Lehrerkonzert

In den letzten Monaten habe ich zum Glück die Möglichkeit gehabt, Musik zu machen. Nachmittags und Abends habe ich das Schulklavier nutzen dürfen und eine Lehrerin, die ihrerseits sehr gut Klavier spielt, hat mir sogar ihr Cello ausgeliehen. Regelmäßig haben wir zusammen Musik gemacht und teilweise im Gottesdienst gespielt; schließlich sind wir auf die Idee gekommen, ein Konzert zu geben. Im Lehrerkollegium haben sich mehrere bereit erklärt, daran mitzuwirken, sodass wir schließlich ein buntes Programm zusammengestellt haben mit Stücken europäischer Komponisten aus verschiedenen Epochen (u.a. Beethoven, Dvořák, Debussy) sowie traditioneller südamerikanischer Harfenmusik (Daniel Alomía Robles, Néstor Zavarce). Gestern Abend haben wir das Konzert präsentiert und uns gefreut, dass es so positiv angenommen worden ist.
Für mich war es auch eine Art Abschiedsfeier, weil ich am Montag schon nach Deutschland zurückfliege. Dort wird am Monatsende ein 5-tägiges Nachbereitungsseminar stattfinden, auf dem sich wieder die Kulturweit-Freiwilligen, die sich im vergangenen Jahr über die Welt verteilt haben, treffen.

Winter in Ostparaguay

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Fahrradauflug mit der dritten Klasse Anfang Juli

Das erste Schulhalbjahr 2016 am Colegio ist vorüber. Drei Wochen lang haben die Schüler aller Jahrgangsstufen ihre abschließenden Examen geschrieben und sind anschließend in die wohlverdienten zweiwöchigen Winterferien entlassen worden.
Das Wetter ist unberechenbar und geprägt von abrupten Temperaturstürzen, stürmischem Wind, Gewittern, Regenfällen, Hitze und gelegentlichem, nächtlichem Frost. Dieser hat die Landschaft gezeichnet; das satte Grün der Wiesen ist verschwunden und zurück bleibt steppenartiges, trockenes Weideland. Nachts kann es durchaus hin und wieder ungemütlich werden, denn auf Frost sind die Häuser nicht ausgelegt: Oft ist weder Heizung noch Kamin vorhanden. Die Wände sind dünn; die Fenster dichten nicht ab. Durch die Kälte sind Stechmücken und sonstige Insekten deutlich weniger geworden – eine angenehme Begleiterscheinung des Winterwetters.
Gutes Wetter (auch im Winter sind Episoden von 35 Grad Höchsttemperatur keine Seltenheit) wird begeistert ausgenutzt. Die Bauern holen das Heu ein und die mennonitische Gemeinde feiert aufwändig das Erntedankfest. Es gibt einen Gottesdienst mit anschließendem Festmahl und eine Auktion, bei der Vieh versteigert wird. Ende Juni wird der lokale Feiertag des Distriktes um Itacurubí del Rosario gefeiert. Zu diesem Anlass finden sich Delegationen aller Schulen aus der Umgebung (es sind über 100) in dem kleinen Ort ein; es gibt einen Festakt mit feierlichen Reden und anschließend eine Parade, bei der die Schulen aufmarschieren. Das mennonitische Colegio ist mit seiner Sekundarstufe vertreten.
In der Schule decken wir das Dach des Spielhäuschens aus Recycling-Materialien, das schon seit einigen Monaten unvollendet im Schulgarten steht und mit der dritten Klasse unternehmen wir an einem sonnigen Vormittag eine große Fahrradtour.

Rasend schnell sind die letzten beiden Monate vergangen, die ich hier so kurz zusammenfasse. Um einige Einblicke zu ermöglichen, füge ich Bilder an.

Mauern, Stacheldraht und Glasscherben

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Paraguay hat knapp sieben Millionen Einwohner und eine Bevölkerungsdichte von 16 Einwohnern pro Quadratkilometer. Nur zum Vergleich: In Deutschland liegt die Bevölkerungsdichte bei 229. Asunción, die Hauptstadt, ist mit mit etwas mehr als einer halben Millionen Einwohner die mit Abstand größte Stadt des Landes. Hier sammelt sich das Kondensat der paraguayischen Gesellschaft – Menschen aus allen Gesellschaftsschichten leben hier nebeneinander.
Es ist nicht so, als gäbe es in Europa keine Armut – im Gegenteil. Doch es ist dort leicht, sie zu übersehen. In Paraguay ist die arme Bevölkerung die Mehrheit. Sie existiert neben den Gated Communities, den teuren Shopping Malls und den verglasten Hochhäusern von Banken und ausländischen Firmen. Bürger der reichen Oberschicht versuchen ihre Dank liberalen Bauvorschriften oft Märchenschlössern ähnelnden Prachtbauten gegen Gewalt und Kriminalität, vielleicht auch gegen den Müll und Schmutz der Stadt abzuschotten. Meterhohe Mauern ragen auf, gesäumt von Stacheldraht oder Glassplittern und unterbrochen durch überdimensionierte Stahlpforten, die mit Nummerncodes gesichert sind. Dahinter lassen stuckverzierte Dachfirste und die Spitzen korinthischer Marmorsäulen die Pracht der hinter den Mauern liegenden Anwesen erahnen.

Jenseits der Mauern leben Menschen im Elend – zumindest unter materiellen Gesichtspunkten. Läuft man am Armutsviertel, das nahe dem Ufer des Río Paraguay liegt, entlang – zur Rechten die kleinen, provisorisch errichteten Holzhütten, zur Linken die verspiegelte Glasfensterfront des hoch aufragenden Nationalkongressgebäudes, nur wenige Meter entfernt der Regierungspalast – ist der Kontrast unübersehbar. Die zwischen den Hütten zum Trocknen aufgehängte Wäsche flattert im Wind, Kinder spielen Volleyball, Erwachsene sitzen auf Klappstühlen daneben, lauschen der Musik aus einem Kofferradio und reichen eine Guampa mit Tereré herum. Dieses Getränk kennt keine Gesellschaftsschichten.

Reise nach Argentinien – einige Eindrücke

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Busreise

Um die Mittagszeit steigen wir am Terminál in Asunción in den Bus. Vor uns liegen 21 Stunden Fahrt bis nach Córdoba. Vor allem in Paraguay, wo es keinerlei Züge gibt, aber auch in Argentinien ist der Bus das öffentliche Verkehrsmittel der Wahl. Es gibt ein engmaschiges Liniennetz und regelmäßige Abfahrtszeiten. Am Anfang verwirrt uns die Vielzahl verschiedener Busunternehmen, die am Terminál ihre Tickets anbieten – schließlich bieten sie alle unterschiedliche Routen an und es gibt keinerlei Preisbindung.
Die Busse sind meist zweistöckig und es kann zwischen zwei Komfortklassen gewählt werden (Cama bzw. Semi Cama). Oft kommt es vor, dass Händler zusteigen und ihre Waren an die Passagiere verteilen. Nach einer Weile werden die Alfajores (Kekse mit Dulce-de-Leche-Füllung und Schokolade), Handyhüllen oder Taschentücher wieder eingesammelt. Wer etwas davon behalten möchte, bezahlt. In Paraguay wird oft Chipa, das Nationalgebäck, aus großen Körben angeboten – entweder steigen die Verkäufer in den Bus oder Chipa und Geld wechseln an Mautstellen, wo der Bus halten muss, durch die geöffneten Busfenster hindurch den Besitzer. Während der Busfahrt gibt es üblicherweise Verpflegung, ähnlich wie im Flugzeug.
An der Grenze zu Argentinien müssen wir alle aussteigen und uns einen Ein- sowie einen Ausreisestempel im Pass vermerken lassen. Unsere Fahrt wird noch zwei weitere Male unterbrochen wegen Kontrollen der argentinischen Polizei. Jedes Mal wird sämtliches Gepäck ins Freie getragen und von Hunden abgesucht.
Die Nacht verbringen wir auf unseren ausgeklappten Sitzen und finden diese Art zu Reisen eigentlich recht komfortabel. Um ca. halb acht geht die Sonne auf. Wir sind kurz vor Córdoba; die Landschaft hat sich gewandelt. Bis zum Horizont erstrecken sich in der Sonne leuchtende Weizenfelder. Die rote Erde, die wir aus Paraguay kennen, ist grauer Erde gewichen.

Das Seminar

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Unsere Unterkunft in Villa General Belgrano

Die fünf Seminartage vergehen wie im Flug. Am Montag Morgen fahren wir mit dem Bus von Córdoba in das 75 Kilometer entfernte Villa General Belgrano. Der Weg geht bergauf durch die trockene, hügelige Landschaft. Anders als in meiner Einsatzstelle in Paraguay hat der Herbst die Landschaft gefärbt. Eiche und Ahorn stehen in rotem Laub und wechseln sich mit Dornsträuchern, Nadelgehölzen, trockenen Gräsern und Kakteen ab. Unsere Fahrt führt uns durch die Sierras de Córdoba, vorbei am Stausee Lago los Molinos, bis wir schließlich den kleinen Ort erreichen. Das Hostel, in dem wir für die Seminarzeit wohnen, ist rustikal und gemütlich.
Es gibt reichlich Anlass und Raum für Gespräche: Alle Freiwilligen kommen aus unterschiedlichen Einsatzstellen und haben teils gegensätzliche, teils sehr ähnliche Erfahrungen gemacht. Im Lauf der Woche finden wir uns in AGs zusammen, um konkrete Situationen, Fragen und Konflikte, die sich während der Freiwilligenarbeit auftun, zu behandeln. Gemeinsam entwickeln wir neue Ideen für Projekte in den Einsatzstellen.
Immer wieder wird im Seminar Bezug genommen auf den Ort Villa General Belgrano. Wir hören den Vortrag einer Stadtführerin und unternehmen eine Rallye. Das heute sehr touristische Städtchen ist im Alpenstil errichtet worden – dies ist auf die Deutschen, Schweizer und Italiener, welche sich dort ansiedelten, zurückzuführen. Auch Überlebende der Besatzung des deutschen Kriegsschiffs Admiral Graf Spee, welches im zweiten Weltkrieg vor Montevideo versenkt worden war, kamen dorthin.
Ich nehme viel mit von diesem Seminar. Durch die geringere Zahl Freiwilliger ist die Atmosphäre deutlich persönlicher gewesen, so haben sich gute Gespräche ergeben und eine Menge neuer Ideen für die nächsten drei Monate.

Sierras de Córdoba um Villa General Belgrano

Sierras de Córdoba um Villa General Belgrano

Córdoba und Buenos Aires

Nach dem Seminar habe ich mir eine Woche freigenommen, um noch mehr von Argentinien zu sehen. Gemeinsam mit einer Mitfreiwilligen habe ich die Zeit genutzt, um mit dem Bus nach Córdoba und von dort aus nach Buenos Aires zu fahren. Wir haben eine Menge gesehen in so kurzer Zeit; von Buenos Aires ist mir vor allem die Gegensätzlichkeit von Reichtum und Armut im Gedächtnis geblieben, die diese Stadt kennzeichnet. Die Armut in den äußeren Vierteln der Stadt steht im extremen Gegensatz zum Prunk im Stadtzentrum mit seinen europäischen Bauten aus dem 19. Jahrhundert oder im renovierten und teuren Hafenviertel Puerto Madero.
Argentinien leidet seit Jahren unter einer Wirtschaftskrise und Inflation. Oft entstehen lange Schlangen an Geldautomaten. Dort kann man meist maximal 2400 argentinische Pesos auf einmal abheben; das entspricht in etwa einem Betrag von 150 Euro.
Was uns auffällt: Viele Leute sind sehr offen und freundlich. Wir werden häufig angesprochen und gefragt, wo wir herkommen und es ergeben sich schnell Gespräche. So erklärt uns ein Kellner im Café, dass er eine Europareise plane und fragt uns, wie man vom Flughafen Berlin Tegel in die Innenstadt käme. Schließlich schenkt er uns einen Reiseführer und wünscht uns noch eine schöne Zeit in Buenos Aires. Und die haben wir tatsächlich.

Mir ist klar, dass die Eindrücke, die ich in der Woche gewonnen habe, nur sehr flüchtig sind. Den Orten kann ich in meinen Worten nicht gerecht werden: Deshalb bleibt es an dieser Stelle bei einigen Impressionen aus Córdoba und Buenos Aires.

Halbzeit

Es ist merklich kühler geworden. Oft kommt kräftiger Wind auf; es gewittert. Sintflutartige Wolkenbrüche ergießen sich über die sanften Hügellandschaften der Kolonie. Lässt der Sturm nach, verlieren die tiefgrünen Weidelandschaften sich im Dunst. Der Winter steht vor der Tür.
Bald sind es drei Monate, die ich hier wohne und arbeite – und damit ist es Zeit für das einwöchige Zwischenseminar. Es soll zum Austausch unter den Freiwilligen und gleichzeitig zur Reflexion der bisherigen Monate dienen. Schließlich ist es auch Gelegenheit, Projekte zu planen und mit neuen Impulsen in die zweite Halbzeit des Freiwilligendienstes zu starten.
Nicht zuletzt freue ich mich darüber, dass es bei Córdoba in Argentinien stattfinden wird – Gelegenheit also, noch mehr zu sehen. Deshalb werden wir für einige Tage in Córdoba sein und in der Woche nach dem Seminar in Buenos Aires.
Morgen geht es zunächst mit dem Bus von Asunción nach Córdoba – am Montag beginnt das Seminar. Nun bin ich gespannt und freue mich auf zwei interessante Wochen voller neuer Eindrücke.

Medizinische Versorgung – Einblicke

Hospital Tabea

Säuglingsstation des Hospital Tabea

An zwei Nachmittagen in der Woche darf ich im Hospital Tabea, dem kleinen Krankenhaus der Kolonie, hospitieren. In der Region gibt es keine vergleichbar ausgerüstete Einrichtung, weshalb es die erste Anlaufstelle für alle auftretenden Erkrankungen ist. Am eindringlichsten zeichnet sich dieser Umstand während der Visite ab: In einem Zimmer sitzt eine betagte Dame mit schwerer Blasenentzüng im Bett und häkelt; nebenan liegt ein fünfjähriger Junge, der sich ein Bein gebrochen hat; in einem anderen Zimmer ist ein Herr untergebracht, der sich im Hospital Tabea von einer Chemotherapie erholen soll und auf dem Flur wartet eine Hochschwangere mit ihrem Mann auf das Anamnesegespräch. Die Ärzte im Krankenhaus sind Allgemeinmediziner; bei Bedarf werden Spezialisten aus Asunción konsultiert.
Der Bau des Hospitals ist 2010 fertiggestellt worden – ein erstes Krankenhaus hat man 1947, zehn Jahre nach Gründung der Kolonie, errichtet. Für die nötigste Krankenversorgung sind ein Operationssaal, ein Labor, Röntgen- und Ultraschallgeräte, eine Apotheke, Krankenbetten und eine Notaufnahme vorhanden.
Im Krankenhausalltag machen sich die Grenzen des Gesundheitssystems immer wieder bemerkbar: Viele Patienten sind nicht versichert und die gesetzliche Versicherung deckt vergleichsweise wenig Leistungen ab. So werden beispielsweise keine prophylaktischen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder von der Krankenkasse übernommen. Oft mangelt es an Geld und es wird gespart – oft auf Kosten der Qualität der Versorgung. Patienten, die im Hospital Tabea nicht behandelt werden können, werden nach Asunción gebracht. Wenn bei einem Notfall wie einem Schlaganfall die Behandlung maximal 4,5 Stunden nach Auftreten der Symptome beginnen muss, gerät die medizinischen Versorgung jedoch meist an den Rand ihrer Möglichkeiten.

Hospital Mennonita km 81

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In der Nähe von Asunción haben die Mennoniten das Hospital Mennonita km 81 gegründet. Dorthin bin ich letzte Woche für einen Tag mitgefahren. Es ist ein ganz normales Krankenhaus, dessen Schwerpunkt jedoch auf der Behandlung von Leprapatienten liegt. Ein wichtiges Arbeitsfeld des Krankenhauses ist die Aufklärung. Lepra ist eine schwach ansteckende Krankheit und kann geheilt werden – das ist im Land wenig bekannt, weshalb Betroffene häufig auf den sozialen Druck hin ihr Zuhause verlassen müssen und in ärmlichsten Verhältnissen und in Einsamkeit leben müssen.
Vielerorts fehlt der Zugang zu medizinischer Versorgung. Deshalb werden vom Krankenhaus aus regelmäßig Fahrten ins Inland unternommen, um diese Erkrankten zu erreichen. Dabei wird auch versucht, zu missionieren.
Das Hospital befindet sich auf einem weitläufig angelegten Gelände zwischen gepflegten Grünanlagen. Außer dem Krankenhaus umfasst der Komplex landwirtschaftlich genutzte Flächen samt Äckern, Obstgärten und Vieh, eine Wäscherei, eine Fahrzeugwerkstadt, Wohnungen für die Angestellten und Freiwilligen sowie eine Werkstatt, in der in Handarbeit Lederschuhe für Lepragezeichnete Füße und Prothesen maßgefertigt werden. In Planung sind weitere Anbauten für Patientenzimmer, da die jetzigen Kapazitäten oftmals nicht ausreichen.

Freiwilligentreffen in Asunción

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Vergangenes Wochenende hat die deutsche Botschaft in Asunción alle Weltwärts- und Kulturweitfreiwilligen, die derzeit in Paraguay tätig sind, zu einem Treffen eingeladen. Zu den Themen Armutsbekämpfung und entwicklungspolitische Zusammenarbeit Deutschlands in Paraguay haben ein Vertreter der paraguayischen Behörde für technische Planung (Secretaría Técnica de Planificación) und die Landesdirektorin der GIZ (Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH) in Paraguay.
Besonders interessant ist für mich die in der Diskussion aufgeworfene Frage, ob die mennonitischen Kolonien, welche einen Großteil der paraguayischen Wirtschaftskraft ausmachen, ein übertragbares Gesellschaftsmodell liefern. Religion eint die Mennoniten und sorgt für deren Identifikation mit ihrer Kolonie und mit ihrer Arbeit für die Kolonie. Dieses Konzept ist Grundlage des Wohlstandes der Kolonien. Doch es beruht auf einer weitreichenden Homogenität der Ansichten, Weltanschauung und Lebensweise unter den Kolonisten.
Bei dem Treffen habe ich viele andere Freiwillige kennenlernen dürfen, deren Einsatzstellen sehr anders sind, als meine. Der Austausch hat gut getan.

Den Rest des Wochenendes habe ich gemeinsam mit meinen Mitfreiwilligen dazu genutzt, die paraguayische Hauptstadt zu erkunden – eine erfrischende Abwechslung von der ländlichen Gegend um Itacurubí del Rosario.
Mein Soundtrack dieser Stadt ist ebenso dissonant wie mitreißend. Von den Marktständen am Rande des Elendsviertels am Ufer des Río Paraguay dröhnt basslastige Chartmusik aus alten Boxen. Nur einen Steinwurf entfernt, auf der anderen Straßenseite, erhebt sich das Parlamentsgebäude. Davor parkt ein Militärpanzer, dessen Fahrer seine bestiefelten Füße lässig übereinandergeschlagen und auf das Lenkrad gelegt hat. Er raucht Zigarette.
Die Sonne brennt herab auf staubige Straßen, darüber bilden Unmengen von Stromleitungen ein kompliziertes Geflecht.
Graffiti-bemalte Häuser, schicke Hotels, unvollendete Rohbauten von Hochhäusern, streunende Hunde, die in Bergen von Müll wühlen, Alleen von Mandarinenbäumen, patroullierende Soldaten, Straßenhändler und -musiker, Prediger, Bettler, hupende Taxis, die in rasantem Tempo durch die Stadt jagen – alles wird teil des schwingenden Rhythmus von Asunción.
Mehr davon!

 

Gretchenfrage und mennonitische Geschichte

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ (Johann Wolfgang von Goethe, Faust I)

Antworten auf diese Frage können ohne Zweifel individuell verschieden ausfallen. Glaube ist ein sehr persönliches Thema – eines, das sowohl stärken und einen, als auch zerstören und spalten kann.
Es ist ein Thema, das in der mennonitischen Kolonie Friesland, Itacurubí del Rosario, allgegenwärtig ist. Seitdem ich hier arbeite, möchte ich über mennonitische Lebensweise und Geschichte schreiben. Jedoch hat es eine Weile gedauert, ein umfassendes Bild und den nötigen Abstand zu gewinnen. Nun versuche ich, möglichst ohne Wertung, einen Überblick zu bieten.

Mennonitische Kirche in der Kolonie Friesland

Mennonitische Kirche in der Kolonie Friesland

Beginn der Reformation

Anfang des 16. Jahrhunderts gibt es im Christentum gewaltige Umbrüche. Gewiss ist der Humanismus ein Faktor, der dazu beiträgt, dass sich Menschen kritisch mit der katholischen Kirche auseinandersetzen. Vor allem der Ablasshandel ist von Kirchenvätern auf die Spitze getrieben worden – das Seelenheil scheint käuflich; im Klerus gibt es Korruption.

Der berühmte Reformator Martin Luther widmet sich eingehend dem Bibelstudium und kommt zu dem Schluss, dass sich die katholische Kirche weit von der Schrift entfernt habe. Er wagt es, öffentlich Kritik zu üben, als er im Jahr 1517 95 Thesen formuliert und an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlägt. Damit greift er sowohl den Papst als auch die katholische Kirche auf das Schärfste an – die römische Kurie führt deshalb einen Prozess wegen Ketzerei gegen ihn, welcher darauf hinausläuft, dass man ihn im Jahr 1521 für vogelfrei erklärt. Auf der Wartburg findet Luther Schutz. In den Monaten, die er dort verbringt, übersetzt er die Bibel aus dem griechischen Urtext in die deutsche Sprache.

Entstehung des Täufertums

Ausgehend vom Luthertum entwickeln sich weitere reformatorische Bewegungen. So entsteht auch das Täufertum, dessen Ursprünge in der züricher Reformation zu finden sind. Prägend ist eine Gruppe von Theologen, die sich in der Schweiz regelmäßig in Bibelkreisen versammelt – unter ihnen Huldrych Zwingli, Konrad Grebel und Felix Manz, deren Reformationsbestrebungen sowohl religiöser, als auch sozialer Natur sind. Sie wollen das Priestertum für alle Gläubigen und streben nach dem Modell einer apostolischen Urgemeinde. Ihrer Ansicht nach können Menschen das Seelenheil allein durch die Gnade Gottes erlangen – somit ist es nicht möglich, sich von Sünden freizukaufen. Grebel und Manz sind radikaler als Zwingli. Sie wollen so schnell wie möglich liturgische Änderungen erreichen und vertreten die Ansicht, die Beteiligung an militärischen Konflikten sei mit der Bibel nicht vereinbar. So kommt es zum Bruch zwischen den Theologen.
Bei der Taufe ist für Grebel und Manz der Aspekt der Freiwilligkeit entscheidend. Sie lehnen die Kindertaufe ab und nehmen 1525 zum ersten Mal eine „Glaubenstaufe“ bei Erwachsenen vor – damit gründen sie das Täufertum. Auch verbreiten sie ihre Lehre und halten auf eigene Faust Abendmahlfeiern ab. Dies sorgt für Unruhe im Land. Es werden mystische Treffen abgehalten, apokalyptische Prediger verschaffen sich Gehör und Menschen verfallen dem religiösen Wahn.
Die Regierung verbietet die Versammlungen und die Taufen. Grebel und Manz werden zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt. Nachdem beiden die Flucht gelungen ist, erkrankt Grebel an der Pest und verstirbt. Manz wird gefasst und zum Tode verurteilt. Im Januar 1527 wird er in Zürich ertränkt.

Mennonitische Geschichte

Das Täufertum ist sehr heterogen. Luther hat die Bibel der Bevölkerung zugänglich gemacht. Durch die Lektüre der Schrift und nach der Erkenntnis der eigenen Ohnmacht in der katholischen Kirche ist es möglich, dass sich das Täufertum auch in Mittel- und Norddeutschland sowie in der Niederlande auf fruchtbaren Boden trifft. Auch begünstigt die Bauernbewegung eine schnelle Verbreitung der Ideologien, die oft marxistisch beeinflusst sind.
In Norddeutschland und der Niederlande schließt der aus Friesland stammende Menno Simons Täufer zu Gemeinden zusammen, die sich bald „Mennoniten“ nennen. Traditionell betreiben sie mit Geschick Landwirtschaft.

Im Jahr 1785 stellt Kaiserin Katharina II den Mennoniten, die immer wieder unter Verfolgung zu leiden haben, Gebiete zur Bewirtschaftung in Südrussland zur Verfügung. Es locken zahlreiche Privilegien: Glaubensfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, Steuerbefreiungen und Grundbesitz. Im Krieg gegen die Türkei hat Russland seine Grenzen erweitert. Um die Region im nördlichen Kaukasus zu sichern, wird um Bauern aus dem Ausland geworben, die sich dort ansiedeln sollen. So kommt es, dass viele Mennoniten sich dazu entschließen, auszuwandern.
Da die Mennoniten aus Glaubensgründen den Dienst an der Waffe verweigern, sehen sie sich zur Zeit des ersten Weltkrieges stark mit Feindseligkeiten und Diskriminierung durch die russische Bevölkerung und mit Unterdrückung durch die Regierung konfrontiert. Als Stalin an die Macht kommt, spitzt sich die Situation zu. Im Zuge der Kollektivierung werden viele wohlhabende mennonitischen Bauern enteignet. Auch wird die Deutsche Sprache in Presse und Kirche und schließlich die Ausübung der Religion verboten. Viele der Mennoniten sehen sich dazu gezwungen, zu flüchten. Einige kehren zurück nach Westeuropa, andere wandern nach Nord- und Südamerika aus.

Die Vorfahren der Mennoniten in Friesland kommen aus dem Chaco, der trockenen Savannenregion im Südwesten Paraguays, wo es auch heute noch viele mennonitische Kolonien gibt. Zur Zeit der mennonitischen Einwanderung ist der Chaco bis auf wenige Indianerstämme beinahe unbevölkert. Paraguay bietet den Mennoniten Religionsfreiheit, die Befreiung vom Wehrdienst und steuerliche Vergünstigungen. Aufgrund der dortigen Nahrungsmittelknappheit haben die friesländer Mennoniten dem Chaco den Rücken gekehrt und im Jahr 1937 Friesland, die erste Kolonie in Ostparaguay gegründet.

In ihrer Geschichte liegt begründet, warum sich die Mennoniten über ihre Religion definieren und nicht über ihre Nationalität. Viele von ihnen machen einen klaren Unterschied zwischen den in Paraguay lebenden Mennoniten und der restlichen Bevölkerung des Landes – auch, wenn es Tendenzen zu einer Öffnung nach außen gibt. Zugehörig fühlen sie sich vor allem zur mennonitischen Gemeinde, die sehr demokratisch organisiert und über Landesgrenzen hinweg vernetzt ist. Die Mennoniten wählen ihre Prediger. Prinzipiell ist jedes Gemeindemitglied dafür geeignet – meistens haben die Prediger jedoch Fortbildungen absolviert.
Im Gottesdienst gibt es keine Wandlung – der Kommunion wird ein geringer Stellenwert eingeräumt. Sehr präsent ist das Gebet: vor beinahe jeder Mahlzeit, vor Freizeitaktivitäten, in der Schule. Die Mennonitische Gemeinde hat ein starkes Sendungsbewusstsein. In den Umliegenden Dörfern gründen sie Missionsgemeinden und eröffnen soziale Einrichtungen mit mennonitischer Prägung.

Quellen:

Sierszyn, Armin: 2000 Jahre Kirchengeschichte: Reformation und Gegenreformation: Band 3, Hänssler, Holzgerlingen 2000)

Penner, Beate: Gemeinsam unterwegs: 75 Jahre Kolonie Friesland: 1937 – 2012, Verwaltung der Kolonie Friesland, Colonia Friesland 2012

Expedition ins Grasland

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Nach heftigen Gewittern und Regenfällen haben sich die Temperaturen abgekühlt. Das Gras ist feucht vom Tau. Der Vollmond blinzelt durch die Wolkendecke und taucht die Wiese in silbriges Licht. Eine leichte Brise zerzaust die Wipfel der Bäume. Um zehn vor sechs ist es noch dunkel, doch am Horizont lässt sich schon die Morgendämmerung erahnen.
Normalerweise beginnt die Schule um sieben Uhr, doch heute treffen bereits eine Stunde vorher Kinder ein. Mit Rucksäcken bepackt und mit Angelruten aus Bambus über den Schultern versammeln sich leise tuschelnd die Schüler der vierten, fünften und sechsten Klasse vor dem Schulgebäude. Dort warten bereits fünf Lehrer, ein Traktor mit großem Anhänger samt Fahrer und ich. Heute, einen Tag vor Beginn der Osterfeiertage, ist Wandertag. Gemeinsam hieven wir lange Bänke auf die Ladefläche – zum Sitzen. Zuerst nimmt der Rollstuhlfahrer unter den Schülern Platz auf dem Anhänger, dann folgen die restlichen Kinder.

Gut gelaunt begeben wir alle uns auf die holprige Fahrt. Laut knattert und ächzt der Traktor. Die Kinder stimmen Lieder an, die sie im Musikunterricht gelernt haben und klatschen dazu. Auf der roten, von Schlaglöchern übersäten Erdstraße geht es vorbei an Eukalyptuswäldchen, Wiesen, kleinen Seen und Flüssen.
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Schließlich machen wir an einem Wasserlauf halt. Alle klettern vom Anhänger, es werden Köder verteilt und die Kinder verstreuen sich in der Umgebung und beginnen, zu angeln. Es dauert nicht lange und der erste Pyranha hat angebissen. Schon ist unter den Schülern ein Wettstreit entfacht, wer die meisten Fische fängt. Die aufgehende Sonne wirft ihr warmes Licht auf die Szenerie. Von allen Seiten erschallt Kinderlachen.
Nachdem genug Fische gefangen worden sind, werden diese ausgenommen und in einer großen Kühlbox auf dem Anhänger verstaut, damit sie frisch bleiben bis die Kinder ihre selbst gefangenen Fische mit nach Hause nehmen können. Wir fahren noch eine Weile, bis wir zu einer Badestelle gelangen. Dort wird Volleyball gespielt und die Kinder planschen im Wasser. Nach einer Weile werden die Kinder beim Spielen unterbrochen, denn – wie die Lehrer zufällig bemerkt haben – der Osterhase war da. Im Wald wird fieberhaft gesucht; an jedes Kind hat man gedacht, sodass sich bald alle Schüler mit reicher Beute versammeln können zum Mittagessen. Danach machen wir uns auf den Heimweg.

Ich komme aus einem Land, in dem Schulklassen mit dem Bus auf Exkursion fahren, in dem die Schüler nur dann Schwimmen gehen dürfen, wenn mindestens ein Sportlehrer mit Freischwimmer anwesend ist, in dem man zum Fischen einen Angelschein benötigt und in dem man vor dem Sportunterricht Ohrringe herausnehmen oder mit Krepp-Band abkleben muss wegen der Verletzungsgefahr.
Ein Wandertag, wie ich ihn heute erlebt habe, wäre in Deutschland undenkbar und doch ist dies einer der schönsten Schulausflüge, die ich unternommen habe.

La piña – die Ananas

Die Vorhänge flattern im Wind, der durch die geöffneten Fenster in das Klassenzimmer hineinweht. An der Decke rotieren zwei Ventilatoren. Dennoch fühlt es sich so an, als stehe die Luft im Raum. Es ist kurz nach zehn am Vormittag, die fünfte Stunde hat gerade begonnen und es herrschen spätsommerliche Temperaturen von 32°C.
Die insgesamt fünfzehn Schüler der zweiten und dritten Jahrgangsstufe werden aufgrund des Lehrermangels zusammen unterrichtet. Im Augenblick hat die zweite Klasse Mathematik und rechnet Aufgaben gemeinsam mit der Klassenlehrerin. Währenddessen sind die Drittklässler mit Schreibaufgaben im Deutschunterricht beschäftigt. Auf Zetteln stehen Satzfragmente, welche die Kinder in sinnvoller Reihenfolge anordnen sollen, bevor sie die entstandenen Geschichten in ihren Heften niederschreiben. Ich gehe von Tisch zu Tisch, helfe, wenn nötig und korrigiere Fehler.

So ähnlich läuft in meiner Einführungswoche jede Stunde ab, die ich in den Klassen der Primarstufe (erste bis sechste Jahrgangsstufe) verbringe. Man setzt mich im Unterricht in allen Fächern ein. In vielen Klassen gibt es Kinder, die besonderen Förderbedarf haben. Sei es wegen körperlicher Behinderung, Lernschwäche, Konzentrationsstörungen oder wegen Sprach- und Gehörschädigungen. Dann begleite ich gezielt diese Kinder während der Unterrichtsstunden, erkläre ihnen die Aufgaben ausführlich, beantworte ihre Fragen und unterstütze sie beim Lesen und Schreiben. Manchmal wird die Klasse auch geteilt, wenn für eine Aufgabe bespielsweise ein solides Leseverständnis erforderlich ist: Der Großteil der Schüler erledigt die gestellte Aufgabe weitgehend selbstständig, während ich mit einer kleinen Gruppe von zwei bis drei Schülern den Klassenraum verlasse und wir das behandelte Thema gemeinsam erarbeiten. Einzelnen Schülern, bei denen der Förderbedarf besonders hoch ist, gebe ich gesondert Nachhilfestunden im Fach Deutsch.

Die Muttersprache vieler Schüler ist Guaraní. Da in der Primarstufe alle Fächer bis auf Geschichte und Spanisch in deutscher Sprache unterrichtet werden, treten hier oft Schwierigkeiten auf. Ab der siebten Klasse ist die Unterrichtssprache überwiegend Spanisch. Von den mennonitischen Kindern sprechen viele zu Hause Plattdeutsch.
Bei solch einer Menge verschiedener sprachlicher Einflüsse ist es kaum verwunderlich, dass eine Vermischung stattfindet. Sowohl Schüler als auch Lehrer bauen oft ganz selbstverständlich guaranische, spanische und plattdeutsche Worte in hochdeutsche Sätze ein.
Wenn ich mit den Schülern der ersten Klasse die deutschen Vokabeln für Obst wiederhole, dauert es nicht lange, bis die spanischen Begriffe genannt werden. Die Kinder bringen mir neue Vokabeln bei und schließlich lerne ich sogar mir bisher unbekannte Obstsorten kennen: Die kleinste Zitrusfrucht heißt Kumquat.