128 ChinesInnen, kein Weihnachtsbaum, viele Plätzchen
Zum Fest wünsche ich allen Leserinnen und Lesern alles Gute, erholsame Feiertage und eine erfolgreiches neues Jahr!
Weihnachten ist eine der großen Herausforderungen neben dem täglichen Überlebenskampfes eines Deutschlehrers. Hier stauen sich Berge deutscher Tradition, christlicher Bräuche, moderner Konsumgewohnheiten und Familientreffen. Hier gilt es den Kindern zu vermitteln, was Weihnachten ist. Am besten noch auf Deutsch. Das klingt nicht nur gefährlich und stressig, das ist es auch! Aber so froh ich bin, dass diese Woche vorbeigeht und so schnell nicht wiederkommt, soviel Spaß macht es mir auch. Es ist eine Aufgabe, für die Freiwillige wie wir wie gemacht sind.
Ich hatte erst keine Ambitionen dieses Weihnachtsfest besonders zu gestalten. Ich war wie gesagt vollauf beschäftigt den täglichen Deutschunterricht, die Morgenübungen alle interessant, kohärent und informativ zu gestalten. Am letzten Wochenende lies es sich allerdings nicht mehr leugnen: Am nächsten Freitag ist Weihnachten. Wir entwarfen also ein Weihnachtsprogramm für diese Woche, dass sich wie folgt gestaltete:
Am Montag begannen wir mit dem Unterrichten der Weihnachtslieder. Ich hatte zuvor etwas verzweifelt im Musikraum Klavier geübt: Die Entscheidung war auf ein Lied pro Klasse gefallen: „Herbei, o ihr Gläubigen“ sowie „Morgen Kinder, wird’s was geben“. Das war zum einen mein Widerwille „O Tannenbaum“ zu singen, ein Lied das seiner schlichten Schönheit zum Trotz fürchterlich überstrapaziert wurde, zum anderen der Stimmlage der SchülerInnen geschuldet. „Herbei“ sollte den jungen Männern in Maschinenkontrolle 1001 Rechnung tragen, „Morgen, Kinder“ ist fröhlich und hat ein paar hohe Stellen, die mit den jungen Damen aus Büroarbeit 1001 schön klingen sollten. Es stellte sich heraus, dass trotz Karaokeübung und allabendlicher Radioübertragung durch die Schullautsprecher trotzdem nicht alle jungen Chinesen fanatische Sänger sind. Besonders die Aussprache und der Rythmus, der etwas ungewohnt war, bereiteten einige Startschwierigkeiten. Dennoch haben wir mittlerweile schon eine ordentliche Klangfülle erreicht, die hoffentlich mein Klavierspiel bei der Neujahrsfeier übertönen wird. (Die Aufführung hat nicht stattgefunden. Zum Glück?)
Am Abend gelang es mir und meiner Kollegin unseren Erhu-Lehrer mit einem Vorspiel christlicher Weihnachtslieder auf der Erhu zu überraschen. Ich hatte, zwar nicht ganz richtig, aber annähernd richtig die Noten zu „We wish you a merry Christmas“ aufgeschrieben und dazu noch „Herbei“ gelernt. Ich glaube er war ein bischen Stolz auf uns, denn er sagte, so habe auch er Erhu gelernt, indem er seine Lieblingslieder auf Erhu umsetzte.
Am Dienstag war die nächste Klasse mit Singen an der Reihe und die andere konnte zum Keksebacken voranschreiten. Der Teig, den wir gestern zusammengerührt hatten musste allerdings noch im Ofen aus seiner Tiefkühlstarre befreit werden und ich verausgabte mich an der Aufgabe ihn in eine ausstechbare Form zu kneten. Nach wiederholtem Proben von „Herbei, o ihr Gläubigen“ hatte ich den Teig so weit (Es waren Butterplätzchen mit Zitrone). Mit den riesigen Gemüsemessern und kleinen Spachteln machten sich die Jungen mehr oder weniger ordentlich daran aus kleinen Teigquadraten die Formen zu schnitzen und sie mit Rosinen, Cashewkernen und Walnusskernen zu verzieren. Ich war überglücklich. Der Teig reichte über alle Maßen und wir beschlossen den Rest für die nächste Klasse morgen zu verwenden. Das Rezept in etwa:
Für zwei Klassen mit insgesamt 87 Schülern reichte deutlich, damit jeder (und die Lehrer) ein Plätzchen machen konnten:
500g Butter, 600g Zucker, leider nicht vorhandener 1 EL Vanillezucker, 8 Eier, die Schalenschnipsel einer Zitrone, etwas Salz und 2 Kg Mehl.
Alle Zutaten außer das Mehl gut verrühren, danach das Mehl langsam unter Rühren hinzugeben, bis der Teig fest wird. Danach herausnehmen und per Hand kneten, wobei man Mehl hinzugibt. Es sollte ein fester Teig entstehen, der sich gut ausrollen lässt. 2 Kg reichen auch, um beim Formen der Plätzchen als Hilfe zu dienen. Ein Rundholz zum Ausrollen ist wichtig, die Plätzchen sollten alle gleich dick sein, damit keines verbrennt. Rosinen müssen in den Teig, sonst werden sie zu Kohlenstaub. Backzeit orientiert sich an der Plätzchendicke. Immer aufpassen!
Was für ein Spaß. Die Anstrengung alles sauberzumachen, die tauben Glieder vom Kneten und die grauen Haare aus Sorge um das Gelingen waren das Abenteuer wert. Unbedingt nur mit Unterstützung versuchen, sonst ist die Koordination äußerst schwierig. Am besten alles gut vorbereiten. Teig kann über Nacht liegen, muss aber lange auftauen, oder erhitzt werden.
Den Schülern hat es auch Spaß gemacht, soweit ich weiß. Bis auf dem einen Schüler, dessen aufwendig gestaltetes Plätzchen (eine Nachbildung einer antiken Münze mit Schriftzeichen) entwendet wurde. Die Erläuterung traditioneller deutscher Plätzchenformen ist übrigens ein Muss.
Am Mittwoch war das Plätzchenbacken schon routinierter, der Stress aber nicht weniger groß. Die Mädchen freuten sich ebenso über die Gelegenheit und auch die großen Jungs aus Maschienenkontrolle 0901 waren entzückt über die Ankündigung, dass sie obwohl sie keinen regulären Deutschunterricht haben, Donnerstag Nachmittag auch backen dürfen. Ich war schon sehr früh aufgestanden, um den Teig aus der Truhe zu holen und musste für 0901 noch die Morgenübung vorbereiten. Eigentlich ist das ein ödes Ritual in dem 20 Minuten lang Vokabeln durchgelesen werden, aber einige Lehrer und ich nutzen die Gelegenheit jetzt etwas anderes zu lernen. Ich glaube allerdings niemand geht so weit wirklich Unterricht zu machen. Ich versuche das dennoch, denn ich denke alles andere ist in etwa Zeitverschwendung, zumal die Schüler dieser Klasse sonst kein Deutsch lernen. Was nützen ihnen Vokabeln, wenn sie die Frage „Wie gehts dir?“ weder verstehen noch irgendwie beantworten können? Nach zwei Wochen derartiger Übung hoffe ich, dass sie es im neuen Jahr noch beherrschen. Diese Hoffnung wird aber enttäuscht werden, denke ich. Wie auch immer, am Mittwoch bereitete ich etwas besonderes vor, etwas weihnachtiches. Für jeden der Weihnachtsunterricht machen muss: Ich empfehle für die Erläuterung zu „Warum feiert man Weihnachten“ das Musikvideo zu „Frankie Goes to Hollywood“s: „The Power of Love“. Leider auf Englisch, aber unglaublich schön. Für die Vermittlung der Weihnachtsstimmung, für Bilder zur Weihnachtsgeschichte, für unruhige Klassen mit niedriger Konzentrationsfähigkeit, ideal. Zur Einstimmung auf eine Wiederholung des Weihnachststoffes: Das Weihnachtsoratorium von Bach. Sehr festlich und Teil unserer Kultur, warum würde man sonst überhaupt in die Kirche gehen?
Als Finale versuchten wir noch mehr oder minder erfolgreich den Lerninhalt „Weihnachten“ mit Nikolaus, Weihnachtsbraten, Tannenbaum, Weihnachtsmarkt und Weihnachtsmusik schnell und interessant für die Schüler vorzustellen. Dazu teilten wir die SchülerInnen in kleine Gruppen, die jeweils einen Gruppentisch formen sollten. Jeder Tische bearbeitete dann ein Thema zu dem Zettel vorbereitet waren (siehe Anhang). Sportlicher Ehrgeiz wurde mithilfe einer „Weihnachtsrallye“ gefördert, dass heißt sie sollten Stichwörter aus dem Text in einen Lückentext eintragen. Aus Zeitmangel gelang aber keine sehr tiefgründige Beschäftigung mit dem Inhalt. Ich hoffe etwas grundlegendes und die Weihnachtsstimmung sind angekommen. Zumindest wissen jetzt auf der anderen Seite der Erdkugel etwas, was auch deutsche Kinder immer wieder lernen müssen: „Warum feiern wir Weihnachten?“
Zu dieser Frage kann der Leser oder die Leserin mal in sich gehen 🙂 Ich hoffe ihr hatte alle schöne Feiertage.
Meine Besinnlichkeit erschöpfte sich in den Vorbereitungen für den Unterricht, an Heilig Abend hatte ich aber noch eine kleine Bescherung mit meinen Kolleginnen beim Mittagessen. Geschenke: Eine koreanische Glückwunschkarte (zu was auch immer) und ein chinesisches Schachspiel (xianqi)! Es ist nicht wie das deutsch Schachspiel! Es ist anders! http://de.wikipedia.org/wiki/Chinesisches_Schach
Neujahr
Als Ergänzung zu Weihachten: Unser Sylvester und Neujahr hat für China nicht die gleiche Bedeutung. Es wird außer für Ausländer kein Feuerwerk verbrannt, niemand bleibt lange auf, außer dem Präsidenten, der eine Ansprache für das Fernsehn gibt. Das echte Sylvester und Neujahr findet zum Frühlingsfest statt, dem Jahreswechsel nach dem alten chinesischen Mondkalender. Es fällt dieses Jahr auf den 2. Februar (Sylvester). Dann ist es üblich Jiaozi (siehe oben) zu essen, sich mit allen verfügbaren Verwandten und danach Freunden zu treffen und gemeinsam zu essen und zu trinken. Dabei legen alle Chinesen in der Ferne große Strecken zurück um bei ihrer Familie sein zu können. Weihnachten ist wegen der ganzen „Familienangelegenheit“ am Frühlingsfest der beliebtere Anlass mit Freunden zu feiern. Anstatt von Geschenken erhalten die Kinder sogennante „Hongbao“, d.h. rote Papierumschläge, die mit Geld gefüllt sind. Das Frühlingsfest übernimmt die Funktionen von Sylvester und Weihnachten zusammen. Es ist selbstverstänlich, dass dadurch mehr Festlichkeit entsteht, die sich in großen Gewinnen für die Restaurants und Feuerwerksindustrien niederschlägt. Beliebt sind keineswegs unsere sogenannten „Chinakracher“. Wer die in China abfeuern will muss zu Europaimportprodukten greifen (Holland und Deutschland). Traditionell und durchschlagender sind Knallketten aus tausenden Böllern, die, einmal angezündet, für minutenlanges, ohrenbetäubendes Getöse sorgen. Das spart Feuerzeuge und Streichhölzer. Die Luxusversion der Explosionen sind Batterien in Kastenform die, ebenfalls nur einmal angezündet, minutenlanges Feuerspektakel, Raketen und Kugelblitze in den Himmel schleudern. Zitat eines armen Familienvaters nach so einer 5 minütigen Vorstellung: „2000 Yuan! Einfach weg! Haha!“
Für besondere Athmosphäre sorgen die überempfindlichen Alarmanlagen aller Automobile und Roller, die bei jedem Krachen anfangen zu jaulen und zu fiepen und sich dabei noch gegenseitig zu höheren Leistungen anstacheln. Von den Häuserschluchten verstärkt überlagern sich die Geräusche zu einem Bürgerkriegsähnlichen Radau. Der Himmel verdunkelt sich durch die Rauchschwaden und einzelne Raketen zucken wie Blitze aus dem Dunkel. Das Inferno rund um den chinesischen Jahreswechsel lässt sich nur mit den Höhepunkten eines zweiten Weltkrieges vergleichen, wobei es aber kaum Tote gibt. Diese Beobachtungen beziehen sich auf den Jahreswechsel in Tianjin, einer riesigen Großstadt. Wie es in Taicang abläuft wird sich noch zeigen.
Update: Habe das Taicang Neujahr leider verpasst. Aber in Guangzhou gab es ein einstuendiges Feuerwerksprogramm am Abend _nach_ dem Neujahr. Am Anfang sehr beeindruckend, danach seltsam schnoed. Man stumpft einfach ab durch die staendigen Explosionen. Es ist einfach unnoetig! Habe ich so manchmal das Gefuehl. Besonders wenn jede Woche irgendein neues Gebaeude durch Getoese eingeweiht wird. Am Tag. Etwas verschwenderisch, oder? Wundersames China 🙂