Wirf die Gläser an die Wand!

Den Wecker zu stellen war unnötig stelle ich fest, denn die Aufregung weckt mich sowieso viel zu früh. Die letzten auf der Heizung getrockneten Klamotten packe ich in den Koffer, esse einen letzten Chicken-Salat in meinem Lieblingsrestaurant und verabschiede mich von der Kellnerin. „I go to Russia now, but I will come back in 2 weeks!“ versichere ich ihr. Sie wünscht mir eine gute Reise und kündigt schon den Salat in 2 Wochen an.

Auch die letzten Einkäufe im Supermarkt werden erledigt und auch dort verabschiede ich mich von der Verkäuferin. Immerhin bin ich die einzige Kundin, die von ihr angelächelt wird, da lastet Verantwortung auf einem.

Voll gepackt und von der Familie verabschiedet schlurfe ich zum Bahnhof. Luise, Lena, Nico und die Transsibirische Eisenbahn stehen bereit. Noch schnell ein paar „Ich-war-wirklich-da“Fotos gemacht und auf die Minute genau geht die Fahrt um 13.50 Uhr vom mongolischen Bahnhof los. In unserem Viererabteil richten wir uns gemütlich ein, im Nachbarzimmer treffen wir auf die Österreicherin Rebecka, die gerade auf dem Weg nach Vladivostock, von dort nach Japan und über China wieder zurück nach Hause ist.

Der Zug fährt langsam und wir haben genug Zeit, die Veränderung der Landschaft zu beobachten. Gerade war alles noch flach und braun, schon ist es bergig und voller Schnee. Dann verschwindet er wieder für eine Weile und langsam wird es dunkel.

Wir nähern uns der Grenze und bekommen Besuch von einem jungen Mongolen. Anfänglich unterhalten wir uns einfach mit ihm, er erzählt, dass er in Russland studiert und gerade aus den Ferien kommt. Kurz vor der Grenze zückt er jedoch eine seltsame Filzrolle, die er uns unbedingt schenken möchte. Es sei ein ganz tolles Schachspiel. Seine aufdringliche Art macht uns aber misstrauisch und nach dem die ersten Grenzpolizisten wirklich jedes Abteil gründlich durchsucht hatten, waren wir doch froh, sein Angebot abgelehnt zu haben.

Die Nacht wird länger und länger, denn an der russischen Grenze werden uns allen die Pässe für mehrere Stunden abgenommen und wir müssen wach bleiben, bis wir sie wieder haben. Nebenbei erwähnt sind auch die Toiletten während des Haltes geschlossen und werden erst eine halbe Stunde nach Weiterfahrt wieder geöffnet.

Irgendwann siegte jedoch die Müdigkeit und wir verbrachten eine gemütlicher-als-erwartete Nacht in der Transsib.

Ich war die erste, die wach wurde und konnte am nächsten Morgen ganz in Ruhe die sibirische Schneelandschaft betrachten. Entlang der Gleise stehen kleine Birkenwäldchen und Holzhütten, genau wie im Bilderbuch. Und dann erscheint langsam ein blauer, riesengroßer See: der Baikalsee.

Ganze 5 Stunden sind wir an ihm entlang gefahren, dabei waren wir nur am kürzeren Ende unterwegs. Eigentlich ist dieser See ein Meer. Jedenfalls sieht es so aus, und dieses Meer ist wunderschön.

In Irkutsk wurden wir schon am Bahnhof von Elena abgeholt, einer jungen Frau, bei der wir die Nacht Couch surfen wollten. Mit dem Bus fuhren wir durch die Stadt und ich fühlte mich einfach richtig wohl, vom ersten Moment an. Irkutsk ist vielleicht nicht die schönste Stadt, aber sie macht einen sehr gemütlichen Eindruck, so als ob alles und jeder seinen Platz hat.

Elena machte für uns Tee, wir aßen Kuchen und ihre Tochter saß daneben, denn sie war „on a diet“. Bis zur Dunkelheit führte Elena uns durch die Stadt und zeigte uns die wichtigsten Orte.

Die Nacht war kurz aber sehr gemütlich und zu guter letzt fuhr Elena sogar am nächsten Morgen mit uns zum Flughafen. Eine bessere Gastgeberin lässt sich wohl kaum finden!

Das letzte Stück unserer Reise mussten wir auf Grund des Visums fliegen, da wir sonst zu spät zum Seminar gekommen wären.

Im Hostel begrüßte uns Jana, die Freiwillige aus Chita, die die letzte Nacht etwas länger wach war und wir sie deshalb Nachmittags im Bett antrafen.

Wir hatten alle Hunger, also folgten wir Janas Tipp und gingen in das Kaufhaus „GALERIA“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite und erlebten den Rück-Kulturschock. Dieses aus 4 Stockwerken bestehende Gebäude, dass ungefähr dreimal so groß ist wie das ALEXA in Berlin war wirklich der geballte Shoppingwahnsinn. Da hat man sich in 2 Monaten gerade mal so an den mongolischen Schwarzmarkt gewöhnt und dann wird man in so etwas geschickt. Auch die Preise waren nicht mit der Mongolei oder mit Deutschland zu vergleichen, denn selbst bei H&M kosten die Klamotten mindestens das doppelte. Für uns würde das also ein sparsamer Urlaub werden.

Im Hostel zurück kamen dann auch langsam die anderen an, Lukas und Johannes aus Armenien (die beiden betrieben auch untereinander interkulturellen Austausch: ein Sachse und ein Schwabe, die sich ihren Dialekt um die Ohren hauen), Max Meier aus Belarus, Franzi und Kathi aus Georgien und so weiter. Mit Franzi machten wir dann noch einen kleinen Stadtbummel den Nevsky Prospekt entlang, also die Sankt Petersburger Hauptstraße. Zwar regnete es, aber die Stadt erschien trotzdem wunderschön, eine Mischung aus Stockholm und Wien würde ich sagen.

Für die nächsten zwei Tage fuhren wir mit einem Bus nach Strelna, eine kleinere Ortschaft etwas außerhalb von Petersburg, wo wir in einem Hotel unsere erste Seminarhälfte abhielten. Es wurde viel gemalt, geredet und gelacht. Zum Kulturprogramm gehörte der Besuch der Banja , die russische Sauna, und der Kulturabend, an dem jedes Land sich vorstellen konnte. Wir Mongolen bastelten aus Bettlaken und Stühlen eine Jurte, andere zeigte ihre Bilder auf dem Beamer, tanzten Volkstänze und sogar etwas zu Essen gab es aus Armenien.

Aber die Zeit verging schnell und wir fuhren mit der Bahn zurück in die Stadt und ins Hostel.

Dort ging es gleich weiter in die Eremitage, die Sammlung aller möglichen Kunstwerke im Winterpalast des Zaren. Der Anblick war wirklich eindrucksvoll, aber nach hunderten von vergoldeten und glitzernden Zimmer, reicht es dann auch.

Nach dem Mittagessen in einem Kochstudio bekamen wir eine Stadtführung, aber es regnete in Strömen und die letzten zwei Stationen, eine lutherische Kirche, die mal ein Schwimmbad war und einer orthodoxen Kirche, nutzen wir auch, um uns aufzuwärmen.

Abendessen im Frikadelki und Donuts als Nachtisch waren der letzte Kraftakt des Tages, danach fuhren wir mit dem Bus zurück ins Hostel, die Schaffnerin konnte auf deutsch bis drei zählen und präsentierte uns dies voller Stolz mehrmals hintereinander.

Der nächste Tag begann mit dem Besuch einer NGO, die sich für die Rechte von Homosexuellen in Russland einsetzt. Es ging jedoch nicht hauptsächlich um ihre konkrete Arbeit, sondern um die allgemeine Situation von NGOs in Russland. Deren Arbeit wird nämlich vom Staat sehr erschwert, da sich jede dieser Organisationen einen bestimmten Namen geben muss, der für russische Staatsbürger den Eindruck erweckt, dass die Organisationen Spione für ausländische Vereinigungen seien. Auch über Putin, seine Wahl und seine aktuellen politischen Vorhaben wurde geredet, wobei eine Freiwillige betonte dass Putin ja nicht nur schlecht sei, da er ja auch Autobahnen in Russland baue. Na, wem kommt das bekannt vor? Die gleiche war es übrigens die in der Diskussion davor meinte, als sie erfuhr, wofür die Abkürzung LGBT (Lesbian-Gay-Bisexual-Transgendered) steht, dass Homosexuelle ja sowieso ins Krankenhaus gehören und sie sich diesen Schwachsinn jetzt nicht anhören würde. Meiner Meinung nach ist hier wohl ein kleiner Fehler im Auswahlverfahren des kulturweit-Programms unterlaufen.

Am Abend wurden wir ins Ballett eingeladen, in das Stück „Giselle“. Nennt mich Kulturbanausen, aber ich fand die Musikanten interessanter als die Tänzer und beobachtete die Synchronität der Geigen und die Euphorie des Dirigenten. Aber die Tänzer waren natürlich auch gut.

Den Abend ließen wir im English-Pub ausklingen, wo wir zwar leider nicht Tischkicker spielen konnten, aber dafür viel Tee für wenig Geld und gute Musik oben drauf bekamen.

Der letzte Tag war eine Auswertungsrunde des Seminars und ein gemeinsames Mittagessen in einem sehr coolen Loft, das Teil eines Kunsthauses ist, was früher eine Brotfabrik war.

Das Goethe-Institut hatte dort gerade eine Ausstellung zu deutscher Musik im Gange, die auch für uns interessant war.

Den Freitagnachmittag fuhren wir zur Peter-Paul-Festung auf der Insel gegenüber der Winterpalastes und am Abend, bzw in der Nacht nahm uns Marius, der Freiwillige aus Sankt Petersburg, mit zum Feiern, was wir auch bis 5 Uhr morgens taten.

Der nächste Tag begann logischerweise später, und mit einem Blini-Frühstück in der Etagi (dem Loft in dem Kunsthaus), da dies nicht weit von unserem Hostel und unserem Tagesausflugsziel war: der Erlöserkirche. Die Kirche sieht aus wie die am roten Platz in Moskau, deshalb sparten wir uns auch den Eintritt und gingen stattdessen auf den dahinter liegenden Markt. Da mein Ring in Irkutsk geblieben war, kaufte ich mir dort einen neuen und dank Regina konnten wir den Preis auf russisch auch runterhandeln. Ebenfalls erstand ich dort einen alten Lenin Anstecker mit der Aufschrift „Immer bereit“ und ein schönes Schwarz-Weiß Foto, mit zwei Kindern drauf, die Alexander und Alexandra heißen, aber beide Sascha genannt werden, wie mir der Verkäufer erklärte.

Die Trotzky Büste kostete leider 6.000 Rubel, also 150 Euro, das war dann doch etwas zu viel des Guten.

Den letzten freien Tag begab ich mich auf die Spuren Lenins in Sankt Petersburg und fuhr als erstes zum finnischen Bahnhof, an dem Lenin nach seiner Rückkehrer aus dem Exil angekommen war. Heute steht immer noch eine Statue von ihm davor, die die Hand allerdings nicht wie sonst gerade nach oben, sondern etwas nach unten geklappt hält, so als wolle er sagen: „Was geht, Lenin is back!“

Die nächste Station war das Lenin Memorial Museum, in das man allerdings nur mit einer staatlichen Einladung reinkommt, was mir der Wachmann davor dann deutlich machte. Von außen siehts aber schön aus. Ebenfalls nur von außen sah ich Lenins Wohnhaus, da bei der Wohnung niemand öffnete, obwohl es im Internet als Museum ausgeschrieben war. Naja, er hat jedenfalls ein geräumiges Treppenhaus gehabt, aber die Gegend ist nicht die schönste.

Unser Zug nach Moskau fuhr um 0.40 Uhr ab, als setzten wir uns wieder in die Etagi und bestellten, weil wir das für besonders klug hielten, über fünf Stunden hinweg in Etappen immer wieder etwas zu Essen, bis wir dann um 23 Uhr mit dem Satz „Your time is over now!“ herausgebeten wurden.

Wir gingen zum Moskauer Bahnhof und stellten fest, dass die Züge etwas anderer Klasse waren als die Transsib, denn hier teilten wir uns das Abteil mit ca. 30 anderen Menschen. Aber wir hatten ja Max dabei, der sowohl russisch spricht, als auch Erfahrung mit den Zügen hat und uns genaustens erklären konnte, wie man sein Bett bezieht und darin liegt.

Die Nacht verging und wir kamen in Moskau an. Im Internet hatten wir das günstigste Hostel gebucht und als wir dann dort waren wussten wir auch warum es das günstigste war.

Unser Zimmer war ein Raum in einer Wohnung im 5. Stock, die Galina gehörte. Galina kann man sich vorstellen wie den Hacker-Freund von Lisbeth Salander, nur in weiblich. Ihre Wohnung ist absolut verdreckt, auf den Dosen in der Küche ist eine 1 cm dicke Schicht von allem, was sich eben so angesammelt hat und die Gasflammen im Herd und in der Dusche loderten Tag und Nacht.

Das einzig halbwegs positive waren die Katzen, die dort mit in der Wohnung wohnten und vor allem Max hatte seinen Spaß mit der kleinen schwarzen. Wir bezogen schnell unsere Betten in der Hoffnung, dass die Bettwäsche auch wirklich gewaschen war und dann suchten wir den Roten Platz in der Stadt. Ich lernte an diesem Tag, dass das Ding mit den Zwiebeltürmen nicht der Kreml sondern eine Kirche war und das Moskau mindestens genau so teuer wie Sankt Petersburg ist, die Metro kostet sogar einen Rubel mehr und ist noch nicht mal schöner.

Passend zu unserem Ort und Begleiter schauten wir am Abend noch den Film „Die vierte Macht“, den ich übrigens empfehlen kann, und waren somit am nächsten Tag wieder etwas zu spät dran, so dass es sich nur noch lohnte, auf den Friedhof zu fahren, auf dem laut Wikipedia ganz viele berühmte Personen liegen sollten. Wir kannten aber keinen.

Den letzten Tag gingen wir getrennte Wege. Während wie anderen im Kreml waren, wo übrigens auch Angela Merkel zur gleichen Zeit unterwegs war, ging ich ins Revolutionsmuseum, was wirklich sehr interessant ist. Dort wird die russische Geschichte von 1850 bis 1970 dargestellt, mit vielen Plakaten und ohne viel Technik oder sonstigem Gedöns. Jedem, der in in Moskau ist und sich für diese Zeit interessiert, empfehle ich das Museum!

Ja und dann hieß es auch schon Abschied nehmen. Von Max, von Moskau, von Russland und einer tollen Zeit!

Bis zum letzten Moment konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich mich auf die Mongolei freuen sollte oder nicht. Aber als wir dann mit dem Auto durch die mittlerweile verschneite Landschaft fuhren, ich meinen Koffer über den vereisten Gehweg zog, an der noch schlafenden Familie vorbei in mein Zimmer schlich (in dessen Tür neuerdings übrigens ein Loch ist, wahrscheinlich ein Resultat aus Sukbaths Wrestling-Übungen) und in meinem Bett lag, fühlte ich mich irgendwie zu Hause angekommen.

Das Seminar war eine wunderbare Zeit um ein neues Land zu sehen (und ich habe wirklich alle Vorurteile gegen Russland verloren und mich in dieses Land verliebt), Lust aufs Reisen zu bekommen (nächstes Jahr geht’s nach Vladivostock, Georgien und Armenien), neue Freunde zu finden, sich mit sich selbst anzufreunden, über vieles nachzudenken und Energie zu sammeln für die kommenden 8 Monate. Ich fühle mich jetzt stark genug, um es wirklich zweifellos zu schaffen und ich danke allen dafür, die diesem Gefühl nachgeholfen haben 😉

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3 Antworten zu Wirf die Gläser an die Wand!

  1. Schön, dass Du Dich in der Mongolei zu Hause fühlen kannst 🙂
    Und: Tolle Fotos und toller Text über Deine Zeit beim ZWS …

  2. Hanna sagt:

    Was? Kein Luftballon an der Decke des Moskauer Bahnhofs in St. Petersburg?
    WOW!

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