Archiv der Kategorie: Schulleben

Lehrerkonzert

In den letzten Monaten habe ich zum Glück die Möglichkeit gehabt, Musik zu machen. Nachmittags und Abends habe ich das Schulklavier nutzen dürfen und eine Lehrerin, die ihrerseits sehr gut Klavier spielt, hat mir sogar ihr Cello ausgeliehen. Regelmäßig haben wir zusammen Musik gemacht und teilweise im Gottesdienst gespielt; schließlich sind wir auf die Idee gekommen, ein Konzert zu geben. Im Lehrerkollegium haben sich mehrere bereit erklärt, daran mitzuwirken, sodass wir schließlich ein buntes Programm zusammengestellt haben mit Stücken europäischer Komponisten aus verschiedenen Epochen (u.a. Beethoven, Dvořák, Debussy) sowie traditioneller südamerikanischer Harfenmusik (Daniel Alomía Robles, Néstor Zavarce). Gestern Abend haben wir das Konzert präsentiert und uns gefreut, dass es so positiv angenommen worden ist.
Für mich war es auch eine Art Abschiedsfeier, weil ich am Montag schon nach Deutschland zurückfliege. Dort wird am Monatsende ein 5-tägiges Nachbereitungsseminar stattfinden, auf dem sich wieder die Kulturweit-Freiwilligen, die sich im vergangenen Jahr über die Welt verteilt haben, treffen.

Winter in Ostparaguay

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Fahrradauflug mit der dritten Klasse Anfang Juli

Das erste Schulhalbjahr 2016 am Colegio ist vorüber. Drei Wochen lang haben die Schüler aller Jahrgangsstufen ihre abschließenden Examen geschrieben und sind anschließend in die wohlverdienten zweiwöchigen Winterferien entlassen worden.
Das Wetter ist unberechenbar und geprägt von abrupten Temperaturstürzen, stürmischem Wind, Gewittern, Regenfällen, Hitze und gelegentlichem, nächtlichem Frost. Dieser hat die Landschaft gezeichnet; das satte Grün der Wiesen ist verschwunden und zurück bleibt steppenartiges, trockenes Weideland. Nachts kann es durchaus hin und wieder ungemütlich werden, denn auf Frost sind die Häuser nicht ausgelegt: Oft ist weder Heizung noch Kamin vorhanden. Die Wände sind dünn; die Fenster dichten nicht ab. Durch die Kälte sind Stechmücken und sonstige Insekten deutlich weniger geworden – eine angenehme Begleiterscheinung des Winterwetters.
Gutes Wetter (auch im Winter sind Episoden von 35 Grad Höchsttemperatur keine Seltenheit) wird begeistert ausgenutzt. Die Bauern holen das Heu ein und die mennonitische Gemeinde feiert aufwändig das Erntedankfest. Es gibt einen Gottesdienst mit anschließendem Festmahl und eine Auktion, bei der Vieh versteigert wird. Ende Juni wird der lokale Feiertag des Distriktes um Itacurubí del Rosario gefeiert. Zu diesem Anlass finden sich Delegationen aller Schulen aus der Umgebung (es sind über 100) in dem kleinen Ort ein; es gibt einen Festakt mit feierlichen Reden und anschließend eine Parade, bei der die Schulen aufmarschieren. Das mennonitische Colegio ist mit seiner Sekundarstufe vertreten.
In der Schule decken wir das Dach des Spielhäuschens aus Recycling-Materialien, das schon seit einigen Monaten unvollendet im Schulgarten steht und mit der dritten Klasse unternehmen wir an einem sonnigen Vormittag eine große Fahrradtour.

Rasend schnell sind die letzten beiden Monate vergangen, die ich hier so kurz zusammenfasse. Um einige Einblicke zu ermöglichen, füge ich Bilder an.

Expedition ins Grasland

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Nach heftigen Gewittern und Regenfällen haben sich die Temperaturen abgekühlt. Das Gras ist feucht vom Tau. Der Vollmond blinzelt durch die Wolkendecke und taucht die Wiese in silbriges Licht. Eine leichte Brise zerzaust die Wipfel der Bäume. Um zehn vor sechs ist es noch dunkel, doch am Horizont lässt sich schon die Morgendämmerung erahnen.
Normalerweise beginnt die Schule um sieben Uhr, doch heute treffen bereits eine Stunde vorher Kinder ein. Mit Rucksäcken bepackt und mit Angelruten aus Bambus über den Schultern versammeln sich leise tuschelnd die Schüler der vierten, fünften und sechsten Klasse vor dem Schulgebäude. Dort warten bereits fünf Lehrer, ein Traktor mit großem Anhänger samt Fahrer und ich. Heute, einen Tag vor Beginn der Osterfeiertage, ist Wandertag. Gemeinsam hieven wir lange Bänke auf die Ladefläche – zum Sitzen. Zuerst nimmt der Rollstuhlfahrer unter den Schülern Platz auf dem Anhänger, dann folgen die restlichen Kinder.

Gut gelaunt begeben wir alle uns auf die holprige Fahrt. Laut knattert und ächzt der Traktor. Die Kinder stimmen Lieder an, die sie im Musikunterricht gelernt haben und klatschen dazu. Auf der roten, von Schlaglöchern übersäten Erdstraße geht es vorbei an Eukalyptuswäldchen, Wiesen, kleinen Seen und Flüssen.
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Schließlich machen wir an einem Wasserlauf halt. Alle klettern vom Anhänger, es werden Köder verteilt und die Kinder verstreuen sich in der Umgebung und beginnen, zu angeln. Es dauert nicht lange und der erste Pyranha hat angebissen. Schon ist unter den Schülern ein Wettstreit entfacht, wer die meisten Fische fängt. Die aufgehende Sonne wirft ihr warmes Licht auf die Szenerie. Von allen Seiten erschallt Kinderlachen.
Nachdem genug Fische gefangen worden sind, werden diese ausgenommen und in einer großen Kühlbox auf dem Anhänger verstaut, damit sie frisch bleiben bis die Kinder ihre selbst gefangenen Fische mit nach Hause nehmen können. Wir fahren noch eine Weile, bis wir zu einer Badestelle gelangen. Dort wird Volleyball gespielt und die Kinder planschen im Wasser. Nach einer Weile werden die Kinder beim Spielen unterbrochen, denn – wie die Lehrer zufällig bemerkt haben – der Osterhase war da. Im Wald wird fieberhaft gesucht; an jedes Kind hat man gedacht, sodass sich bald alle Schüler mit reicher Beute versammeln können zum Mittagessen. Danach machen wir uns auf den Heimweg.

Ich komme aus einem Land, in dem Schulklassen mit dem Bus auf Exkursion fahren, in dem die Schüler nur dann Schwimmen gehen dürfen, wenn mindestens ein Sportlehrer mit Freischwimmer anwesend ist, in dem man zum Fischen einen Angelschein benötigt und in dem man vor dem Sportunterricht Ohrringe herausnehmen oder mit Krepp-Band abkleben muss wegen der Verletzungsgefahr.
Ein Wandertag, wie ich ihn heute erlebt habe, wäre in Deutschland undenkbar und doch ist dies einer der schönsten Schulausflüge, die ich unternommen habe.

La piña – die Ananas

Die Vorhänge flattern im Wind, der durch die geöffneten Fenster in das Klassenzimmer hineinweht. An der Decke rotieren zwei Ventilatoren. Dennoch fühlt es sich so an, als stehe die Luft im Raum. Es ist kurz nach zehn am Vormittag, die fünfte Stunde hat gerade begonnen und es herrschen spätsommerliche Temperaturen von 32°C.
Die insgesamt fünfzehn Schüler der zweiten und dritten Jahrgangsstufe werden aufgrund des Lehrermangels zusammen unterrichtet. Im Augenblick hat die zweite Klasse Mathematik und rechnet Aufgaben gemeinsam mit der Klassenlehrerin. Währenddessen sind die Drittklässler mit Schreibaufgaben im Deutschunterricht beschäftigt. Auf Zetteln stehen Satzfragmente, welche die Kinder in sinnvoller Reihenfolge anordnen sollen, bevor sie die entstandenen Geschichten in ihren Heften niederschreiben. Ich gehe von Tisch zu Tisch, helfe, wenn nötig und korrigiere Fehler.

So ähnlich läuft in meiner Einführungswoche jede Stunde ab, die ich in den Klassen der Primarstufe (erste bis sechste Jahrgangsstufe) verbringe. Man setzt mich im Unterricht in allen Fächern ein. In vielen Klassen gibt es Kinder, die besonderen Förderbedarf haben. Sei es wegen körperlicher Behinderung, Lernschwäche, Konzentrationsstörungen oder wegen Sprach- und Gehörschädigungen. Dann begleite ich gezielt diese Kinder während der Unterrichtsstunden, erkläre ihnen die Aufgaben ausführlich, beantworte ihre Fragen und unterstütze sie beim Lesen und Schreiben. Manchmal wird die Klasse auch geteilt, wenn für eine Aufgabe bespielsweise ein solides Leseverständnis erforderlich ist: Der Großteil der Schüler erledigt die gestellte Aufgabe weitgehend selbstständig, während ich mit einer kleinen Gruppe von zwei bis drei Schülern den Klassenraum verlasse und wir das behandelte Thema gemeinsam erarbeiten. Einzelnen Schülern, bei denen der Förderbedarf besonders hoch ist, gebe ich gesondert Nachhilfestunden im Fach Deutsch.

Die Muttersprache vieler Schüler ist Guaraní. Da in der Primarstufe alle Fächer bis auf Geschichte und Spanisch in deutscher Sprache unterrichtet werden, treten hier oft Schwierigkeiten auf. Ab der siebten Klasse ist die Unterrichtssprache überwiegend Spanisch. Von den mennonitischen Kindern sprechen viele zu Hause Plattdeutsch.
Bei solch einer Menge verschiedener sprachlicher Einflüsse ist es kaum verwunderlich, dass eine Vermischung stattfindet. Sowohl Schüler als auch Lehrer bauen oft ganz selbstverständlich guaranische, spanische und plattdeutsche Worte in hochdeutsche Sätze ein.
Wenn ich mit den Schülern der ersten Klasse die deutschen Vokabeln für Obst wiederhole, dauert es nicht lange, bis die spanischen Begriffe genannt werden. Die Kinder bringen mir neue Vokabeln bei und schließlich lerne ich sogar mir bisher unbekannte Obstsorten kennen: Die kleinste Zitrusfrucht heißt Kumquat.