Was 2018 bereit hielt

Große Wiedersehensfreude und „ein Mitgebringe aus der Schweiz“ für mich, welches zeigt: Sogar in den Ferien wurde an mich gedacht. 5 meiner Zweitklässler rennen gleichzeitig auf mich zu und – mich fast um. In der ersten Klasse bekomme ich ein großes Herz gemalt. Es fühlt sich nicht so an, als wären 2 Wochen Ferien gewesen, als wäre ich erst seit ein paar Monaten hier. Das ich mittlerweile einen kleinen festen Platz habe, ist mir noch nie so bewusst gewesen, wie jetzt. Jetzt – während ich doch eigentlich meine letzten Runden drehe und mich Stück für Stück auf die Zielgerade zu bewege.

Weil immer noch Zwischentage sind, ist es legitim, Anfang Januar in der Oper zum Ballett „Der Nussknacker“ zu sitzen. Und weil eine Gänsehaut nicht ausreicht, lassen wir uns von „Romeo & Juliet“ ein zweites Mal in den Bann ziehen. Zwischen beiden Abenden liegen reichlich zwei Januarwochen. Zeit, die ebenso intensiv war, wie im Flug vergangen ist.

Weil ich beschloss, mir nun doch noch ein georgisches Krankenhaus von Innen anzusehen, ging es erst am zweiten Sonntag des Monats, für reichlich zwei Stunden im Kofferraum eines Kleinwagens verkeilt, nach Gori. Man begibt sich auf stählerne Spuren, besichtigt ein längst verlassenes Büro, einen grasgrünen Zugwaggon und einen kleinen Verschlag unterhalb der von Statuen und Portraits gesäumten, wuchtigen Treppe. Von Hunden geleitet, blickt man von der Festungsruine auf die umliegenden nebelverhangenen weißen Bergkuppen und bläst kleine hellgraue Atemwölkchen in die eisige Luft.

Einige Tage später steigt man, die vielen in den Weg gelegten Steine mühsam beiseite geschoben, kurz vor dem verlängerten Feiertagswochenende  in einen alten sowjetischen Nachtzug und ruckelt auf dem Klappbett, die Musik der Abteilnachbarn im Ohr, unsanft in den Schlaf. Mit großen dunklen müden Augen weicht man den strengen Blicken der Grenzbeamten aus, folgt zögerlich seinem Namen, der einem irgendwo undeutlich aus dem Hinterzimmer entgegenschallt. Im Morgengrauen einen armenischen Stempel im Reisepass und von klitzekleinen kalten Schneeflocken begleitet durch eine fremde Stadt. Yerevan. Nur wenige Stunden später laufen wir staunend über riesige Plätze, vorbei an roten Häusern, einem Park und der Oper, bis sich die wuchtigen Kaskaden vor uns aufbauen. Auf Russisch das Restaurant betreten, die Karte glücklicherweise auf Englisch erhalten und auf Nachfrage Französisch bestellt. Im Kopf dreht es. Das Einzige, was ihm einfällt, ist ein georgisches „Madloba.“ – Mist. Am Eingang zur Festungsruine bekommen wir die Erklärung zum unerwarteten Spracheinschlag und Augenblicke später einen Eindruck davon, wie der Puls dieser Stadt und dieses kleinen Landes tatsächlich schlägt. Der Abend bringt zwei Eisprinzessinnen hervor – der nächste Morgen drei Schmuckelstern, denen auf der riesigen Vernissage die Augen übergehen. Beim Anblick des Genoziddenkmals vor der Silhouette der Stadt und dem riesigen Ararat hinter der türkischen Grenze stockt der Atem. Der Kopf kommt nicht nach, all das zu realisieren. Man muss ihm helfen.

Zum Beispiel, indem man schmunzelnd vor seinem Kühlschrank steht und die kleinen Polaroidaufnahmen zählt, die ihn inzwischen zieren. So viele erste Male so knapp vor der Zielgeraden.

Aber wer hat denn auch behauptet, dass man kurz vor Schluss nichts Neues mehr zu sehen bekommt?

Anne SOphie

Zwischen den Jahren

…unternimmt man nächtliche Flughafenausflüge. Man weiß genau, warum, wer kommt – so lang ersehnt. Und doch steht man vor der sich immer wieder öffnenden und schließenden Schiebetür des Flughafenausgangs und weiß nicht, wie man reagieren soll. Weiß nicht, was man fühlen soll.

Eine Träne kullert. Nur eine, weil ich mich freue, weil ich dankbar bin für das, was geschieht. Einen Countdown hat man Zeit. Nur einen – nur 10. Man beginnt ihn mit einem zweiten kleinen Weihnachtsfest und Kofferpacken. 2 1/2 Stunden und eine schier endlose LKW-Schlange später, kitzelt einem die Sonne – von den weißen Berggipfeln zurückgeworfen – die Nase. Den ersten Skitag diese Saison fährt man also bei schönstem Wetter. Doch der Kaukasuswind hat Kraft. Er peitscht die Wolken quer über den Horizont und bringt das, was man sich so sehr gewünscht hat – Schnee. So viel, dass der eingeschliffene Fahrstil über den Haufen geworfen werden muss, will man nicht noch einen weiteren Kopfsprung ins dichte Weiß machen. Erst im größten Schneegestöber macht es Klick. Im wahrsten Sinne des Wortes die Sinne vernebelt, wird euphorisch vorneweg gefahren – wenn man auch nicht mehr genau weiß, wie man zur Talstation kommt. Auf den Hütten bringt einem das einst gelernte Schulrussisch auf einmal mehr, als die inzwischen halbwegs angeeigneten Georgisch-Vokabeln. Als es dann aber darauf an kommt, hilft weder Russisch noch Georgisch oder Englisch gegen die plötzlichen organisatorischen Launen des Restaurantchefs.

Die Küche ist zu und zum Jahreswechsel tun es die klassischen Nudeln mit Tomatensoße. „Gilozaw achal zels!“, sage ich da nur.

Wieder in der Großstadt, gibt man sich Mühe, so viel wie möglich von seinem zweiten Zuhause zu zeigen – und fühlt sich dabei selbst fast wie ein Tourist – ein Tourist in der Stadt, in der man doch schon längst keiner mehr ist. Menschen und Orte beginnen zu strudeln, sich zu vermischen und wollen nicht zusammenpassen. Den Schulweg, den man 4 Monate lang täglich allein zurückgelegt hat, läuft man nun gemeinsam. Doch es ist nur ein Urlaub. Ein Urlaub ohne wegzufahren. Eine Pause vom Alltag. Und so bleibst du hinter der sich immer wieder öffnenden und schließenden Schiebetür des Flughafeneingangs stehen, hast dich nicht neben ihn in den Flieger gesetzt.

Diese Tatsache lässt dich die noch übrige halbe Nacht nicht mehr schlafen. Die Feiertagsleere ist zurück. Die, die dich stumm auf deinem Schreibtischstuhl verharren und deine Bilderwand anstarren lässt. Ein zweites Weihnachten Anfang Januar.

Sehnsüchtig wartest du auf deine kleine zweite Familie und auf den Alltag. Denn auch den hast du irgendwie vermisst.

Anne SOphie

გილოცავ შობა! (Gilozaw shoba!)

Dank rührend-nächtlicher Weihnachtswichtelei ist die Küche am Morgen des 4. Advents behängt wie ein Christbaum.

Mit der Weihnachtsmütze auf dem Kopf wird ein Eierkuchen nach dem Anderen gebacken, sich unmittelbar vor dem Schmaus noch mit dem Gasherd in Brand gesetzt und schließlich am festlich gedeckten Tisch die Bescherung vorgenommen.

Weil vor Abflug und Besuch noch einiges an Hausarbeit zu erledigen ist, putzt man im Weihnachtsliedertakt Bad und Küche und sortiert die letzten Habseligkeiten in den Koffer. Und da man ohnehin in Gedanken Zuhause ist und weiß, welchen Zeitplan die Familie bei der Festbegehung verfolgt, lässt sich die FaceTime-Verabredung noch viel einfacher treffen. Entgegen der heimischen Tradition gibt es weder Linsen noch Bratwurst und Klöße. Anstatt dessen mache ich mir auf dem wohl einzigen Weihnachtsmarkt der Stadt ein weiteres Geschenk, bevor wir zum Abendessen unweihnachtliche, aber doch sehr feine Pizza und Pasta bestellen.Dabei entsteht auch die Schnapsidee, Annabells bevorstehenden Arbeitstag am 25. etwas umzustrukturieren. Von ihrem herzallerliebsten Deutschlehrerinnenteam bewilligt, darf ich sie begleiten und ein paar Stunden georgische Schulluft schnuppern. Von der ersten Deutschlern-CD meines Lebens bis hin zu einer unerwarteten zuckersüßen Weihnachtsaufmerksamkeit eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Anne SOphie