Eigentlich wollte ich jetzt noch am Meer sein. Stattdessen sitze ich in einem Café in Tirana und Airbnb schickt mir eine Mail „Sicherheitswarnung“, in der sie mich fragen, ob es mir gut gehen würde.
Was ist passiert?
Also von vorne.
Unter der Woche hatte Jutta, meine Ansprechperson in meiner Einsatzstelle angeboten mich am Wochenende nach Durrës zu fahren. Durrës ist die zweitgrößte Stadt Albaniens, liegt circa eine halbe Stunde von Tirana entfernt, was alles ganz schön zu wissen ist, aber das eigentlich Wichtige ist, dass Durrës direkt an der Adria liegt.
Noch ist es warm genug um schwimmen zu gehen.
Also sagte ich zu.
Ich suchte mir ein nettes Hostel und entschied, alleine in Durrës zu sein. Ich wollte sowieso immer schonmal Solotravel machen und ein FSJ im Ausland bietet sich ja auch dazu an, Sachen außerhalb der Komfortzone zu machen.
Am Freitag kam ich also in Durrës an und prompt ging mein Plan, im Hostel neue Leute kennen zu lernen auf. Mit einem Amerikaner verbrachte ich den restlichen Tag am Strand.
Am nächsten Tag, musste er allerdings weiter reisen. So ging ich alleine zu der königlichen Villa, die angeblich so aussehen soll wie ein Adler, aber ich sehe eher eine Ähnlichkeit zu einem kleinen Kücken. Entscheidet selber.
Danach setzte ich mich für eine Stunde an den Strand und genoß zum ersten Mal, seit dem ich in Albanien angekommen war, das Alleinesein. Ich beobachtete andere Touristen, die Strandfotos machten. Schaute älteren Menschen beim Baden und kleinen Kindern beim Spielen im Wasser zu. Ich spürte bewusst, wie die Sonne meine Haut kitzelte – vielleicht etwas zu bewusst, denn jetzt habe ich einen starken Sonnenbrand. Alles in allem war ich vollkommen glücklich darüber alleine am Strand zu sitzen und all diese Eindrücke aufnehmen zu können.
Doch, nach einer Stunde einfach stumm herumsitzen und aufnehmen, war es dann doch genug.
Ich begab mich auf dem Weg zum Amphitheater. Dieses Amphitheater war bereits von den Römern errichtet worden und hatte Platz für 20.000 Menschen geboten. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen und umso größer die Enttäuschung als ich vor dem Amphitheater stand. Mir fiel auf, dass ich bereits auf dem Weg zur königlichen Villa am Amphitheater vorbeigekommen war, es allerdings nur für einen langweiligen Haufen Steine gehalten hatte.
Der Strand scheint also wirklich Durrës schönste Attraktion zu sein. Also nochmal hin. Kopfhörer rein und Schuhe aus. Mit nackten Füßen lief oder tanzte ich eher durch das seichte Wasser den Strand entlang.
Gerade als ich mich wieder auf den Rückweg machen wollte, schrieben anderen deutsche Freiwillige, die auch ein Jahr in Tirana bleiben. Sie seien jetzt auch in Durrës. Ich wollte mich mit ihnen treffen, auch wenn sie einen weiteren guten Kilometer entfernt waren. Also lief ich, obwohl ich schon relativ fertig war und meine Haut immer röter und röter wurde, immer weiter.
Doch plötzlich zog es mir den Boden unter den Beinen weg. Mir wurde komplett schwindelig. Ich stolperte über den Strand. Für einen kurzen Moment dachte ich, dass ich wegen der Hitze in Ohnmacht fallen würde. In Panik und um Flüssigkeitsmangel vorzubeugen trank ich danach meine halbe Flasche aus und schaute mich um. Den anderen Badegästen auf den Liegen schien es einigermaßen gut zu gehen.
Es ist nichts passiert Jana. Du läufst jetzt erstmal zu den anderen Freiwilligen und isst dort etwas. Danach geht es dir auch wieder besser. Das war bestimmt nur die Hitze.
Doch dann, vielleicht zehn Minuten später, wieder. Nur mühsam und mit wilden Armgefuchtel schaffte ich es, mich auf den Beinen zu halten.
Doch dieses Mal war ich nicht die Einzige, die das Beben gespürt hatte. Während ich noch mit meinem Schwindel zu kämpfen hatte, sprangen andere Badegäste von ihren Liegen auf, schreiten und kauerten sich auf den Boden. Auch ich hatte Angst und war in Schock, aber da ich keine Ahnung habe, was ich sonst tun sollte, lief ich weiter, auf die anderen Freiwilligen zu. Aber was genau ich eigentlich machte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, ich machte einfach.
„Hast du eben auch das Erdbeben gespürt?“
Erst jetzt realisierte ich, was das eben alles war. Ein Erdbeben natürlich, klar. Wie konnte ich darauf nur nicht gekommen sein?
„Ja, natürlich. War schon heftig“
„Das hatte eine Stärke von 5,8 und das Epizentrum war 6km entfernt von hier. Steht zumindest in den Nachrichten so“
„Oh“ Mehr konnte ich dazu in dem Moment nicht sagen.
Pause…
„Was machen wir eigentlich, wenn jetzt ein Tsunami kommt?“, fragte einer der anderen Freiwilligen.
Wir einigten uns darauf, dass wir dann sowieso verkackt hätten und verbrachten den weiteren Nachmittag, als ob nichts gewesen wäre, am und im Meer.
Am Abend entschieden wir uns gemeinsam auf einer Seeterrasse essen zu gehen und wieder, mitten während wir den schönen Sonnenuntergang betrachteten, fing der Boden an zu beben. Die albanischen Kellner rannten von der Terrasse runter auf den sicheren Strand. Nur wir dummen Touri-Deutschen blieben auf der Terrasse sitzen. Wir hatten doch keine Ahnung, wie wir uns bei einem Erdbeben verhalten sollten.
Nach dem Essen, klingelte mein Telefon. Jutta und ihr Mann hatten selber das Wochenende in Durrës verbracht. Bei ihnen im Airbnb sei der Putz von den Wänden abgefallen und da noch mehr Nachbeben erwartet wurden, entschieden wir uns, die Nacht nicht in Durrës, sondern etwas weiter im Landesinneren, zu Hause in Tirana, zu verbringen.
Ich freute mich mein Airbnb, noch intakt und nicht eingestürzt, wieder zu sehen. Am Abend telefonierte ich noch. Es wurde immer später und später und dann noch ein Beben.
Um ehrlich zu sein, zu diesem Zeitpunkt, war es nicht mehr wirklich beeindruckend. (Wobei ich schon sagen muss, dass ein Erdbeben in einem Haus nochmal etwas gruseliger ist als draußen). Ich hörte wie Menschen über die Treppe nach draußen rannten. Sollte man so etwas bei einem Erdbeben machen? Zögerlich öffnete ich meine Tür und fand eine junge nette Albanerin im Treppenhaus vor. Ich fragte sie, was sie jetzt machen würde. Seelenruhig erzählte sie mir, dass es meistens nur drei Nachbeben geben würde. Alles sei sicher und ich solle wieder zurück in die Wohnung gehen. Ich tat wie mir gehießen, schließlich war sie eine Einheimische und hatten bestimmt schon mehr Erdbeben erlebt als ich.
Nach einer guten Stunde gab es dann doch noch ein weiteres Nachbeben. Inzwischen stand ich nichtmal mehr auf. Wenn das Haus schon das stärkere Beben überlebt hatte, würde es auch bestimmt die kleineren Nachbeben überstehen, redete ich mir ein um wenigstens noch ein Auge in der Nacht zu zu bekommen.
Den Sonntag gestaltete ich relativ unspektakulär. Lange ausschlafen, putzen, einkaufen und jetzt eben im Café sitzen und diesen Beitrag schreiben. Und auch wenn ich es nett finde, dass mir Airbnb eine Mail schreibt, frage ich mich doch, warum sie das erst einen Tag nach dem ersten und stärksten Beben machen.
Insgesamt wurden gut 100 Menschen bei den Beben (meistens leicht) verletzt. Hunderte Gebäude wurden beschädigt. Es war das stärkste Beben seit Jahrzehnten in Albanien und ich war dabei, aber ich glaube nicht, dass das etwas ist, worauf man stolz sein sollte.
Nachtrag: Es ist jetzt Sonntagabend und es gab noch ein Nachbeben. Daraufhin hat morgen die ganze Schule erdbebenfrei bekommen. Was für Sachen es nicht alles gibt.
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Wow, das klingt echt aufregend, die Villa sieht übrigens wirklich wie ein Küken aus.