Zwischen hier und dort

Jetzt sind es nur noch acht Wochen, bis meine Zeit in Bulgarien zu Ende geht und ich zurück nach Deutschland fliege. Wie schnell die Zeit doch vergeht! Der erste Abschied liegt bereits hinter mir: Am Montag fand der bulgarische Volkstanzkurs zum letzten mal statt. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das so traurig machen würde. Besonders nicht, weil die Ängste anfangs so stark waren und ich mich fast nicht wieder hin getraut hätte. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich es doch gemacht habe! Besonders in den letzten Wochen hat es immer viel Spaß gemacht, weil ich mittlerweile von einigen Tänzen die Schritte kenne und auch bei neuen Tänzen schneller mitkomme. Der Tanzkurs kommt auf jeden Fall auf meine Liste mit den Dingen, die ich vermissen werde…

»Die letzten Wochen muss ich jetzt unbedingt genießen und nutzen, um noch viel zu erleben!«, ist ein Gedanke, der in meinem Kopf rumschwirrt und mehr Druck als Freude auslöst. Denn irgendwie fällt es mir sehr schwer, mich auf die restlichen Wochen einzulassen, wenn so viel Unsicherheit in mir ist, wie es danach weitergeht. Die Masterbewerbungen sind verschickt, aber mir würde es doch deutlich besser gehen, wenn ich jetzt schon wüsste, ob ich für meinen Wunschstudiengang genommen werde und in welcher Stadt ich dann ab Oktober wohnen werde. Da ich mich wohl noch einige Wochen lang gedulden muss, bis sich diese Unsicherheiten auflösen, wäre es aber auch schade, wenn mich das davon abhält, die restliche Zeit in Bulgarien zu genießen.

Und weil man sich genießen eh nicht vornehmen kann, werde ich die nächsten Wochen wohl einfach auf mich zukommen lassen und versuchen, die kleinen schönen Momente mit meinem Herzen zu spüren und in Erinnerungen aufzubewahren.

Eine Reise nach Велико Търново

Anfang Mai bin ich übers Wochenende nach Weliko Tarnowo gefahren. Da hier in Bulgarien an dem Montag (06. Mai) ein Feiertag war, habe ich mich dazu entschieden gleich zwei anstatt nur eine Nacht in der Stadt zu verbringen, die früher einmal die Hauptstadt Bulgariens war.

Weil der Sofioter Busbahnhof sehr verwirrend ist und ich bisher jedes Mal am falschen Teil des Bahnhofs stand, bin ich am Samstag Morgen frühzeitig losgegangen. Dort angekommen musste ich meine reservierten Tickets abholen und die Frau am Schalter hat glücklicherweise dazu gesagt, an welchem Bussteig der Bus abfährt, sodass ich zum ersten Mal direkt am richtigen Ort war.

Die Busfahrt dauerte knapp vier Stunden und ich war sehr erleichtert, als ich heile in Weliko Tarnowo angekommen bin. Daran hatte ich zwischendurch nicht so wirklich geglaubt, als unser Bus anfing die Straße mehr entlang zu hoppeln als zu fahren. Er wurde zwar langsamer und hat kurz am Seitenstreifen gehalten, dann aber die Fahrt fortgesetzt. Um nicht total in Panik zu versinken, jeden Moment in diesem Bus zu sterben, habe ich versucht, meine Aufmerksamkeit auf die schöne Landschaft neben uns zu lenken. Berge, Bäume, so viel grün!

Den Nachmittag verbrachte ich dann damit, bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel die Festung Tsarevets zu erkunden und von dort aus die Aussicht zu genießen. Wenn ich meine kurze Reise in einem Wort beschreiben müsste, dann wäre es wahrscheinlich die Farbe Grün. Um 19 Uhr gab es dann im Hostel ein gemeinsames Abendessen mit allen Hostelgästen, wo ich mich ein paar anderen Leuten angeschlossen habe, mir später noch eine Lichtershow anzuschauen, bei der die Festung in verschiedenen Farben angestrahlt wurde.

Am nächsten Tag habe ich vormittags die Free Walking Tour mitgemacht. Dabei zogen sich immer mehr graue Wolken am Himmel über uns zusammen, die sich am Nachmittag zum Glück wieder verzogen haben, sodass ich bei gefühlten 30 Grad mein erstes Eis für dieses Jahr genießen konnte und dabei sehr in Urlaubsstimmung gekommen bin.

Als ich mich dann am Montag gerade gemütlich mit einem Buch in einen Park gesetzt hatte, fing es leider in Strömen an zu regnen, hörte den ganzen Tag nicht wieder auf und wurde später durch ein Gewitter nur noch verstärkt. Völlig durchnässt verbrachte ich den Tag dann also hauptsächlich damit, am Busbahnhof zu sitzen, mein Buch dort zu lesen und zwischendurch eine Banitsa zu essen, bevor es wieder zurück nach Sofia ging.

[P.S.: Die Fotos von meiner Kamera folgen nächste Woche.]

Eine kleine Angstgeschichte

[Beitrag ist bereits veröffentlicht auf: Lebensmutig. Junge Selbsthilfe Blog]

Ende Februar: Heute steht die Jurorenschulung für einen Debattierwettbewerb bevor. Ich überlege schon die ganze Zeit, ob ich überhaupt dorthin gehen oder besser absagen soll. Als Juror hat man nämlich auch die Aufgabe einem der Debattierenden eine kurze Rückmeldung zu geben. Es sind zwar nur wenige Sätze, die man sagen muss – für meine Ängste ist das aber schon eine scheinbar niemals überwindbare Herausforderung. Ich entschließe mich dann doch dazu, hinzugehen und dem ganzen eine Chance zu geben. Am Ende der Schulung stellen vier Teilnehmende eine Debatte nach und wir müssen das Bewerten und die Rückmeldung üben. Das bedeutet: vor der ganzen Gruppe sprechen. Als meine Gruppe dran ist schaffe ich es irgendwie schnell meinen Text zu sagen, um mich möglichst schnell wieder zurück auf meinen Platz setzen zu können. Mein Gedanke am Ende: »Ich würde es gerne schaffen, bei einer Debatte als Jurorin tätig zu sein. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich es schaffen werde. Bis zum Sommer ist ja noch ein bisschen Zeit. Bis dahin haben die Ängste hoffentlich ein bisschen abgenommen…«

Mitte April: Vor ein paar Tagen habe ich eine E-Mail in meinem Postfach gelesen – es wird noch ein Jurymitglied für ein Verbundfinale gesucht. Nach viel hin und her überlegen sage ich zu und nun stehe ich hier mit wackligen Knien vor dem Deutschraum und warte darauf, dass die Veranstaltung beginnt. Ich muss zugeben, es ist eine sehr spannende Erfahrung so eine Debatte zu jurieren und ich bin froh, diese Erfahrung machen zu dürfen. Wenn da nur bloß nicht diese Rückmeldungen wären… Da es zwei Debatten gibt, muss ich auch zwei Rückmeldungen geben. Zum Glück stehen wir am Rand und nicht vorne und ich habe die Wand hinter mir, die mir ein bisschen Sicherheit gibt. Mit zitternder Stimme gebe ich meine Rückmeldung und komme mir ziemlich blöd vor, als ich sagen muss: »Unser Tipp an dich wäre, dass du dich beim nächsten mal noch selbstbewusster in die Debatte einbringst«, während ich mit jedem Wort kämpfe. Mein Gedanke am Ende: »Noch einmal werde ich das nicht machen. Das schaffe ich nicht.«

Vor zwei Wochen: Ich sehe eine E-Mail in meinem Postfach. Die Besetzung für das Landesfinale. Und meinen Namen unter den Juroren. Ein großer Kampf bricht in mir aus: Ich möchte es so gerne schaffen. Ich habe Angst es nicht zu schaffen. Ich möchte die Ängste nicht gewinnen lassen. Alle anderen schaffen es auch – schon wieder eine Aufgabe, der ich durch die Ängste nicht gerecht werden kann. Gleichzeitig ist mein Wille, es doch zu schaffen, aber auch so groß. Doch mit meinem Gewissen kann ich es nicht vereinbaren – es ist besser eine selbstbewusstere und kompetentere Person zu nehmen. Das schreibe ich auch der zuständigen Kollegin und habe große Angst vor ihrer Reaktion.

Ein paar Tage später: Meine Angst in Bezug auf die Reaktion der Kollegin waren völlig umsonst. Sie ist sehr lieb und verständnisvoll und ermutigt mich sehr, mich für meinen Willen und gegen die Ängste zu entscheiden. Sie nimmt sich sogar die Zeit, um die Situation einmal mit mir zu üben, damit ich ein bisschen mehr Sicherheit habe.

Gestern: Das Landeshalbfinale findet heute statt und meine Aufgabe ist es zum Glück nur ein paar Fotos zu machen. Während ich in dem Veranstaltungsraum mit den vielen Menschen stehe, merke ich, wie sich allein dadurch schon starke Angstgefühle in mir ausbreiten. Mein Gedanke am Ende: »Oh je, wie soll ich das morgen bloß überleben?! Wie konnte ich bloß denken, dass mein Wille stärker sein kann als die Angst?!«

Heute: Ein so starkes Gefühl von Aufregung gemischt mit Angst habe ich schon lange nicht mehr gespürt. Meine Beine sind wacklig, ich habe Bauchweh, mir ist mal heiß, mal kalt, ich schwitze, vergesse regelmäßig zu atmen und habe das Gefühl, dass ich den Tag nicht überleben werde, weil mein Herz sicherlich vor Angst irgendwann einfach aufhört zu schlagen. Vor Ort wird es ein wenig besser. Der Smalltalk mit einem anderen Juror lenkt mich etwas ab und mein Körper entspannt sich wieder ein bisschen. Erst während der Juryberatung werde ich nach und nach wieder nervöser. Die Zeit rennt und die Zeit, um die Rückmeldungen vorzubereiten wird immer weniger. Als wir uns vorne an die Mikrofone stellen, ist die Angst mit all ihren Kräften wieder da. Ich habe das Gefühl, jeden Moment umzukippen, was meine Ängste noch mehr verstärkt. Als viertes bekomme ich das Mikrofon in die Hand. Meine Beine zittern, meine Stimme zittert und ich bin froh, als ich das Mikrofon weitergeben kann. (Und noch mehr, als wir von dort vorne wieder verschwinden dürfen.)

Meine Gedanken jetzt am Ende: Ich hätte niemals gedacht, dass ich das schaffen werde. Ich versuche, nicht auf die Gedanken zu hören, die mir sagen „Jeder konnte mir die Angst ansehen. Jeder denkt jetzt schlecht über mich“, sondern mich zu freuen, dass ich auf beiden Beinen stehen geblieben bin, meine Sätze gesagt habe und mich meiner riesig großen Angst gestellt habe.

Wandern im Grünen

Was ich besonders an Bulgarien mag: dass man von überall die Berge sehen kann. Außer an grauen Tagen, wenn die Wolken auf den Häuserdächern liegen und alles eine große graue Fläche ist. Umso schöner ist es dann, wenn sich der graue Nebel wieder verzieht und und sich die grünen Berge am Stadtrand abzeichnen.

Nachdem ich bereits seit neun Monate hier bin und mir schon so oft vorgenommen habe, mal einen Tag lang dort wandern zu gehen, habe ich es nun letztes Wochenende auch endlich mal geschafft. Es tat so gut, einen Tag in der Natur zu verbringen.