Archiv für den Monat: Juni 2016

Mauern, Stacheldraht und Glasscherben

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Paraguay hat knapp sieben Millionen Einwohner und eine Bevölkerungsdichte von 16 Einwohnern pro Quadratkilometer. Nur zum Vergleich: In Deutschland liegt die Bevölkerungsdichte bei 229. Asunción, die Hauptstadt, ist mit mit etwas mehr als einer halben Millionen Einwohner die mit Abstand größte Stadt des Landes. Hier sammelt sich das Kondensat der paraguayischen Gesellschaft – Menschen aus allen Gesellschaftsschichten leben hier nebeneinander.
Es ist nicht so, als gäbe es in Europa keine Armut – im Gegenteil. Doch es ist dort leicht, sie zu übersehen. In Paraguay ist die arme Bevölkerung die Mehrheit. Sie existiert neben den Gated Communities, den teuren Shopping Malls und den verglasten Hochhäusern von Banken und ausländischen Firmen. Bürger der reichen Oberschicht versuchen ihre Dank liberalen Bauvorschriften oft Märchenschlössern ähnelnden Prachtbauten gegen Gewalt und Kriminalität, vielleicht auch gegen den Müll und Schmutz der Stadt abzuschotten. Meterhohe Mauern ragen auf, gesäumt von Stacheldraht oder Glassplittern und unterbrochen durch überdimensionierte Stahlpforten, die mit Nummerncodes gesichert sind. Dahinter lassen stuckverzierte Dachfirste und die Spitzen korinthischer Marmorsäulen die Pracht der hinter den Mauern liegenden Anwesen erahnen.

Jenseits der Mauern leben Menschen im Elend – zumindest unter materiellen Gesichtspunkten. Läuft man am Armutsviertel, das nahe dem Ufer des Río Paraguay liegt, entlang – zur Rechten die kleinen, provisorisch errichteten Holzhütten, zur Linken die verspiegelte Glasfensterfront des hoch aufragenden Nationalkongressgebäudes, nur wenige Meter entfernt der Regierungspalast – ist der Kontrast unübersehbar. Die zwischen den Hütten zum Trocknen aufgehängte Wäsche flattert im Wind, Kinder spielen Volleyball, Erwachsene sitzen auf Klappstühlen daneben, lauschen der Musik aus einem Kofferradio und reichen eine Guampa mit Tereré herum. Dieses Getränk kennt keine Gesellschaftsschichten.

Reise nach Argentinien – einige Eindrücke

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Busreise

Um die Mittagszeit steigen wir am Terminál in Asunción in den Bus. Vor uns liegen 21 Stunden Fahrt bis nach Córdoba. Vor allem in Paraguay, wo es keinerlei Züge gibt, aber auch in Argentinien ist der Bus das öffentliche Verkehrsmittel der Wahl. Es gibt ein engmaschiges Liniennetz und regelmäßige Abfahrtszeiten. Am Anfang verwirrt uns die Vielzahl verschiedener Busunternehmen, die am Terminál ihre Tickets anbieten – schließlich bieten sie alle unterschiedliche Routen an und es gibt keinerlei Preisbindung.
Die Busse sind meist zweistöckig und es kann zwischen zwei Komfortklassen gewählt werden (Cama bzw. Semi Cama). Oft kommt es vor, dass Händler zusteigen und ihre Waren an die Passagiere verteilen. Nach einer Weile werden die Alfajores (Kekse mit Dulce-de-Leche-Füllung und Schokolade), Handyhüllen oder Taschentücher wieder eingesammelt. Wer etwas davon behalten möchte, bezahlt. In Paraguay wird oft Chipa, das Nationalgebäck, aus großen Körben angeboten – entweder steigen die Verkäufer in den Bus oder Chipa und Geld wechseln an Mautstellen, wo der Bus halten muss, durch die geöffneten Busfenster hindurch den Besitzer. Während der Busfahrt gibt es üblicherweise Verpflegung, ähnlich wie im Flugzeug.
An der Grenze zu Argentinien müssen wir alle aussteigen und uns einen Ein- sowie einen Ausreisestempel im Pass vermerken lassen. Unsere Fahrt wird noch zwei weitere Male unterbrochen wegen Kontrollen der argentinischen Polizei. Jedes Mal wird sämtliches Gepäck ins Freie getragen und von Hunden abgesucht.
Die Nacht verbringen wir auf unseren ausgeklappten Sitzen und finden diese Art zu Reisen eigentlich recht komfortabel. Um ca. halb acht geht die Sonne auf. Wir sind kurz vor Córdoba; die Landschaft hat sich gewandelt. Bis zum Horizont erstrecken sich in der Sonne leuchtende Weizenfelder. Die rote Erde, die wir aus Paraguay kennen, ist grauer Erde gewichen.

Das Seminar

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Unsere Unterkunft in Villa General Belgrano

Die fünf Seminartage vergehen wie im Flug. Am Montag Morgen fahren wir mit dem Bus von Córdoba in das 75 Kilometer entfernte Villa General Belgrano. Der Weg geht bergauf durch die trockene, hügelige Landschaft. Anders als in meiner Einsatzstelle in Paraguay hat der Herbst die Landschaft gefärbt. Eiche und Ahorn stehen in rotem Laub und wechseln sich mit Dornsträuchern, Nadelgehölzen, trockenen Gräsern und Kakteen ab. Unsere Fahrt führt uns durch die Sierras de Córdoba, vorbei am Stausee Lago los Molinos, bis wir schließlich den kleinen Ort erreichen. Das Hostel, in dem wir für die Seminarzeit wohnen, ist rustikal und gemütlich.
Es gibt reichlich Anlass und Raum für Gespräche: Alle Freiwilligen kommen aus unterschiedlichen Einsatzstellen und haben teils gegensätzliche, teils sehr ähnliche Erfahrungen gemacht. Im Lauf der Woche finden wir uns in AGs zusammen, um konkrete Situationen, Fragen und Konflikte, die sich während der Freiwilligenarbeit auftun, zu behandeln. Gemeinsam entwickeln wir neue Ideen für Projekte in den Einsatzstellen.
Immer wieder wird im Seminar Bezug genommen auf den Ort Villa General Belgrano. Wir hören den Vortrag einer Stadtführerin und unternehmen eine Rallye. Das heute sehr touristische Städtchen ist im Alpenstil errichtet worden – dies ist auf die Deutschen, Schweizer und Italiener, welche sich dort ansiedelten, zurückzuführen. Auch Überlebende der Besatzung des deutschen Kriegsschiffs Admiral Graf Spee, welches im zweiten Weltkrieg vor Montevideo versenkt worden war, kamen dorthin.
Ich nehme viel mit von diesem Seminar. Durch die geringere Zahl Freiwilliger ist die Atmosphäre deutlich persönlicher gewesen, so haben sich gute Gespräche ergeben und eine Menge neuer Ideen für die nächsten drei Monate.

Sierras de Córdoba um Villa General Belgrano

Sierras de Córdoba um Villa General Belgrano

Córdoba und Buenos Aires

Nach dem Seminar habe ich mir eine Woche freigenommen, um noch mehr von Argentinien zu sehen. Gemeinsam mit einer Mitfreiwilligen habe ich die Zeit genutzt, um mit dem Bus nach Córdoba und von dort aus nach Buenos Aires zu fahren. Wir haben eine Menge gesehen in so kurzer Zeit; von Buenos Aires ist mir vor allem die Gegensätzlichkeit von Reichtum und Armut im Gedächtnis geblieben, die diese Stadt kennzeichnet. Die Armut in den äußeren Vierteln der Stadt steht im extremen Gegensatz zum Prunk im Stadtzentrum mit seinen europäischen Bauten aus dem 19. Jahrhundert oder im renovierten und teuren Hafenviertel Puerto Madero.
Argentinien leidet seit Jahren unter einer Wirtschaftskrise und Inflation. Oft entstehen lange Schlangen an Geldautomaten. Dort kann man meist maximal 2400 argentinische Pesos auf einmal abheben; das entspricht in etwa einem Betrag von 150 Euro.
Was uns auffällt: Viele Leute sind sehr offen und freundlich. Wir werden häufig angesprochen und gefragt, wo wir herkommen und es ergeben sich schnell Gespräche. So erklärt uns ein Kellner im Café, dass er eine Europareise plane und fragt uns, wie man vom Flughafen Berlin Tegel in die Innenstadt käme. Schließlich schenkt er uns einen Reiseführer und wünscht uns noch eine schöne Zeit in Buenos Aires. Und die haben wir tatsächlich.

Mir ist klar, dass die Eindrücke, die ich in der Woche gewonnen habe, nur sehr flüchtig sind. Den Orten kann ich in meinen Worten nicht gerecht werden: Deshalb bleibt es an dieser Stelle bei einigen Impressionen aus Córdoba und Buenos Aires.