Die Erde bebt, Schamanen tanzen

Die neue Woche begann mit einer Annäherung an die mongolische Kultur: der ersten Unterrichtstunde in der Sprachschule. Als erstes muss ich wohl das mongolische Alphabet und seine Aussprache lernen, aber mein Gastbruder Sukhbat ist ein guter Nachilfe-Lehrer und so konnte ich bis Mittwochabend immerhin schon die Zahlen bis 100. Für den Anfang gar nicht so schlecht.
Nach dem Sprachkurs sah ich mir eine Fotoausstellung über die olympischen Spiele an, die Luise und ich kürzlich entdeckt hatten. Da es der letzte Tag war, waren einige Bilder schon abgehangen worden, aber auch die noch vorhandenen zählten nicht zu den großen Kunstwerken des 21. Jahrhunderts.
In dem Museum traf ich aber auf jemanden, der dort im Photolabor arbeitet und lange Zeit in Deutschland gelebt hatte. Seine Geschichten sprudelten aus ihm heraus und ich fragte auch gleich nach, ob ich eventuell in meinen Ferien ein Praktikum bei ihm machen könne. Viele freie Stunden in dieser Woche nutzte ich dazu, mir ausführlich Gedanken über die Zeit nach meinem Jahr in der Mongolei zu machen. Den Wunsch, Fotojournalismus zu studieren, hatte ich schon in Deutschland, also warum nicht schon hier die ersten Erfahrungen sammeln.
Am Dienstag war ich mit meinen Gedanken ganz woanders, nämlich in Griechenland. Frau Merkel war dort zum Staatsbesuch geladen und es gab eine Live-Übertragung im Internet, die ich am Abend gespannt verfolgte. Vormittags in der Schule wollte ich eigentlich mit dem Deutschland-Rückkehrer Projekt anfangen, beziehungsweise es weiterführen, da die Idee von meinem Vorgänger stammt. Auf Grund einiger Kommunikationsschwierigkeiten kamen aber nur sehr wenige Schüler. Der erste aus der fünften Klasse wohnte in Berlin in der mongolischen Botschaft, war also quasi mein Nachbar und es war sehr amüsant sich mit ihm über unsere Wohngegend zu unterhalten.
Die Zehntklässler schienen alle sehr motiviert zu sein, vor allem die Idee ein Schülerparlament zu organisieren fanden sie super! Meiner Meinung nach ist das auch eine wichtige Sache, denn viele Sachen laufen an der Schule undemokratisch ab und es gibt Vorschriften, die die Schüler nicht einsehen. Eine große Sache ist beispielsweise, dass die Lehrer immer im Unterricht telefonieren, es den Schülern aber verbieten. Auch die Schuluniform wollen die Schüler abschaffen, denn sie finden es doof, dass alle gleich aussehen müssen.
Am Mittwoch stand dann mein erster Friseur-Besuch in der Mongolei an. Das klingt wahrscheinlich spektakulärer als es war, denn Haare abschneiden läuft hier auch nicht anders ab, als in Deutschland. Außer dass sich die Friseuse fast geweigert hat, mehr als einen Zentimeter abzuschneiden. Am Ende war ich dann aber doch zufrieden.
Als ich nach Hause kam war wieder Full House. Diese mal aber nicht wegen einer Familienfeier, sondern auf Grund eines schamanisches Rituals, und das lief wie folgt ab:
Tuya (meine Gastmutter) zieht sich ihre besondere schamanische Kleidung an, die eigentlich ein deel ist, an dem viele Naturmaterialien hängen, zum Beispiel Knochen oder Felle. Dann setzt sie sich vor einen Tisch, auf dem kleine Tiere aus Holz und Butterkerzen stehen. Außerdem trägt sie eine Maske, so das man ihr Gesicht nicht sieht, sondern in aufgemalte Augen schaut. Dann beginnt sie zu trommeln und die anderen drehen ihre Hände mit der Handinnenfläche nach oben und halten sie vor sich.
Alle singen gemeinsam mongolische Lieder und an einem gewissen Punkt wird das Trommeln lauter und Tuya steht auf. Zegi (meine Gastschwester) schiebt dann den Hocker zur Seite und schiebt einen bequemeren Stuhl unter Tuyas Hintern.
Nach einander kommen die Leute zu ihr und knien sich auf den Boden. Sie erzählen ihr von ihren Sorgen und sie, die vorher durch diese Zeremonie die Geister ihrer verstorbenen Vorfahren angerufen hat, gibt ihnen Tipps, wie sie ihre Probleme lösen können.
Erst waren Leute da, die nicht zur Familie gehörten, danach kamen die Familienmitglieder dran. Ich glaube, es waren einige Tanten, Cousins und Cousinen anwesend. Die waren jedenfalls alle nett und einige haben Englisch mit mir gesprochen und mir die Zeremonie erklärt.
Am nächsten Tag kam die Familie von Zegis Freund zur Beratung zu uns.
Der nächste Tag in der Schule begann mit einer erschreckende Information: Gestern hatte es ein Erdbeben gegeben. Und als ich so drüber nachdachte, fiel es mir auch wieder ein, dass ich im Büro saß und mich wunderte, wer dort draußen so einen starken Presslufthammer verwendete. Denn genauso fühlte sich das Erdbeben an. Der Boden hatte leicht vibriert, und da ein Mitteleuropäer dabei natürlich nicht an ein Erdbeben denkt, war ich auch einfach im Büro geblieben. Im Nachhinein war das natürlich ganz schön leichtsinnig. Am selben Abend gab es auch noch eine Lehrerkonferenz, bei der darüber informiert wurde, wie man sich bei zukünftigen Beben verhalten solle. Die dazu gehörige Übung fand am Freitag im Beisein der Feuerwehr statt.
Auch ich war zu dem Zeitpunkt in der Schule, als einzige deutschsprechende Lehrerin. Die anderen waren nämlich alle zu der asienweiten Deutschlehrer-Konferenz gefahren, für die ich ursprünglich auch angemeldet war. Als ich dann am Freitag morgen bei Minus 5 Grad am Sukhbaatar-Platz stand, fand man jedoch meinen Namen nicht auf der Liste der Teilnehmer. Was mich aber am meisten ärgerte war die Tatsache, dass sich meine Kolleginnen überhaupt nichts daraus machten und sich so verhielten, aber ob sie nicht im geringsten etwas mit der Situation zu tun hätten.
Ich wollte mir aber dadurch auch nicht den Tag vermiesen lassen und ging erstmal frühstücken.
Bis zum Stromausfall arbeitete ich noch im Büro, unter anderem bastelte ich das Brandenburger Tor aus Papier, um zu testen, ob dies eine geeignete Beschäftigung für die Schüler sei.
Das Wochenende war die pure Entspannung. Den Samstag war ich mit Luise unterwegs, denn an ihrer Schule fand eine Talentshow statt, die wir uns ansahen. Manche Beiträge waren sehr unterhaltsam und ich bin gespannt, welche Klasse den Wettbewerb gewonnen hat.
Am Sonntag ging ich Nicos Tipp nach und lief zum Golden Gobi Hostel. Denn dort wohnt derzeit ein Schwede, der in die Jurtensiedlungen fährt, um Interviews durchzuführen. Da mein kulturweit-Projekt eine Reportage über die unterschiedlichen Lebensweise von Mongolen werden soll, würde ich gerne mit ihm zusammen arbeiten. Leider ist er noch bis Montag weg, also habe ich ihm eine Nachricht hinterlassen, in der Hoffnung dass er sich meldet.
Am Nachmittag habe ich den Versuch unternommen, einen Kuchen zu backen, der mir mäßig geglückt ist. Zegi findet ihn aber lecker, das freut mich.
Die neue Woche startet also dann damit, mal ein Wort mit meinen Kolleginnen zu reden, weiter fleißig mongolisch zu lernen und hoffentlich dem Beginn meines kulturweit-Projekts!

 

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