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Tag 177 – Schatzsuche

Heute Morgen war der Osterhase in unserem Garten unterwegs! Fleißig hat er seine Nester versteckt und ebenso fleißig wurden sie später wieder aufgespürt (wenn auch teilweise von der falschen Person).

Am Ende waren jedoch alle happy. Und auch das Wetter spielte mit: Nach dem gestrigen Wintereinbruch schien heute wieder die Sonne. Kalt war es zwar immer noch, aber da hilft ja Gott sei Dank Bewegung.

Also verfrachteten wir uns in unsere kleine Luxusyacht und schipperten los nach Vukovar. Vokuvar ist eine kleine Stadt (siehe Silo) an der Donau alias serbischen Grenze. Wobei letzteres ziemlich wichtig ist, da Vukovar einer der (wenn nicht der) Schauplatz des serbo-kroatischen „Heimatland“-Kriegs war. Daher war es auch nicht die landschaftliche oder architektonische Schönheit, die uns an diesem Ort reizte, sondern die Historie.

Eine besondere Symbolkraft hat dabei der Wasserturm Vukovars: Rund 640 Geschosse haben während der Belagerung Vokuovars Löcher in seine Fassade gefräst – aber: „still standing“. Ein Fakt, von dem wir uns persönlich überzeugen konnten, denn nach einem kleinen Schlenker zum Markt (und einem sehr erfolgreichen Sockeneinkauf), einem Stopp bei den lustigen Sportgeräten und einem Spaziergang entlang des Donau-Ufers standen wir vor ihm. Via Treppen ging es nach oben (der Aufzug war uns dann doch zu teuer), wo uns eine typisch patriotische Ausstellung erwartete. Am Seltsamsten war jedoch die Dudel-Musik, die sogar noch ganz oben, auf der Aussichtsplattform, aus den Lautsprechern schallte.

Obwohl wir alle extra Münzen für die Ferngläser bekommen hatten, sparten wir uns die als Souvenir auf. Ewas hungrig und durchgefroren, aber bis dato ganz glücklich, machten wir uns wieder an den Abstieg – als Christians Handy einen leicht übermotivierten Abgang machte. Das Display zeigte Strobo-Pop, ansonsten nista. Tja, so wie es scheint, muss auf unseren Ausflügen wohl immer ein Handy daran glauben.

Um die Laune wieder zu heben, steuerten wir als Nächstes ein Cafe an. Dabei und anschließend passierten wir so manch schöne Gebäude – wenn auch in den meisten Fällen wieder aufgebaut. In der Franziskanerkirche entdeckte Annemarie eine Kerze in einem Mauerloch und die Erklärung dazu: Serbische Truppen wollten die Kirche vor ihrem Abzug sprengen, was jedoch glücklicherweise verhindert werden konnte.

Nach dem Kaffee spazierten wir noch am Schloss Eltz vorbei (auch hier merkt man die deutschen Verbindungen), bis zum Krankenhaus. Dort wollten wir eigentlich eine Erinnerungsstätte anschauen, wurden jedoch – trotz einer sehr freundlichen und hilfsbereiten Frau – nicht fündig. Nur den Eingangsbereich konnten wir entdecken, nicht aber die Ausstellung.

Der Mittag neigte sich dem Ende zu und so machten wir uns auf den Rückweg nach Osijek. Und der gestaltete sich relativ spannend, da sich die zwei Autos vor uns immer wieder kleine Wettrennen boten. Da kann man echt nur den Kopf schütteln. Wir selbst hatten zum Glück keinen Stress, denn obwohl der Naturpark Kopacki Rit bei unserer Ankunft schon offiziell geschlossen hatte, konnten wir den Boardwalk nicht nur machen, sondern sogar kostenlos.

Danach trieb es allerdings auch uns endgültig nach Hause – wobei: Einmal machten wir uns noch auf den Weg und zwar ins Kino. Ein bisschen Kalter Krieg und Spionage – das geht einfach immer.

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Tag 176 – Anheuern

Schnee im April – nach den letzten warmen, sonnigen Tagen wirkt das Wetter gerade nicht nur grau, sondern auch surreal. Ein Glück, dass wir für heute nicht viel geplant haben. Nach Vanillepudding, Pfannkuchen und frischen Hefeteigbrötchen zum Frühstück, packen wir unsere sieben Sachen und fahren los. Auf den ersten Metern nehme ich fast ein anderes Auto mit, danach düsen düsen düsen wir im Sauseschritt mit Tempomat 140 km/h nach Dakovac.

Dakovac hatte ich bei meiner letzten Fahrt nach Osijek nur aus dem Busfenster heraus gesehen, aber die große Backsteinkirche hatte es mir auf Anhieb angetan. Daher auch der Entschluss: Hier muss ich nochmal hin!

Als wir allerdings aus dem Auto steigen, schwirren die Schneeflocken nur so um uns herum. Es ist kalt, grau und nass. Trotzdem laufen wir die Hauptstraße bis zur Kirche vor und drehen dann sogar noch eine Runde durch den Park. Auf dem Rückweg versuchen wir unser Glück an den diversen Türen des Kirchenportals und haben letztendlich Glück: Eine Seitentür schwingt nach innen auf und gibt den Blick auf einen Traum in Gold-Blau frei. Kurz zögern wir noch, als wir die Putzfrauen bei der Arbeit sehen, dann werden wir (trotz erbarmungswürdig dreckiger Schuhe) freundlich hereingewunken.

Nachdem wir den Sternenhimmel und die Malereien ausreichend bewundert haben, setzen wir uns wieder ins Auto und es geht weiter nach Osijek. Noch ein schneller Einkauf und schon ist es Zeit, Annemarie vom Busbahnhof abzuholen. Gerademal seit zwei Tagen ist sie in Kroatien, schon lernt sie Land und Freiwillige kennen. Zweimal kurvt Arne am Busbahnhof vorbei, dann haben wir unseren Neuzugang erfolgreich auf der Rückbank verstaut. Zusammen fahren wir zu unserer Unterkunft, checken ein und machen uns kurz darauf an einen Spaziergang in und durch die Stadt.

Das letzte Mal, als ich in Osijek war, war es kalt aber sonnig. Heute hingegen hängt eine dichte Wolkendecke über der Stadt. Und dennoch haben wir Spaß: Wir gehen Kaffeetrinken, Second Hand Shoppen, gucken in die ebenfalls große Backsteinkirche rein und statten dem Muschelmuseum einen Besuch ab (auch wenn das Museum leider bereits geschlossen hat).

Zurück im warmen Apartment macht sich Christian an Käsespätzle (was in einer wahren Materialschlacht ausartet) und beim anschließenden Essen quasseln alle wie wild durcheinander. Full house.

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Tag 175 – Slawonisches Schiff

Gestern wollte ich gar nicht einschlafen, so sehr habe ich mich auf den nächsten Tag gefreut. Nicht weil heute Ostermontag ist und auch nicht, weil wir etwas Besonders geplant haben – einfach nur, weil ich diesen (meinen letzten) Urlaub in Kroatien so sehr genieße. Kein Wunder also, dass ich heute ganz von selbst um sieben Uhr aufwache und sogar aufstehe.

Mit Arne und Helen geht es kurz darauf in der Küche ans Werk, unser Osterfrühstück vorbereiten. Noch rasch den Tisch geschmückt, die Pfannkuchen genüsslich verspeist und mit vollen Bäuchen spazieren wir die Sava entlang – zuerst auf der Promenade, dann weiter auf dem Damm.

Im weitem Bogen kehren wir zurück in die Innenstadt. Auf dem Korzo, der zentralen Einkaufsstraße wimmelt es nur so von Familien und Menschen jeder Altergruppe: Alle Cafes sind bis auf den letzten Platz besetzt, sodass wir in eines in einer Seitenstraße ausweichen müssen. Dort kommt Helen in den eher zweifelhaften Genuss eines slawonischen Cappuccinos (schmeckt wie Yormas-Kaffee mit wahlweise Schokoladen- oder Vanille-Sirup – oder mit Helens Worten ausgedrückt: „Ekelig“).

Nach dieser kleinen Pause wollen wir eigentlich auf dem Markt einkaufen. Doch aufgrund des Feiertages ist dieser natürlich wie leer gefegt. Auf dem Weg dorthin maunzt mich eine verschmußte Katze von der Seite an und ich kann mal wieder nicht widerstehen.

Zurück in unserem Apartment gönnen wir uns eine Minute Ruhe, dann machen wir uns daran, das Ufer in der anderen Richtung zu erkunden. Wir passieren die Brücke nach Bosnien und finden eine kleine, schwimmende Holzplattform. Tiefenentspannt lassen wir uns darauf nieder und genießen in trauter Stille die Sonne: Ich tauche meine Beine ins kalte Wasser, Helen vertieft sich in ihr Buch, Christian schläft ein wenig und Arne hört Hörbuch.

Nach einer guten halben Stunde laufen wir zurück. Die Jungs fahren einkaufen und wir Mädels gehen Kaffeetrinken und das Fort erkunden. Der Kellner verwickelt uns in ein kurzes Pläuschchen: Zuerst ist er ein wenig verwirrt, dass ich – trotz meiner überzeugend hervogebrachten drei Sätze Kroatisch – keine Verwandten in Kroatien habe, dann erzählt er uns von seiner Zeit in Deutschland. Letzteres ist übrigens ein ganz typischer Gesprächsverlauf zwischen enttarnten Almans und Kroat*innen. Nach einer vorzüglichen heißen Schoki und einem Kaffee nach Helens Geschmack, durchforsten wir noch die alten Wehranlagen und drehen eine Runde auf dem Wall.

Doch schon auf halber Strecke erhalten wir einen Anruf von den Jungs und müssen uns sputen, nach Hause zu kommen: Schließlich haben wir ihnen die Wohnungsschlüssel abgeluchst.

Glücklich wiedervereint stürzen wir uns auf die Abendessensvorbereitungen und anschließend auf unser exquisites Vier-Gänge-Menu. Tja, wahrscheinlich könnten wir morgen auch ohne Auto nach Osijek rollen…

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Tag 174 – Versumpfen

Der Wecker klingelt, ich höre ein grummeliges „Och nee“ aus Richtung Christian. Noch etwas verschlafen tapse ich in die Stube wo ich von Helen und Arne mit der ersten Anekdote des Tages begrüßt werde: Um Punkt sieben ist Helen hochgeschreckt mit der Frage: „War Sonja gerade hier?“ Ich glaube, das war Vorfreude 😉

Vom Herumgealber und Gekicher angelockt, kommt auch bald Christian aus seinem Nest und wir stillen unseren Frühstückshunger an dem riesen Teller selbstgemachten Kuchen, den uns die Vermieterin gestern vorbeigebracht hat (entgegen Arnes Befürchtung bleibt kein Krümelchen übrig). Als wieder alles im Auto verstaut ist, verabschieden wir uns vom Vermieter, lassen unser Auto jedoch vorerst auf dem Hof stehen. Schließlich haben wir gestern einen kleinen Wanderweg entdeckt, den wir jetzt – praktisch als Osterspaziergang – in Angriff nehmen wollen.

Und obwohl das zunächst einmal ein bisschen melodramatisch klingt: Der erste Teil des Weges wird durchaus anstrengend, da wir uns unseren eigenen Pfad durch eine matschige Kuhweide bahnen dürfen. Schon bald erfüllt ein fröhliches Schmatzen die Luft, ergänzt von dem ein oder anderen Seufzer. Nachdem wir die Herde unter vielen wachsamen Kuhaugen passiert haben, macht Arne kehrt, um sich mit den Tieren anzufreunden. Wir anderen schauen ihm gespannt (und zugegebenermaßen auch etwas belustigt) dabei zu.

Danach gewinnen wir wieder festen Boden unter den Füßen, als wir einen Damm besteigen und uns auf den Weg zurück zum Dorf machen. Ab ins Auto und nach Krapje, denn nach der Wanderung ist bekanntlich vor der Wanderung. Kaum ausgestiegen werden wir von einem jungen Hund angesprungen – unser „Fremdenführer“, wie uns sein Herrchen aus dem Fenster zuruft. Ein Stück des Weges begleitet er uns schwanzwedelnd (und seine Nase in unfeine Dinge steckend), dann kehrt er um. Wie gehen hingegen weiter, zuerst zu einer Wiese voller Schweine mit Kringellöckchen, dann zu einem Aussichtstum und schließlich entlang der Straße zurück.

Eine kurze Fahrt mit dem Auto, dann erreichen wir auch den letzten Punkt auf der heutigen Liste: Jasenovac, das einstmals größte Konzentrationslager Kroatiens und nach Gefangenenzahlen eines der größten in ganz Europa. Vom „Auschwitz des Balkans“ selbst ist nichts mehr erhalten, aber es gibt eine kleine (geschlossene) Gedenkstätte und ein Mahnmal. Die Infotafeln sind so vergilbt, dass man sie kaum noch lesen kann und im Mahnmal selbst steht nur eine einzelne Kerze. Kein Wunder: Dieser Teil der Geschichte ist in Kroatien – ganz anders als in Deutschland – kaum präsent. Und doch, wie dieser Ort zeigt, nicht ganz unwichtig.

Und für alle, die es eher in bewegten Bildern mögen: https://www.youtube.com/watch?v=7RDs2Vuw_AQ – ein aktueller, serbischer Spielfilm über das Lager.

Mit Christian am Steuer treten wir danach unseren letzten Teil der heutigen Reise an: Auf der Autobahn geht es nach Slavonski Brod, der zweitgrößten Stadt Slawoniens. Wir checken in unser geräumiges Apartment ein und schälen uns aus den schlammverkrusteten Wanderstiefeln und den ebenso treckigen Hosen. Eine*r nach der bzw. dem anderen verschwindet unter der Dusche, ein Festessen wird vorbereitet und zum krönenden Abschluss spielen wir eine Runde Karten. Alles andere muss und kann bis morgen warten.

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Tag 173 – Zugvögel

Meine erste Nacht in einer Maisonette-Wohnung und ich muss sagen: Puh, da oben kann es schon ganz schön warm werden. Darum bin ich auch gar nicht so ungnädig, als ich heute Morgen von Arnes polternden Schritten auf der Treppe geweckt werde. Noch ein paar Mal drehe ich mich um die eigene Achse, dann geht es mit Arne auf den Zagreber Markt. Nach seinem letzten Trip in die Hauptstadt hatte er von den unterirdischen Markthallen geschwärmt und dass ich diese noch nicht selbst entdeckt habe, kann ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen.

Zuerst schlendern wir also durch die Stände auf dem Marktplatz, dann wagen wir uns in den Untergrund. Und tatsächlich: Das Angebot dort unten ist absolut sehenswert! Ganze Pötte Sauerkraut, selbstgemachter kroatischer Frischkäse, Schafsköpfe – all das ist dort zu haben. Für unser Frühstück entscheiden wir uns für eine breite Palette an Croissants, Strudel, Cremeschnitte und Kuchenstückchen. Außerdem suchen wir uns auf dem Rückweg noch ein paar liebevoll bemalte Ostereier aus.

Kaum sind die süßen Stückle verspeist und die Eier sowie alles weitere eingepackt, trudelt auch Helen bei uns ein. Zusammen quetschen wir uns in ein Uber zum Flughafen – bzw. ich mache es mir in aller Ruhe auf dem Beifahrersitz bequem, alle anderen kuscheln sich aus Angst vor einem Gespräch mit dem Fahrer auf die Rückbank (Zitat Arne: „Ich glaube, ich spüre meine linke Seite nicht mehr“).

Am Flughafen angekommen, werden wir auf die Autoverleih-Container verwiesen. Und während die Jungs sich erst um die Formalitäten kümmern, um anschließend im Regen das Auto zu begucken, stapeln Helen und ich uns mit dem Gepäck unter einem kleinen Dach. Zuerst dreht Christian eine Proberunde auf dem Parkplatz (Automatik ist nun mal Gewöhnungssache), dann geht es auf die Straße. Wir fahren durch immer kleinere Dörfchen, vorbei an Feldern und Wiesen und auch an einem Wildunfall: Ein Reh hat es erwischt.

Unser Ziel ist das „Uprising Monument“, ein ehemaliges Denkmal des antifaschistischen Widerstands. Heute kennt man es eher als Lost-Place, was auch erklärt, warum es auf meiner To-See-Liste steht. Ganz dorthin schaffen wir es zunächst jedoch nicht, denn unsere Fahrt endet auf einer schlammigen Schotterpiste. Doch „nema problema“, schließlich lassen sich die restlichen drei Kilometer zur Bergspitze auch bequem zu Fuß erledigen (auch wenn Christian dabei seinen  – mit Absicht – zu Hause gelassenen Wanderschuhen nachtrauert).

Oben angekommen bietet sich für uns ein ehrfurchterregender Blick auf das seltsam geformte Gebäude. Ist das Betongerüst auch noch größtenteils intakt, so hat sein Kleid über die Jahre doch etwas gelitten: Einige Stahlplatten der schimmernden Fassade fehlen bzw. wurden geklaut. Doch obwohl uns dabei ein wenig mulmig zu Mute ist, wagen wir uns über die verschlungenen Beton- und Stahltreppen bis hoch hinauf auf‘s Dach. Und die Aussicht über die hellgrün austreibenden Wälder gibt uns Recht.

Wieder zurück am Fuße des Gebäudes wird die andächtige Stille abrupt unterbrochen: Ein Auto fährt – ganz Kroaten-Style – bis ans Monument vor und erschreckt Arne dabei fast zu Tode. Vom Timing aber passt es ganz gut, denn auch wir müssen langsam weiter. Der Himmel zieht zu und kurz bevor wir das Auto erreichen, fallen erst Tröpfchen, dann Graupel, dann Hagel. Kalt, klamm und mit matschigen Schuhen retten wir uns ins Innere des Wagens und fahren einkaufen.

Der Weg zum Supermarkt führt uns dabei durch Petrinja, dem Ort, in welchem im Dezember das Epizentrum des starken Erdbebens lag. Und bis heute sind die Spuren kaum verblasst: Eingefallene Fassaden, Rohbauten und gesperrte Straßen bzw. Umleitungen – der Eindruck ist bedrückend.

Nach unserem Einkauf übernimmt Arne das Steuer und sammelt auf den letzten Metern bis zu unserer heutigen Unterkunft fleißig Autos hinter sich. Er ist wohl der Einzige, der die kroatischen Geschwindigkeitsbegrenzungen ernst nimmt. Schlimm ist das allerdings überhaupt nicht, denn so haben wir reichlich Zeit, die hübschen kleinen Holzhäuschen auf der einen Seite und das idyllische Flussbett der Sava auf der anderen Seite zu betrachten. Und am Ende erreichen wir ja trotzdem unser Ziel des Tages: Čigoć – das Dorf, in dem es mehr Störche gibt, als Menschen (sogar wenn man die Storch-Figuren im Garten, die Storch-Stickereien der Gardinen und die vielen Storch-Souvenirs nicht mitzählt).

Ein bisschen spannend wird es noch, als wir versuchen in die falsche Unterkunft einzuchecken. Doch nur wenig später stehen wir dann vor unserem eigenen Holzhaus für die Nacht – zwar ohne WLAN (und damit habt ihr auch die Begründung für den etwas verspäteten Blogeintrag ), dafür aber mit jeder Menge Kuchen. Bevor wir uns den allerdings zu Gemüte führen, steht zunächst noch ein kurzer Abendspaziergang durch das kleine Dorf an. Wir bewundern den Sonnenuntergang auf der Sava und schauen den Storchenpärchen zu, wie sie zurück in ihre Nester fliegen. Und dann tun wir es ihnen gleich.

In unserer gemütlichen Stube sitzen wir am Küchentisch, kochen zu viel Reis und lassen ihn anbrennen, essen und genießen unsere analoge Zeit. Zumindest alle bis auf Christian (alias „Hase“), dem Helen schließlich ein Buch anbietet. Ich werde langsam wieder wach, die anderen müde. Christian legt sich ins Bettchen und schläft ein, Arne knipst ihm das Licht aus und schließt leise die Tür. Gute Nacht.

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Tag 172 – Flotte wiedervereint

Sieben Uhr dreißig – so langsam färbt der Frühaufsteher auf mich ab. Aber heute ist es sogar ganz praktisch, einmal etwas mehr vom Tag zu haben, schließlich ist es mein letzter im schönen Bjelovar.

Und um den noch einmal richtig auszukosten, schwingen wir uns nach dem Frühstücken und Packen auch direkt wieder auf die Räder. Den ersten Teil der Strecke kenne ich schon. Das heißt natürlich nicht, dass es uns langweilig wird – dafür sorgt allein schon, dass meine Kette nach einer rasanten Bergabfahrt abspringt. Ein, zwei fachmännische Handgriffe von Arne und weiter geht’s. Allerdings diesmal im Tal. Wir kommen an freilaufenden Hühnern, Hunden, Katzen, Osterlämmern und einem Fohlen vorbei.

Bald erreichen wir Veliko Trojstvo – kleines Silo, kleine Stadt.In einer Dorfkneipe alias Café gönnen wir uns eine Pause, dann geht es zurück. Doch diesmal über einen anderen Weg. Der hat zwar am Anfang zwei fiese Anstiege (die ich, ich gebe es zu, mein Fahrrad hochschiebe), führt danach jedoch wunderbar auf dem Bergkamm entlang. Außerdem erreichen wir dabei einen schönen Aussichtsturm.

Zurück in Arnes Wohnung schultern wir die gepackten Taschen (drei bis vier pro Person) und zuckeln zum Bahnhof. Dort angekommen kaufen wir uns die Tickets und gehen erwartungsvoll auf die Plattform – was sich allerdings als klassischer Frühstart herausstellt, denn unser Zug fährt erst in einer Stunde. Und so chillen wir uns erst einmal auf die von Gänseblümchen übersäte Wiese vor dem Bahnhofsgelände.

Die Stunde verstreicht und nicht lange, dann sitzen wir im Zug, der sich mit dröhnendem Dieselmotor und gelegentlichem Hupen seinen Weg Richtung Hauptstadt bahnt.

In Zagreb wollen wir natürlich zuerst in unser schickes Apartment einchecken, doch wie es eben so ist, der eine verlässt sich bei der Suche nach dem richtigen Weg auf den anderen und umgekehrt. So laufen wir erst einmal an unserem Ziel vorbei, um anschließend auf zwei getrennten Wegen wieder zueinander zu finden. Oder wie Arne sagen würde: Erst schweigen wir uns eineinhalb Stunden an (wie haben Musik gehört) und dann zoffen wir uns (wenn ich nun mal Recht habe 😉 ), um uns am Ende wieder zu vertragen.

Im Apartment angekommen, stoßen schon bald Christian und Helen zu uns. Christian ist gestern aus Pula angereist, Helen seit nunmehr zwei Wochen in Zagreb. „Nicht reisen, Kontakte vermeiden“, hieß es passend dazu heute Morgen in tagesschau – doch genau das ist unser Plan: Eineinhalb Wochen Osterfahrt durch Slawonien.

Aber auch heute wollen wir bereits etwas Zeit miteinander verbringen. Alle ein wenig aufgekratzt, drehen wir eine Runde durch die Stadt, machen ein obligatorisches Gruppenfoto und trinken Kaffee. Danach zieht es Helen zurück in ihre brandneue WG und Christian geht mit, um seine Sachen zu holen (wobei er – typisch Christian – die Hälfte wieder vergisst). Währenddessen spazieren Arne und ich durch einen hübschen kleinen Park zum Botschaftsviertel und suchen uns unsere Traumvilla heraus.

Für den Abend steht dann schließlich auch noch das gemeinsame Abendessen aus. Doch das erweist sich in Anbetracht des unermesslichen Angebots schwieriger als gedacht. Die Jungs, mit hungrigen Mägen, werden ungeduldig, doch wie es so ist: Am Ende findet sich was.

Während wir essen plätschert der erste Sommerregen um uns nieder. Doch den feierwütigen Menschenmassen Zagrebs tut das keinen Abbruch. Zum einen fühlt es sich wunderbar normal an, an diesem lauen Frühlingsabend draußen zu sitzen und anderen beim Cocktail-Schlürfen zuzuschauen. Zum anderen ist es erschreckend, wie viele Zagrebacki sich in den Bars tummeln. Ganz so, als gäbe es kein Corona und als wäre Kroatien nicht gestern erst vom RKI als Risikogebiet eingestuft worden.

Nicht zuletzt aus diesem Grund verzichten wir auf unseren Absacker und holen uns auf dem Rückweg stattdessen lieber noch einen leckeren Nachtisch. Tja und dann heißt es ab ins Bettchen, denn morgen beginnt unser Abenteuer.

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Tag 171 – Reinfall

Heute gab es Frühstückseier mal anders – ein Schlingel, der Böses dabei denkt. Was ich damit meine ist: Arne und ich haben fleißig Ostereier gefärbt. Und die Verluste gleich zum Frühstück verspeist.

Danach vergräbt sich Herr Lehrer wieder in seine Arbeit während es mich hinaus in die Sonne zieht. Am Bjelovarer Zentralplatz angekommen muss ich schmunzeln, denn auf die Szene, die sich mir dort bietet, bin ich nicht vorbereitet: Biker in bunten Hasenkostümen verteilen Ostereier an Kinder. Es gibt einfach nichts, was es nicht gibt.

Vom Platz aus tauche ich anschließend wieder in das Schachbrett-artige Straßennetz ein. Denn was mich in Bjelovar bisher am meisten überrascht hat, ist die omnipräsente Street Art. Und tatsächlich finde ich neben einer Schule auch die Katzen aus Rijeka wieder. Wie die wohl hierher gelangt sind?

Ein wenig die Straße hinunter entdecke ich den Friedhof der Stadt und – was mich noch mehr fasziniert – eine Industrieanlage. Leider finde ich jedoch weder die Zeit, noch das passende Loch im Zaun, um mir das Ganze näher anzuschauen.

Stattdessen stehe ich etwas später am Busbahnhof Bjelovars und bekomme erst einmal einen kleinen Schreck, als ich die Uhrzeit an der Bahnhofssäule sehe. Doch schnell bemerke ich: Alle Uhren gehen anders und keine davon richtig. Und so habe ich noch ein paar Minuten Zeit, bis mein Bus nach Virovitica abfährt.

Als er schließlich ankommt werden erst einmal die Pakete ausgeladen – denn hier in Kroatien ist es immer noch üblich, Pakete den Fernbusfahrern mitzugeben. Und warum auch nicht? Wenn es schneller und günstiger ist als via Post… Außerdem kann man gerade in abgelegeneren Gebieten auf diese Weise gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und die geringen Fahrgastzahlen ausgleichen: Mit mir steigen nur zwei andere Personen in die „Postkutsche“ ein. Allerdings steigen sie auch bereits nach kurzer Zeit mit ihren Wocheneinkäufen irgendwo in einer Haltelücke wieder aus. Dafür erhalte ich bald darauf Gesellschaft von einer Gruppe Jugendliche, die nach Đurđevac wollen.

Auch ich wäre in Đurđevac ganz gerne ausgestiegen, aber leider geben die Verbindungen das nicht her. Doch als hätte der Busfahrer mein Dilemma gespürt, rollen wir beinahe direkt an der einzigen Attraktion des Ortes, einer trutzigen kleinen Burg, vorbei.
Die eine Gruppe Jugendlicher steigt aus, eine neue ein und der Bus fährt mit noch offenen Türen weiter.

Nicht mehr lange, dann sind wir auch schon am Ziel meiner heutigen Reise: Virovitica. Auch bei der Ankunft dort ist die Stadtrundfahrt inklusive, denn die Hauptattraktion liegt auf dem Weg. Somit sind es auch vom Busbahnhof nur wenige Schritte zum Schloss in zartrosa.

Über die „bridge of love“ betrete ich den Park und setze mich in die pralle Sonne. Diesen letzten Schritt wiederhole ich etwa alle 200 Meter, während ich das Gebäude umrunde. Auf der anderen Seite angekommen, überquere ich die „Gymnasium bridge“ auf welcher – ganz passend – einige Schüler*innen das Wochenende begrüßen. Wie die Hühner sitzen sie sich auf Bänken gegenüber – die Jungs auf der einen Seite, die Mädels auf der anderen.

Ist der Park mit dem Schlösschen sicher generell schon ein echter Hingucker, so wurde sich bei der Osterdeko noch einmal extra ins Zeug gelegt: Überall Hasen und Eier und zwar in sämtlichen erdenklichen Farben, Formen und Materialien.

Nachdem ich das Schloss aus so ziemlich jedem Winkel gewürdigt und fotografiert habe, schlender ich zur Kirche und werfe einen Blick hinein. Fazit: Goldene Altäre soweit das Auge reicht.

Wieder im blendenden Sonnenschein frage ich mich, was Virovitica sonst noch zu bieten hat. Aber als ich die sternförmig stadtauswärts führenden Straßen ein wenig entlanglaufe, kehre ich doch immer wieder recht schnell zum Schloss zurück. Am Ende hole ich mir dann einfach ein Eis. Und für mehr ist auch gar keine Zeit mehr, denn der Bus zurück nach Bjelovar steht schon bereit.

Dort angekommen werde ich erst einmal richtig von Arne auf den Arm genommen. Denn natürlich falle ich auf seinen Aprilscherz „mir sind unsere liebevoll gefärbten Ostereier runtergefallen“ herein.

Am Abend wollen wir die 25 Grad noch ein wenig genießen und setzen zu einem Spaziergang entlang der Bahnstrecke an. Ein bisschen Nervenkitzel ist sicher mit von der Partei, als wir auf den Gleisen balancieren und schließlich sogar auf die dort abgestellten Güterwaggons steigen. Sowas geht in Deutschland sicher nicht. Bald darauf haben wir Bahn und Stadt zurückgelassen und setzen uns bei einem Fischteich ins Gras. 

Doch nicht lang, dann grummeln unsere Bäuche vor Hunger. Zurück in der Stadt müssen wir allerdings feststellen, dass andere den gleichen Plan hatten, denn alle Tische auf den Terrassen sind besetzt. Kurzerhand holt Arne uns also eine Grillplatte von seinem Restaurant des Vertrauens und wir geben unser Bestes dem vielen leckeren Fleisch Herr bzw. Frau zu werden. Denn ab morgen, wenn wir Kroatien-Freiwilligen (fast) alle wieder auf einem Haufen sind, wird wohl wieder vegetarisch gekocht. In dem Sinne: One last Cevapi!

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Tag 170 – Delphin

„Was gibt es denn in Bjelovar?“, diese Frage wurde mir von allen Kroat*innen gestellt, wenn ich ihnen erzählte, wohin es mich vor Ostern hinverschlägt. Bisher lautete meine Antwort dann einfach: „Arne, ein anderer Kulturweitfreiwilliger, wohnt dort“. Doch jetzt, nach einem Tag der „ultimativen Bjelovar-Experience“ (so zumindest Arnes Versprechen), könnte ich da noch Einiges hinzufügen:

Denn nachdem ich Arne heute Morgen an der Schule abgeliefert hatte, stromer ich ein wenig ziellos durch die Straßen der Altstadt und komme dabei an dem ein oder anderen Kunstwerk vorbei – viele der Häuser zieren bunte, moderne Bilder und überall auf dem Zentralplatz stehen bemalte Ostereier. Wie Arne berichtet, habe ich Glück, denn die letzten Wochen wurde der Park einmal komplett umgebaggert. Und auch jetzt flattern noch ein paar bedrohlich aussehende Absperrbänder mit Totenkopf an der ein oder anderen Stelle. Auf einer Bank mit Blick auf die hübsch angelegten Blumenbeete und die farbenfrohen Gebäude lässt es sich in der Sonne allerdings jetzt schon prächtig aushalten.

Während Arne also fleißig seiner Arbeit nachgeht, gehe ich zum hoch-aufragenden Silo. Die Silos, so weiß ich von Arne, sind auf dem Land ein Statussymbol: Nur große Städte wie Bjelovar haben eines. Wobei letzteres nicht ganz korrekt ist, wie ich herausfinde, denn Bjelovar hat sogar zwei Silos! Oha, das muss aber eine wichtige Metropole sein 😉

Auf dem Rückweg zur Schule stolpere ich außerdem über einen kleinen Second-Hand-Laden. Doch ich muss mich zusammenreißen, schließlich ist mein Gepäck für die Heimreise schon gut ausgereizt und auch für die anstehende Osterfahrt wird es sicher eng im Auto (so zu fünft…). Außerdem wartet Arne schon auf mich, denn natürlich möchte ich auch in seiner Schule vorbeischauen. Im Lehrerzimmer treffe ich die zwei Deutschlehrerinnen und mit einer von ihnen geht es direkt in den Unterricht. Die Abiturient*innen besprechen gerade den Film „Die Wolke“ – das harte Fazit der Schüler*innen: Nicht sehenswert. Im zweiten Teil der Stunde wenden wir uns also einem leichteren Thema zu: Ostern. Oder wie ich es nennen würde: Atheisten erzählen von christlichen Traditionen…

Nach der Stunde bleibt noch Zeit für ein nettes Schwätzchen im Deutsch-Raum (so ein exklusives Büro haben wir in Rijeka nicht) und kaum haben wir uns versehen, wird Arne beurlaubt und wir sind auf dem Weg zur besten Eisdiele der Stadt.

Im strahlenden Sonnenschein schmilzt uns das Eis unter den Fingern weg. Und doch landet genug der großzügigen Portionen in unseren Bäuchen. Gut daher, dass für den Nachmittag eine Fahrradtour geplant ist. Noch ein Zwischenstopp in Arnes Lieblings-Second-Hand-Laden (ich geb’s auf) und ein kurzes Mittagsschläfchen, dann schwingen wir uns auf die Drahtesel.

Mein blaues Fahrrad quietscht (ich nenne es Delphin), Arnes Rad (alias Timon) schnurrt und voller Tatendrang flitzen wir durch die Straßen Richtung Stadtrand. Zuerst geht es ganz wunderbar geradeaus. Doch dann kommt das Unerwartete: Hügel! Tja, da denkt man Slawonien sei eine endlose, flache Piste und Pustekuchen. Mit etwas Keuchen und ein paar Hupen erreichen wir aber trotzdem – wenngleich nicht das ambitionierte Ziel – so doch zumindest einen schönen Ausblick. Versüßt wird der uns von einem Kaffee unter Kirschblüten.

Anschließend geht es zu Fuß weiter, wir tauchen in den Wald ein. Unter den Bäumen blühen die Veilchen (und noch ein paar andere, weiße Blumen, deren Namen ich schon wieder vergessen habe) und einmal sehen wir zwei Rehe davonspringen. Mal folgen wir dem gekennzeichneten Weg, dann verlieren wir ihn. Doch am Ende kommen wir wieder bei unseren Fahrrädern raus, die geduldig auf uns warten.

Einen kleinen Hügel geht es noch hoch, dann kommt die Abfahrt. So ganz traue ich dem Geräusch meiner Bremsen nicht, doch tatsächlich kommen wir nicht nur heil unten an, sondern auch in Bjelovar (auch wenn Arne auf den letzten Metern fast noch von einer Autofahrerin mitgenommen wird).

In Bjelovar stoppen wir ein letztes Mal beim Eierautomat (super Teil!), um uns für die anstehenden Ostervorbereitungen einzudecken. Und dann ist es Zeit für eine Dusche, ein leckeres Abendessen und – zumindest im Fall von Frühaufsteher Arne – das Bett.

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Tag 169 – Frachter

Gerade erst wurde das eine Frachtschiff aus dem Suez Kanal befreit, schon ist das nächste unterwegs – und damit meine ich natürlich mich selbst. Mit langen Umarmungen verabschiede ich mich von meinen Mitbewohnerinnen und mache mich mit vier vollgestopften Taschen auf den Weg zum Bus in die Hauptstadt.

Mit einem freundlichen Abwinken lässt der Fahrer mein Sammelsurium als Handgepäck durchgehen und gut gelaunt lasse ich mich in meinen Sitz fallen. Ein Problem gelöst, bleiben noch zwei weitere: Strom und WLAN, die Grundbedürfnisse eines Digital Natives – gerade in Zeiten des Home Offices.

Letztes lässt sich mit Hilfe des Fahrkartenkontrolleurs schnell einrichten, doch in Punkto Stromzufuhr erweist sich der Bus leider als Steckdosenfreie-Zone. Und so gibt mein braver, alter Laptop auch nach einer Stunde Nachbereitungsseminar traurig blinkend den Geist auf.

Mit dem Handy geht es weiter, wenngleich auch ohne WLAN. Denn obwohl wir uns langsam aber sicher der Hauptstadt näher, Internet ist und bleibt im 21. Jahrhundert so eine Sache.

Pünktlich zum Beginn der Mittagspause komme ich in Zagreb an und ächze ein wenig über den Weg vom Busbahnhof zum Hauptbahnhof. Aber ist er auch länger als gedacht, so führt er mich zumindest an einer bunt besprühten Mauer vorbei. Im Bahnhof schließe ich mein Gepäck ein und kehre wortwörtlich erleichtert an die frische Luft zurück.

Eineinhalb Stunden habe ich, bis es mit dem Seminar weitergeht. Und für die habe ich mir vorgenommen den letzten großen Park auf meiner Zagreb-Liste abzuhaken. Das Blöde an den Parks in Zagreb ist allerdings, dass sich diese meist etwas außerhalb befinden. Und mit etwas meine ich circa drei bis vier Blocks alias rund 30 Minuten. Entlang großer, stark befahrener Straßen stiefel ich los, überquere die Sava und erreiche einen kleinen Baggersee. Im Sommer muss es hier echt nett sein, mit der Open-Air-Bühne, den Spielplätzen und Eisständen. Auch ich kann natürlich nicht widerstehen und gönne mir ein spottbilliges Eis.

Was mich allerdings noch mehr verzückt, ist die Erkenntnis, dass einige Bänke des Parks Solarbänke mit Ladekabelanschlüssen sind. Mein Akku-Problem scheint gelöst – bis ich feststelle, dass sie nicht funktionieren. Die Buchsen sind verrostet…

In den verbleibenden fünfzehn Minuten bis zum letzten Teil des Seminars umrunde ich also den See und halte fleißig Ausschau nach Steckdosen. Und tatsächlich – am Ende werde ich fündig: In einem kleinen Toilettenhäuschen. Nicht gerade das Ritz, aber wen kümmerts!  Ok, die Putzfrau schaut ein wenig verwirrt, als sie mich pfeifend auf dem heruntergeklappten Toilettendeckel findet, aber wer Out-of-Home-Office machen will, braucht einfach etwas Humor.

Mit ganz wundervollen 89 Prozent Akku breche ich schließlich wieder auf Richtung Innenstadt. Auf dem Damm begegne ich dabei einigen Schüler*innen-Trauben und frage mich schon, was die denn hier treiben, als wir an einem Mann vorbeikommen, der mit seinem Handy Codes auf den Handys der Schüler*innen einscannt. Sportunterricht in Zeiten Coronas – nicht übel.

Eigentlich hatte ich vor, auf dem Rückweg noch einen Lost-Place zu erkunden, aber leider kann ich die verlassene Fabrikhalle nicht finden. Aber vielleicht auch besser so, schließlich möchte ich mich noch mit Helen auf einen Kaffee treffen. Während ich auf sie warte, setze ich mich in den Park vor dem Hauptbahnhof und genieße den Blick auf das von Magnolienblüten eingerahmte Museumsgebäude im Vordergrund und die Spitzen des Doms und des Zagreber „Hausbergs“ Sljeme im Hintergrund. Ein Taubenmännchen schwirrt laut gurrend um ein Weibchen herum, dann pingt mein Handy:
Helens Bahn will nicht kommen und meine fährt bald schon wieder ab. Und so setze ich mich schon einmal ins Café und bestelle unsere Getränke.

Kurz darauf sehen wir uns das erste Mal in Person – und ich muss Arne zustimmen: Helen ist eine „Nette“ 😉 Außerdem hat sie das kroatische Bezahlen schon super drauf (das nächste Mal geht auf mich 😉 ). Nach unserem kurzen, aber knackigem Gespräch bringt sie mich noch schnell zum Zug. Dabei hätten wir – wie ich endlich entspannt in meinem Sitz angekommen bemerke – noch ganze zehn Minuten gehabt… Aber egal, denn am Wochenende sehen wir uns ja schon wieder. Und dann auch ein wenig länger!

Doch jetzt steht erst einmal ein anderes Wiedersehen an: Es geht nach Bjelovar. Sanft ruckelt der Zug vorbei an unzähligen Feldern und kleinen Örtchen. Ich schreibe ein wenig und als ich auf die Uhr schaue, sehe ich, dass meine Ankunft direkt bevorsteht.

Kaum aus dem Zug gehopst, steht Arne auch schon vor mir. Das etwas bockig Rennrad vor sich herschiebend führt er mich durch die Blickachsen des Festungsstädtchen – natürlich nicht ohne die kleinen aber feinen Sehenswürdigkeiten hervorzuheben. Nach einem weiteren kurzen Abendspaziergang vor dramatisch gerötetem Himmel zaubert Arne noch ein vollendetes Drei-Gänge-Menu auf den Tisch, dann geht es für uns ab in die Falle. Denn Arne muss morgen früh raus und auch ich bin hundemüde aber glücklich.

Tag 168 – Meeresspiegel

Gestern haben wir uns im Nachbereitungsseminar mit dem Thema „Orientalismus“ auseinandergesetzt. „Orientalismus“ ist eine aus westlichem Unverständnis geborene teils romantische Verklärung, teil abschätzige Bewertung „östlicher“ Kulturen:

Diente sie einst als moralische Legitimierung der Kolonialpolitik, so ist diese im Kern rassistische Sichtweise noch lange nicht passé. Bis heute spiegelt sie sich in der medialen Berichterstattung wider:

Ähnliches lässt sich auch in Bezug auf Südosteuropa feststellen: Bezeichnete der „Balkan“ in seiner ursprünglichen Bedeutung lediglich eine Bergkette, so hat sich die Konotation des Begriffs im Laufe seiner Geschichte doch (zum Negativen) verändert: Wie im Falle des „Orients“ wurde (und wird) der „Balkan“ von Seiten des Westens romantisch überhöht und zugleich mit Rückständigkeit, Armut und Gewalt assoziiert – eine Perspektive, die die Historikerin Maria Todorova unter dem Schlagwort „Balkanismus“ zusammenfasst.*

Nach Journalistin Paula Balov** setzt sich der Balkanismus dabei wiederum aus weiteren Machtstrukturen zusammen wie Antiromaismus, Antislawismus, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Anti-Kommunismus usw. Allerdings – und das stellt einen wichtigen Unterschied zum Rassismus dar – gibt es noch die andere Seite der Medaille: Die Konstruktion der Slawen*innen als weiß und christlich, mit dem gleichen rassistischen Gedankengut wie im Rest Europas.

Ein Umstand, der sehr gut verdeutlicht, wie vielschichtig und komplex nicht nur das Überthema Rassismus ist, sondern auch dessen regionalen Lesarten und Facetten.

 

PS: Was heute sonst noch geschah:

  • das letzte Mal schwimmen gegangen & das erste Mal Scooter gefahren
  • festgestellt, dass ich aus Versehen meinen Führerschein schon in den Koffer gepackt habe, der jetzt bei Dosi steht
  • versucht mit dem Bus nach Viskovo zu fahren, gescheitert, das erste Mal ein Uber gebucht
  • nur um Zuhause zu bemerken, dass ich diesmal meinen Schlüssel bei Dosi vergessen habe.

Ich glaube, ich bin mehr als reif für den Urlaub…

 

*Maria Todorovas – Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil

**http://herzbrille.paula-balov.de/2016/05/06/ist-antislawismus-eine-form-von-rassismus/