Wenn der erste Schnee fällt

… sitzt man in einer voll besetzten Marschrutka nach Kutaissi, den Arm seines Sitznachbarn vor der Nase, der meint sich definitiv über zwei Plätze hinweg festhalten zu müssen. Periodisch zieht es an den Waden. Das Leid der letzten Reihe, wenn die Kofferraumtüren nicht dicht halten. 

Wenn der erste Schnee fällt, ist es Ende November und Wochenende. Und wie es sich für den ersten Schnee gehört, fällt er kräftig. So kräftig, dass er schon 20 Minuten nach dem Ortsausgangsschild Tbilisis erste Unfälle auslöst und uns zur Pinkelpause knapp 2 Stunden später die erste Schneeballschlacht der Saison beschert. Nach einem plötzlichen Umstieg absolvieren wir die letzten Meter bis zum Ziel im Beisein von Frischfleischware. Weil der erste Schnee fällt, kann die Kühlkette jedoch ausnahmslos gewährleistet werden. Und so hopst der Schinken eben mit uns ins Zentrum.

Die drittgrößte Stadt Georgiens sitzt zwischen dem kleinen und dem großen Kaukasus wie ein Spiegelei in der Bratpfanne. Weil sich der Taxifahrer weigert, erklimmt man den Pfannenrand zu Fuß und erreicht das Motsameta Kloster einige Kilometer Serpentinenstraße weiter. Auf dem Weg eine herzzerreißende tierische Begegnung. Wir tun was wir können, nur können tragischerweise wenig tun.
Die Aussicht vom Kloster auf den Rioni und die schneeweißen Bergketten nimmt einem wiederholt die Sinne. Und sie kommen auch nicht wieder, als man pünktlich zum Sonnenuntergang vor der Bagrati Kathedrale steht und den Blick über die Stadt schweifen lässt. Doch ehe man sich’s versieht, ist das Teehaus besucht, der Kuchen gegessen und die letzte Oper des Abends gehört und man sitzt zwischen 24 wilden Tannenbaumbastlern in der ersten Klasse, knotet Faden an Faden und fädelt Perlen auf. Oder man greift noch rechtzeitig bei der Adventskalendergestaltung ein, wenn die kleinen Pappboxen schon vor der Befüllung zugeklebt werden wollen.

Außerdem lernt man in einem Dreitagesakt die georgischen Postbestimmungen und das Bürgerzentrum kennen, verfügt nun zwangsweise über örtliche Steuernummer und freut sich schlussendlich doch über die weit gereisten Wollsocken aus dem eigenen Kleiderschrank.

Schon fast gleichzeitig darf man selbst das erste Türchen öffnen und weil die städtische Weihnachtsbeleuchtung mit Regenschirmen, Würfeln und Vögeln den Dezemberbeginn anscheinend verschlafen hat, wird zum Küchenputz lautstark Bachs Weihnachtsoratorium gehört und die erste heimische Räucherkerze entzündet.

Parallel zum Weihnachtsbefehl und kurzfristiger Adventswichtelei reiht sich eine Geburtstagsfeier an die nächste. Und sie lassen die Nächte kurz werden. Wie viele sind es noch bis zum ersten Weihnachten zu zweit? Zu wenig. Ich muss noch Plätzchen backen.

Anne SOphie

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