Fünftes Türchen – Home Sweet Home

„Wann kommst du denn nach Hause?“
„Sollen wir uns Zuhause treffen?“
„Ach, das brauchen wir jetzt nicht zu kaufen, haben wir doch schon daheim“

Das sind einige der Whatsappnachrichten, die ich mit meinen beiden Mitbewohnerinnen Nour und Theresa geschrieben habe.

Ungefähr 3 Monate – ja, es ist schon Halbzeit und ich kann es selbst nicht fassen – bin ich hier und spreche von „meiner“ Wohnung als „Zuhause“. Als mir das zum ersten Mal aufgefallen ist, war ich richtig schockiert.
Mein Zuhause ist doch in Lehrberg, im schönen Frankenland und nirgends sonst!

Irgendwie stimmt das aber doch nicht so ganz. Klar, Lehrberg ist und bleibt mein Zuhause Nummer eins, aber die Wohnung in Hanoi ist ja doch mein temporäres Zuhause.

Heute möchte ich dir vorstellen, wo ich in Hanoi wohne.
Auf Vietnamesisch heißt das: „Toi song o dau Nguyen Thai Hoc“. Ich wohne in der Nguyen Thai Hoc Straße.

Früher haben wir in der Schule oft Traumreisen gemacht, dass man sich entspannt und danach motivierter weiterlernen kann. Ich möchte mit dir heute eine Traumreise durch das Haus, in dem ich wohne, machen:

Du wirst ganz still und entspannst dich. Du atmest tief durch und beginnst deine Reise, indem du deine Augen schließt. Nein Stopp, das ist mit Lesen etwas blöd! Also mach deine Augen bitte wieder auf! Jetzt kann deine Reise beginnen…

Stell dir vor, du bist in Hanoi. Du bist nach einem anstrengenden Arbeitstag 40 Minuten zu (d)einer Wohnung gelaufen (so lang ist mein Arbeitsweg jeden Tag), über holprige Gehwege, hast verschiedene gefährliche Straßen erfolgreich passiert und kommst dann in die Nguyen Thai Hoc Straße kurz vor dein Ziel.

Wenn du vom Gehweg der Nguyen Thai an einer Straßenküche vorbei in eine schmale Gasse einbiegst, kommst du zu einem dreistöckigen Haus. Jeden Tag läufst du an der Straßenküche vorbei. Du grüßt die Leute, die dort arbeiten mit einem freundlichen „xin chao“ und hast dort auch schon einige Male gut gegessen. Trotzdem fühlst du dich etwas schlecht, weil du doch meistens keine My Van Tan Suppe bei deinen Nachbarn isst.

Verriegelt mit einem Eisenvorhang, für den du eine Fernbedienung brauchst, erkennst du den Eingang zu diesem dreistöckigen Haus fast gar nicht.

Da du eine eben solche Fernbedienung hast, rattert der Eisenvorgang langsam nach oben und du kannst nach dem Öffnen der Tür in den Eingangsbereich treten, der zugleich die Küche ist.

Du ziehst deine Schuhe aus und siehst dir die Küche an. Auf der linken Seite direkt neben der Tür steht ein moderner Kühlschrank. Leider ist er meist nicht so toll bis gar nicht gefüllt, wie man sich das wünschen würde. Die Bewohner dieses Hauses, drei kulturweit-Freiwillige namens Nour, Theresa und Sophie, essen einfach zu gern vietnamesisches Essen und dieses selbst zu kochen, wäre mit Sicherheit nicht so lecker wie von einem der vielen Straßenstände in Vietnams Hauptstadt.
Rechts neben dem Kühlschrank befindet sich ein kleiner Raum mit Toilette, die aber nur in den dringendsten Fällen benutzt wird.
Daneben ist die große Küchenanlage in dunkelbraunem Holz. Sie sieht zwar gut aus, aber leider ist sie nicht sonderlich gut bestückt. Hättest du zum Beispiel dran gedacht, zuerst in der nach Aussagen unserer Vermieterin „Fully Equiped Kitchen“ nach Gabeln und Löffeln zu suchen, wenn du spontan für eine ganze Gruppe von Leuten kurz nach dem Einzug Spaghetti kochst? Erstaunlicher- und glücklicherweise lassen sich diese auch gut mit Essstäbchen essen…
Ein großer Esstisch mit Glasplatte und sechs Stühlen lädt dazu ein, sich für einen Filmeabend mit Snacks zu setzen und gemeinsam über die gleichen Witze zu lachen.

Du willst aber nicht in der Küche bleiben, denn du willst weiter in eines der Zimmer. Nachdem du die engen Stufen zum ersten Stock erklommen hast, stehst du vor der Tür zu Theresas Zimmer.
Meiner Meinung nach ist das Zimmer von Sophie aber irgendwie interessanter, also laufe nochmal einige Stufen nach oben.
Im zweiten Stockwerk zu linker Hand siehst du noch eine Tür, die zu Nours Zimmer führt.

Aber wie gesagt – da möchtest du gerade nicht hin. Du nimmst also die Tür geradeaus und trittst in ein ziemlich kleines, aber durchaus nettes Zimmer.
Die Wände sind weiß gestrichen und auch sonst ist das Zimmer schlicht gehalten. Ein großes Kingsizebett, dessen Matratze nicht mal 10 Zentimeter dick ist und by the way dadurch ziemlich unbequem, steht in der einen Ecke des Zimmers. Ein weisses Moskitonetz hängt darüber und wie es da so hängt, denkst du dir, dass es ein bisschen an einen Baldachin oder ein Himmelbett erinnert.
Ein großer weisser Schrank mit aufgedruckten grünen und blauen Fischchen nimmt sehr viel Platz im Zimmer ein, es beinhaltet aber auch einige Kleidung, von daher ist das okay. Dieser Stoffschrank soll dagegen helfen, dass die Kleidung während der feuchten Jahreszeit nicht anfängt zu schimmeln. Ob das so klappt, mal sehen.
Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop, der nur darauf wartet, einen neuen Blogartikel eingetippt zu bekommen, Nachrichten zu recherchieren oder E-Mails zu versenden.
Die drei Vietnam-Reiseführer auf dem Schreibtisch sind bereit, dass sie aufgeschlagen werden und das nächste Reiseziel gewählt wird.
Der meist unordentliche Schreibtisch wimmelt außerdem von Erinnerungen an ein Musik-Festival, einen Ausflug nach Ninh Bin, nach Sapa, Saigon oder einen Kochkurs.
Dir fällt eine kleine, unscheinbare Tür auf. Du öffnest sie und stehst in einem kleinen Räumchen. Ein Schritt und du bist bei der Toilette. Ein Waschbecken fehlt. Die Dusche lässt sich nur nach langem Hinsehen definieren, indem du den Duschkopf erkennst. Wenn du dich hier duschst, ist danach der ganze Raum nass, aber so groß ist er ja schließlich nicht.
An der Wand hängt eine Art Plastik Regal, welches verschiedene Hygieneartikel wie Shampoo, Zahnpasta, Lippenpflegestifte und vieles mehr trägt.

Du gehst zurück in den größeren Raum und von diesem aus wieder ins Treppenhaus, wo du nochmal einige Treppenstufen hinaufsteigst. Oben findest du eine Waschmaschine, die zwar wohl Heißwasser haben soll, aber dennoch nicht gut wäscht, und zwei Metalltüren. Hinter jeder Tür verbirgt sich eine Dachterrasse, auf der man gut und gerne entspannen könnte – würde man sich die Zeit dafür nehmen. Praktisch sind die Terrassen aber allenfalls, da man dort die nasse Wäsche aufhängen kann.

Nun kennst du die Räume in dem Haus, in dem ich mit Theresa und Nour wohne.

Aber halt! Das sind noch nicht alle Mitbewohner. Nour und Theresa habe ich ja schon erwähnt. Wir haben in unserem Haus aber noch einige andere unerwünschte Kameraden. Wie wahrscheinlich in jedem südostasiatischen Land dürfen wir eine hohe Zahl von Stechmücken vermelden. Fast noch schlimmer finde ich jedoch Kakerlaken. Bis jetzt war es nur eine und ich wäre froh, wenn es auch bei dieser einen bleiben würde. Theresa hat sie eines Morgens auf dem Rücken liegend entdeckt und todesmutig – wie ich finde – in einem Essschälchen gefangen. Mit einem speziellen Mittel und viel Ekel haben wir das Tier erfolgreich bekämpft und aus dem Haus befördert. Obwohl das Vieh so winzig ist und eigentlich nichts fatales machen kann, war die Furcht unsererseits bestimmt genau so groß wie ihrerseits.
Die aber wohl unangenehmste Mitbewohnerin ist unsere Vermieterin, die trotz ihres stetigen Abstreitens im Gebäudeteil direkt neben uns wohnt und unsere Küche und sogar die Waschmaschine fleißig mitverwendet. Natürlich auf unsere Kosten.

Und doch – so ekelhaft und nervenaufreibend diese Mitbewohner auch sind – fühlt es sich wie mein „Zuhause“ auf Zeit an. Ich bin mir sicher, ich will hier nicht für immer bleiben. Bestimmt nicht. Aber für die Zeit ist es perfekt. Perfekt mit all seinen Besonderheiten, perfekt mit dem leeren Kühlschrank, mit der unausgestatteten Küche, mit dem winzigen Bad ohne Waschbecken, mit den vielen Mitbewohnern und der schlecht waschenden Waschmaschine.
Perfekt für die nächsten knapp drei Monate.

Aber ich kann jetzt schon sagen. Auf mein richtiges Zuhause freue ich mich viel mehr!

Viele Grüße nach Hause sendet
Sophie

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