post

Tag 174 – Versumpfen

Der Wecker klingelt, ich höre ein grummeliges „Och nee“ aus Richtung Christian. Noch etwas verschlafen tapse ich in die Stube wo ich von Helen und Arne mit der ersten Anekdote des Tages begrüßt werde: Um Punkt sieben ist Helen hochgeschreckt mit der Frage: „War Sonja gerade hier?“ Ich glaube, das war Vorfreude 😉

Vom Herumgealber und Gekicher angelockt, kommt auch bald Christian aus seinem Nest und wir stillen unseren Frühstückshunger an dem riesen Teller selbstgemachten Kuchen, den uns die Vermieterin gestern vorbeigebracht hat (entgegen Arnes Befürchtung bleibt kein Krümelchen übrig). Als wieder alles im Auto verstaut ist, verabschieden wir uns vom Vermieter, lassen unser Auto jedoch vorerst auf dem Hof stehen. Schließlich haben wir gestern einen kleinen Wanderweg entdeckt, den wir jetzt – praktisch als Osterspaziergang – in Angriff nehmen wollen.

Und obwohl das zunächst einmal ein bisschen melodramatisch klingt: Der erste Teil des Weges wird durchaus anstrengend, da wir uns unseren eigenen Pfad durch eine matschige Kuhweide bahnen dürfen. Schon bald erfüllt ein fröhliches Schmatzen die Luft, ergänzt von dem ein oder anderen Seufzer. Nachdem wir die Herde unter vielen wachsamen Kuhaugen passiert haben, macht Arne kehrt, um sich mit den Tieren anzufreunden. Wir anderen schauen ihm gespannt (und zugegebenermaßen auch etwas belustigt) dabei zu.

Danach gewinnen wir wieder festen Boden unter den Füßen, als wir einen Damm besteigen und uns auf den Weg zurück zum Dorf machen. Ab ins Auto und nach Krapje, denn nach der Wanderung ist bekanntlich vor der Wanderung. Kaum ausgestiegen werden wir von einem jungen Hund angesprungen – unser „Fremdenführer“, wie uns sein Herrchen aus dem Fenster zuruft. Ein Stück des Weges begleitet er uns schwanzwedelnd (und seine Nase in unfeine Dinge steckend), dann kehrt er um. Wie gehen hingegen weiter, zuerst zu einer Wiese voller Schweine mit Kringellöckchen, dann zu einem Aussichtstum und schließlich entlang der Straße zurück.

Eine kurze Fahrt mit dem Auto, dann erreichen wir auch den letzten Punkt auf der heutigen Liste: Jasenovac, das einstmals größte Konzentrationslager Kroatiens und nach Gefangenenzahlen eines der größten in ganz Europa. Vom „Auschwitz des Balkans“ selbst ist nichts mehr erhalten, aber es gibt eine kleine (geschlossene) Gedenkstätte und ein Mahnmal. Die Infotafeln sind so vergilbt, dass man sie kaum noch lesen kann und im Mahnmal selbst steht nur eine einzelne Kerze. Kein Wunder: Dieser Teil der Geschichte ist in Kroatien – ganz anders als in Deutschland – kaum präsent. Und doch, wie dieser Ort zeigt, nicht ganz unwichtig.

Und für alle, die es eher in bewegten Bildern mögen: https://www.youtube.com/watch?v=7RDs2Vuw_AQ – ein aktueller, serbischer Spielfilm über das Lager.

Mit Christian am Steuer treten wir danach unseren letzten Teil der heutigen Reise an: Auf der Autobahn geht es nach Slavonski Brod, der zweitgrößten Stadt Slawoniens. Wir checken in unser geräumiges Apartment ein und schälen uns aus den schlammverkrusteten Wanderstiefeln und den ebenso treckigen Hosen. Eine*r nach der bzw. dem anderen verschwindet unter der Dusche, ein Festessen wird vorbereitet und zum krönenden Abschluss spielen wir eine Runde Karten. Alles andere muss und kann bis morgen warten.

post

Tag 173 – Zugvögel

Meine erste Nacht in einer Maisonette-Wohnung und ich muss sagen: Puh, da oben kann es schon ganz schön warm werden. Darum bin ich auch gar nicht so ungnädig, als ich heute Morgen von Arnes polternden Schritten auf der Treppe geweckt werde. Noch ein paar Mal drehe ich mich um die eigene Achse, dann geht es mit Arne auf den Zagreber Markt. Nach seinem letzten Trip in die Hauptstadt hatte er von den unterirdischen Markthallen geschwärmt und dass ich diese noch nicht selbst entdeckt habe, kann ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen.

Zuerst schlendern wir also durch die Stände auf dem Marktplatz, dann wagen wir uns in den Untergrund. Und tatsächlich: Das Angebot dort unten ist absolut sehenswert! Ganze Pötte Sauerkraut, selbstgemachter kroatischer Frischkäse, Schafsköpfe – all das ist dort zu haben. Für unser Frühstück entscheiden wir uns für eine breite Palette an Croissants, Strudel, Cremeschnitte und Kuchenstückchen. Außerdem suchen wir uns auf dem Rückweg noch ein paar liebevoll bemalte Ostereier aus.

Kaum sind die süßen Stückle verspeist und die Eier sowie alles weitere eingepackt, trudelt auch Helen bei uns ein. Zusammen quetschen wir uns in ein Uber zum Flughafen – bzw. ich mache es mir in aller Ruhe auf dem Beifahrersitz bequem, alle anderen kuscheln sich aus Angst vor einem Gespräch mit dem Fahrer auf die Rückbank (Zitat Arne: „Ich glaube, ich spüre meine linke Seite nicht mehr“).

Am Flughafen angekommen, werden wir auf die Autoverleih-Container verwiesen. Und während die Jungs sich erst um die Formalitäten kümmern, um anschließend im Regen das Auto zu begucken, stapeln Helen und ich uns mit dem Gepäck unter einem kleinen Dach. Zuerst dreht Christian eine Proberunde auf dem Parkplatz (Automatik ist nun mal Gewöhnungssache), dann geht es auf die Straße. Wir fahren durch immer kleinere Dörfchen, vorbei an Feldern und Wiesen und auch an einem Wildunfall: Ein Reh hat es erwischt.

Unser Ziel ist das „Uprising Monument“, ein ehemaliges Denkmal des antifaschistischen Widerstands. Heute kennt man es eher als Lost-Place, was auch erklärt, warum es auf meiner To-See-Liste steht. Ganz dorthin schaffen wir es zunächst jedoch nicht, denn unsere Fahrt endet auf einer schlammigen Schotterpiste. Doch „nema problema“, schließlich lassen sich die restlichen drei Kilometer zur Bergspitze auch bequem zu Fuß erledigen (auch wenn Christian dabei seinen  – mit Absicht – zu Hause gelassenen Wanderschuhen nachtrauert).

Oben angekommen bietet sich für uns ein ehrfurchterregender Blick auf das seltsam geformte Gebäude. Ist das Betongerüst auch noch größtenteils intakt, so hat sein Kleid über die Jahre doch etwas gelitten: Einige Stahlplatten der schimmernden Fassade fehlen bzw. wurden geklaut. Doch obwohl uns dabei ein wenig mulmig zu Mute ist, wagen wir uns über die verschlungenen Beton- und Stahltreppen bis hoch hinauf auf‘s Dach. Und die Aussicht über die hellgrün austreibenden Wälder gibt uns Recht.

Wieder zurück am Fuße des Gebäudes wird die andächtige Stille abrupt unterbrochen: Ein Auto fährt – ganz Kroaten-Style – bis ans Monument vor und erschreckt Arne dabei fast zu Tode. Vom Timing aber passt es ganz gut, denn auch wir müssen langsam weiter. Der Himmel zieht zu und kurz bevor wir das Auto erreichen, fallen erst Tröpfchen, dann Graupel, dann Hagel. Kalt, klamm und mit matschigen Schuhen retten wir uns ins Innere des Wagens und fahren einkaufen.

Der Weg zum Supermarkt führt uns dabei durch Petrinja, dem Ort, in welchem im Dezember das Epizentrum des starken Erdbebens lag. Und bis heute sind die Spuren kaum verblasst: Eingefallene Fassaden, Rohbauten und gesperrte Straßen bzw. Umleitungen – der Eindruck ist bedrückend.

Nach unserem Einkauf übernimmt Arne das Steuer und sammelt auf den letzten Metern bis zu unserer heutigen Unterkunft fleißig Autos hinter sich. Er ist wohl der Einzige, der die kroatischen Geschwindigkeitsbegrenzungen ernst nimmt. Schlimm ist das allerdings überhaupt nicht, denn so haben wir reichlich Zeit, die hübschen kleinen Holzhäuschen auf der einen Seite und das idyllische Flussbett der Sava auf der anderen Seite zu betrachten. Und am Ende erreichen wir ja trotzdem unser Ziel des Tages: Čigoć – das Dorf, in dem es mehr Störche gibt, als Menschen (sogar wenn man die Storch-Figuren im Garten, die Storch-Stickereien der Gardinen und die vielen Storch-Souvenirs nicht mitzählt).

Ein bisschen spannend wird es noch, als wir versuchen in die falsche Unterkunft einzuchecken. Doch nur wenig später stehen wir dann vor unserem eigenen Holzhaus für die Nacht – zwar ohne WLAN (und damit habt ihr auch die Begründung für den etwas verspäteten Blogeintrag ), dafür aber mit jeder Menge Kuchen. Bevor wir uns den allerdings zu Gemüte führen, steht zunächst noch ein kurzer Abendspaziergang durch das kleine Dorf an. Wir bewundern den Sonnenuntergang auf der Sava und schauen den Storchenpärchen zu, wie sie zurück in ihre Nester fliegen. Und dann tun wir es ihnen gleich.

In unserer gemütlichen Stube sitzen wir am Küchentisch, kochen zu viel Reis und lassen ihn anbrennen, essen und genießen unsere analoge Zeit. Zumindest alle bis auf Christian (alias „Hase“), dem Helen schließlich ein Buch anbietet. Ich werde langsam wieder wach, die anderen müde. Christian legt sich ins Bettchen und schläft ein, Arne knipst ihm das Licht aus und schließt leise die Tür. Gute Nacht.

post

Tag 172 – Flotte wiedervereint

Sieben Uhr dreißig – so langsam färbt der Frühaufsteher auf mich ab. Aber heute ist es sogar ganz praktisch, einmal etwas mehr vom Tag zu haben, schließlich ist es mein letzter im schönen Bjelovar.

Und um den noch einmal richtig auszukosten, schwingen wir uns nach dem Frühstücken und Packen auch direkt wieder auf die Räder. Den ersten Teil der Strecke kenne ich schon. Das heißt natürlich nicht, dass es uns langweilig wird – dafür sorgt allein schon, dass meine Kette nach einer rasanten Bergabfahrt abspringt. Ein, zwei fachmännische Handgriffe von Arne und weiter geht’s. Allerdings diesmal im Tal. Wir kommen an freilaufenden Hühnern, Hunden, Katzen, Osterlämmern und einem Fohlen vorbei.

Bald erreichen wir Veliko Trojstvo – kleines Silo, kleine Stadt.In einer Dorfkneipe alias Café gönnen wir uns eine Pause, dann geht es zurück. Doch diesmal über einen anderen Weg. Der hat zwar am Anfang zwei fiese Anstiege (die ich, ich gebe es zu, mein Fahrrad hochschiebe), führt danach jedoch wunderbar auf dem Bergkamm entlang. Außerdem erreichen wir dabei einen schönen Aussichtsturm.

Zurück in Arnes Wohnung schultern wir die gepackten Taschen (drei bis vier pro Person) und zuckeln zum Bahnhof. Dort angekommen kaufen wir uns die Tickets und gehen erwartungsvoll auf die Plattform – was sich allerdings als klassischer Frühstart herausstellt, denn unser Zug fährt erst in einer Stunde. Und so chillen wir uns erst einmal auf die von Gänseblümchen übersäte Wiese vor dem Bahnhofsgelände.

Die Stunde verstreicht und nicht lange, dann sitzen wir im Zug, der sich mit dröhnendem Dieselmotor und gelegentlichem Hupen seinen Weg Richtung Hauptstadt bahnt.

In Zagreb wollen wir natürlich zuerst in unser schickes Apartment einchecken, doch wie es eben so ist, der eine verlässt sich bei der Suche nach dem richtigen Weg auf den anderen und umgekehrt. So laufen wir erst einmal an unserem Ziel vorbei, um anschließend auf zwei getrennten Wegen wieder zueinander zu finden. Oder wie Arne sagen würde: Erst schweigen wir uns eineinhalb Stunden an (wie haben Musik gehört) und dann zoffen wir uns (wenn ich nun mal Recht habe 😉 ), um uns am Ende wieder zu vertragen.

Im Apartment angekommen, stoßen schon bald Christian und Helen zu uns. Christian ist gestern aus Pula angereist, Helen seit nunmehr zwei Wochen in Zagreb. „Nicht reisen, Kontakte vermeiden“, hieß es passend dazu heute Morgen in tagesschau – doch genau das ist unser Plan: Eineinhalb Wochen Osterfahrt durch Slawonien.

Aber auch heute wollen wir bereits etwas Zeit miteinander verbringen. Alle ein wenig aufgekratzt, drehen wir eine Runde durch die Stadt, machen ein obligatorisches Gruppenfoto und trinken Kaffee. Danach zieht es Helen zurück in ihre brandneue WG und Christian geht mit, um seine Sachen zu holen (wobei er – typisch Christian – die Hälfte wieder vergisst). Währenddessen spazieren Arne und ich durch einen hübschen kleinen Park zum Botschaftsviertel und suchen uns unsere Traumvilla heraus.

Für den Abend steht dann schließlich auch noch das gemeinsame Abendessen aus. Doch das erweist sich in Anbetracht des unermesslichen Angebots schwieriger als gedacht. Die Jungs, mit hungrigen Mägen, werden ungeduldig, doch wie es so ist: Am Ende findet sich was.

Während wir essen plätschert der erste Sommerregen um uns nieder. Doch den feierwütigen Menschenmassen Zagrebs tut das keinen Abbruch. Zum einen fühlt es sich wunderbar normal an, an diesem lauen Frühlingsabend draußen zu sitzen und anderen beim Cocktail-Schlürfen zuzuschauen. Zum anderen ist es erschreckend, wie viele Zagrebacki sich in den Bars tummeln. Ganz so, als gäbe es kein Corona und als wäre Kroatien nicht gestern erst vom RKI als Risikogebiet eingestuft worden.

Nicht zuletzt aus diesem Grund verzichten wir auf unseren Absacker und holen uns auf dem Rückweg stattdessen lieber noch einen leckeren Nachtisch. Tja und dann heißt es ab ins Bettchen, denn morgen beginnt unser Abenteuer.

post

Tag 171 – Reinfall

Heute gab es Frühstückseier mal anders – ein Schlingel, der Böses dabei denkt. Was ich damit meine ist: Arne und ich haben fleißig Ostereier gefärbt. Und die Verluste gleich zum Frühstück verspeist.

Danach vergräbt sich Herr Lehrer wieder in seine Arbeit während es mich hinaus in die Sonne zieht. Am Bjelovarer Zentralplatz angekommen muss ich schmunzeln, denn auf die Szene, die sich mir dort bietet, bin ich nicht vorbereitet: Biker in bunten Hasenkostümen verteilen Ostereier an Kinder. Es gibt einfach nichts, was es nicht gibt.

Vom Platz aus tauche ich anschließend wieder in das Schachbrett-artige Straßennetz ein. Denn was mich in Bjelovar bisher am meisten überrascht hat, ist die omnipräsente Street Art. Und tatsächlich finde ich neben einer Schule auch die Katzen aus Rijeka wieder. Wie die wohl hierher gelangt sind?

Ein wenig die Straße hinunter entdecke ich den Friedhof der Stadt und – was mich noch mehr fasziniert – eine Industrieanlage. Leider finde ich jedoch weder die Zeit, noch das passende Loch im Zaun, um mir das Ganze näher anzuschauen.

Stattdessen stehe ich etwas später am Busbahnhof Bjelovars und bekomme erst einmal einen kleinen Schreck, als ich die Uhrzeit an der Bahnhofssäule sehe. Doch schnell bemerke ich: Alle Uhren gehen anders und keine davon richtig. Und so habe ich noch ein paar Minuten Zeit, bis mein Bus nach Virovitica abfährt.

Als er schließlich ankommt werden erst einmal die Pakete ausgeladen – denn hier in Kroatien ist es immer noch üblich, Pakete den Fernbusfahrern mitzugeben. Und warum auch nicht? Wenn es schneller und günstiger ist als via Post… Außerdem kann man gerade in abgelegeneren Gebieten auf diese Weise gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und die geringen Fahrgastzahlen ausgleichen: Mit mir steigen nur zwei andere Personen in die „Postkutsche“ ein. Allerdings steigen sie auch bereits nach kurzer Zeit mit ihren Wocheneinkäufen irgendwo in einer Haltelücke wieder aus. Dafür erhalte ich bald darauf Gesellschaft von einer Gruppe Jugendliche, die nach Đurđevac wollen.

Auch ich wäre in Đurđevac ganz gerne ausgestiegen, aber leider geben die Verbindungen das nicht her. Doch als hätte der Busfahrer mein Dilemma gespürt, rollen wir beinahe direkt an der einzigen Attraktion des Ortes, einer trutzigen kleinen Burg, vorbei.
Die eine Gruppe Jugendlicher steigt aus, eine neue ein und der Bus fährt mit noch offenen Türen weiter.

Nicht mehr lange, dann sind wir auch schon am Ziel meiner heutigen Reise: Virovitica. Auch bei der Ankunft dort ist die Stadtrundfahrt inklusive, denn die Hauptattraktion liegt auf dem Weg. Somit sind es auch vom Busbahnhof nur wenige Schritte zum Schloss in zartrosa.

Über die „bridge of love“ betrete ich den Park und setze mich in die pralle Sonne. Diesen letzten Schritt wiederhole ich etwa alle 200 Meter, während ich das Gebäude umrunde. Auf der anderen Seite angekommen, überquere ich die „Gymnasium bridge“ auf welcher – ganz passend – einige Schüler*innen das Wochenende begrüßen. Wie die Hühner sitzen sie sich auf Bänken gegenüber – die Jungs auf der einen Seite, die Mädels auf der anderen.

Ist der Park mit dem Schlösschen sicher generell schon ein echter Hingucker, so wurde sich bei der Osterdeko noch einmal extra ins Zeug gelegt: Überall Hasen und Eier und zwar in sämtlichen erdenklichen Farben, Formen und Materialien.

Nachdem ich das Schloss aus so ziemlich jedem Winkel gewürdigt und fotografiert habe, schlender ich zur Kirche und werfe einen Blick hinein. Fazit: Goldene Altäre soweit das Auge reicht.

Wieder im blendenden Sonnenschein frage ich mich, was Virovitica sonst noch zu bieten hat. Aber als ich die sternförmig stadtauswärts führenden Straßen ein wenig entlanglaufe, kehre ich doch immer wieder recht schnell zum Schloss zurück. Am Ende hole ich mir dann einfach ein Eis. Und für mehr ist auch gar keine Zeit mehr, denn der Bus zurück nach Bjelovar steht schon bereit.

Dort angekommen werde ich erst einmal richtig von Arne auf den Arm genommen. Denn natürlich falle ich auf seinen Aprilscherz „mir sind unsere liebevoll gefärbten Ostereier runtergefallen“ herein.

Am Abend wollen wir die 25 Grad noch ein wenig genießen und setzen zu einem Spaziergang entlang der Bahnstrecke an. Ein bisschen Nervenkitzel ist sicher mit von der Partei, als wir auf den Gleisen balancieren und schließlich sogar auf die dort abgestellten Güterwaggons steigen. Sowas geht in Deutschland sicher nicht. Bald darauf haben wir Bahn und Stadt zurückgelassen und setzen uns bei einem Fischteich ins Gras. 

Doch nicht lang, dann grummeln unsere Bäuche vor Hunger. Zurück in der Stadt müssen wir allerdings feststellen, dass andere den gleichen Plan hatten, denn alle Tische auf den Terrassen sind besetzt. Kurzerhand holt Arne uns also eine Grillplatte von seinem Restaurant des Vertrauens und wir geben unser Bestes dem vielen leckeren Fleisch Herr bzw. Frau zu werden. Denn ab morgen, wenn wir Kroatien-Freiwilligen (fast) alle wieder auf einem Haufen sind, wird wohl wieder vegetarisch gekocht. In dem Sinne: One last Cevapi!

post

Tag 170 – Delphin

„Was gibt es denn in Bjelovar?“, diese Frage wurde mir von allen Kroat*innen gestellt, wenn ich ihnen erzählte, wohin es mich vor Ostern hinverschlägt. Bisher lautete meine Antwort dann einfach: „Arne, ein anderer Kulturweitfreiwilliger, wohnt dort“. Doch jetzt, nach einem Tag der „ultimativen Bjelovar-Experience“ (so zumindest Arnes Versprechen), könnte ich da noch Einiges hinzufügen:

Denn nachdem ich Arne heute Morgen an der Schule abgeliefert hatte, stromer ich ein wenig ziellos durch die Straßen der Altstadt und komme dabei an dem ein oder anderen Kunstwerk vorbei – viele der Häuser zieren bunte, moderne Bilder und überall auf dem Zentralplatz stehen bemalte Ostereier. Wie Arne berichtet, habe ich Glück, denn die letzten Wochen wurde der Park einmal komplett umgebaggert. Und auch jetzt flattern noch ein paar bedrohlich aussehende Absperrbänder mit Totenkopf an der ein oder anderen Stelle. Auf einer Bank mit Blick auf die hübsch angelegten Blumenbeete und die farbenfrohen Gebäude lässt es sich in der Sonne allerdings jetzt schon prächtig aushalten.

Während Arne also fleißig seiner Arbeit nachgeht, gehe ich zum hoch-aufragenden Silo. Die Silos, so weiß ich von Arne, sind auf dem Land ein Statussymbol: Nur große Städte wie Bjelovar haben eines. Wobei letzteres nicht ganz korrekt ist, wie ich herausfinde, denn Bjelovar hat sogar zwei Silos! Oha, das muss aber eine wichtige Metropole sein 😉

Auf dem Rückweg zur Schule stolpere ich außerdem über einen kleinen Second-Hand-Laden. Doch ich muss mich zusammenreißen, schließlich ist mein Gepäck für die Heimreise schon gut ausgereizt und auch für die anstehende Osterfahrt wird es sicher eng im Auto (so zu fünft…). Außerdem wartet Arne schon auf mich, denn natürlich möchte ich auch in seiner Schule vorbeischauen. Im Lehrerzimmer treffe ich die zwei Deutschlehrerinnen und mit einer von ihnen geht es direkt in den Unterricht. Die Abiturient*innen besprechen gerade den Film „Die Wolke“ – das harte Fazit der Schüler*innen: Nicht sehenswert. Im zweiten Teil der Stunde wenden wir uns also einem leichteren Thema zu: Ostern. Oder wie ich es nennen würde: Atheisten erzählen von christlichen Traditionen…

Nach der Stunde bleibt noch Zeit für ein nettes Schwätzchen im Deutsch-Raum (so ein exklusives Büro haben wir in Rijeka nicht) und kaum haben wir uns versehen, wird Arne beurlaubt und wir sind auf dem Weg zur besten Eisdiele der Stadt.

Im strahlenden Sonnenschein schmilzt uns das Eis unter den Fingern weg. Und doch landet genug der großzügigen Portionen in unseren Bäuchen. Gut daher, dass für den Nachmittag eine Fahrradtour geplant ist. Noch ein Zwischenstopp in Arnes Lieblings-Second-Hand-Laden (ich geb’s auf) und ein kurzes Mittagsschläfchen, dann schwingen wir uns auf die Drahtesel.

Mein blaues Fahrrad quietscht (ich nenne es Delphin), Arnes Rad (alias Timon) schnurrt und voller Tatendrang flitzen wir durch die Straßen Richtung Stadtrand. Zuerst geht es ganz wunderbar geradeaus. Doch dann kommt das Unerwartete: Hügel! Tja, da denkt man Slawonien sei eine endlose, flache Piste und Pustekuchen. Mit etwas Keuchen und ein paar Hupen erreichen wir aber trotzdem – wenngleich nicht das ambitionierte Ziel – so doch zumindest einen schönen Ausblick. Versüßt wird der uns von einem Kaffee unter Kirschblüten.

Anschließend geht es zu Fuß weiter, wir tauchen in den Wald ein. Unter den Bäumen blühen die Veilchen (und noch ein paar andere, weiße Blumen, deren Namen ich schon wieder vergessen habe) und einmal sehen wir zwei Rehe davonspringen. Mal folgen wir dem gekennzeichneten Weg, dann verlieren wir ihn. Doch am Ende kommen wir wieder bei unseren Fahrrädern raus, die geduldig auf uns warten.

Einen kleinen Hügel geht es noch hoch, dann kommt die Abfahrt. So ganz traue ich dem Geräusch meiner Bremsen nicht, doch tatsächlich kommen wir nicht nur heil unten an, sondern auch in Bjelovar (auch wenn Arne auf den letzten Metern fast noch von einer Autofahrerin mitgenommen wird).

In Bjelovar stoppen wir ein letztes Mal beim Eierautomat (super Teil!), um uns für die anstehenden Ostervorbereitungen einzudecken. Und dann ist es Zeit für eine Dusche, ein leckeres Abendessen und – zumindest im Fall von Frühaufsteher Arne – das Bett.

post

Tag 169 – Frachter

Gerade erst wurde das eine Frachtschiff aus dem Suez Kanal befreit, schon ist das nächste unterwegs – und damit meine ich natürlich mich selbst. Mit langen Umarmungen verabschiede ich mich von meinen Mitbewohnerinnen und mache mich mit vier vollgestopften Taschen auf den Weg zum Bus in die Hauptstadt.

Mit einem freundlichen Abwinken lässt der Fahrer mein Sammelsurium als Handgepäck durchgehen und gut gelaunt lasse ich mich in meinen Sitz fallen. Ein Problem gelöst, bleiben noch zwei weitere: Strom und WLAN, die Grundbedürfnisse eines Digital Natives – gerade in Zeiten des Home Offices.

Letztes lässt sich mit Hilfe des Fahrkartenkontrolleurs schnell einrichten, doch in Punkto Stromzufuhr erweist sich der Bus leider als Steckdosenfreie-Zone. Und so gibt mein braver, alter Laptop auch nach einer Stunde Nachbereitungsseminar traurig blinkend den Geist auf.

Mit dem Handy geht es weiter, wenngleich auch ohne WLAN. Denn obwohl wir uns langsam aber sicher der Hauptstadt näher, Internet ist und bleibt im 21. Jahrhundert so eine Sache.

Pünktlich zum Beginn der Mittagspause komme ich in Zagreb an und ächze ein wenig über den Weg vom Busbahnhof zum Hauptbahnhof. Aber ist er auch länger als gedacht, so führt er mich zumindest an einer bunt besprühten Mauer vorbei. Im Bahnhof schließe ich mein Gepäck ein und kehre wortwörtlich erleichtert an die frische Luft zurück.

Eineinhalb Stunden habe ich, bis es mit dem Seminar weitergeht. Und für die habe ich mir vorgenommen den letzten großen Park auf meiner Zagreb-Liste abzuhaken. Das Blöde an den Parks in Zagreb ist allerdings, dass sich diese meist etwas außerhalb befinden. Und mit etwas meine ich circa drei bis vier Blocks alias rund 30 Minuten. Entlang großer, stark befahrener Straßen stiefel ich los, überquere die Sava und erreiche einen kleinen Baggersee. Im Sommer muss es hier echt nett sein, mit der Open-Air-Bühne, den Spielplätzen und Eisständen. Auch ich kann natürlich nicht widerstehen und gönne mir ein spottbilliges Eis.

Was mich allerdings noch mehr verzückt, ist die Erkenntnis, dass einige Bänke des Parks Solarbänke mit Ladekabelanschlüssen sind. Mein Akku-Problem scheint gelöst – bis ich feststelle, dass sie nicht funktionieren. Die Buchsen sind verrostet…

In den verbleibenden fünfzehn Minuten bis zum letzten Teil des Seminars umrunde ich also den See und halte fleißig Ausschau nach Steckdosen. Und tatsächlich – am Ende werde ich fündig: In einem kleinen Toilettenhäuschen. Nicht gerade das Ritz, aber wen kümmerts!  Ok, die Putzfrau schaut ein wenig verwirrt, als sie mich pfeifend auf dem heruntergeklappten Toilettendeckel findet, aber wer Out-of-Home-Office machen will, braucht einfach etwas Humor.

Mit ganz wundervollen 89 Prozent Akku breche ich schließlich wieder auf Richtung Innenstadt. Auf dem Damm begegne ich dabei einigen Schüler*innen-Trauben und frage mich schon, was die denn hier treiben, als wir an einem Mann vorbeikommen, der mit seinem Handy Codes auf den Handys der Schüler*innen einscannt. Sportunterricht in Zeiten Coronas – nicht übel.

Eigentlich hatte ich vor, auf dem Rückweg noch einen Lost-Place zu erkunden, aber leider kann ich die verlassene Fabrikhalle nicht finden. Aber vielleicht auch besser so, schließlich möchte ich mich noch mit Helen auf einen Kaffee treffen. Während ich auf sie warte, setze ich mich in den Park vor dem Hauptbahnhof und genieße den Blick auf das von Magnolienblüten eingerahmte Museumsgebäude im Vordergrund und die Spitzen des Doms und des Zagreber „Hausbergs“ Sljeme im Hintergrund. Ein Taubenmännchen schwirrt laut gurrend um ein Weibchen herum, dann pingt mein Handy:
Helens Bahn will nicht kommen und meine fährt bald schon wieder ab. Und so setze ich mich schon einmal ins Café und bestelle unsere Getränke.

Kurz darauf sehen wir uns das erste Mal in Person – und ich muss Arne zustimmen: Helen ist eine „Nette“ 😉 Außerdem hat sie das kroatische Bezahlen schon super drauf (das nächste Mal geht auf mich 😉 ). Nach unserem kurzen, aber knackigem Gespräch bringt sie mich noch schnell zum Zug. Dabei hätten wir – wie ich endlich entspannt in meinem Sitz angekommen bemerke – noch ganze zehn Minuten gehabt… Aber egal, denn am Wochenende sehen wir uns ja schon wieder. Und dann auch ein wenig länger!

Doch jetzt steht erst einmal ein anderes Wiedersehen an: Es geht nach Bjelovar. Sanft ruckelt der Zug vorbei an unzähligen Feldern und kleinen Örtchen. Ich schreibe ein wenig und als ich auf die Uhr schaue, sehe ich, dass meine Ankunft direkt bevorsteht.

Kaum aus dem Zug gehopst, steht Arne auch schon vor mir. Das etwas bockig Rennrad vor sich herschiebend führt er mich durch die Blickachsen des Festungsstädtchen – natürlich nicht ohne die kleinen aber feinen Sehenswürdigkeiten hervorzuheben. Nach einem weiteren kurzen Abendspaziergang vor dramatisch gerötetem Himmel zaubert Arne noch ein vollendetes Drei-Gänge-Menu auf den Tisch, dann geht es für uns ab in die Falle. Denn Arne muss morgen früh raus und auch ich bin hundemüde aber glücklich.

post

Tag 164 – Sonnenbrand

Katharina hat DSD-Prüfungen auf Krk, Merle und ich haben Urlaub. Während Katharina in das dunkle, kalte Schulgebäude verschwindet, trinken wir einen Morgenkaffee am Hafen von Krk, schlendern durch die kleinen Gässchen bis zum Stadtstrand und rüsten uns im Supermarkt für eine Wanderung ins Landesinnere.

Schon während wir die Straßen Krks hinaufgehen, wird uns warm. Die erste Schicht, die Jacken, sind bald in unseren Rucksäcken verstaut, die Pullover folgen wenig später. Keine einzige Wolke ist am Himmel zu sehen.

Nicht lange, dann haben wir auch die letzten Häuser hinter uns gelassen, der Asphalt weicht Schotterwegen. Oder besser gesagt: Vielen, sich verzweigenden Schotterwegen. Folglich erweißt es sich auch als ein wenig kompliziert, den richtigen Weg zu finden. Einmal biegen wir falsch ab. Aber das ist kein Drama, schließlich bietet uns die Sackgasse einen schönen Blick zurück auf Krk. Ohne weitere Umwege erreichen wir Vrh (heißt „oben“ und ist es auch). Leider hat das einzige Cafe im Örtchen zu, doch die Bäckerei ist geöffnet und so decken wir uns mit einem verspäteten Frühstück ein.

Verspeist wird es allerdings erst, als das nächste Dörfchen, Kosic, in Blickweite kommt. Und das dauert ein wenig länger als geplant, da wir uns ein zweites Mal verlaufen. In Kosic angekommen, werden wir von den Hunden des Orts mehr oder weniger freudig begrüßt und von den ersten Osterlämmern skeptisch beäugt.

Im Tal geht es anschließend wieder zurück nach Krk (wobei wir das erste Mal richtig von meiner Wander-App geortet werden – ich bin ehrlich überrascht). Wir klettern einen klapprigen Hochsitz hinauf und entdecken nicht nur die überwachsenen Ruinen aus der Wegbeschreibung (der eigentliche Grund für die Wanderung), sondern noch ein weiteres verfallenes Haus.

Mit etwa zwei Stunden Verspätung erreichen wir Krk (oder wie @arne sagen würde: Samo malo). Dort, am Hafen, erwartet uns bereits John, der mit seinem „Auto“ nachgekommen ist. Zusammen mit ihm und Katharina setzen wir uns ein zweites Mal ins Hafencafe, dann ist es Zeit für den krönenden Abschluss des Tages: Baska!

Im November bin ich bereits mit Yvonne auf das gleichnamige Bergplateau hinauf gewandert, nun wollen wir uns auch die Stadt im dahinterliegenden Tal anschauen. Unter Kroaten*innen ist sie vor allem für ihren langen Strand bekannt. Ich bin hingegen vor allem auf die Berge gespannt. Denn fährt man (so wie wir) von Krk nach Baska, kommt das Auto erst einmal ins Schnaufen. Steil geht es hoch und steil geht es danach wieder runter. Auf der Bergkuppe dazwischen hat man jedoch einen wunderschönen Blick. Dort anzuhalten ist meiner Meinung nach also ein absolutes Muss!

Und das, wie ich später von meinen Mitbewohnerinnen erfahre, nicht nur wegen der fabelhaften Aussicht, sondern auch wegen des Monuments: Was für Laien wie mich wie eine etwas überdimensionierte Gabel aussieht, ist der Buchstabe A in einer historischen, kroatischen Schriftart. Doch seelig sind die Unwissenden: Wir steigen zügig wieder ins Auto – denn noch liegt Baska im Sonnenschein!

Und tatsächlich: Unsere Eile zahlt sich aus! Gerade so noch ein Fingerbreit Sonne blinzelt über den Bergrücken, als wir den Strand betreten. Kurzentschlossen zieht John sich aus und geht (trotz unzähliger Seeigel) ins Wasser. Respekt – heute wäre es sogar mir zu kalt gewesen. Wieder trocken und angezogen schlendern wir noch die Hafenpromenade entlang: Zuerst zum kleinen Hafen, dann durch die Tetris-mäßig übereinander gestapelten Häuser zurück zum Auto und weiter entlang am Strand. John lässt einen Stein unglaubliche zehn Mal (oder noch mehr) übers Wasser hüpfen. Und auch Merle und ich heben ein paar Steine auf. Allerdings nicht, um sie ins Wasser zu werfen, sondern weil sie so schön sind – jede Farbe und Form ist vertreten. Etwa in der Mitte des Strandes stolpern wir über die „Erste Badeanstalt der Insel Krk“. 1904 wurde sie erbaut und ganz ehrlich: So sieht sie auch aus. Das, was uns am Gebäude jedoch am Meisten fasziniert, ist nicht sein Alter, sondern das Holzkreuz auf seiner Terrasse.

Mittlerweile hat sich die Sonne auch von den ihr zugewandten Berghängen verabschiedet, die Inseln sind in kühles Licht getaucht und auch uns zieht es Richtung Westen. Zeit, den Rückweg anzutreten. Noch auf der Fahrt hinaus aus dem Tal werden wir von einem traumhaften Sonnenuntergang überrascht.

Als wir schließlich die Brücke aufs Festland erreichen, strahlen uns die Lichter Rijekas entgegen. Besonders das rießige Containerschiff, das ich heute Morgen beim Anlegen beobachtet habe, funkelt wie ein Christbaum. Und auch mein Gesicht leuchtet, als ich es wenig später im Spiegel betrachte – allerdings nicht nur wegen des schönen Tages, sondern auch aufgrund der vielen Sonne: Es ist soweit, ich habe meinen ersten Sonnenbrand 2021.

post

Tag 163 – Schiffe versenken

Nach Lieblingsplatz Nummer zwei war heute meine Nummer eins an der Reihe: Torpedo.

Wunderbar ausgeschlafen (wobei ich, wie ich später von Dosi erfuhr, vor lauter Stundenplanchaos eine Stunde verdusselt hatte) mache ich mich vormittags auf den Weg zu Merle. Dort erwartet mich nicht nur ein Hammer-Ausblick vom Balkon, sondern auch ein super Frühstück.

Nach diesem guten Start kann es ja nur gut weitergehen und so machen wir uns auf die Socken. Ich begrüße den kleinen Leuchtturm, die Ölraffinerie und schließlich den versteckten Hafen wie alte Bekannte. Als dann die Torpedo-Abschussrampe vor uns auftaucht, ein löchriges, vor sich hin rostendes Etwas, ist der Tag perfekt noch bevor er überhaupt richtig begonnen hat.

Ein wenig juckt es mir in den Fingern, schon jetzt meine Kleider abzustreifen und ins türkisblaue, kristallklare Wasser einzutauchen. Aber das spare ich mir heute lieber für einen anderen Ort auf. Und so bewundern wir stattdessen die morschen Holzkonstruktionen, die altersschwach in ihren Scharnieren hägen. John klettert eine gefährlich aussehende Sprossenleiter hoch, Merle beobachtet ein paar sich tummelnde Fische und ich starre für einige kostbare Minuten hinaus aufs Meer.

Dann kehren wir Torpedo den Rücken und machen uns an den Aufstieg zum Haupteingang der lediglich einen Katzensprung entfernten Werft. Doch so ehrfürchtig die Statue dort auch auf uns herabblickt, mit der Werft ist es wie mit der gesamten Industrie Rijekas: Es geht bergab.

Für uns geht es das dann auch (und zwar wortwörtlich), den unser nächstes Ziel für den Mittag ist Kantrida. Wir schlendern den Strand entlang bis zu einem weiteren kleinen Hafen. Und dort steht sie: Die Rutsche!

Ein bisschen größer als in meiner Erinnerung erscheint sie mir (Höhenangsthäschen, das ich nun einmal bin) und kritisch nehmen wir die Wassertiefe davor in Augenschein – aber: Sto u redu (alles in Ordnung). Für das perfekte Rutscherlebnis stakse ich also in das arschkalte Nass, klettere wieder auf den Steg und erklimme die Leiter. Die Aussicht von ganz oben ist wunderbar, der Blick nach unten einfach nur furcheinflößend. Doch nach ein paar Minuten fasse ich mir ein Herz, stoße mich ab, rutsche – und komme kurz vor dem Ende der Bahn quietschend zum Sitzen. Lachend stehe ich auf und springe ins Wasser. Tja, da war wohl noch zu wenig Wasser im Spiel. Also noch ein Versuch! Und noch einmal bleibe ich kläglich stecken. Wahrscheinlich würde ich immer noch auf dieser Rutsche stehen, doch Gott sei dank gibt es Leute, die mitdenken. Und Gott sei dank gehören Merle und John dazu. So wird die gemeinsame Wasserflasche für den höheren Zweck geopfert und mit Meereswasser gefüllt zu mir nach oben gereicht. Was dann folgt ist der ultimative Kick – ich glaube noch einen Kilometer weiter hat man mein halb panisches, halb jauchzendes „Arrrgh!“ gehört, gefolgt von einem lauten Platschen. Ganz undamenhaft plumpse ich ein ums andere Mal ins Wasser.

Danach schnell abgetrocknet, einen wärmenden Kaffee im ebenfalls wärmenden Sonnenschein und nichts wie am Stadion vorbei hinauf zum Bus. Ein schnelles, verspätetes Mittagessen und schon geht es in die Schule. Heute haben wir wortwörtlich Spätschicht.

 

PS: Wer sich für die Torpedo-Rampe und ihre Geschichte interessiert, der/die sollte sich unbedingt einmal die Online-Ausstellung dazu anschauen: https://www.muzej-rijeka.hr/en/zbirke/torpedo-of-rijeka/

Eigentlich wollte ich ja selbst noch in das dazugehörige Museum. Aber das hat wegen „Kälte“ bis Mai geschlossen. Auch einmal ein spannender Grund 😉

post

Tag 162 – Abfieren

Nachdem der Countdown meiner Rijeka-Tage unerbitterlich voranschreitet, gilt auch weiterhin das Motto: „Seize the day“. Oder wie im Fall von heute: „Seize the half-day“. Denn als ich endlich das Haus verlasse, ist es schon früher Nachmittag. Dabei bin ich mir immer noch nicht sicher, was ich mit dem wunderbaren Sonnentag eigentlich anfangen sollen. Nach Meinung meiner Mama: Egal was, aber Hauptsache nicht in den Schatten gehen. Was tue ich also? Ich gehe in den Schatten – oder genauer gesagt: Ins Tal.

Der Grund dafür: Ich möchte mich von all meinen Lieblingsplätzen in Rijeka verabschieden. Und dazu gehört eben auch die Hartera-Fabrik. Auf dem Weg dorthin verewige ich noch fix ein paar Gebäude und bunte Wände auf Fotos (und damit in meinem und eurem Gedächtnis).

An meinem Lieblings-Lost-Place Nummer zwei angekommen, drehe ich eine kurze Runde durch die verfallenen Hallen. Dann geht es weiter – hinein ins Tal.

Denn wenn ich schon einmal ins Landesinnere stiefel, dann kann ich auch gleich einen anderen Lieblingsort von meiner Abschieds-To-Do-Liste streichen: Die Ruinen im Tal. Doch noch bevor ich sie erreiche, verzaubert mich der Blick zurück: Trasat, Hartera, Rijeka – ein Bild und zugleich so viele schöne Plätze und Erinnerungen.

Und obwohl der Weg beim zweiten Mal schon vertraut ist, so gibt es auf ihm (bzw. auf kleinen Abwegen von ihm) trotzdem immer wieder etwas Neues zu entdecken: Zum Beispiel die Badestelle in der Felsspalte.

Nach diesem kurzen Abstecher überquere ich das Flüsschen und tauche wieder in meinen persönlichen Dschungelbuch-Moment ein: „Ich bin der König der Affenstadt, der größte Klettermax…“ dudelt es in meinem Kopf, während ich unter wackeligen Torbögen und umgekippten Baumstämmen hindurchtauche. Ja, ich weiß, kein Tempel und keine Lianen – aber genauso wie im Dschungelbuch bestehen auch die Ruinen der Mühlen aus saftigem, wildem Grün und mächtigen, bröckeligen Mauern.

Nach Mühle Nummer eins, geht es zu Nummer zwei, dann den Berg hinauf. Etwas nervös schiele ich dabei immer wieder auf mein Handy-Display. Denn zum einen würde ich heute (zur Abwechslung) gerne mit etwas Akku nach Hause kommen, zum anderen bei Tageslicht. Eiligen Schrittes erklimme ich also die bekannten Pfade. Oben angekommen sehe diesmal sogar auch den Wegweiser, den ich im Januar so gekonnt ignoriert hatte. Und so geht es auf neuen Wegen weiter – die Entdeckerin in mir ist überglücklich!

Am Ziel der Reise, der Kapelle des Veli Vrh, gönne ich mir das erste Mal, seit ich aufgebrochen bin, eine Pause. Und dann werde ich übermütig:

Zuerst einmal setze ich mir in den Kopf, den großen Bunker hochzuklettern. Die Aussicht, so bin ich überzeugt, muss einfach gut sein von dort oben! Tastend setze ich einen Fuß nach dem anderen in die Ritzen des rauen Putzes und ziehe mich hoch. Soweit so gut. Und die Aussicht ist wirklich nicht zu verachten. Richtig spannend wird es allerdings (wie jeder Kletterer zu Genüge weiß) beim Abstieg. Und natürlich hänge ich dabei erst für ein paar Momente in der Luft. Aber am Ende stehe ich doch wieder mit beiden Beinen auf festem Boden. Die ältere Dame mit Pudel, die natürlich genau im passenden Moment herbeispaziert kam, scheint zumindest sichtlich beeindruckt (oder doch eher verwirrt?).

Als wäre das an Abenteuer für heute nicht bereits genug, beschließe ich, den Heimweg etwas abzukürzen. Nun, sagen wir so: Ich erreiche mein Zuhause weder mit funktionierendem Handy, noch bei Tageslicht. Denn wer Rijeka kennt, der weiß, dass die Autobahn sich wie eine Schnur durch die Stadt zieht. Und das blöderweise genau auf halber Höhe. Wer also (wie ich) von hoch oben am Berg nach unten in die Stadt möchte, der muss an irgendeiner Stelle drüber hinweg oder drunter durch. Doch von diesen Stellen gibt leider wenige – oder um es etwas genauer zu sagen: Zwei in annehmbarer Entfernung. Ich entscheide mich für Option Nummer zwei – die große Unbekannte – und scheitere dementsprechend kläglich: Nach rund 30 Minuten stehe ich (wenn auch an einem Ort mit ausnehmend schöner Aussicht) direkt vor der Autobahn.

Natürlich steht genau in diesem Moment auch mein Handy-Akku kurz vor dem Kollaps während sich die Sonne stoisch hinter Ucka verabschiedet. Glücklicherweise ist der Rückweg bis zur letzten (und wie sich herausstellt falschen) Abzweigung nicht allzu weit und keine Viertelstunde später befinde ich mich auf der richtigen Seite der Autobahn. Von dort ist der Rest nur noch ein Klacks.

Mit Füßen so platt wie Pfannkuchen (@arne das zum Thema Pfannkuchen sind das Gleiche wie „Berliner“) und einem schwarzen Loch in meinem Bauch betrete ich meine WG – nur um in der Küche auf einen großen Teller voll „Armer Ritter“ und ein Glas mit Schoko-Vanillepudding (@arne übrigens unverbrannt 😉 ) zu stoßen. Noch bevor meine Müdigkeit die leiseste Chance hat, sich in schlechte Laune zu verwandeln, bin ich somit satt, glücklich und geborgen. „Seize the day?“ – Ich würde sagen: Mehr geht nun wirklich nicht.

PS: Hier der passende Soundtrack zum Motto

post

Tag 161 – Backfisch

„Frische Fische“ gibt es heute in Rijeka und damit meine ich – naravno – Merle (und John).

Meine letzte Arbeitswoche (und zugleich auch letzte Woche in Rijeka) bricht an und das heißt in erste Linie eines: Wissenstransfer ist angesagt. Denn durch das Corona-Chaos und die in Folge etwas verspätete Ausreise im Oktober haben wir jetzt den Vorteil, dass „Alt“ und „Neu“ sich begegnen und austauschen können.

Und das nützen wir natürlich nicht nur auf Arbeitsebene aus: Nach einem Crash-Kurs in Deutschunterricht à la Sonja ziehen wir weiter in die Stadt. Merle wechselt ihr Geld und ist schwuppdiwupp (was für ein schönes Wort – sollte man echt öfters benutzen) um einiges reicher (zumindest auf dem Papier). Wir laufen an der Schule vorbei (denn die ruft erst später) und pilgern zum Hafen. Der erste Kaffee steht an.

Dort stößt schließlich auch John zu uns, gerade rechtzeitig für Stopp Nummer zwei: Das Mittagessen. Ich entscheide mich für Hai, John nimmt ein Thunfischsteak und Merle einen (wenn auch eher Sandwich-förmigen) Burger. So gestärkt gilt es das bewährte Sportprogramm Rijekas zu bewältigen: Trsat. Ein wenig ins Schnaufen kommen wir alle und doch bemerke ich, dass das Training der vergangene Wochen und Monate bei mir nicht ganz ohne Effekt geblieben ist. Oben angekommen bläßt der Bora die Wolken hinaus aufs Meer; die Sonnenstrahlen glitzern auf Rječina und Meer.

In Poleposition genießen wir Kaffee (bzw. Schokolade) Nummer zwei, dann geht es auf diesmal verwinkelten Pfaden wieder hinab. Kaffee Nummer drei steht an, diesmal in Gesellschaft von Dosi. Und dann ist es soweit: Merle betritt das erste Mal unsere Schule, die Arbeit beginnt. Wobei „Arbeit“ heute fast der falsche Begriff ist: In der ersten Stunde planen wir mit den Abiturient*innen eine Reise, dann zeige ich Merle die Schule und abschließend gibt es eine Stunde zum Thema „Deutsche Musik“. Klingt eher nach Vergnügen und ist es auch. Ein letztes Gespräch mit dem Schulleiter – der mir ein paar warme Worte zum Abschied mitgibt – und etwas melancholisch geht es nach Hause (ja Dosi, man kann hier „gehen“ sagen 😉 ). Ein paar Wolken heben sich effektvoll vom nachtblauen Himmel ab; ich bin müde, aber glücklich.