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Tag 173 – Zugvögel

Meine erste Nacht in einer Maisonette-Wohnung und ich muss sagen: Puh, da oben kann es schon ganz schön warm werden. Darum bin ich auch gar nicht so ungnädig, als ich heute Morgen von Arnes polternden Schritten auf der Treppe geweckt werde. Noch ein paar Mal drehe ich mich um die eigene Achse, dann geht es mit Arne auf den Zagreber Markt. Nach seinem letzten Trip in die Hauptstadt hatte er von den unterirdischen Markthallen geschwärmt und dass ich diese noch nicht selbst entdeckt habe, kann ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen.

Zuerst schlendern wir also durch die Stände auf dem Marktplatz, dann wagen wir uns in den Untergrund. Und tatsächlich: Das Angebot dort unten ist absolut sehenswert! Ganze Pötte Sauerkraut, selbstgemachter kroatischer Frischkäse, Schafsköpfe – all das ist dort zu haben. Für unser Frühstück entscheiden wir uns für eine breite Palette an Croissants, Strudel, Cremeschnitte und Kuchenstückchen. Außerdem suchen wir uns auf dem Rückweg noch ein paar liebevoll bemalte Ostereier aus.

Kaum sind die süßen Stückle verspeist und die Eier sowie alles weitere eingepackt, trudelt auch Helen bei uns ein. Zusammen quetschen wir uns in ein Uber zum Flughafen – bzw. ich mache es mir in aller Ruhe auf dem Beifahrersitz bequem, alle anderen kuscheln sich aus Angst vor einem Gespräch mit dem Fahrer auf die Rückbank (Zitat Arne: „Ich glaube, ich spüre meine linke Seite nicht mehr“).

Am Flughafen angekommen, werden wir auf die Autoverleih-Container verwiesen. Und während die Jungs sich erst um die Formalitäten kümmern, um anschließend im Regen das Auto zu begucken, stapeln Helen und ich uns mit dem Gepäck unter einem kleinen Dach. Zuerst dreht Christian eine Proberunde auf dem Parkplatz (Automatik ist nun mal Gewöhnungssache), dann geht es auf die Straße. Wir fahren durch immer kleinere Dörfchen, vorbei an Feldern und Wiesen und auch an einem Wildunfall: Ein Reh hat es erwischt.

Unser Ziel ist das „Uprising Monument“, ein ehemaliges Denkmal des antifaschistischen Widerstands. Heute kennt man es eher als Lost-Place, was auch erklärt, warum es auf meiner To-See-Liste steht. Ganz dorthin schaffen wir es zunächst jedoch nicht, denn unsere Fahrt endet auf einer schlammigen Schotterpiste. Doch „nema problema“, schließlich lassen sich die restlichen drei Kilometer zur Bergspitze auch bequem zu Fuß erledigen (auch wenn Christian dabei seinen  – mit Absicht – zu Hause gelassenen Wanderschuhen nachtrauert).

Oben angekommen bietet sich für uns ein ehrfurchterregender Blick auf das seltsam geformte Gebäude. Ist das Betongerüst auch noch größtenteils intakt, so hat sein Kleid über die Jahre doch etwas gelitten: Einige Stahlplatten der schimmernden Fassade fehlen bzw. wurden geklaut. Doch obwohl uns dabei ein wenig mulmig zu Mute ist, wagen wir uns über die verschlungenen Beton- und Stahltreppen bis hoch hinauf auf‘s Dach. Und die Aussicht über die hellgrün austreibenden Wälder gibt uns Recht.

Wieder zurück am Fuße des Gebäudes wird die andächtige Stille abrupt unterbrochen: Ein Auto fährt – ganz Kroaten-Style – bis ans Monument vor und erschreckt Arne dabei fast zu Tode. Vom Timing aber passt es ganz gut, denn auch wir müssen langsam weiter. Der Himmel zieht zu und kurz bevor wir das Auto erreichen, fallen erst Tröpfchen, dann Graupel, dann Hagel. Kalt, klamm und mit matschigen Schuhen retten wir uns ins Innere des Wagens und fahren einkaufen.

Der Weg zum Supermarkt führt uns dabei durch Petrinja, dem Ort, in welchem im Dezember das Epizentrum des starken Erdbebens lag. Und bis heute sind die Spuren kaum verblasst: Eingefallene Fassaden, Rohbauten und gesperrte Straßen bzw. Umleitungen – der Eindruck ist bedrückend.

Nach unserem Einkauf übernimmt Arne das Steuer und sammelt auf den letzten Metern bis zu unserer heutigen Unterkunft fleißig Autos hinter sich. Er ist wohl der Einzige, der die kroatischen Geschwindigkeitsbegrenzungen ernst nimmt. Schlimm ist das allerdings überhaupt nicht, denn so haben wir reichlich Zeit, die hübschen kleinen Holzhäuschen auf der einen Seite und das idyllische Flussbett der Sava auf der anderen Seite zu betrachten. Und am Ende erreichen wir ja trotzdem unser Ziel des Tages: Čigoć – das Dorf, in dem es mehr Störche gibt, als Menschen (sogar wenn man die Storch-Figuren im Garten, die Storch-Stickereien der Gardinen und die vielen Storch-Souvenirs nicht mitzählt).

Ein bisschen spannend wird es noch, als wir versuchen in die falsche Unterkunft einzuchecken. Doch nur wenig später stehen wir dann vor unserem eigenen Holzhaus für die Nacht – zwar ohne WLAN (und damit habt ihr auch die Begründung für den etwas verspäteten Blogeintrag ), dafür aber mit jeder Menge Kuchen. Bevor wir uns den allerdings zu Gemüte führen, steht zunächst noch ein kurzer Abendspaziergang durch das kleine Dorf an. Wir bewundern den Sonnenuntergang auf der Sava und schauen den Storchenpärchen zu, wie sie zurück in ihre Nester fliegen. Und dann tun wir es ihnen gleich.

In unserer gemütlichen Stube sitzen wir am Küchentisch, kochen zu viel Reis und lassen ihn anbrennen, essen und genießen unsere analoge Zeit. Zumindest alle bis auf Christian (alias „Hase“), dem Helen schließlich ein Buch anbietet. Ich werde langsam wieder wach, die anderen müde. Christian legt sich ins Bettchen und schläft ein, Arne knipst ihm das Licht aus und schließt leise die Tür. Gute Nacht.