Die ersten Tage in der bisher schönsten Stadt meines Lebens

Garmajoba, da bin ich wieder. Reichlich eine Woche wohne ich nun schon in der georgischen Hauptstadt. Man könnte meinen, ich sei angekommen. Kurz vorweg: Das bin ich auch. Und herzlicher hätte man mich wohl auch kaum empfangen können. So etwas wie einen Alltag besitze ich allerdings noch nicht. Aber Moment, ich versuche es des Verständnisses halber von vorne.

Mein erster Flug war gut, anstrengend, lecker und herzallerliebst… Mit 20 Minuten Verspätung sind wir kurz nach 22 Uhr in München gestartet. Hossa, der große Flieger legte anders los, als die kleine Maschine nach München (mein eigentlich erstes Mal neben einem sehr netten, routinierten Dozenten der TU Dresden, der sich wahrscheinlich gewundert hat, warum dieses kleine Kind neben ihm pausenlos aus dem Fenster starrt, Fotos macht und sich über Wolken freut.). Über Ungarn kam es zu ziemlichen Turbulenzen, essenstechnisch hat man uns auf Mitternacht vertröstet. Endlich satt wurde unbequem geschlafen und beim Landeanflug ein Pfefferminzdrops aus der ersten Klasse gelutscht. Wie ich da rankam? Tja! Von einem wahnsinnig netten Flugbegleiter haben wir in einem Kissenbezug 3 Servicetäschchen in die 2. Klasse geschmuggelt bekommen. Wir sahen beim Einsteigen anscheinend sehr traurig aus, als wir fragten, was denn da so alles drin sei und warum wir keine bekämen. Vom Flughafen von der allerliebsten Vermieterin der Welt abgeholt (Tamta, der Name wird hier sicher noch öfter fallen) und im Übergangsapartment ausgeschlafen, machte man sich zur ersten Noteinkaufstour auf und endete mit Gänsehaut in der Altstadt Tbilisis. Die Momente in der Seilbahn mit einem atemberaubenden Blick auf die Stadt, das anschließende erste Khatchapuri (eine Art Käsebrot) in einem kleinen Restaurant und die wilde Einführung in den städtischen Verkehr werde ich wohl definitiv nie vergessen.       Auch die nächsten Tage verliefen nicht weniger ereignisreich. Es wurde der Schulweg ausgekundschaftet und sich in der Schule vorgestellt, in den anschließenden Tagen die Fahrt mit der Marschrutka Nummer 147 selbstständig bestritten, in die finale Dreizimmerwohnung umgezogen, für den ersten Großeinkauf ein Supermarkt geentert, in einer großen Freiwilligenrunde Badridjani, Tschutschchela und Chinkali gegessen und Freitagabend mit Tamta und ihren Cousins der Lisi Lake besucht. Zu den täglichen Marschrutkafahrten kamen einige mit dem Taxi hinzu, bei denen man nicht zuletzt vom Taxifahrer mit georgischer Musik beschallt (Ich schreibe beschallt, weil laut, nicht weil schlecht!) oder seinen Söhnen versprochen wurde.

   

Die aber wohl eindrucksvollsten Stunden bisher verbrachte ich Freitagnacht am Turtle Lake. Eigentlich schon viel zu müde und von der Klimaanlagenerkältung heimgesucht, entschieden wir uns trotzdem, mit Tamta und ihren Cousins noch in eine Bar zu gehen. Die georgische Trinkkultur ist, abgesehen vom Chacha (dem georgischen Vodka) oder den regionalen Weinsorten, keine Frage etwas Besonderes, etwas Schönes. Bei jedem Schluck wird vorher erklärt, worauf man trinkt. Es einen Trinkspruch zu nennen, erscheint mir zu platt und einfältig, um das Prozedere zu beschreiben. Man trinkt auf das Glücklichsein, den Familienzusammenhalt, die Frauen, die Kinder, auf die eigene Geschichte und auf eine sichere Zukunft.
Von diesem Abend nehme ich deshalb unheimlich viel mit. Und eins steht fest: Wir haben hier schon jetzt unglaublich herzliche, hilfsbereite und liebenswerte Menschen kennengelernt, ohne die unser Ankommen wohl nicht so schnell gegangen wäre. Darauf müsste ich trinken.
Eingeladen wurden wir an diesem Abend natürlich auch schon wieder. Etwas, das uns hier ständig passiert – wir warten auf Revanche. “No, you don’t need to pay, it’s our tradition!“ – Was soll man darauf noch sagen?

Anne SOphie

Herz auf Packmaß

So, ich schreibe den Blogpost in einer kleinen Verschnaufpause – wenn ihr mich fragt eine in den letzten Tagen etwas rar gewordene Angelegenheit: 9 Tage Vorbereitungsseminar liegen bereits hinter mir. 9 Tage gespickt mit zahllosen ersten Begegnungen, ständigen Listeneintragungen, klirrenden Metalltrinkflaschen, einem spontanen Pullikauf (weil unvorhergesehener Herbsteinbruch), vollen (und leeren) Kekstassen, Joggingrunden, Tanzeinlagen, georgischem Smalltalk, Filmvorführungen und einem abschließenden Zeitkapselprojekt. Doch damit nicht genug: Niemals hätte ich gedacht, innerhalb der ersten 10 Tage meines Freiwilligendienstes ein derart intensives Schulungsprogramm zu absolvieren. Schulungsprogramm jedoch nicht im Sinne des klassischen Lehrer-Schüler- (bzw. Trainer-Schüler-) Verhältnisses – also der ständigen Konfrontation mit neuen Informationen oder stupidem Auswendiglernen. Hier wurde vielmehr heftig diskutiert, gesellschafts- und selbstkritisch analysiert. Und so prallt das entwickelte Bewusstsein über die eigene privilegierte Identität auf bisherige Vorstellungen, streitet mit dem auf einmal so präsenten Wissen über soziale Ungleichheit, rassistische Realität und wahre Machtstrukturen. Es dreht und wendet sich im Kopf. Dankbarkeit wechselt zu Scham, wechselt zu Verantwortung. Fragen über Fragen und (m)eine zukünftige Rolle, die zweifelsohne einen Spagat schaffen muss ohne sich selbst zu vergessen. Ich bin dankbar, all diese Eindrücke, Erkenntnisse, Gedankenfetzen und offenen Fragen mitnehmen zu dürfen und gespannt, was daraus wird. Trotzdem heißt es, so kurz vor meinem Flug, alles auf Packmaß zu bringen. Ich habe nur 23 Kilo und mit schwerem Herzen fliegt sichs’ schlecht – vermute ich mal.

Also, drückt mir die Daumen für meinen allerersten, terminierten Luftsprung über ganze 3200km.

Anne SOphie