beschrieben. Klingt probierenswert, oder?

 

Vielleicht fragst du dich jetzt, wie du weißt, was in deinem Chè drin sein wird, wenn du einfach nur „Chè“ bestellst. Jede Art von Chè hat zum Glück seinen eigenen Namen. Hinter den generell bedeutungslosen Begriff Chè wird ein beschreibendes Wort oder eine Phrase angehängt. Beispielsweise kann man oft „chè đậu đỏ“ bestellen, was wörtlich soviel wie „Rote Bohnen Chè“ bedeutet und übrigens richtig lecker ist.

Und da sind wir auch schon beim nächsten Thema: der Geschmack.
Nachdem man oft aus einer Vielzahl von verschiedenen Chès auswählen kann und es doch überall verschieden schmeckt, wird das Probieren nie langweilig. Mal heiß aus dem Topf, mal kalt mit Eiswürfeln. Mal als Getränk mit Strohhalm, mal puddingartig zum Löffeln. Mal das perfekte Dessert, mal super für zwischendurch. Mal sehr süß, mal erfrischend fruchtig mit leichter Süße. Aber immer richtig lecker.
Wenn schon die Definition von Chè mir so schwerfällt und für mich immer noch nicht 100% passt (besser kann ich es trotzdem nicht machen), dann kannst du dir bestimmt vorstellen, wie schwierig es ist, den Geschmack wenigstens annähernd zu erklären, bedenkt man die vielen Variationen.

Nun hatte ich angekündigt zu erklären, was Chè für mich mit Weihnachten zu tun hat. Selbst wenn das Fest in Vietnam in religiöser Hinsicht nicht praktiziert wird, sieht man in den Geschäften die Weihnachtsbäume stehen. Man hört Variationen von traditionellen Weihnachtsliedern durch Lautsprecher erklingen und irgendwie stellt sich bei mir doch langsam etwas Weihnachtsstimmung ein. Nur ein Funken, aber der ist genug, dass ich weiß, was ich an Weihnachten besonderes essen will. Es wird kein leckeres drei-oder-vier-oder-fünf-Sterne-und-Gänge-Menü von Mama geben, keinen Weihnachtsgittesdienst und so ziemlich alles wird anders sein. Für dieses kleine bisschen Weihnachten wünsche ich mir aber wie gesagt ein besonderes Essen: Chè Khoai.
An einer schönen spätsommerlichen Mittagspause war ich mit zwei Kolleginnen in einem Restaurant und habe kurzerhand (am Tag zuvor hatte ich mein erstes Chè gegessen) eine Schüssel Chè Khoai bestellt. Serviert wurden mir heiß gedämpfte Süßkartoffeln, die mit Zimt gekocht wurden und nun in warmem Kokosnussmilch-Pudding schwammen. Nach dem ersten Löffel wusste ich, das werde ich an Weihnachten essen! Die Kombination aus den weichen Süßkartoffeln, dem weihnachtlichen Zimt und anderen Gewürzen und die heiße Kokosnussmilch, wer könnte da schon widerstehen?

Meine Passion für Chè verbreite ich übrigens auch außerhalb dieses Blogs ordentlich:
Gestern beispielsweise – es insgesamt so ein schöner Tag – bin ich mit einem 26jährigen Kanadier auf dem Moped eine Stunde auf die Suche nach Chè gegangen. Als Essensexpertin für Vietnam (just kidding, ich kenne lang noch nicht alles. Leider…) habe ich ihm von meinen Erfahrungen mit Chè erzählt und kurzerhand wurde gemeinsam beschlossen, das süße Gericht in Da Nang irgendwo zu finden. Es war schon etwas später und viele Straßenläden hatten schon geschlossen, aber einer war noch geöffnet und hatte drei verschiedene Chès. Kurzerhand wurden alle drei bestellt und das Ergebnis lässt sich sehen:

Drei waren aber dann doch etwas viel. Aber wer würde einfach Chè wegwerfen? Das wäre ein Sakrileg! Mit vielen Pausen haben wir es doch noch geschafft.
Übrigens hat es ihm zu meiner Freude – nach meinem vielen Schwärmen wäre es peinlich gewesen, wenn nicht – super geschmeckt.

Ich bin mir sicher, dass es auch dir schmecken wird! Solltest du also mal nach Vietnam kommen, kann ich dir gerne noch ausführlichere Informationen zu Chè bereitstellen, aber für heute reicht es glaube ich. Genug geschwärmt!

Viele Grüße aus dem Nachtbus zurück nach Hanoi,
die nach-dem-Motto-Chè-is-Love-lebende Sophie

PS: Hier noch ein paar Bilder von Chè. Je komischer es aussieht, desto besser schmeckt es!

Zehntes Türchen – Obamas Liebe

Bestimmt kennst du die große Liebe vom vorherigen Präsidenten der USA: Michelle Obama.
Vielleicht magst du dich jetzt fragen, warum Sophie heute einen Blogeintrag über die ehemalige First Lady schreibt. Aber keine Sorge! Auch wenn der Titel dieses Türchens danach anmuten mag, soll es heute um eine andere Liebe Obamas gehen! Und um meine ebenfalls.

„bún chả“*

Als der damals amtierende Präsident der Vereinigten Staaten nämlich in Vietnam war, verliebte er sich durch ein ganz besonderes Gericht in die vietnamesische Küche. Du magst es schon vermuten, durch eben jene Bun Cha.

Als Sophie damals – naja, vor drei Monaten eben – in Vietnam war, verliebte sie sich unter anderem durch ein ganz besonderes Gericht in die vietnamesische Küche. Du magst es schon vermuten, durch eben jene Bun Cha.

Hanoi ist nicht nur eine Stadt besonderer Sehenswürdigkeiten und Landschaft, sondern auch bekannt als eine Gegend besonderer kulinarischer Genüsse in Vietnam. Dort kannst du so viele verschiedene, leckere Gerichte finden. Ein besonderes, wie du bestimmt schon anhand der ersten Sätze gemerkt hast, ist Bun Cha. Dieses einfache, aber einfach geniale Gericht ist eine tolle Mischung aus herzhaft und frisch. Es hat viele geschmackliche Besonderheiten und begeistert durch die Harmonie von frischem Gemüse und Fleisch.

So genau weiß niemand, wann und von wem Bun Cha „erfunden“ wurde, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass diese Person ziemlich genial war. Mit der Zeit wurde Bun Cha eines der berühmtesten Gerichte in Vietnam und das zu Recht!

Nun kommen wir aber erst mal dazu, was Bun Cha ist und später zu der Frage, warum sie sogar von Obama geliebt wird.

Was ist Bun Cha?

Auf dem Heimweg von der Schule entdeckt, probiert, geliebt: Bun Cha!
Und so sieht sie aus, lecker, oder?

Bun Cha ist ein lokales Gericht aus der Hauptstadt Vietnams, Hanoi. Man findet zwar über ganz Vietnam verteilt viele Gerichte, die in ihrer Zubereitung an Bun Cha erinnern, wie beispielsweise im Süden Vietnams Bun Thit Nuong. Dennoch muss ich sagen, dass Bun Cha einfach unschlagbar ist. Zumal ich ja in Hanoi lebe, wie könnte ich das dann nicht mögen!?

Das einfache Gericht kann man überall und das ganze Jahr über finden.
Egal, ob du in einem edlen Restaurant auf bequemen Stühlen oder an der Straße auf kleinen blauen, weniger bequemen Stühlchen Bun Cha genießt, sind die Zutaten stets die selben:
Serviert werden ein Teller mit Bun (die weißen dünnen Reisnudeln, du siehst, auch hier ist wieder Reis drin), eine Schüssel mit Brühe und gegrilltem Schweinefleisch und ein Schälchen mit frischen Kräutern.

Die Nudeln, Bun genannt, werden als großer Haufen auf einem Teller serviert. Die Hanoier/Hanoianer/Hanoies (ich hab so gar keine Ahnung, wie man sie nennt…) sind sehr anspruchsvoll beim Thema Essen. Das sieht man schon allein bei der Auswahl ihrer Nudeln für das jeweilige Gericht. Bei Bun Cha haben die Bun dünn, weich und kaufähig zu sein.

Der Fokus bei diesem Essen liegt auf Cha, also dem Fleisch. In einer Schüssel werden zwei verschiedene Kocharten von Schweinefleisch serviert: Cha Vien (eine Art Hackfleisch, das zu „Minifleischküchle“ geformt wird) und Cha Mieng (dünn aufgeschnittenes, gegrilltes Fleisch).

Das Highlight von Bun Cha bleibt jedoch die Brühe, welche das Gericht erst besonders macht. Um eine süße und gleichzeitig etwas sauere Brühe zu kreieren, verwendet der Koch Fischsauce, Essig und braunen Zucker. Obwohl die Zutaten simpel sind, schmeckt jede Sauce verschieden. Das Verhältnis der Elemente macht jede Bun Cha anders. Ob eine Bun Cha gut oder schlecht ist, wird also anhand der Brühe bewertet.
In der Brühe sind meist noch hauchdünn geschnittene Karotten- und Papaya-Stückchen, welche die Geschmacksvielfalt nochmals erweitern.

Ohne ein weiteres Schälchen wären vietnamesische Gerichte nicht komplett. Zu finden darin sind frischer Salat, Thai Basilikum, eine besondere Art Minze, Bananenblume und Koriander.

Wann isst man Bun Cha?

In der Vergangenheit wurde dieses Gericht nur zu Mittag gegessen. Heutzutage, nachdem Läden oft von früh morgens bis spät abends geöffnet haben, kann man Bun Cha zu welcher Mahlzeit auch immer essen.

Wie isst man Bun Cha?

Es gibt eigentlich keinen falschen Weg, das zu essen. Hauptsache ist, dass man Bun Cha isst!
Wie auch immer, es gibt zwei verschiedene Möglichkeiten, das Gericht zu verspeisen: die nördliche und die südliche Variante.

Im Süden Vietnams wird generell alles und zwar wirklich so gut wie alles gerollt und „eingepackt“ wie bei einem Wrap.
Wenn du es also magst, dein Essen kompakt einzurollen, nimmst du ein großes Salatblatt, packst das Fleisch, die Nudeln und die Kräuter darauf und rollst das ganze. Jetzt dippst du das Ganze in die Brühe und nimmst einen großen Bissen.
Der größte Vorteil davon ist definitiv, dass du mit deinen Händen essen kannst und es so egal ist, wie gut du mit Essstäbchen umgehen kannst.

Falls du aber zeigen möchtest, welche Essstäbchen-Ess-Fähigkeiten du (entwickelt) hast, solltest du die Hanoier Variante wählen! Die nördliche Art, Bun Cha zu verzehren ist wesentlich einfacher. Alles, was du zu tun hast, ist, Fleisch, Nudeln und Kräuter in die Brühe zu befördern, ordentlich zu mischen und es dann wie eine Schüssel Pho zu essen.
Nachdem die Nudeln in Kombination mit der Brühe glitschig werden, kann dieser Weg sowohl lustig als auch herausfordernd sein, wenn man kein Esstäbchen-Meister ist.
Nun weißt du, wie Profis also Bun Cha essen.
Das kannst du jetzt gleich machen!
Vorausgesetzt du hast gerade eine Portion Bun Cha vor die stehen…

Warum liebt Obama dieses Gericht?

Bun Cha ist ein sehr simples Essen, das man recht schnell zubereiten kann und auch an Straßenküchen und in Restaurants fix serviert bekommt. Schon allein der Geruch der gegrillten Fleischs und der Brühe lassen mir und mit großer Wahrscheinlichkeit Obama das Wasser im Mund zusammenlaufen. Vermutlich genau so sehr, wie wenn er seine Michelle sieht.
Und dann der Geschmack! Unschlagbar, göttlich und so vielfältig.
Ach je, ich komme ins Schwärmen und unter der Annahme, dass du nicht die Möglichkeit hast, jetzt zu einem Restaurant oder einer Straßenküche zu gehen und eine frische Bun Cha zu genießen, beende ich nun mein Plädoyer für dieses Essen.

Zu sagen bleibt nur noch: Wenn du nach Vietnam und (am besten für Bun Cha) Hanoi kommst, führt kein Weg daran vorbei, das Gericht zu probieren!

Ich habe es gemacht und geliebt.
Obama hat es gemacht und geliebt.
Du wirst es (hoffentlich) machen und lieben!

Alles Liebe von Sophie mit Liebe zu Bun Cha

*Eins darf bei Bun Cha nicht unerwähnt bleiben: Obwohl die Rechtschreibung und das komplette Schriftbild mit den Haken und den Tönen, wie ich es einmal oben verwendet habe, sehr kompliziert aussieht, ist das nicht der Fall. Wenn ich also in der Starßenküche „Bun Tscha“ bestelle, versteht man mich ohne Problem. Wie könnte ich Bun Cha dann nicht lieben!?

Drittes Türchen – Essstäbchen, die Geheimwaffe

Messer und Gabel? Die bekomme ich in so gut wie keinem Restaurant und in Straßenküchen kann ich darauf wirklich gar nicht bauen.

Wie ich dann esse? Mit einem Paar gleichlanger Stäbchen aus Holz oder Bambus.

Genau wie auch in China, Korea und Japan verwendet man in Vietnam für die Essenszufuhr Essstäbchen. Diese Tradition ist schon mehr als 3.500 Jahre alt.

Das war zu einer Zeit, als unsere Vorfahren in Europa noch mit den Fingern aßen. Messer und Gabel, welche wichtiger Bestandteil unserer europäischen Esskultur sind, haben sich erst vor ungefähr 500 Jahren durchgesetzt. Sogar für die hohen Adeligen wie beispielsweise den Sonnenkönig Frankreichs, Ludwig den Vierzehnten, war es normal, sich das Essen mit den Händen zu Munde zu führen.
Christen sahen die Gabel mit ihren drei Zinken als Teufelswerkzeug an. Wenn man darüber nachdenkt – mehr oder weniger – verständlich, da sie wirklich etwas wie ein Teufels-Dreizack aussieht.

Vietnam war lange Zeit von China besetzt und somit wurde auch die Sitte, mit Stäbchen zu essen, übernommen.

Natürlich magst du dich jetzt fragen, wie man denn jedes Essen nur mit Essstäbchen zu sich nehmen soll. Generell lässt sich das gut an der englischen Übersetzung zeigen. Das in „Chopsticks“ enthaltene Wort „chop“ bedeutet im Deutschen so viel wie zerkleinern.
Mit einem guten deutschen Schnitzel (kurze Anmerkung: darauf freue ich mich in Deutschland schon wieder) wäre dies undenkbar. Um zu begreifen, wie das in Vietnam möglich ist, muss man die vietnamesische Essenskultur kennen:
Fleisch, Gemüse und andere größere Zutaten sind entweder so zart gegart oder zubereitet, dass sie mit den Stäbchen mundgerecht zerkleinert werden können oder sie sind bereits klein geschnitten.
Bei Suppen und anderen flüssigen Nahrungsmitteln wird noch ein tiefer Löffel zusätzlich zu den Stäbchen serviert.

Selbst wenn gesagt wird, dass für Vietnamesen nichts mit Essstäbchen unmöglich ist, habe ich noch keinen gesehen, der eine Suppenbrühe damit essen kann.

Bei einem vietnamesischen Kochkurs habe ich zum Beispiel gelernt, dass man mit diesen langen Stäbchen erkennen kann, ob Hühnerfleisch schon fertig gegart ist.

Hier noch ein interessantes Video von YouTube, welches nochmals bestätigt, dass mit Chopsticks wirklich fast alles möglich ist. Auf die Idee, mit Stäbchen einen Geldbeutel aus der Hosentasche zu ziehen, muss man auch erst kommen… Der Kerl mit der blauen Jacke zeigt aber, dass man sowas ziemlich gut machen kann.

Wie ich selbst erkennen musste beziehungsweise durfte, hat das Essen mit Chopsticks einen entscheidenden Effekt: Man isst generell sehr viel langsamer als mit Messer und Gabel. Zwischen den Stäbchen ist es – zumindest für mich – unmöglich, viel Essen auf einmal zum Mund zu transportieren. Dazu kommt leider noch, dass mir viel auch auf dem Weg zum Verzehr wieder auf den Teller fällt. Positiv daran ist definitiv, dass man so sehr langsam und gesund isst, da man das Essen schon im Mund länger vorverdaut und den Magen so weniger beanspruchen muss. Hinzukommt, dass man wegen des langen Prozesses nach weniger Essen schneller satt ist. Zugegebenermaßen kann ich diese positiven Aspekte jedoch nicht erkennen, wenn ich mich beeilen muss. 😉

Meine Essstäbchenkünste verbessern sich von Tag zu Tag. Während meiner ersten Tage in Hanoi habe ich es nur mühsam geschafft, Essen in meinen Mund zu führen und schließlich satt zu werden. Während ich in Deutschland in asiatischen Restaurants die Stäbchen aus Spaß einfach mal ausprobiert habe und danach wieder auf Gabel und Messer umsteigen konnte, besteht in Vietnam diese Möglichkeit nicht. Also musst ich mich mit viel Übung daran gewöhnen. Meine Mitfreiwillige Theresa meinte nach wenigen Tagen in Hanoi „Mir war gar nicht so bewusst, dass man wirklich alles mit Essstäbchen isst. Das hätte ich Zuhause nochmal üben sollen.“

Zu Beginn wurde mir dann oft noch ein Löffel oder – falls das Restaurant welche hatte – eine Gabel gebracht, ohne dass ich darum gebeten habe. Mich mit Essstäbchen essen zu sehen, sah wohl wirklich seltsam aus. Inzwischen darf ich stolz behaupten, dass mir sowas nicht mehr passiert und ich manchmal sogar gelobt werde, wie toll ich mit Stäbchen essen kann. Dann bin ich stolz wie Oskar und im nächsten Moment fällt das Essen doch wieder von den Stäbchen.

Hier ein Bild von Essstäbchen und dem erwähnten Löffel mit übrigens sehr leckerem Essen.

Hier noch einige lustige Infos und Hinweise zu Essstäbchen:

Es gilt als absolut unhöflich, mit den Stächen auf eine Person zu zeigen. Dies ist mit einem schlechten Omen verbunden, was Vietnamesen wegen ihres Aberglaubens vermeiden wollen.

Die Stäbchen nach dem Essen im Topf mit Reis stecken zu lassen bringt ebenfalls Unglück. Ebenso gilt es als Tabu, die Stäbchen nach dem Essen auf dem Schälchen in „V“-Form liegen zu lassen, da dies Unglück bringen soll.

Ein vietnamesisches Sprichwort sagt:

„Wer mit Schale und Essstäbchen umzugehen versteht, weiß auch mit Worten umzugehen.“

Besonders spannend finde ich, was mir eine Kollegin an der Viet Duc Oberschule beim Mittagessen über das Halten der Essstäbchen erzählt hat. Jeder hält seine Stäbchen nämlich verschieden und auch auf verschiedenen Höhen. Wenn ich meine Finger nun beispielsweise sehr nah an den Spitzen der Stäbchen, also nah am Essen halte, bedeutet dies, dass mein zukünftiger Partner oder meine zukünftige Partnerin nah bei mir wohnt. Halte ich die Stäbchen eher am Ende, wird er oder sie weit entfernt von meiner Heimat wohnen.
Ich halte die Essstäbchen meist mittig. Mal sehen, ob sich die Aussage bestätigen wird und ich einen mittel-weit von Lehrberg entfernten Mann heiraten werde.

Viele Grüße und einen schönen ersten Advent wünscht

die Jeden-Tag-Essstäbchen-Taktik-Übende Sophie

PS: Natürlich könnte ich dir jetzt noch ein Tutorial über die richtige Benutzung von Essstäbchen als Youtube-Video zeigen. Aber ganz ehrlich, die Hauptsache ist, dass du das Essen von deinem Teller in deinen Mund bekommst. Wenn man dazu gezwungen wird, dann geht das auch!

 

 

Meine Sammlung kleiner Glücksmomente

Hallo da draußen!

Vor ein paar Tagen bin ich lächelnd durch die Straßen Hanois getänzelt, habe mich über den Sonnenschein und die letzten Wochen (morgen ist es ein Monat, irgendwie kann ich es gar nicht fassen!?) in Hanoi gefreut. Inzwischen regnet es jeden Tag, aber das mit dem Lächeln und Tanzen wird so beibehalten.

„Ich bin wirklich glücklich!“

Man mag es nicht glauben, aber es stimmt. Ich bin glücklich.

In den letzten vier Wochen habe ich so viel erlebt, was ich hier alles gar nicht niederschreiben kann oder will. Ich hoffe mal, ihr verzeiht mir das; aber alles ausführlich zu schildern würde für mich Ewigkeiten zum schreiben dauern und für euch mindestens genau so lang zum Lesen. Also hier ein kurzer Überblick über mein Leben in Hanoi, meine Erfahrungen und vor allem meine Sammlung kleiner Glücksmomente:

Gerade denke ich an meine ersten Studen in Hanoi:

Die Freude, durch die Pass- und noch viel spannender – die Visumskontrolle gekommen zu sein.

Der Moment, mit dem zum Glück heil angekommenen Gepäck aus dem Flughafengebäude zu treten und von einem Schwall feucht-warmer Luft erschlagen zu werden.

Die erste Fahrt durch die Straßen dieser summenden, surrenden und hupenden Stadt.

Das erste vietnamesische Essen in einem kleinen Lokal auf einem Balkon, bis ein heftiger Regenschauer unsere sehr leckere Mahlzeit störte und wir innen weiteressen mussten. Und übrigens später auch durch diesen strömenden Regen zurück zum Hostel rennen mussten.

 

Die nächsten Tage habe ich mit der Wohnungssuche verbracht:

Nach gefühlten 30.000 Besichtigungen haben Nour, Theresa und ich doch noch ein ganz akzeptables Haus gefunden. Jede von uns drei Mädels hat ein Schlafzimmer und ein kleines Badezimmer. Wir haben eine schöne Küche und zu allem Luxus sogar zwei Dachterrassen. So kann man es sich gut gehen lassen. Bedenklich sind die Vermieterin und die Eidechsen, die sich als Mitbewohner herausgestellt haben. Mal sehen, wie sich das entwickeln wird.

Das Haus ist in einer kleine Gasse und in einem Hof mit verschiedenen anderen Häusern und Mitbewohnern. Diese grüße ich jeden Morgen und Abend mit einem Lächeln und einem „xin chao“. Sehr viel mehr als diese Standardfloskeln und bis 10 zählen kann ich in Vietnamesisch leider noch nicht. Trotz dem Interesse an dieser Sprache, hält mich die Intonation schon wirklich ab… hoffentlich, ändert sich das bald. Mit Englisch kommt man nämlich in den Nicht-Touri-Gegenden nicht sonderlich gut weiter.

Nicht ganz so toll ist höchstens die Entfernung zur Altstadt und meiner Schule, weshalb ich jeden Tag mindestens 7 km Strecke zurücklege. Mein Rekord waren 17,2 km. Das Fitnessstudio kann ich mir so auf jeden Fall schenken.

 

Ich denke zurück an viele Glücksmomente:

Die erste Fahrt auf einem Moped. Zugegeben, selbst gefahren bin ich nicht. Das würde ich mich bei dem verrückten Verkehr in Hanoi aber ehrlich gesagt auch nicht trauen. In meinem Reiseführer steht bei den Tipps für den Aufenthalt in Vietnam beispielsweise: „Auf den chaotischen Verkehr samt Motorradschwärmen biblischen Ausmaßes muss man sich einstellen. Ruhe bewahren und tief durchatmen!“. Zuerst habe ich das nicht geglaubt, aber inzwischen habe ich wirklich sehr großen Respekt vor den vielen Mopeds und Autos, die über die oft engen, aber definitiv immer vollgestopften Straßen sausen. Meine Taktik: nicht auf die Ampeln vertrauen, sondern lieber auf erfahrene Vietnamesen, die mit die die Straße überqueren und hoffen, dass sie sich besser mit dem Verkehr auskennen. Und sich nach jeder geglückten Straßen-Überquerungs-Mission wie eine Schneekönigin freuen.
Bei einer Wohnungsbesichtigung fand also unsere erste Mopedfahrt statt. Eine Maklerin wollte uns an einer bestimmten Adresse treffen. Wir haben diese Adresse trotz einiger Hilfe durch diverse Apps nicht finden können. Zum Glück hat uns dann die Maklerin gefunden. Kurzerhand saßen wir dann zu dritt auf dem Moped und sind durch sehr enge Gassen einer etwas abgelegenen Siedlung gedüst. Vor jeder Kreuzung hat die Dame gehupt und so signalisiert, dass ihr niemand einfach so entgegenkommen darf. In dieser Siedlung waren aber wirklich viele Schlaglöcher und Beulen, wodurch das Fahrterlebnis nochmal gesteigert wurde. Die Angst, dass etwas passiert jedoch auch.
Inzwischen gehört das Moped-Beifahrer-Sein zu meinem Alltag. Wenn man etwas spät dran ist oder sehr weite Entfernungen zu bewältigen hat, helfen Uber oder Grab super. Trotz großer Verständigungsschwierigkeiten – die wenigsten Fahrer verstehen Englisch – bin ich immer am gewünschten Ziel angekommen. Mal früher, mal später.

Ein Basketballspiel von Hanoi gegen Saigon: Ein Vietnamese, den ich durch ein Inserat auf Facebook kennengelernt habe, hat mich und meine Mitbewohnerinnen kurzerhand zu einem Basketballspiel eingeladen. Er hat Freikarten bekommen und wollte uns mitnehmen. Es war ein Spiel wie im Bilderbuch. Hanoi lag das ganze Spiel knapp vorm Rivalen Saigon. 14 Sekunden vorm Spielende hat Saigon dann die Führung erlangen könne. Innerhalb der letzten 13 Sekunden hätte Hanoi also einen Korb für den Sieg werfen müssen. Alle Hanoier – inklusive uns neuen Hanoiern – haben so mitgefiebert und fast wäre der Sieg geglückt. Leider hat sich der entscheidende Spieler zu viel Zeit gelassen und so hat Hanoi verloren. 72:73, denkbar knapp. Dennoch war es ein Spiel voll von Energie und Begeisterung. Ich muss sagen, ich habe zuvor noch nie ein Basketballspiel erleben können und dachte auch nicht, dass mich sowas interessieren würde. Nach den ersten Sekunden war ich aber Feuer und Flamme für die Hanoi Buffallos, habe „Let’s Go, Hanoi, let’s go!“ mitgeschrien und bei jedem Korb mitgejubelt.
Erstaunt bei diesem Spiel hat mich einfach, wie verbunden ich mich dabei mit Hanoi gefühlt habe. Noch keinen Monat in der Stadt und schon vollauf begeistert.

Ein Taxifahrer. Während meiner Zeit im Hostel, bin ich jeden Morgen an der gleichen Kreuzung kurz vor der Viet Duc Schule vorbeigelaufen. Nach einer Straßenüberquerung und circa vierzig Metern war ich dann bei der Schule. An jener Kreuzung lag jedoch nun jeden Tag ein Taxifahrer auf seinem Moped und hat mich gefragt „Taxi!?“. Ich habe ihm beim ersten Mal erklärt, dass mein Arbeitsplatz nicht mal eine Minute zu Fuß entfernt sei. Das hat er dann eingesehen und mich weitergehen lassen.
Am nächsten Morgen bin ich wieder an die Kreuzung gekommen und er hat erneut „Taxi!?“ gefragt. Ich wollte ihm wieder erklären, dass die Schule nur wenige Schritte weiter sei. Er hat mich aber wiedererkannt und wissend gelächelt.
Den Morgen danach musste ich das gar nicht mehr erklären, was mir sein lustiges Lächeln schon gezeigt. hat.

Mein Alltag in Hanoi wird genau durch solche tollen Erfahrungen und Begegnungen bereichert.

Sei es ein anderer Taxifahrer, der mir trotz meines „No, thank you“ zum Angebot für eine Taxifahrt ein „I love you“ hinterherruft. Sei es ein Schüler, der mit mir eine Brieffreundschaft begonnen hat, bei der ich seine Briefe korrigiere und ihm dann mit einem eigenen Brief antworte. Sei es ein Schüler, der mir stolz seine Tanzgruppe in der Schule zeigt und mir mit eben dieser eine Privataufführung liefert. Sei es ein Abend im Open-Air-Jazz-Club, der wegen strömenden Regens zu einer nassen Angelegenheit wurde, bei der wir im bis zu unseren Knöcheln reichenden Wasser getanzt haben. Sei es ein Mann am Hoan-Kiem-See, der mich wegen einer Mopedtour durch Hanoi anspricht, ich wegen der Arbeit ablehnen muss und er mir trotzdem eine wundervolle Zeit und einen vietnamesischen Freund wünscht, weil ich ja „so beautiful“ sei. Seien es zwei vietnamesische Studenten, die sich mit mir in der Mittagspause nett unterhalten, um ihre Englisch-Kenntnisse zu vebessern. Sei es ein Treffen mit einem Vietnamesen, der mich mit dem Moped durch Hanoi fährt und zu einem leckeren kleinen Restaurant mit Pho, welche im Wohnzimmer der Familie serviert wird, einlädt und mir danach sein Lieblings-Cafe zeigt. Sei es eine vietnamesische Lehrerin, die mir von ihren Plänen, nach Deutschland auszuwandern, erzählt und mir ihre Hilfe bei allen Problemen anbietet. Sei es der Geburtstag eines Schülers, der eine Torte geschenkt bekommen hat, diese mit allen geteilt hat und sich sehr über meinen deutschen Glückwunsch „Alles Gute zum Geburtstag“ sehr gefreut hat. Sei es ein Schüler, der mir erklärt hat, ich sei eine Berühmtheit in der Viet Duc Schule und sogar seine Literaturlehrerin hätte gesagt, ich sei so hübsch.

Ihr seht schon, so könnte es noch ewig weitergehen. Ich möchte jetzt aber niemandes Zeit weiter in Anspruch nehmen und werde mich (hoffentlich) bald wieder melden.

Bis dahin sage ich „Tam Biet“ und wünsche euch eine genau so aufregende Zeit, wie ich sie erleben darf.

Eure Sophie

 

Zur Werkzeugleiste springen