21. 12. – Der Mann und seine Erbse (griechisches Märchen)

Es war einmal ein junger Mann, der hieß Penteklimas, und der ging in die Welt, um sein Glück zu suchen. Als er eine Weile gegangen war, fand er auf dem Weg eine Erbse liegen und hob sie auf. Indem er sie aufhob, fiel ihm ein, daß er ausgezogen sei, um sein Glück zu suchen, und da er nun die Erbse gefunden, so müsse diese sein Glück sein. Als er darüber nachdachte, wie das sein könnte, sagte er bei sich: »Wenn ich die Erbse stecke, so werde ich übers Jahr hundert Erbsen haben, und wenn ich diese das andere Jahr säe, werde ich das Zehnfache ernten, und im vierten Jahr werde ich viele tausend Erbsen haben; ich bin also gut daran und will die Erbse wohl aufheben.« Er wickelte sie also in sein Taschentuch, hatte aber seine Gedanken immer nur auf die Erbse gerichtet, und sooft er irgendein Geschäft vornahm, ließ er es in der Hälfte, holte sein Taschentuch hervor und sah nach, ob er seine Erbse noch habe. Darauf nahm er eine Feder und rechnete aus, wieviel Erbsen er in dem einen und wieviel er in dem andern Jahr ernten werde, und so fort, und wenn er mit dem Rechnen fertig war, sprach er: »Ich bin gut daran.«

Nachdem er es so eine Weile getrieben hatte, machte er sich auf und ging an die Küste und verlangte zweihundert Schiffe zu mieten, und als ihn die Leute fragten, was er denn mit so vielen Schiffen vorhabe, sagte er, daß er darauf seine Habe verschiffen wolle. Da staunten die Leute und glaubten anfangs, er wolle sie zum Narren halten. Als er aber fort und fort nach Schiffen fragte, verlangten sie von ihm genau zu wissen, wie viele Schiffe er benötige. Da holte der Mann seine Erbse hervor, machte nochmals seine Rechnung und schloß danach seine Verträge mit den Schiffern. Bald danach liefen die Schiffer zum König und berichteten ihm, daß ein Mann in den Hafen gekommen sei, so reich, daß er zweihundert Schiffe verlange, um darauf seine Habe zu verschiffen.

Als das der König hörte, wunderte er sich sehr und ließ den Menschen zu sich kommen, um selbst mit ihm zu sprechen. Der Penteklimas war aber von Gestalt recht ansehnlich und hatte sich so schöne Kleider machen lassen, daß ihm von seinem Vermögen nur zweihundert Piaster übriggeblieben waren; aber er machte sich keine Sorgen, denn er hatte ja die Erbse, mit der er sein Glück machen wollte. Er erschien also guten Mutes vor dem König, und der fragte ihn, wo er denn sein ganzes Geld habe. Der Penteklimas aber antwortete: »Ich habe es an einem sicheren Ort und brauche zweihundert Schiffe, um es hierherzuschaffen.«

Da dachte der König: ›Das wäre ein Mann für meine Tochter!‹ und fragte ihn also, ob er nicht seine Tochter heiraten wolle.

Als der Penteklimas das hörte, wurde er ganz nachdenklich und sagte bei sich: »Ich bin meiner Sache freilich noch nicht sicher, doch wenn ich nein sage, so gibt mir der König die Schiffe nicht.« Als ihn aber der König um eine Antwort drängte, sprach er endlich: »Ich will erst hingehen und mein Vermögen holen, und dann soll die Hochzeit sein.« Da nun der Penteklimas bei einem solchen Vorschlag so bedenklich tat, das machte den König nur noch hitziger, und er sprach also: »Wenn du erst die Reise machen willst, so verlobe ich dich wenigstens mit ihr, und nimm sie, wenn du zurückkommst.« Damit war der Penteklimas zufrieden.

Über dieses Gespräch war es Abend geworden, und der König wollte ihn nicht von sich lassen, sondern befahl, daß er in seinem Schloß schlafen solle. Um nun zu sehen, ob er auch wirklich gewohnt sei, gut zu leben, befahl der König heimlich, daß man ihm zerrissene Bettücher und eine zerlumpte Decke ausbreite und daß ein Diener ihn die Nacht über beobachten solle, ob er schlafe oder nicht, denn: ›Wenn er schläft‹, dachte der König, ›so ist er ein armer Schlucker, wenn er aber nicht schläft, so ist er gut erzogen und in neuem Bettzeug zu schlafen gewohnt und kann also in den Lumpen nicht schlafen.‹

Am nächsten Morgen erzählte der Diener dem König, daß der Penteklimas die ganze Nacht über sehr unruhig gewesen sei und kein Auge zugetan habe. Das kam aber daher, weil der Penteklimas fürchtete, in diesen Lumpen seine Erbse zu verlieren und sie nicht mehr zu finden. So konnte er nicht schlafen und griff immer wieder dahin, wo er sie verborgen hatte, um sich zu überzeugen, daß sie noch da war. Darauf befahl der König, ihm in der nächsten Nacht ein so weiches und so schönes Lager wie nur möglich zu bereiten. In diesem aber schlief der Penteklimas ganz vortrefflich, weil er da keine Angst hatte, daß er seine Erbse darin verlieren könnte.

Als das der König hörte, war er überzeugt, daß dies der rechte Mann für seine Tochter sei, und drang nun darauf, daß Verlobung gefeiert werde. Am Verlobungsabend legte sich die Prinzessin zu ihm. Er hatte jedoch wenig Aufmerksamkeit für sie, denn sein Sinn war auf die Erbse gerichtet und auf die Ernten, die er von ihr erwartete. Kaum war er eingeschlafen, so träumte ihm, daß er sie verloren habe. Da wachte er im Sprung auf und griff so hastig nach seiner Erbse, daß diese zu Boden fiel. Nun fing er an zu schreien und zu schluchzen: »O Unheil! O Unheil! Wo ist mein Glück? Wo ist mein Glück?« Er suchte und klagte, klagte und suchte so lange, bis er sie wiedergefunden hatte, und die Prinzessin wunderte sich nicht wenig über das sonderbare Treiben ihres Verlobten. Hm, so trieb er es eine Weile und vertiefte sich mehr und mehr in seine Rechnungen, bis er endlich, auf Drängen des Königs, zur See zu gehen, beschloß, sich mit zweihundert Schiffen auf den Weg zu machen. Als er aber während der Fahrt wieder einmal über seinen Rechnungen saß, da fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen, wie unsinnig sein Treiben sei, denn noch habe er ja nicht einmal für ein Feld gesorgt, um die eine Erbse zu säen, und nun gehe er mit zweihundert Schiffen, um die Ernte zu holen, die sie erst nach vielen Jahren liefern könne.

»Ich bin ein Wahnsinniger«, sagte er zu sich, »aber was soll ich nun anfangen, wo ich den König und so viele Leute betrogen habe? Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich ins Meer zu stürzen.« Er sann nun auf einen Vorwand, wie er von den Schiffen loskommen könne, und sprach zu den Schiffern, als sie der nächstbesten Küste nahe kamen: »Hier sollt ihr mich ans Land setzen und so lange warten, bis ich euch rufe, denn, um meine Schätze aufzusuchen, muß ich allein sein.« Als er aber ans Land kam, da ging er in einen Wald und versteckte sich darin und wollte nicht eher wieder hervorkommen, bis die Schiffer, des Wartens müde, abgefahren wären. Die Schiffer warteten lange Zeit vergeblich auf ihn, und als er so gar nicht kommen wollte, beschlossen sie, ihn zu suchen. Sie suchen hier, sie suchen da, sie durchsuchen also den ganzen Wald.

Nanu? Da entdeckten sie plötzlich eine Höhle, die ein Arapis mit dem Schwert in der Hand bewacht. Und was sehen sie? Die ganze Höhle ist mit Goldstücken angefüllt! Und nicht weit davon entdeckten sie den Penteklimas, der im Dickicht hockt und sich versteckt. Hi, hi! Sie rufen: »Komm her! Komm her! Wir haben deinen Schatz gefunden.«

Als das der Penteklimas hört, mag er anfangs seinen Ohren nicht trauen, doch faßt er sich ein Herz und kommt hervorgekrochen. Er befiehlt den Schiffern, den Arapis totzuschlagen.

Dann beluden sie die zweihundert Schiffe mit den Schätzen, die sie in der Höhle gefunden haben, und kehrten damit nach Hause zurück. Der König aber empfing den Penteklimas in größter Pracht mit Fackeln und Laternen, und dieser hielt darauf seine Hochzeit mit der Königstochter und wurde ein großer Mann.

Wie dem unser Herrgott beigestanden hat! Denn wenn der Schatz nicht gefunden wäre, so hätten ihn die Schiffer unfehlbar totgeschlagen. Siehst du, wie ihn trotz seiner Narrheit mit der Erbse der liebe Gott nicht zugrunde gehen ließ?

 

Dieses Märchen habe ich dem Buch „Märchen aus Griechenland“ von Constanze Ott-Koptschalijski entnommen. Erschienen ist es 2014 in der Reihe Märchen der Welt