Eindrücke nach der Ankunft

In Itacurubí del Rosario ist die Sonne untergegangen und mein erster Tag in Paraguay neigt sich dem Ende zu. Es ist immernoch warm und die Luft schwer von Feuchtigkeit. Von draußen höre ich das Zirpen der Grillen. Hin und wieder dringt das Knattern eines alten Mofas auf unebener Schotterstraße an mein Ohr. Innerlich bin ich noch nicht wirklich angekommen; gesehen habe ich heute eine ganze Menge – es sind nur einige erste Eindrücke, die ich festhalten kann.

Am Flughafen in Asunción holt mich der Schulleiter des Colegios ab. Die Autofahrt bis zur Kolonie dauert in etwa drei Stunden. Das liegt vor allem am Verkehr in der paraguayischen Hauptstadt. Es gibt viel davon und sein Fluss wird durch Baustellen gebremst. Verkehrsregeln werden hier von der Mehrheit der Auto-, Bus- und Motorradfahrer sehr frei interpretiert. Dennoch scheint es zu funktionieren und mir dämmert, dass es hier sehr wohl Regeln gibt – die zwar nirgends niedergeschrieben sind, an die sich jedoch trotzdem alle halten, die mit ihnen vertraut sind.
Die meisten Häuser erstrahlen in kräftigen Farben und scheinbar überall machen die Leute Geschäfe. Wo Autos stehen bleiben müssen, nähern sich bald junge Männer, die Calabazas und Bombillas für Tereré (Trinkbecher mit filterndem Strohalm für Mate Tee), verkaufen wollen. Zu beiden Straßenseiten wechseln sich heruntergekommene kleine Läden in Wellblechhütten mit internationalen Fastfoodketten und modernen Geschäften in Neubauten ab. Vereinzelte Kühe und Pferde grasen am Straßenrand. In Asunción herrscht eine Art Chaos, das dennoch einem geheimnisvollen Ordnungsprinzip zu unterliegen scheint.
Jenseits des Stadtrandes sind die Folgen von El Niño nicht zu übersehen. Ganze Grasebenen stehen unter Wasser. Dort, wo das Wasser zurückgewichen ist, hat es weite, schwarze Wüsten zurückgelassen. Vereinzelt erheben sich zerstörte Häuser und Schuppen aus der flachen Landschaft.
Schließlich lassen wir die vom Hochwasser gezeichneten Ebenen hinter uns und erreichen die Kolonie. Dort werde von meiner Mitbewohnerin – wie von allen, die mir hier begegnen – sehr herzlich empfangen.

Überschwemmungen des Rio Paraguay

Überschwemmungen des Rio Paraguay

¡Preparados, listos, ya!

Morgen ist es endlich so weit: Abends steige ich in München ins Flugzeug und komme am Montag Morgen in Asunción an.
Gleich am Dienstag ist mein erster Arbeitstag im Colegio Friesland. Natürlich bin ich schon gespannt – trotz der kurzen Beschreibung der Einsatzstelle, die ich bekommen habe, weiß ich noch nicht genau, was meine Aufgaben sein werden. Aber bald werde ich das erfahren.
Ich versuche, nicht daran zu denken, was ich alles vermissen werde, und freue mich auf die Arbeit in der Schule, auf meine künftige Mitbewohnerin, mit der ich schon viele E-Mails gewechselt habe und auf das warme Wetter!

Vorbereitungsseminar

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Sämtliche organisatorischen Vorbereitungen, angefangen beim beantragen von Dokumenten für Visa und Versicherungen bis hin zu Reiseimpfungen und Kofferpacken, sind abgeschlossen. Immer wieder stelle ich mir die Frage: „Habe ich etwas Wichtiges vergessen?“
Bei genauerem Nachdenken muss ich mir jedoch eingestehen: Darum geht es hier in Wahrheit gar nicht. Zwar mag auf materieller und formaler Ebene alles erledigt sein. Doch es sind noch viele Fragen offen. Es ist die Ungewissheit darüber, was in den nächsten Monaten auf mich zukommt, welche für meine innere Unruhe verantwortlich ist. Letztlich aber überwiegen die Vorfreude und die Neugierde.

Seit Beginn der Bewerbungsphase im April 2015 ist eine Menge Zeit verstrichen. Nun wird es endlich konkret.
Kurz vor der Ausreise findet in der EJB Werbellinsee in Berlin ein zehntägiges Vorbereitungsseminar statt. Die 175 Freiwilligen kommen mit unterschiedlichen Erwartungen und Vorkenntnissen. Sie werden mit den verschiedenen Partnerorganisationen in Einsatzstellen in Afrika, Asien, Lateinamerika, Osteuropa, dem Nahen Osten und der GUS reisen. Es gibt die Möglichkeit, sich mit anderen Freiwilligen und Alumni auzutauschen. Meine Vorstellung von Freiwilligenarbeit im Ausland wird realer.

Inhaltlicher Schwerpunkt des Seminars sind die Themen Rassismus und Postkolonialismus. In Vorträgen wird deutlich gemacht, dass es sich bei Rassismus nicht um ein menschliches Attribut handelt, sondern um ein historisch gewachsenes Phänomen und Konstrukt.
Dabei wird auch auf  die koloniale Vergangenheit, die den Westen reich gemacht hat und deren Einflüsse bis heute in Gesellschaft und Politik erkennbar sind, aufmerksam gemacht.

In Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden werden Fragen aufgeworfen und diskutiert: Was macht Kultur aus? Welche Rolle haben Freiwillige in ihrer Einsatzstelle? Wie verhält man sich, wenn das im Ausland Erlebte den eigenen moralischen Wertvorstellungen widerspricht? Was ist Rassismus? Was hat Postkolonialismus mit dem Freiwilligendienst zu tun? Wie ist mit Intersektionalität umzugehen?

Zehn Tage voller Diskussionen, neuer Eindrücke und Denkanstöße liegen hinter mir. Einige Fragen werden mich gewiss nicht loslassen und während meiner Zeit in Paraguay nachwirken.
Ich habe mir vorgenommen, in den kommenden Wochen und Monaten regelmäßig zu berichten, wie ich meinen Freiwilligendienst erlebe. Ich werde mir dabei Mühe geben, nicht zu pauschalisieren. Es versteht sich jedoch von selbst, dass ich keinen umfassenden Eindruck weitergeben kann. Mein Bild von Paraguay wird geprägt sein von dem, was mir dort in der begrenzten Zeit an den Orten, an denen ich mich aufhalten werde, begegnet.
Ansonsten: viel Freude auf diesen Seiten!