Langsam ankommen

Endlich habe ich ein neues Zimmer gefunden! Micki, eine Deutschlehrerin meiner Schule, hat mir dabei geholfen. Kim und ich sind gestern zusammen zur Wohnungsbesichtigung gegangen und es hat mir sofort gefallen. Ich habe ein schönes Bett mit einer weichen Matratze. Dazu einen Schreibtisch, einen Kleiderschrank, Internet in meinem Zimmer (!!!), an der Wand zwei wunderschöne Pferdekopfgeigen und in den nächsten Tagen kommt noch ein Bücherregal dazu. Außerdem ist das Zimmer sehr hell und die Wohnung liegt direkt im Häuserblock hinter der Schule.

Ich freue mich wirklich riesig, dort einzuziehen. Ich wohne dann bei der Informatiklehrerin unserer Schule, die außerdem Schamanin ist. Sie hat wohl auch einen Sohn, 16 Jahre alt, der noch dort wohnt und eine 18-jährige Tochter. Die ist aber schon ausgezogen und kommt nur ab und zu mal vorbei. Ich hoffe wirklich, dass ich mich gut in die neue Familie integrieren kann, einige Erfahrungen, aus denen ich lernen kann, habe ich ja schon gemacht. Auf jeden Fall kann ich bestimmt eine Menge über mongolische Traditionen lernen, oder über Informatik. Am Montag ziehe ich um, also heißt es morgen Abend Koffer packen!
Aber auch der Rest der Woche war interessant. Wie wir ja auf unserem Vorbereitungsseminar gelernt haben, sollen die Projekte, die wir mit den Schülern machen, spaßig und lehrreich sein und sich nach deren Bedürfnissen richten. Und da unsere Schüler immer gerne singen, tanzen und auch deutsche Lieder kennen lernen wollen, haben Kim und ich für nächsten Freitag eine Deutsche Disco geplant. Bisher fehlt uns noch die Genehmigung der Direktorin und das Einverständnis der Eltern, aber wir haben ja noch eine Woche Zeit und für Mongolen ist das seeehr viel.
Ebenfalls eine Neuentdeckung war das Fitnessstudio, das direkt hinter unserem Haus liegt. Bisher waren wir schon zweimal dort und haben uns auch für die nächste Zeit ein regelmäßiges Training vorgenommen. Es ist eine wunderbare Ablenkung von allem anderen, man fühlt sich danach immer besser als vorher und wenn die Mongolen ihre Essgewohnheiten nicht in den nächsten Tagen radikal umstellen, werden wir sonst nur noch größere Klamotten kaufen müssen.
Mit dem Muskelkater ging es dann heute mit der Familie unseres Fachberaters (Herrn Bückert), den zwei „Senioren-Experten“, Kim, Lena, Luise und mir um halb 11 los zu einem abenteuerlichen Ausflug. Erster Stopp nach 1,5 Stunden Fahrt durch eine Millionen Schlaglöcher war die riesengroße, neugebaute Dschingis Khan-Statue. Einerseits sagt man ihr nach, dass alle Mongolen mächtig stolz auf sie seien, weil sie ihren Nationalhelden so groß wie nur möglich verkörpert, andererseits ist silberglänzend ein Farbton, den es in der Natur der Mongolei eher selten gibt und somit gibt es verschiedene Meinung über diese monströse Konstruktion. Ein Mongole, mit dem wir uns kürzlich zum Abendessen getroffen haben war ebenfalls der Meinung, dass die Statue zwar beeindruckend sei, aber überhaupt nicht in die Landschaft passe.
Ich finde auch, dass es eigentlich eine eher sinnlose Erfindung ist, aber der Ausblick, den man vom Kopf des Pferdes hat, das man von innen besteigen (haha) kann, ist schon nicht schlecht.
Es gibt aber auch hier wieder einen tollen neuen Plan, wie man die Landschaft verunstalten kann. Um das Denkmal herum soll nämlich eine riesige „Mittelalteranlage“ entstehen. Den Plan dafür gibt es schon so lange wie das Denkmal, bisher wurden ganze 8 Jurten aufgebaut…
Auch dem Fluss „Tuul“ haben wir noch einmal einen kleinen Besuch abgestattet. Dieses mal trafen wir auf ein paar Angler, die ihr Glück versuchten. Leider traf der Satz „Der ist aber dick“ nicht auf das Lebewesen an dem Ende der Angel zu, an dem sich ein Haken befindet, sondern auf das andere.
Unsere nächste und letzte Station war ein Hotel. Aber kein Hotel, wie ihr es euch vielleicht vorstellt. Es war eher eine riesige Parkanlage mit Schlafmöglichkeit. Es sah so aus, als ob man ein ehemaliges Kloster zu Luxuszwecken umgebaut hätte. Und dabei haben sich die Mongolen sehr viel Mühe gegeben. In der Mitte der Anlage steht das Restaurant, dass leider einige sehr vergessliche Kellner angestellt hat. Wenn man weiter durch die Tore der Mauer geht, die die Häuser eingrenzt, kommt man in einen kleinen Birkenwald und dahinter zum Fluss. Auch das war wieder eines der idyllischsten Plätzchen, die ich bisher hier gesehen habe.
Und auch war es wieder eine der widersprüchlichsten Fahrten außerhalb der Stadt, denn man kommt aus dieser schönen Anlage heraus, fährt 5 Minuten mit dem Bus und befindet sich in einer bewohnten Müllhalde in der Menschen leben, die sich dieses Hotel wahrscheinlich niemals von innen angucken werden, da sogar das Eintritt kostet.
Ihr Leben sieht anders aus. Sie treiben die Kühe auf die Weide, im Hintergrund rauchen die Schornsteine und rattern die Elektrizitätswerke. Ihre Kinder spielen auf der Wiese und wünschen sich zu Weihnachten kein iPad. Und wir fahren in einem Auto, was sich in diesem Moment anfühlt wie ein Mikrokosmos, durch Blech abgetrennt von dieser anderen Welt, mittendurch und zurück in die Stadt.
Es ist schwer zu sagen warum, aber trotz alledem habe ich in den letzten 2 Tagen das Gefühl gehabt, hier langsam anzukommen. Mich mit vielen Dingen abzufinden und zu akzeptieren, dass sie mir über dieses Jahr noch oft begegnen werden. Und auch zu wissen, was ich hier für mich erreichen will, was meine Ansprüche an mich selbst sind und mit welchem Gefühl ich nach Hause fahren will.

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