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Ein Schritt ins zweite halbe Jahr

»Die sechs Monate sind ganz schön schnell vergangen«, denke ich, während ich meinen Koffer packe. Es geht nach Hause, aber nur für ein paar Tage. Denn während der Freiwilligendienst für viele nun bereits geendet hat und ein neues Buch auf sie wartet, darf ich noch weitere Kapitel füllen, hier in Bulgarien.

Bin ich froh darüber oder wäre ich auch lieber jetzt schon mit all meinen Sachen zurück nach Hause geflogen? Mit dieser Frage werde ich momentan ständig konfrontiert. Für mich war von Anfang an klar, dass ich nur 12 Monate machen möchte, keine 6. Doch in letzter Zeit habe ich doch häufig darüber nachgedacht, ob es die richtige Entscheidung war. Ende Dezember kam es mir so vor, als würde die Zeit überhaupt nicht vergehen. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich mich zu dem Zeitpunkt besonders einsam gefühlt habe, weil alle anderen bei ihren Familien in der Heimat waren. Auch in meinem Zimmer habe ich mich zuletzt nicht mehr wirklich wohl gefühlt. Es kommt mir zu groß und leer und trostlos vor.

Vor meiner Ausreise war mir klar, dass es für mich und meine Ängste sicherlich irgendwie schwieriger wird als für manch andere. Dass es größere und mehr Herausforderungen geben wird. Dass es schwieriger sein wird, mich wohl zu fühlen und dass ich dafür mehr Zeit brauche. Ein bis maximal zwei Monate wollte ich mir Zeit geben, bis die Ängste weniger werden. »Das bereitet mir etwas Bauchschmerzen«, hatte meine Therapeutin daraufhin gesagt, »Sie sollten sich schon drei Monate geben.« Oh je, habe ich gedacht, drei Monate wären ja eine schrecklich lange Zeit. Aber es hat wirklich so lange gedauert, noch länger sogar. Mittlerweile, nach sechs Monaten, kann ich sagen, dass die Tage, an denen mich auf dem Weg zur Arbeit Angstgedanken überfallen, zur Seltenheit geworden sind. Das ist doch eine gute Voraussetzung für ein gutes weiteres halbes Jahr.

Außerdem steht in den nächsten Monaten noch einiges an! Auch in meiner Freizeit habe ich einige Pläne: Die bulgarische Sprache wird fleißig(er) weitergelernt. Ich möchte ein bisschen reisen und mehr von Bulgarien kennenlernen. Und weil es ohne weitere Herausforderungen auch irgendwie langweilig werden würde, war ich am Montag das erste Mal bei einem Kurs für bulgarische Volkstänze. »Das braucht schon ein Jahr, bis du ein paar Tänze kannst«, erzählte mir eine Bulgarin aus dem Kurs. Mal schauen, wie viel ich in den sechs Monaten noch lernen kann.

Meine Antwort auf die Anfangsfrage ist also: Ich bin auf jeden Fall froh darüber, noch zu bleiben bzw. am Mittwoch wieder zurück nach Sofia zu reisen und in die zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes zu starten.

Eine Reise nach Istanbul

Letztes Wochenende habe ich mich zusammen mit der Freiwilligen Pia auf den Weg nach Istanbul gemacht. Am Freitagabend sind wir in Sofia in den Nachtzug gestiegen und am nächsten Morgen in Istanbul angekommen. Vier Tage haben wir dann dort verbracht – bei blauem Himmel, Sonnenschein, Baklava und Tee – bevor es am Dienstagabend wieder zurück nach Sofia ging.

Ich habe die kurze Reise sehr genossen. (Und bin überrascht davon, wie ich es geschafft habe aus den 900 Fotos 46 für diesen Beitrag auszuwählen, um ein paar Eindrücke zu teilen.)

Immer wieder sonntags

Ich sitze auf meiner Fensterbank, beobachte die Bauarbeiter, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite schon seit Monaten dabei sind, ein Haus zu bauen, und stecke mir meine Haare mit etlichen Haarnadeln zu einem Dutt zusammen. Wie jeden Sonntag warte ich darauf, dass es 13 Uhr ist und ich mich auf den Weg zum Balletttraining machen kann.

Dort angekommen werde ich von einem freundlichen Здравей begrüßt und während die Gruppe vorher noch ihre révérence macht, bleibe ich am Rand stehen und dehne mich ein bisschen.  Die anderen Tänzer*innen aus meiner Gruppe sitzen meistens schon hinten im Tanzsaal, dehnen und unterhalten sich. Das würde es Zuhause nicht geben. Von klein auf hat man an meiner Ballettschule gelernt, dass man nicht spricht, weil es den Unterricht stört. Was für mich auch befremdlich wirkt ist, dass die anderen während kurzer Dehnpausen oder auch zwischen den Übungen zur Seite gehen, um ihre Nachrichten am Handy zu checken. So etwas würde es Zuhause erst recht nicht geben.

In den vergangenen Monaten fand das Training immer in einem Tanzsaal in der dritten Etage des Gebäudes statt. Der Raum war schön groß und hell und aus den Fenstern konnte man die Berge sehen. Leider ist das Training mit Beginn des neuen Jahres ins Erdgeschoss umgezogen. Der Raum ist kleiner, die Ballettstangen wackliger, es gibt keinen Tanzteppich und der Ausblick beschränkt sich auf einen Parkplatz. Ein Glück, dass wir meistens nur zu viert sind.

Der Unterricht beginnt, die Musik erklingt und sofort breitet sich ein positives Gefühl in mir aus. Auch wenn ich vorher nicht immer wirklich motiviert bin, verfliegt das sofort, sobald ich die ersten plié und tendu gemacht habe. Es ist schön, in einem fremden Land in einem fremden Tanzsaal zu stehen und trotzdem ein vertrautes Gefühl zu haben.

Kukeri & Surva

Schon von weitem hört man das Scheppern vieler Glocken. Männer in traditionellen Kukeri-Kostümen springen auf der Stelle, damit die vielen Glocken, die sie um die Hüfte gebunden haben, laute Töne von sich geben. In der Hand halten sie Fackeln. Das Licht des Feuers lässt die Masken noch Furcht einflößender aussehen.

Dieses Wochenende findet in Pernik das Surva Festival statt. Das »International Festival of the Masquerade Games« zeigt traditionelle Masken, Kostüme und Bräuche der Kukeri und Survakari. Die Maskeraden-Rituale werden in der Zeit zwischen Weihnachten und Ostern von unverheirateten bulgarischen Männern vollzogen. Um Neujahr herum werden sie als Survakari bezeichnet. Teilnehmer vor Ostern als Kukeri. Die Rituale präsentieren den Wunsch nach einer guten Ernte, Gesundheit und Fruchtbarkeit. Sie vertreiben böse Geister und bereiten auf einen Neuanfang vor.

Gedanken zum neuen Jahr

Die ersten Arbeitstage des neuen Jahres liegen hinter mir und ich muss sagen, dass ich ganz froh darüber bin, wieder eine geregelte Tagesstruktur zu haben. Ich fühle mich wieder produktiver und lebendiger.

Die elf Tage Weihnachtsschließung kamen mir vor wie eine nicht endende Ewigkeit. Überall habe ich von all jenen gelesen, die über Weihnachten zu ihren Familien geflogen sind und was für eine schöne Zeit sie haben. Da habe ich mich schon oft gefragt, ob ich es nicht bereue, hier geblieben zu sein, doch über diese Frage nachzudenken führte auch zu keinem Ergebnis. Nachdenken war während der Zeit eh mein größtes Problem. Zu viele Gedanken über die Zukunft und das Leben.

Es wird immer gesagt: Wenn es dir nicht gut geht, dann tu dir etwas Gutes, höre deine Lieblingsmusik, iss dein Lieblingsessen, mach etwas, was dir Freude bereitet. Das ist für mich aber gar nicht so einfach – erst recht nicht, wenn es mir nicht gut geht. Wenigstens an Silvester hat das aber ganz gut geklappt. Während andere mit ihren Freunden oder der Familie gefeiert haben, habe ich mich mit meinem Lieblingsessen und einem Buch in mein Bett verschanzt und versucht, nicht bei jedem Böller vor Schreck einen Herzstillstand zu bekommen.

Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückblicke, dann würde ich sagen, dass es bisher – abgesehen von den ersten Monaten – mein Lieblingsjahr war. Das lag vor allem an den vielen Tanzprojekten, an denen ich teilgenommen habe und den vielen schönen Momenten auf der Bühne, die mir immer viel Kraft geben. Das neue Jahr wird anders. Ein Jahr ohne Auftritte. Ein Jahr, in dem ich mir andere Dinge suchen muss, die mich erfüllen. Ich habe ein bisschen Angst, dass ich die nicht finden werde – weit entfernt von zuhause und den Menschen, die mir lieb sind.

Was ich im vergangenem Jahr aber auf jeden Fall gelernt habe ist, dass man schöne Erlebnisse nicht planen kann; dass sich immer wieder Möglichkeiten ergeben, mit denen man vorher nicht gerechnet hätte. Somit ist mein einziger Vorsatz für das neue Jahr, mich mehr von meinem Herzen treiben zu lassen. Denn das führt mich (hoffentlich) zu dem ein oder anderen schönen Moment.

In dem Sinne: Frohes neues Jahr! ?

Einsame Weihnachten

Für mich war es das zweite mal, dass ich an Weihnachten nicht bei meiner Familie war. Als ich vor zwei Jahren ein Auslandssemester in Litauen gemacht habe, bin ich auch dort in Vilnius geblieben. Es war irgendwie traurig und ich habe mich sehr einsam gefühlt, deshalb habe ich versucht mich in diesem Jahr auf die schweren Gefühle vorzubereiten und mir schöne Kleinigkeiten vorzunehmen für die ich mir sonst vielleicht nicht die Zeit nehme.

So habe ich den Vormittag also damit verbracht Plätzchen zu backen und im Laufe des Tages die meisten davon schon aufzuessen. Mittags habe ich dann mit meiner Familie geskyped und den restlichen Tag damit verbracht „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ zu schauen und über meine Zukunftspläne nachzudenken, was leider meistens keine so gute Idee ist, weil es nie zu einem Ergebnis führt und die Zweifel und Ängste nur verstärkt.

Als es draußen dunkel wurde, fing es so doll an zu stürmen und zu schütten als würde die Welt gleich untergehen. Ich habe mich dann in mein Bett gelegt und eins der zehn Bücher gelesen, die ich mir aus der Bibliothek ausgeliehen habe. Zehn waren vielleicht etwas übertrieben, aber es ist ganz schön eine Auswahl zu haben und immerhin habe ich gestern früh das dritte Buch angefangen.

Am Abend habe ich mich dann noch mit dem deutschen Praktikanten vom Institut getroffen, der über die Feiertage auch hier geblieben ist. Es war irgendwie beruhigend, draußen durch die leeren Straßen zu spazieren. Kein Mensch unterwegs. Keine Autos. Kein Lärm. Nur Stille.

Von Frühlingsgefühlen zur Eiseskälte

Wenn ich heute aus dem Fenster schaue, sehe ich graue Wolken. Hellgrau, dunkelgrau. Trist und kalt. Da kann ich es fast gar nicht mehr glauben, dass ich letztes Wochenende bei blauem Himmel und Sonnenschein durch die Stadt spaziert bin, mich in einen Park gesetzt habe und eine Banitsa mit Kürbis, Walnüssen und Zimt gegessen habe. Es war so warm, dass in mir anstatt Herbst- eher Frühlingsgefühle geweckt wurden.

Letzten Samstag war ich zum ersten mal im Sofioter Opernhaus, um mir das Ballett „La Bayadère“ anzuschauen. Es war ein Gastspiel, die Hauptrollen wurden von Svetlana Zakharova und Denis Rodkin vom Bolshoi getanzt. Es war wunderschön.

Mittwochs müssen wir immer erst um halb elf beim Sprachkurs sein. Da ich diese Woche viel zu früh losgegangen war, hatte ich noch Zeit, mich bei Sonnenschein in einen Park zu setzen und ein чебурек с извара zu essen.

Und jetzt, an diesem Wochenende, sitze ich an meiner Heizung gelehnt anstatt auf einer Parkbank. Es ist kalt geworden. Eiskalt. Aber ich mag den Winter. Meine Lieblingsjahreszeit. Den Schnee, der hoffentlich bald vom Himmel rieselt. Es ist so gemütlich, in Cafés zu sitzen und eine heiße Schokolade zu trinken.

Ich mag es durch die Kälte zu laufen und verfroren von Buchladen zu Buchladen zu stiefeln, um mich aufzuwärmen und herumzustöbern.

Gestern habe ich die Kinderbücher durchgeschaut und all die Bücher aus meiner Kindheit gefunden: Briefe von Felix, Pettersson und Findus, Conni. Ich glaube, ich besitze fast alle Conni-Bücher. Ich bin mit ihr groß geworden. Deshalb war ich auch kurz davor, mir eine bulgarische Ausgabe für meine Sammlung zu kaufen. Ich konnte mich dann aber doch noch zurückhalten mit dem Gedanken, dass ich das auch noch in den nächsten Monaten kaufen kann.

Aber ein Buch musste gestern dann doch schon mit. Winnie Pooh habe ich mir schon in meinen ersten Wochen hier gekauft. Gestern habe ich endlich Pippi Langstrumpf gefunden!

Vielleicht ist es Quatsch, sich Bücher zu kaufen, die man nicht wirklich lesen kann. Aber es hat in mir ein kleines Gefühl von Freude ausgelöst und wenn es einem nicht gut geht, soll man sich schließlich etwas gutes tun. #selfcare

Der Herbst ist da

Gestern habe ich mir meine Kamera geschnappt und bin durch die Stadt gelaufen, um den Herbst ein bisschen einzufangen. Ich mag den Herbst so gerne.
Die roten Blätter. Die goldenen.
Das Rascheln des Laubs.
Den Wind, der durch die Straßen pfeift.
Die Esskastanien, die man an kleinen Ständen am Straßenrand kaufen kann (und die ich sogar auf Bulgarisch bestellen konnte).