Ich leg hier jetzt einfach mal los in der Hoffnung dass ich Gedankenanstöße biete und auch welche zurückkriege.
Ich heiße Timon Traub, werd am Sonntag 20 und komme zusammen mit Charlotte nach (San Carlos de) Bariloche, ARG. Dort werden wir an der ansässigen Deutschen Schule arbeiten. Ich freu mich schon wie verrückt 😀 und hoffe, ihr euch auch 😉
Für alle von uns, die wir uns im September hoffentlich kennen lernen werden, beginnt mit dem Dienstantritt ein neuer Abschnitt im Leben. Durchaus eine abgegriffene Phrase und ein totes Klischee. Oder doch?
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mir zumute war, als ich mit grade eben 16 Jahren für ein Jahr in die USA ging, um dort in Kansas Englisch und die Amerikaner verstehen zu lernen ;).
Großartig Gedanken darüber gemacht habe ich mir damals eigentlich nicht; ins Ausland gehen war halt einfach total logisch für mich – vor allem, da ich frei und ungebunden war (:D) und dringend die Sprache lernen wollte als auch einen Tapetenwechsel brauchte. Also nicht lange fackeln, ab in den Flieger. Macht ja durchaus auch Sinn und sich gut auf dem Lebenslauf, so ein Auslandsjahr.
Wer sich ebenfalls auf dieses Abenteuer eingelassen hat wird bestätigen können, dass sehr zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt. Ich habe jedenfalls viel über mich selber gelernt. Mindestens genauso viel über andere Menschen und unsere Beziehungen untereinander. All das, was ich also aus den USA mitgenommen habe, hat wesentlich dazu beigetragen, meine Identität zu prägen – und damit sind wir beim heißen Eisen.
Wer bist du?
Wer bin ich?
Und was macht das aus?
Bevor ich mich hier in esoterisch-spirituelle Beobachtungen versteige, was denn nun letztlich einen Menschen ausmacht, möchte ich einen Gedankengang mit euch teilen, der mich seit gestern sehr beschäftigt (und ihr werdet gleich sehen, warum 😀 ):
- Aktion – Reaktion – Identität?
Was macht mich zu dem, der ich bin? Ist es das, was ich will; das was mich antreibt – oder ist es meine Umwelt, die Reaktionen anderer Menschen, die mich wiederum zu bestimmten Taten veranlassen (oder davon abhalten)?
Damit das Ganze nicht so abstrakt bleibt:
Das bin war ich. Bis gestern. Meine Dreadlocks begleiten mich seit Weihnachten 2006. Davor hatte ich (sehr) lange Haare und wurde ständig gefragt, ob ich Metal höre. Die letzten zweieinhalb Jahre wurde ich hingegen ständig gefragt, ob ich wohl Gras dabei hätte („Ey, Bob Marley! Hasse Weed?“).
Weder höre ich besonders viel Metal noch kiffe ich. Dennoch veränderte sich das Verhalten der Menschen um mich rum (mit Ausnahme meines engeren Freundeskreises) sofort und spürbar. Wem ich zuvor noch als Metaller galt sprach mich nun auf Bob Marley und Kiffen an („Ach tu nicht so, du hast doch bestimmt was dabei!“). Die Beobachtung dürfte vielen hier nicht neu sein: Kleider Haare machen Leute. Man kriegt direkt einen Herkunftsstempel aufgedrückt – alles aufgrund einer simplen Frisur. Dass das Auswirkungen auf die eigene Identität hat dürfte jedem klar sein.
Das System ist bekannt: Wer in seinem Umfeld/Klasse/Stufe als Außenseiter gilt, glaubt dies auch von sich selber. Oder ist er tatsächlich der Außenseiter und die Anderen haben dies lediglich als Tatsache erkannt?
So auch hier: Ich liebe es mit Vorurteilen zu spielen – also kaufte ich mir gebatikte T-Shirts, kam barfuss zur Schule (einmal sogar zur mündlichen Lateinprüfung), kaufte Fair-Trade-Klamotten und boykottierte H&M. Die gebatikten T-Shirts würde ich jetzt nicht unbedingt als integren Teil meiner Persönlichkeit betrachten ( 🙂 ), Fair Trade und H&M-Boykotte hingegen eher.
Was ist Ursache und was Wirkung? Ist beides überhaupt klar voneinander abzugrenzen?
Bin ich ein Hippie geworden weil ich wie einer aussehe oder sehe ich wie ein Hippie aus weil ich einer geworden bin?
Besonders brisant wird diese Fragestellung eigentlich erst durch das nächste Foto. Über die Jahre hinweg habe ich also mit Freude alle Klischees bedient, die sich mir boten. Macht unglaublich viel Spaß, das könnt mir glauben: „Ey Hippie, ja du, haste was zu smoken dabei?“ – „Seh ich etwa so aus?“ 😀
In der letzten Zeit bin ich aber vor allem der Haare überdrüssig geworden, nicht so sehr der „Rolle“, die damit einhergeht und ganz ehrlich – jeder von uns spielt in der Öffentlichkeit bis zu einem gewissen Grad eine Rolle; dazu reicht es schon, sich ausschließlich von seiner Schokoladenseite präsentieren zu wollen. Denn damit porträtiere ich nur die halbe Wahrheit und somit teilweise eine ganz andere Identität als die Identität, die meine Freunde und Familie kennen. Manche verstecken sich ihr Leben lang dahinter, weil sie (irrigerweise?) annehmen, so einen effektiven Schutzschild (vor anderen Menschen/Verletzungen) aufbauen zu können. Andere haben schlicht und einfach zu viel Spaß daran (und ihr ratet es, in die Kategorie würde ich mich einordnen) die Vorurteile der jeweils Anwesenden zu bedienen, anstatt stets als „Ich“ aufzutreten. Die Welt ist eine Bühne. Wiederum andere ziehen Anzüge und teure Klamotten an, weil es ihnen Autorität verleiht.
Wer bin ich jetzt?
Als wir gestern im kleinen Kreise anfingen, meine Prachtlocken abzuschneiden waren selbst meine engsten Freunde erschüttert, was vor ihren Augen aus mir wurde: „Wenn ich dir jetzt nachts auf der Straße begegnen würde, würde ich meine Mama anrufen, die soll mich abholen kommen!“
Und das von den Leuten, denen ich spätestens seit Weihnachten 2006 als One Love/World Peace-Anhänger galt – wohlgemerkt, die Bemerkung war ein Witz, aber sie zeigt die Wirkung die ich beabsichtigt hatte.
Bin ich jetzt ein anderer Mensch? Oder ist das wahre Problem in unseren Köpfen – gesehen, Schublade auf, rein damit, Schublade zu, ad acta ad eternam?
Ich bin kein Hippie, ich bin kein Punk – ich bin ein Mensch. Ein alte Wahrheit. Oder doch nur ein Klischee (der Kreis schließt sich 😀 )?
Letzten Endes – und hier ist mein Monolog zu Ende – wünsche ich uns allen „offene Köpfe“. Bei dem was wir so tun werden, gegenüber den Menschen die wir kennen lernen werden und nicht zuletzt uns selbst gegenüber; in Berlin, aber auch mit sich selbst. Nur weil ich lange Zeit ein „Hippie“ war, muss ich nicht auf ewig einer bleiben. Es ist Zeit für Veränderung. Für mich jedenfalls. Ein neuer Abschnitt beginnt. Ein alter wird abgeschnitten.
Und beim Seminar seh ich hoffentlich wieder zivilisiert aus 😀
Was andere so sagen