Am Montag und Dienstag bin ich umgezogen und wohne jetzt direkt unter Lotte. Bisher hatte Anja hier gewohnt, nun nenne ich sie mein Eigen. Zuerst wollte ich überhaupt nicht hier einziehen; das Zimmer erschien mir düster und unwohnlich und generell i bäh.
Dann allerdings ging mir meine Hotelabstellkammer mit der Zeit tierisch auf den Sack – aus genau diesen Gründen. Die war nämlich wirklich üärks. Außerdem stellt sich heraus, dass es unglaublich schwierig ist, eine möblierte Wohnung mit Internet zu bekommen, darüber hinaus noch eine für ein ganzes Jahr und dann dazu möglichst nah am Zentrum – ich bin ja immer zu Fuß unterwegs. Außerdem hat es mir Anja ziemlich leicht gemacht, mich hier wohlzufühlen, indem sie ihren halben Hausrat hier liegen ließ, der z.B. aus Räucherstäbchen, schönen(!) Tellern, einer prall gefüllten Essenskammer und einem knallbunten Regenschirm (vergessen) besteht. Nachdem auch das gewisse Mindestmaß an Unordnung herrscht und ich im Chaos all der mir vertrauten Dinge hocke (merkwürdig, wie man so an Dingen hängen kann), fühle ich mich langsam wirklich wohl. War wohl nur eine Kopfsache. Wie schon Neo erkennen musste: „There is no spoon.“
Dennoch bleibt einiges zu tun:
- Glühbirnen austauschen
- Cinch-Kabel für den Fernseher kaufen#
- Herausfinden, wie man mehr als ein Rinnsal warmes Wasser aus der Leitung bekommt (mal sehen, ob das irgendwelche Auswirkungen auf meine persönliche Hygiene haben wird 😉 )
- Kleiderhaken in die Wand donnern
- Töpfe und Pfannen kaufen
- größere Backform anschaffen
- Pfefferstreuer kaufen (einen Salzstreuer in Form eines psychedelisch bemalten Schweinchens habe ich bereits gefunden)
- von Hand spülen lernen
- Handtücher kaufen
- frische Bettwäsche einkaufen sowie
- nicht bis zur letzten Faser durchgelegene Matratzen organisieren
- Anjas Sojaschnitzel aufessen
- einen Riegel an die Tür anbringen, die leider nicht mehr richtig ins Schloß fällt
usw. usf.
Was die Matratzen angeht, so hatte ich auch schon im Hotel derbst durchgelegene gehabt. Gerüchten zufolge ist das hier wohl häufig anzutreffen, da Matratzen gemessen an übrigen Kosten für den Haushalt wohl schweinisch teuer sind. Da muss ich mal nachforschen, bevor wir jetzt alle ein falsches Bild der Schlafsituation Argentiniens haben 😛
Wie man erkennen kann, sind die Wänder jedoch noch ein wenig nackig. Daher fordere ich jetzt höflichst jedermann und jederfrau, die des Lesens und Schreibens mächtig ist auf, mir an folgende Adresse was zum Hängen und/oder erfreuen zu senden:
Timon Traub
Las Piedras 666 (Völliger Ernst!)
8400 San Carlos de Bariloche
ARGENTINA
Bitte keine Wertsachen schicken; Briefe aus dem Ausland werden hin und wieder geöffnet, bevor sie ankommen.
Auf den Bildern sieht man übrigens meine bescheidene Behausung (ist klar) sowie die Experimentalbackwerkstatt, die ich mir eingerichtet habe (und für die ich von Lotte immer schmachtende Blicke zugeworfen bekomm, wenn ich ankündige, wieder zu backen). Das hat damit zu tun, dass wir Deutschen ja unglaublich brotverwöhnt sind. Entweder ich habs auf meinen bisherigen Reisen immer verpasst oder es gibt tatsächlich nur wenige Flecken auf dieser Erde, wo man richtig ordentliches Brot bekommt. Oder die deutsche Definition eines „gescheiten Brotes“ ist sehr seltsam. Sei es wie es sei, mit dem hier käuflichen Brot findet man keine Freunde. Entweder es ist Toast (wobei es eine gigantische Auswahl an den verschiedensten Sorten – auch viel Vollkorn – gibt), oder es handelt sich um Baguette. Eine Randerscheinung stellt der Vollkornkonditor am Fuße des Berges hier dar, der auch normales Brot backt. Das allerdings ist ein wenig fad. Sobald ich hier einen leckeren Bäcker finde, melde ich mich wieder. Worauf sich die Argentinier allerdings vorzüglich verstehen, ist die Herstellung von facturas, kleinen (zumeist Hefe-)Teilchen, die süß und unwiderstehlich sind.
Helga, eine der Lehrerinnen bei uns, verstand unser Geklage jedenfalls vollauf und gab mir ein Rezept für Roggenmischbrot auf den Weg – dieses habe ich bereits veröffentlicht und nach einigen Durchläufen noch ein wenig nach Gusto abgeändert.
Derart auf den Geschmack des Backens gekommen (und von Lottes träumerischen Blicken angespornt) entsann ich mich meiner Mama, die großer Sauerteigfan ist. Nach ein bisschen Recherche und Erinnerungen an Aussprüche unserer Ernährungsberaterin stellte ich fest, dass das doch gar nicht sooo schwierig sein könnte.
So also kam Eines zum Anderen und ich setzte mir einen Sauerteig an. Der riecht zwar merkwürdig, aber Forumsberichten nach zu Folge ist „merkwürdig“ viel besser als „schlecht“. Alles Teil des Gärungs- und Verhefungsprozesses. Wer jemals einen Herrmann oder ähnliche Späße herangezüchtet hat, kennt das Prinzip eines Sauerteigs bereits.
Roggenmehl und Wasser in eine Schüssel geben, umrühren, warm stellen, warten. Dann immer brav füttern. Heute (nach 3 Tagen) habe ich nach meiner Rückkehr in mein Häuschen auch artig gefüttert und drei Stunden später (als ich grade dabei war, mein Hefe-Roggenbrot anzumischen) drohte der Sauerteig über den Rand der Schüssel zu treten, da sich das Volumen etwa verdoppelt hatte. Kurz entschlossen entschied ich mich zur Entschärfung der Situation ein wenig Sauerteig ins Roggenbrot reinzugießen. Mehr Triebkraft könnte ja nicht schaden, dachte ich.
Dachte ich.
In der Backform sah auch alles aus wie die Male davor; der Teig füllte die Form bis an den Rand aus und innerhalb von 5 Minuten ging er auch nicht mehr wirklich auf; höchstens noch ein paar Millimeter.
Nach fünf Minuten im Ofen allerdings hatte ich den Salat: Der Teig war aus der Form förmlich herausgeschossen und hatte 50% der Höhe der Form zusätzlich nach oben gewonnen.
Das fertige Ergebnis ist optisch sehr skurril, ich verspreche mir jedoch lecker lecker mjam mjam. Angeschnitten wird erst morgen, wenn es ausgekühlt ist. Lotte werde ich ihren Teil vermutlich einfach vor die Tür legen, damit sie mich nicht vor Begeisterung übers Treppengeländer nach unten schubst oder so. Quatsch, alles nur Spaß 😉
Ich bin bestimmt der einzige Bekloppte, der seinen Bloglesern aus 12500 Kilometern Entfernung derart detailliert übers Brotbacken berichtet.
Vielen Dank, lieber Timon, für deine Rundmail und für die spannenden, farbigen, lebhaften Blogs, mit denen du uns unter- und auf dem Laufenden hältst. Nun funktioniert sogar das skypen zwischen Bariloche und Leverkusen.
Auf bald. Papa.
PS: Wie schmeckt denn nun das Sauerteig-Brot – oder habe ich einen Eintrag dazu überlesen?
Okay, entweder Pfanne oder Mikrowelle. Mal sehen.
Problematisch wird es wohl mit Backpulver/Hefe. Aber vielleicht finde ich ja jemanden, der mich beim Einkaufen begleitet und der für mich die Schriftzeichen entschlüsselt. Packpulver heißt übrigens 發粉 (fāfěn).^^
Ich werde meine Erfahrungen posten!
@Axel: Ich wusste doch, dass ich dazu schon einmal was gelesen hatte; allerdings nur aus reinem Interesse, nicht aus Notwendigkeit:
http://www.chefkoch.de/forum/2,1,49315/brot-backen-ohne-ofen.html
Erzähl mir mal ob das was geworden ist 😉
Brot in der Mikrowelle dürfte ziemlich schwer werden, da eine Mikrowelle (wie der Name sagt) anders heizt als ein Ofen. Alles, was du mit einer Mikrowelle erreichen dürftest, ist, dass dein Teig kocht. Aber ich lass mich gerne vom Gegenteil überzeugen wenn du in die Richtung Experimente anstellst. Viel Erfolg! 😉
Freut mich, dass du deine neue Bude gefunden hast! Sieht ja auch ganz schick aus, das Teil! Zum Thema Matratzen kann ich dir nur zustimmen…das ist wahrlich ein Graus! Mein Rücken und mein Nacken bedanken sich jeden Morgen persönlich bei mir…meine Wanddekoration ist noch nicht angekommen?? Dachte eig. das die Post innerhalb Argentiniens keine halbe Ewigkeit braucht…
Unser Brotbackversuch hat sich übrigens nach ein paar Tagen in den Mülleimer verabschiedet – der Schimmel hatte zugeschlagen!
Aber wenn ich aus Buenos Aires zurück bin wird der deutsche Bäcker hier im Ort mal getestet – die Laugenbrezeln sind schon mal super, jetzt hoffe ich, dass das Brot es auch ist…
Ich muss mal nach nem Rezept für Mikrowellenbrot fahnden.
In (Süd?-)China ist die Brotsituation ähnlich wie du sie beschrieben hast; man kriegt höchstens Baguette bei Carrefour.
Nur gibts hier leider auch keine normalen Ofen – jedenfalls habe ich keinen und ich kenne auch niemanden, der einen hat.
Vielleicht brat ich mir auch ein Brot in der Pfanne? °°
… wobei man das ’spätestens‘ wohl streichen müsste.
spätestens zu weihnachten werde ich dir dann wohl einen schönen wandschmuck mitbringen. ganz persönlich.
😀