Alle Beiträge von Anne-Sophie Hofmann

Glücklich

Letzten Sonntag klingelte der Wecker kurz vor 6. Zu nachtschlafender Zeit schlüpft man also in die zurechtgesuchte Wanderklamottage, überprüft nochmal das Marschgepäck und stiefelt kurz nach um 7 los Richtung Metrostation… nur um dann festzustellen, dass man die Speicherkarte für die Kamera zu Hause vergessen hat. Dass ich an diesem Tag trotzdem eine Menge Fotos schießen konnte, lag glücklicherweise am Speicherkarten-Sponsoring meiner Mitbewohnerin.

Doch auch so hätte mich an diesem Morgen kein Wässerchen trüben können. Wie lange habe ich mich auf diesen Moment gefreut – wieder einmal Berge, wieder einmal frische Luft und das erste Mal Kaukasus. Genauer gesagt ist die „Gergetier Dreifaltigkeitskirche“ in Stepantsminda unser Ziel.Dank georgischer Reise(beg)leitung finden wir unsere bereits reservierte Marschrutka in Didube schnell, bahnen uns den Weg vorbei an Bananen- und Fischverkäufern und sich gegenseitig in Lautstärke und Preis über- bzw. unterbietenden Taxifahrern. Gequetscht wie die Ölsardinen sitzen wir. Aber auch, wenn ich die Haare meines Vordermanns zählen könnte und dieser mir seine Rückenlehne gegen das Knie drückt, ich habe erstens einen Fensterplatz und zweitens einen Sitz. Etwas, das sich der Mann auf dem Holzhocker im Gang nur wünschen kann.

Ortsausgang Tbilisi. Die Autobahn schlängelt sich im Tal entlang, erinnert mich an die Alpen. „Baku – 569 km“… doch nicht Alpen. Bald führt die Georgische Heerstraße die linke Bergflanke hinauf. Braune, grüne Teppichbodenberge und Herbstwälder, so bunt wie ich sie noch nie gesehen habe, kleine Bergdörfer, Obstbäume, Schaf- und Kuhherden, gesattelte Esel, in Bushaltebuchten kleine Straßenstände. Alte Frauen verkaufen Wollsocken und Tschutschchela. Zur Rechten geht es hunderte Meter in die Tiefe. Im Tal liegt ein tiefblau-grüner See. Die Sonne scheint, der Himmel ist fast wolkenlos. Irgendwann hört der Asphalt auf, fängt nach ein paar hundert Metern wieder an. Am Horizont tauchen die ersten schneebedeckten Gipfel auf. Kurve links, Kurve rechts. Nach und nach werden die Felswände schroffer – weniger Wald, mehr Schnee, weniger Herbst, mehr Winter. In Gudauri sehe ich den ersten Sessellift. Als wir in Stepantsminda ankommen, schüttelt man den Kopf über unseren ausdrücklichen Wunsch, zur Kirche zu WANDERN. Der Wanderweg am Rand des Dorfes wird schnell steil. Freilaufende Kühe (und ihre Fladen) begleiten uns, genau wie ein kleiner anhänglicher Hund, der sich nicht streicheln lässt, jedoch bis zur Kirche mitkommt. Ob es nun an den Wahlen liegt, oder an der Tatsache, dass es schon Ende Oktober ist, es sind kaum Leute da und für die Aussicht gibt es keinen Ausdruck. Davon beflügelt geht der Abstieg schnell. Mit georgischer Musik im Ohr fahren wir zurück. Diversen Auffahrunfällen entgangen und einige riskante Überholmanöver später singt schließlich Chris Rea, als wir den Ortseingang Tbilisis passieren und sich der Himmel schon wieder rot färbt. Nach georgischem Essen geht es müde nach Hause. Ich bin glücklich.

Anne SOphie

 

Anna-Sofia, Anne-Marie, Anneliese…ehm, siiie?

Wie der Hamster im Laufrad rennt die Zeit, renne ich. 3x die Woche. 6.53 Uhr, 20min – aufstehen, anziehen, aus der Wohnung. Auf in die leeren Straßen der Stadt – die Straßen, welche sonst keine Rückzugsmöglichkeit bieten – Spaziergang fehlgeschlagen, um die Uhrzeit gehts‘.

Das Laufrad beginnt sich zu drehen, 5km – gewohnte Strecke: Alte Karlsbader, Radweg, Tiergehege, Flößgraben, auslaufen – im Kopf spulen sich die Bilder wie von alleine ab. Die Augen zählen die Taxis, die lautlos an der Fensterscheibe vorbeifahren.

Die tägliche Marschrutkafahrt, jedes Mal zu einer anderen Zeit: 00:04, 21:53, 12:48, 2:33… Jedes Mal zum selben Pausenklingeln in der Schule. Im Takt zum monotonen Hupen wackeln die Heiligenbildchen am Amaturenbrett. Das „Gamitscheret tu scheidsleba“ kommt mittlerweile aus dem FF. Wir schreiben Exkursionsberichte, Montagsgeschichten, Wochenpläne, diskutieren über Armut, addieren 10er mit 10ern und 1er mit 1ern – Von der 30 zur 70 fehlen? 69. Wir sind freundlich zueinander, treten uns nicht und werfen keine Steine. Für gut gemachte Hausaufgaben gibt es jede Woche eine Urkunde, für viele Urkunden am Jahresende ein Geschenk. Die halbe Schule trägt französische Zöpfe. Nach 3 gescheiterten Versuchen, an der richtigen Bushaltestelle auszusteigen, glückt Nummer 4. Diesmal werden also pünktlich und begleitet von unsagbar schiefem Klaviergeklimpere 5 neue Konsonanten gelernt und passend zum neuen Essens-Vokabular ein Ausflug in den „Goodwilli“ unternommen. Der Gemüsehändler unseres Vertrauens gibt Stammkundenrabatt und die Bananen bekomme ich geschenkt.

 

 

 

 

 

Steil ist der Weg und unstete steinerne Stufen führen von der Altstadt hoch zur Betlemikirche. Klein, verblasst, duster, genügsam – besonders. Der Blick gleitet vom Garten aus über die Dächer der Stadt, hinter dem Dunst zeichnen sich Berggipfel ab. Die Mutter Georgien weist den Weg zur Festungsruine. „Nariqala“, persisch „die Unbezwingbare“, beherrscht das Mtkvari-Tal. Die ausdruckslosen Engelsgesichter der Nikolaikirche empfangen stille Gebete und erdulden neugierige Blicke. Von den Resten des Quadratischen Turmes blicken wir hinab auf die grüne Lunge der Stadt. Bei so einer Aussicht vergisst man die Zeit…

Und wieder ist es 6:53, wieder dasselbe Spiel. Die Sonne scheint, aber es ist kalt. Der Wind peitscht die Blätter durch die Straßen und winzig feiner Staubregen fliegt durch die Luft. Auf der Brücke kurz vor der Schule komme ich zum Stehen, kann den ganzen Stadtteil überblicken. Am Himmel leuchtet ein Regenbogen, endet irgendwo inmitten des Häuserlabyrinths. Wer mag wohl die Schatzkiste gefunden haben? Mein Hals kratzt und im Kopf hallt es noch immer nach: „Kommen Sie wieder.“ Das werde ich, ganz sicher. Genauso sicher werde ich diesen traurigen Blick niemals vergessen. Pausenklingeln. In meinem Apfel wohnt ein Wurm.

Anne SOphie

Eine Stadt putzt sich heraus

Am Sonntag lacht die Sonne – und das nicht nur tatsächlich vom Himmel. Nach verhältnismäßig ausreichend Schlaf, einem Frühstückscroissant samt Kaffee und einem entspannten Ausflugsplan, der Sightseeing in der Altstadt vorsieht, kann sie auch dem noch etwas schweren Herzen ein Lächeln abringen. Wir springen in den gelben Bus Richtung Innenstadt und finden uns im Handumdrehen mit einem Eis in der Hand in einem Meer aus Wiesenblumen wieder.

Junge Frauen binden unaufhörlich Kränze, dazwischen Stände mit Honig, Gewürzen, Holzkunst und handgemachten Körben. Heute ist თბილისობა („Tbilisoba“), Tbilisis zweitägiges Stadtfest, welches an diesem Wochenende stattfindet und bis dahin völlig an uns vorbeigegangen ist. Der Sightseeingplan wird gekippt, lediglich der Metekhi Kirche, die mitten in dem bunten Treiben liegt, wird ein kurzer Besuch abgestattet. Auf mehreren Bühnen werden georgische Tänze aufgeführt, aber auch gängige Standardtänze gezeigt.  Und schließlich halten wir uns auch beim Abendessen streng an die Regeln. Bestellt wird georgischer Salat, Chinkali und Khatchapuri.

Anne SOphie

 

Ganz tief Durchatmen

Ein verregneter Sonntagmorgen, die staubige Luft der letzten Monate klebt auf den Straßen. Ich, vollends deprimiert, hatte mich fälschlicherweise auf den Wetterbericht verlassen und sehe meinen Plan, heute endlich bei schönstem Wetter auf Wanderschaft zu gehen, buchstäblich ins Wasser fallen. Doch soweit sollte es nicht kommen. Ganze 3 Stunden später ist es noch bewölkt, aber trocken und der bestimmt 50 Jahre alte, gelbe russische Bus Nummer 106 schraubt sich langsam, schnaufend, dröhnend und klappernd von Tbilisis Altstadt aus die kleine Serpentinenstraße Richtung Kojori hinauf. In ihm sitzen Jule und ich, am späten Vormittag dem Wetter zum Trotz spontan verabredet, schnell für ein Reiseziel entschieden, ewig nach der richtigen Busverbindung gesucht und Hals über Kopf losgestürzt, als der Fahrplan dann feststand. Ringsum die Stadt erheben sich Berge, Herbstwälder, Felder, kleine Dörfer und, völlig abstrus und von jeglichem Anderen abgeschottet, ein Villenviertel. Am Straßenrand stehen und grasen freilaufende Kühe.
Von der Programmlehrerin eines anderen Freiwilligen wissen wir, dass neben den ländlichen Wohnhäusern hier einige Städter ihre Datschen haben, demzufolge nur an den Wochenenden hierher kommen. Neben uns sitzt ein schätzungsweise Mittdreißiger und hat neben seinem Rucksack eine anderthalb Meter lange Holzlatte auf dem Schoß.

In Kojori, dem unscheinbaren Örtchen angekommen, machen Jule und ich uns auf, die alten Ruinen der einstigen Festung zu finden.

Auf dem Weg dorthin durch den Matsch gestiefelt und von mehreren anhänglichen Hunden um ein Stück von unserem notdürftig gekauften Brot angebettelt, wurden wir schließlich mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt. Die Kamera und ich haben uns alle Mühe gegeben, diese Eindrücke einzufangen. Das Gefühl, welches man dort oben verspürt, kann man jedoch nicht beschreiben, nur erleben.

Mutterseelenallein stehen wir beide vor der Ruine, beobachten, wie der letzte Nebelschleier durch das Gemäuer zieht und langsam die Sicht auf das Umland kilometerweit frei wird. Wir klettern durch den schmalen Zugang zur Ruine, quälen uns in schwindelerregender Höhe schmale Metalltreppen hinauf und laufen zum Gipfel. Und als wollte man uns für unsere Ausdauer belohnen, zieht es endlich auf.

Ein Ort, den ich definitiv nicht vergessen werde und ein Tag, der mich wieder einmal so unheimlich dankbar sein lässt für das, was ich hier erleben darf.

Anne SOphie

აი ია. (Da ist ein Veilchen.) = 3 Wochen Alltag.

So langsam wird ein Schuh draus. Nach nun knapp drei Wochen in meinem neuen Zuhause habe ich ein Konstrukt, was zu einem Alltag werden könnte – und seit dem letzten Blogpost schon wieder massig erlebt. Die Blitzlichter habe ich, der Abwechslung halber, tageweise zusammengefasst.

Letztes Wochenende

hatten sich die von der hartnäckigen Leitungswasserkrankheit Betroffenen mehrheitlich erholt und die „Reisegruppe Tiefes B“ enterte die Altstadt, den botanischen Garten und die „Fabrika“. Letzterers ist eine Art altes Fabrikgebäude – eine Mischung aus Club, Kunst- und Handwerksgeschäft, Musiktreff, Ausstellungshalle und Kneipe – schwer zu beschreiben, muss man erleben. Sonntag Abend brach man zur Wahlparty im Goethe Institut auf, den Kommentar zum Wahlergebnis spare ich mir allerdings.

Montags

begann die erste Schulwoche gemäß eigenem Stundenplan kurz nach 10 Uhr in einer voll besetzten Marschrutka Nummer 147, abwechselnd fremde Bäuche, Käse und diverse andere Einkäufe im Gesicht, je nachdem wie rasant um die nächste Ecke gebogen wurde. Kein Wunder um die Zeit – es ist Rush-Hour, welche sich in Georgien von frühestens halb/um 10 bis um 11 zieht. Was den Verkehr angeht, der ist vor allem eins: viel (und chaotisch). Hinterm Steuer ist man hier meist sehr hup-freudig und fahrstreifennegierend. Letztere sind ein Vorschlag, genauso wie alle Fußgänger-erleichternden Vorrichtungen, zum Beispiel Zebrastreifen oder Ampeln. Dafür wird man allerdings auch, sofern man denn will, von jeder denkbaren Straßenecke aus für 80 Tetri durch die ganze Stadt kutschiert und erreicht sein Ziel, ohne dass es feste Fahrpläne gibt, immer pünktlich.

Seit Dienstag

darf ich von mir behaupten, endlich vollkommen eingezogen zu sein. Ich habe mich nämlich hier im Fitnessstudio angemeldet und das seit zwei Wochen lang ersehnte erste Training absolviert. Nach Valeris Warnung, unter keinen Umständen in den städtischen Straßen laufen zu gehen, wenn man nicht überfahren werden will, musste umdisponiert werden. Umso erfreulicher war der zum Dienstag rabattierte 6-Monatsvertrag im Fitnessstudio in der Pekini Ave zwei Straßen weiter.

Mittwoch

Nachdem ich wie eigentlich jeden Morgen wieder einmal die Möglichkeit hatte, meinem Balkonnachbarn dabei zuzusehen, wie er sich seine Glatze rasiert, bin ich beim Marschrutkafahrer abgeblitzt. Demzufolge wurde die Alternativroute mit Marschrutka Nummer 2 fällig. Der Plan ging allerdings auf. Nach der Arbeit stand die erste Georgischstunde in der Schule meiner Mitbewohnerin Carla an. Unsere Sprachlehrerin Marco ist herzallerliebst und motiviert, uns erste Buchstaben und Vokabular abseits des alltäglichen „Garmajoba – Madloba – Bodischi – Nachvamdis“-Überlebenspakets beizubringen. So lernten wir neben den zwei kürzesten Wörtern der georgischen Sprache den Unterschied zwischen „Finger“ und „Pranke“.

Der Donnerstag

begann mit plötzlichem Herbsteinbruch, Regen, einem Temperatursturz von 23 auf 12 Grad und einer unruhigen Nacht mit kalten Füßen und weltdämlichstem Nachbarshund. Der Kollege sorgt nämlich seit meinem Einzug dafür, dass ich häufig sogar trotz meinem eigenen Zimmer mit Ohropax schlafen muss. Er kann sich weder mit vorbeifahrenden Autos oder Fußgängern anfreunden, noch mit der Tatsache, dass sein Herrchen früh um sieben zu völlig ungeorgischer Zeit auf Arbeit fährt. Aber das lernt er noch, ich bin mir sicher.

Freitag

Auf der Heimfahrt von der zweiten Georgischstunde nach Hause wird mir wieder einmal die Sache mit den Rollenfahrern bewusst: Generell sieht man auf den Tbiliser Straßen wenige Zweiräder. Für diejenigen, die sich aber tatsächlich in den Verkehr trauen, hält man nicht selten die Luft an. Und das nicht nur, weil sich gegenüber ihnen zum Teil rücksichtslos verhalten wird, sondern auch weil sie selbst einen Fahrstil an den Tag legen, der völlig abseits von Gut und Böse ist.
Die freitagabendliche Hygieneroutine dauert mal wieder länger als gedacht. Unser Leitungswasser ist hier von ziemlich flexibler Natur, mal gab es gar keins, mal nur kaltes, heute zwar warmes aber dafür keinen Druck auf der Leitung. Aber auch darauf kann man reagieren – gutes Zureden, Luft anhalten oder Geduld hat uns bisher immer weiter gebracht.

Anne SOphie

Die ersten Tage in der bisher schönsten Stadt meines Lebens

Garmajoba, da bin ich wieder. Reichlich eine Woche wohne ich nun schon in der georgischen Hauptstadt. Man könnte meinen, ich sei angekommen. Kurz vorweg: Das bin ich auch. Und herzlicher hätte man mich wohl auch kaum empfangen können. So etwas wie einen Alltag besitze ich allerdings noch nicht. Aber Moment, ich versuche es des Verständnisses halber von vorne.

Mein erster Flug war gut, anstrengend, lecker und herzallerliebst… Mit 20 Minuten Verspätung sind wir kurz nach 22 Uhr in München gestartet. Hossa, der große Flieger legte anders los, als die kleine Maschine nach München (mein eigentlich erstes Mal neben einem sehr netten, routinierten Dozenten der TU Dresden, der sich wahrscheinlich gewundert hat, warum dieses kleine Kind neben ihm pausenlos aus dem Fenster starrt, Fotos macht und sich über Wolken freut.). Über Ungarn kam es zu ziemlichen Turbulenzen, essenstechnisch hat man uns auf Mitternacht vertröstet. Endlich satt wurde unbequem geschlafen und beim Landeanflug ein Pfefferminzdrops aus der ersten Klasse gelutscht. Wie ich da rankam? Tja! Von einem wahnsinnig netten Flugbegleiter haben wir in einem Kissenbezug 3 Servicetäschchen in die 2. Klasse geschmuggelt bekommen. Wir sahen beim Einsteigen anscheinend sehr traurig aus, als wir fragten, was denn da so alles drin sei und warum wir keine bekämen. Vom Flughafen von der allerliebsten Vermieterin der Welt abgeholt (Tamta, der Name wird hier sicher noch öfter fallen) und im Übergangsapartment ausgeschlafen, machte man sich zur ersten Noteinkaufstour auf und endete mit Gänsehaut in der Altstadt Tbilisis. Die Momente in der Seilbahn mit einem atemberaubenden Blick auf die Stadt, das anschließende erste Khatchapuri (eine Art Käsebrot) in einem kleinen Restaurant und die wilde Einführung in den städtischen Verkehr werde ich wohl definitiv nie vergessen.       Auch die nächsten Tage verliefen nicht weniger ereignisreich. Es wurde der Schulweg ausgekundschaftet und sich in der Schule vorgestellt, in den anschließenden Tagen die Fahrt mit der Marschrutka Nummer 147 selbstständig bestritten, in die finale Dreizimmerwohnung umgezogen, für den ersten Großeinkauf ein Supermarkt geentert, in einer großen Freiwilligenrunde Badridjani, Tschutschchela und Chinkali gegessen und Freitagabend mit Tamta und ihren Cousins der Lisi Lake besucht. Zu den täglichen Marschrutkafahrten kamen einige mit dem Taxi hinzu, bei denen man nicht zuletzt vom Taxifahrer mit georgischer Musik beschallt (Ich schreibe beschallt, weil laut, nicht weil schlecht!) oder seinen Söhnen versprochen wurde.

   

Die aber wohl eindrucksvollsten Stunden bisher verbrachte ich Freitagnacht am Turtle Lake. Eigentlich schon viel zu müde und von der Klimaanlagenerkältung heimgesucht, entschieden wir uns trotzdem, mit Tamta und ihren Cousins noch in eine Bar zu gehen. Die georgische Trinkkultur ist, abgesehen vom Chacha (dem georgischen Vodka) oder den regionalen Weinsorten, keine Frage etwas Besonderes, etwas Schönes. Bei jedem Schluck wird vorher erklärt, worauf man trinkt. Es einen Trinkspruch zu nennen, erscheint mir zu platt und einfältig, um das Prozedere zu beschreiben. Man trinkt auf das Glücklichsein, den Familienzusammenhalt, die Frauen, die Kinder, auf die eigene Geschichte und auf eine sichere Zukunft.
Von diesem Abend nehme ich deshalb unheimlich viel mit. Und eins steht fest: Wir haben hier schon jetzt unglaublich herzliche, hilfsbereite und liebenswerte Menschen kennengelernt, ohne die unser Ankommen wohl nicht so schnell gegangen wäre. Darauf müsste ich trinken.
Eingeladen wurden wir an diesem Abend natürlich auch schon wieder. Etwas, das uns hier ständig passiert – wir warten auf Revanche. “No, you don’t need to pay, it’s our tradition!“ – Was soll man darauf noch sagen?

Anne SOphie

Herz auf Packmaß

So, ich schreibe den Blogpost in einer kleinen Verschnaufpause – wenn ihr mich fragt eine in den letzten Tagen etwas rar gewordene Angelegenheit: 9 Tage Vorbereitungsseminar liegen bereits hinter mir. 9 Tage gespickt mit zahllosen ersten Begegnungen, ständigen Listeneintragungen, klirrenden Metalltrinkflaschen, einem spontanen Pullikauf (weil unvorhergesehener Herbsteinbruch), vollen (und leeren) Kekstassen, Joggingrunden, Tanzeinlagen, georgischem Smalltalk, Filmvorführungen und einem abschließenden Zeitkapselprojekt. Doch damit nicht genug: Niemals hätte ich gedacht, innerhalb der ersten 10 Tage meines Freiwilligendienstes ein derart intensives Schulungsprogramm zu absolvieren. Schulungsprogramm jedoch nicht im Sinne des klassischen Lehrer-Schüler- (bzw. Trainer-Schüler-) Verhältnisses – also der ständigen Konfrontation mit neuen Informationen oder stupidem Auswendiglernen. Hier wurde vielmehr heftig diskutiert, gesellschafts- und selbstkritisch analysiert. Und so prallt das entwickelte Bewusstsein über die eigene privilegierte Identität auf bisherige Vorstellungen, streitet mit dem auf einmal so präsenten Wissen über soziale Ungleichheit, rassistische Realität und wahre Machtstrukturen. Es dreht und wendet sich im Kopf. Dankbarkeit wechselt zu Scham, wechselt zu Verantwortung. Fragen über Fragen und (m)eine zukünftige Rolle, die zweifelsohne einen Spagat schaffen muss ohne sich selbst zu vergessen. Ich bin dankbar, all diese Eindrücke, Erkenntnisse, Gedankenfetzen und offenen Fragen mitnehmen zu dürfen und gespannt, was daraus wird. Trotzdem heißt es, so kurz vor meinem Flug, alles auf Packmaß zu bringen. Ich habe nur 23 Kilo und mit schwerem Herzen fliegt sichs’ schlecht – vermute ich mal.

Also, drückt mir die Daumen für meinen allerersten, terminierten Luftsprung über ganze 3200km.

Anne SOphie

Von einem bisher einzigartigen Jahr, den besonderen Erkenntnissen des Abschieds und vom Suchen und Finden

2017 – was für ein Jahr! Für manche mag es vermessen klingen, das jetzt schon zu sagen – Ende August. Aber dieses Recht räume ich mir ein, auch, wenn man bekanntlich den Tag nicht vor dem Abend loben soll. Aber Lobeshymnen singen will ich gar nicht. Vielmehr möchte ich rekapitulieren und die Ereignisse der letzten Monate irgendwie greifbar machen. 2017 wollte ich die Ausbildung zum Skilehrer machen, volljährig werden und die letzten Monate meiner Schulzeit erleben. Ich wollte die Abiturprüfungen absolvieren und den Sporteignungstest der Uni Leipzig bestehen. Wollte ich – hab ich auch. Und obwohl ich so viele dieser Ereignisse schon Anfang des Jahres fest auf mich zukommen sehen habe, beginne ich einiges erst jetzt zu realisieren. Aber jetzt will ich ins Ausland – nach Georgien um genauer zu sein. Und damit vollzieht sich die wohl tiefgreifendste Veränderung in diesem Jahr, und ich begebe mich, wenn ich diesen Freitag Morgen in den Bus nach Berlin zum Vorbereitungsseminar steige, auf mein bisher größtes Abenteuer.

Wenn ich an die Ereignisse der letzten zwei Monate denke, an die Flugbuchung und die Wohnungssuche, die Impftermine beim Arzt, die Georgisch- und Deutsch-Tandem-Lernstunden und die letzten Urlaube mit meinen Eltern und meinem Freund, fühle ich mich, als wäre mir die Zeit wie Sand durch die Finger geronnen. Stets wirkte „der September“ noch so weit weg und war trotzdem unterschwellig immer präsent. Jetzt sind es noch nicht mal mehr drei Tage, die mir hier zu Hause bleiben. Zeit, die unaufhaltsam läuft, in der sich viele Gedanken gemacht werden über Packlisten, letzte Termine und die richtigen Momente für den Abschied. Aber den passenden Moment um Tschüss zu sagen gibt es, genauso wie die „perfekte“ letzte Zeit vor der Abreise, wohl nicht – zwei der vielen Dinge, die ich in den letzten Tagen gelernt habe. Das Meiste kann man planen, einiges wird sich erfüllen und auf wiederum anderes hat man keinen Einfluss. Das Gefühl, etwas wichtiges vergessen zu haben, wird sich bis zu meiner Ausreise nicht abstellen lassen und mit dem doch Übersehenen, Unerledigten werde ich umgehen. Was nachhaltig zählt, ist, die vielen letzten Male dieser Tage nochmal bewusst zu erleben und mitzunehmen – für eine Zeit voller erster Male. Erste Abschiede habe ich schon hinter mir, andere lassen noch auf sich warten, Tränen wurden – und werden sicherlich – jedes Mal vergossen. Doch auch wenn es schwer fällt wertvolle, wunderbare Menschen loszulassen – ich WILL gehen – zumindest für eine Zeit.

Viel zu lang habe ich diesen Traum vom Auslandsjahr gehabt, viel zu sehr hat mich das kleine fremde Land am Rande Europas, dessen Buchstaben für deutsche Münder so unaussprechbar und dessen Geschichte so alt ist, dass sich darum antike Mythen ranken (die es nebenbei bemerkt sogar in die Pflichtlektüreliste meiner Deutsch-Leistungskurs-Zeit geschafft haben), in seinen Bann gezogen. Wenn mein Flieger am Nachmittag des 11. September Richtung Tbilisi abhebt, kann ich der unstillbaren Neugierde auf Land und Leute und meine neue Heimat endlich Raum geben. Ich freue mich auf eine Zeit, voller neuer Erfahrungen, auf knifflige Herausforderungen und auf einzigartige Bekanntschaften.
Ich freue mich auf eine Zeit, die mir die Augen öffnet, auf die Finger haut und mich über mich selbst hinauswachsen lässt. Und auch, wenn ich das Goldene Vlies im Land der Kolcher wahrscheinlich nicht finden werde, weil es die Argonauten einst längst fortgetragen haben, finde ich innerhalb der 6 Monate vielleicht ein bisschen mehr zu mir selbst.

Inwieweit mir das alles gelingt, wirst du hier lesen können.

Anne SOphie