14. 12. – Der arme und der reiche Mann (griechisches Märchen)

Es lebte einmal ein armer Mann mit seiner Familie in einem kleinen Haus. Sein Nachbar war ein reicher Mann, ein Händler. Der arme Mann musste jeden Tag ganz in der Früh aufstehen und den ganzen Tag schwer arbeiten. Auch seine Frau musste früh aufstehen und den ganzen Tag schwer arbeiten gehen. Und so konnten sie sich selbst und ihre Kinder ernähren. Jeden Abend nach dem Essen, da saßen sie noch ein bisschen zusammen. Und auch wenn sie nicht viel zu essen hatten, so wurden sie doch jeden Tag satt. Dann holte der Vater immer seine Bouzouki heraus und spielte ein Lied nach dem anderen. Die Kinder sangen mit und tanzten und waren ausgelassen und fröhlich. Auch seine Frau tanzte mit und klatschte dabei fröhlich in die Hände.

Das beobachtete der reiche Mann, wenn er am Abend von seinem großen Haus in das kleine Haus des armen Mannes schaute. Und er dachte sich: ‚Das muss ein guter Mensch sein… Fröhlich und fleißig ist er auch. Ich will ihm tausend Goldstücke borgen, und dann kann er selber auch ein reicher Mann sein’. Am nächsten Morgen da packte er das Geld zusammen und brachte es seinem Nachbarn hinüber. „Hier hast du tausend Goldstücke, da kannst du auch ein Händler werden und ein reicher Mann sein. Na, was sagst du? Und du brauchst es mir auch erst zurückgeben, wenn dein Geschäft richtig gut läuft.“ Der arme Mann nahm das Geld dankend an.

Und dann setzte er sich an den Tisch und schaute den Sack mit Gold an. Er nahm ein Goldstück heraus und drehte es in den Fingern. Und er verfiel in tiefe Grübelei. Vor lauter Grübeln, da vergaß er sogar arbeiten zu gehen. Und er dachte sich: ‚Soll ich mir jetzt ein paar Olivenbäume kaufen? Oder soll ich Schafe züchten?Oder soll ich mir ein Boot kaufen und Fischer werden?‘

Als die Zeit des Abendessen gekommen war, da schickte er die Kinder fort. Er schimpfte mit seinen Kindern und seiner Frau und die Bouzouki blieb an diesem Abend stumm. Der Mond war schon lange aufgegangen, und er saß immer noch am Tisch und dachte darüber nach, ob er vielliecht Weinhändler werden sollte. So konnte er sie ganze Nacht nicht schlafen. Als ihm seine Frau am nächsten Morgen fragte: „Wie geht es dir, Mann?“ Da sagte er nur so etwas wie „Whrghrchm“. Und dann saß er da wieder den ganzen Tag und dachte darüber nach, was er mit dem ganzen Geld machen könnte. Und auch diesen Abend wurde keine Musik gespielt. Als der reiche Mann hinüber sah zu dem armen Mann, da ging ihm das ab, die Musik und der Tanz. Er konnte kein Lachen und keine Fröhlichkeit hören und die Kinder zogen auch ganz lange Gesichter.

Der arme Mann dachte wieder die ganze lange Nacht nach. Und als die Sonne aufging, da schnappte er sich den ganzen Sack mit den Goldstücken und brachte ihn zurück zu seinem Nachbarn. „Vielen Dank für dein Angebot, Nachbar“, sagte er, „aber hier hast du jetzt dein Geld zurück. Mit diesem Geld kommen so viele Sorgen mit, die kannst du dir auch gerne behalten.“ Dann ging er wieder arbeiten. Und am Abend aß er wieder zusammen mit seiner Familie am Tisch, dann holte er die Bouzouki und sie spielten Lieder und tanzten und waren fröhlich, wie an den anderen Tagen auch. Und so lebte er weiter, sorgenfrei und arm, aber zufrieden.

 

Dieses Märchen, welches zu meinen absoluten Lieblingsmärchen gehört, habe ich aus dem Hörbuch „Zweisprachig erzählen: Volksmärchen aus Griechenland, erzählt auf Griechisch und auf Deutsch“ abgeschrieben. Dieses ist 2017 in der Erzählwerkstatt produziert und veröffentlicht worden und wurde von Tommi Horwath und Olga Kessaris gesprochen.