Archiv der Kategorie: Allgemein

არავინ გგავს თქვენ

(arawin ggaws tkwen)

Es ist eine kurze Nacht hinein in den letzten Arbeitstag. Unterbrochen von dem vorletzten nächtlichen Flughafenbesuch in besonderem Zweierteam und einem lang ersehnten Wiedersehen. Daraufhin in plüschigem Bienenkostüm den so oft gelaufenen Schulweg fotografiert und nach der letzten Deutschstunde in meiner zweiten Klasse erste Tränen des Abschieds gestillt, tapfer hinuntergeschluckt und schlussendlich doch vergossen. Es sind bewegende Abschiedsworte, gefolgt von letzten Basteleien, allerliebsten Abschiedsgeschenken und finalen Umarmungen.

Das Abholungskommitee findet den Weg und wird zur Belohnung in die georgische Küche eingeführt. Die Zeitblase schließt sich. Ich habe insgesamt 7 Tage, um meiner Familie das Land zu zeigen, in welchem ich ein halbes Jahr zuhause war. Es ist eine Zeitreise zurück in die ersten Tage Georgien. Doch unter so andersartigen Umständen will auch das keinen Sinn ergeben. Hin- und Hergerissen zwischen dem sehnlichen Wunsch bleiben zu können und der eigentlichen Freude auf zuhause – ich weiß, dass ich so Vieles aufgeben muss, will ich in das Alte zurückkehren. Gepäck- und Gefühlschaos führen hinein in ein letztes Abendessen und die innere Bestätigung, die beste zweite Familie der Welt zu haben. Nach 1h Schlaf wird die tatsächlich letzte Flughafenfahrt angetreten. Die Lichter der Stadt verschwimmen vor drei Paar großen dunklen Augen – still erduldend, was in den nächsten Momenten passiert. Es bleiben 2 vergessene Washitape-Buchstaben an der Zimmertür und ein Paar Socken, die die Waschmaschine erst eine knappe Woche später ausspucken wird.

Nach einem schlaflosen Flug landet man Punkt 6 Uhr in München, wird reichlich 3h später von klirrender Kälte und der deutschen Hauptstadt begrüßt. Deutsche Pünktlichkeit gleich zweifach um die Ohren gehauen, wird sich zwangsweise für 3 Stunden in ein Café eingemietet, bevor man kraftlos in den Schlaf sinken kann.

„Herzlich Willkommen am Werbellinsee!“, die Transitzone nimmt kein Ende. Weitere 5 Tage, die ich einerseits zum Ankommen brauche und deren Ende ich ebenso herbeisehne.

Umso glücklicher bin ich also, dass die Heimfahrt schneller geht, als erwartet. 2 Stunden eher als gedacht, setze ich einen vorsichtigen ersten Schritt zurück ins alte Zimmer. Alles, wo und wie ich es zurückgelassen habe. Und doch erschlagen. Eingeschüchtert von so viel Kindheit. So viele Dinge, die nicht vermisst wurden und ein voller Koffer mit allem, was ich in letzter Zeit gebraucht habe. Er will ausgepackt werden und die vielen neuen wertvollen Kleinigkeiten ihren rechtmäßigen Platz bekommen. Ich habe aufzuräumen, nicht nur im Zimmer, sondern auch im Kopf.

Anne SOphie

(B)anansofi „feiert“ Abschied

Gelungene Vertretungsstunden, ein spontaner Kinoabend, die große halbjährige Urkundenverleihung der Hausaufgabenprofis & Spielzeughelfer und ein wunderbares kleines Konzert Nino Katamadzes an deiner Sprachkursschule überdecken den herben Beigeschmack, den das schon wieder nahende zweite Februarwochenende vorausschickt. Doch ehe du es dir versiehst, wirst du erneut daran erinnert. Tick, Trick und Track suchen ihre bedeutendsten WG-Hits in einer Playlist zusammen und erstellen ein siebenstündiges Musikprogramm. Neben den Partyeinkäufen werden Abschiedsgeschenke und Wiedersehensmitbringsel besorgt – eine seltsame Mischung. Allerliebste Türschilder und noch viel süßere Andenken an die gemeinsamen Abenteuer lassen das Herz noch so viel schwerer werden, als es ohnehin schon ist. Du schlitterst hinein ins letzte gemeinsame Frühstück.

„Wie geht es dir?“ Darauf fällt dir schon längst keine wahre Antwort mehr ein. Keine Antwort, die tatsächlich beschreiben könnte, wie du dich mitternächtlich schlaflos und gedankenversunken in deinem Bett von der einen Seite auf die andere wälzt. So leid es dir tut, die Zeit für spontane Treffen ist verstrichen, die Kapazitäten der noch verbleibenden Tage erschöpft. Du starrst an eine weiße Wand. Die Lichterkette hängt nicht mehr. Die längste Zeit hast du in ihrem warmen Licht gesessen, dich über den immer noch bellenden Nachbarshund aufgeregt und deinem Nachbarn unfreiwillig dabei zugesehen, wie er sich jeden Morgen seine Glatze rasiert.

Bei all dem „Ich muss noch…“, „Ich darf nicht vergessen…“ und „Habe ich schon…?“ erlebst du den ersten emotionalen Abschied und einen 19. Geburtstag, der schöner nicht hätte sein können. Noch nie wurde mir so viel Liebe auf Papier gemalt, geschrieben und gebastelt.

Bin ich schon bereit zu gehen? Ich weiß es nicht, denn die schlimmsten Verabschiedungen stehen noch bevor.  Jedoch schallen fast gleichzeitig die blechernen Stimmen durch den Laptop hindurch und ich weiß, wie sehnsüchtig sie bereits auf mich warten.

Anne SOphie

1000 kleine Gedankenfetzen

…wirbeln dir gleichzeitig durch den Kopf. Du sitzt in der Küche, trägst all das auf einem Blatt Papier zusammen, was du in den nächsten 3 Wochen noch machen willst, machen musst, machen sollst. Und mit erschrockener Miene stellst du fest, dass du schon morgen damit anfangen musst, willst du alles rechtzeitig in die Tat umsetzen.
Der Plan für das Finale ist längst gemacht – eine elend lange TO-DO-Liste, die mir hilft, nichts zu vergessen und dabei die alltäglichen Verpflichtungen nicht aus den Augen verliert.

Nach einer Dreiviertelstunde finden wir doch noch den richtigen Hinterhof, in dem sich die Eishalle verbirgt. Man stellt sich ein letztes Mal auf die Kufen. Die Tage darauf bringt man weitere Aushangsplakate zur Perfektion, ärgert sich mit Farbdruckerpatronen herum und bekommt traurigerweise am eigenen Leib zu spüren, welch langen Rattenschwanz dumme respektlose Pauschalisierungen haben.
Ereignisse wie diese sind es, die dich über alle Kommentare, welche das Vergessen plump befürworten, heftiger denn je den Kopf schütteln lassen. Es ist und bleibt ein Mahnmal. Und du wirst mit seiner Präsenz in den Köpfen konfrontiert werden, sobald du über deinen heimischen Tellerrand hinausschaust.

Während ein kleines Sonderlob im Georgischtanzkurs und ein Lieblingskeks noch versuchen, die dunklen Wolken am Gedankenhimmel davonzupusten, erlebst du die minutiös geplante Lesenacht als spontanen Kraftakt, bei dem schließlich mit einer Stunde Verspätung 24 der insgesamt 60 Kinderhände innerhalb von 20 Minuten 12 Pizzen belegen. Einer weiteren Heirat erfolgreich verwehrt, wird aus einer geplatzten Theatervorführung ein spontaner Spieleabend zu Hause, der sogar länger andauert, als irgendein ominöser Barbesuch.

Und am Folgetag sitzt du schon wieder in der Marschrutka, um den lang ersehnten Ausflug nach Bakuriani zu realisieren. Neben unzähligen Pferdeäpfeln und Hohlköpfen auf Motorschlitten sieht man dort vor allem mit Matsch bespritzte, querfeldeinkraxelnde Touristen und ihre Schneemänner mit Bananennasen.

Die spontane Sushi-Bestellung am Abend ist nicht nur der Versuch, drei hungrige Mäuler schnellstmöglich zufrieden zu stellen, sondern gleichzeitig die Generalprobe für den nahenden Abschied.

Anne SOphie

Was 2018 bereit hielt

Große Wiedersehensfreude und „ein Mitgebringe aus der Schweiz“ für mich, welches zeigt: Sogar in den Ferien wurde an mich gedacht. 5 meiner Zweitklässler rennen gleichzeitig auf mich zu und – mich fast um. In der ersten Klasse bekomme ich ein großes Herz gemalt. Es fühlt sich nicht so an, als wären 2 Wochen Ferien gewesen, als wäre ich erst seit ein paar Monaten hier. Das ich mittlerweile einen kleinen festen Platz habe, ist mir noch nie so bewusst gewesen, wie jetzt. Jetzt – während ich doch eigentlich meine letzten Runden drehe und mich Stück für Stück auf die Zielgerade zu bewege.

Weil immer noch Zwischentage sind, ist es legitim, Anfang Januar in der Oper zum Ballett „Der Nussknacker“ zu sitzen. Und weil eine Gänsehaut nicht ausreicht, lassen wir uns von „Romeo & Juliet“ ein zweites Mal in den Bann ziehen. Zwischen beiden Abenden liegen reichlich zwei Januarwochen. Zeit, die ebenso intensiv war, wie im Flug vergangen ist.

Weil ich beschloss, mir nun doch noch ein georgisches Krankenhaus von Innen anzusehen, ging es erst am zweiten Sonntag des Monats, für reichlich zwei Stunden im Kofferraum eines Kleinwagens verkeilt, nach Gori. Man begibt sich auf stählerne Spuren, besichtigt ein längst verlassenes Büro, einen grasgrünen Zugwaggon und einen kleinen Verschlag unterhalb der von Statuen und Portraits gesäumten, wuchtigen Treppe. Von Hunden geleitet, blickt man von der Festungsruine auf die umliegenden nebelverhangenen weißen Bergkuppen und bläst kleine hellgraue Atemwölkchen in die eisige Luft.

Einige Tage später steigt man, die vielen in den Weg gelegten Steine mühsam beiseite geschoben, kurz vor dem verlängerten Feiertagswochenende  in einen alten sowjetischen Nachtzug und ruckelt auf dem Klappbett, die Musik der Abteilnachbarn im Ohr, unsanft in den Schlaf. Mit großen dunklen müden Augen weicht man den strengen Blicken der Grenzbeamten aus, folgt zögerlich seinem Namen, der einem irgendwo undeutlich aus dem Hinterzimmer entgegenschallt. Im Morgengrauen einen armenischen Stempel im Reisepass und von klitzekleinen kalten Schneeflocken begleitet durch eine fremde Stadt. Yerevan. Nur wenige Stunden später laufen wir staunend über riesige Plätze, vorbei an roten Häusern, einem Park und der Oper, bis sich die wuchtigen Kaskaden vor uns aufbauen. Auf Russisch das Restaurant betreten, die Karte glücklicherweise auf Englisch erhalten und auf Nachfrage Französisch bestellt. Im Kopf dreht es. Das Einzige, was ihm einfällt, ist ein georgisches „Madloba.“ – Mist. Am Eingang zur Festungsruine bekommen wir die Erklärung zum unerwarteten Spracheinschlag und Augenblicke später einen Eindruck davon, wie der Puls dieser Stadt und dieses kleinen Landes tatsächlich schlägt. Der Abend bringt zwei Eisprinzessinnen hervor – der nächste Morgen drei Schmuckelstern, denen auf der riesigen Vernissage die Augen übergehen. Beim Anblick des Genoziddenkmals vor der Silhouette der Stadt und dem riesigen Ararat hinter der türkischen Grenze stockt der Atem. Der Kopf kommt nicht nach, all das zu realisieren. Man muss ihm helfen.

Zum Beispiel, indem man schmunzelnd vor seinem Kühlschrank steht und die kleinen Polaroidaufnahmen zählt, die ihn inzwischen zieren. So viele erste Male so knapp vor der Zielgeraden.

Aber wer hat denn auch behauptet, dass man kurz vor Schluss nichts Neues mehr zu sehen bekommt?

Anne SOphie

Zwischen den Jahren

…unternimmt man nächtliche Flughafenausflüge. Man weiß genau, warum, wer kommt – so lang ersehnt. Und doch steht man vor der sich immer wieder öffnenden und schließenden Schiebetür des Flughafenausgangs und weiß nicht, wie man reagieren soll. Weiß nicht, was man fühlen soll.

Eine Träne kullert. Nur eine, weil ich mich freue, weil ich dankbar bin für das, was geschieht. Einen Countdown hat man Zeit. Nur einen – nur 10. Man beginnt ihn mit einem zweiten kleinen Weihnachtsfest und Kofferpacken. 2 1/2 Stunden und eine schier endlose LKW-Schlange später, kitzelt einem die Sonne – von den weißen Berggipfeln zurückgeworfen – die Nase. Den ersten Skitag diese Saison fährt man also bei schönstem Wetter. Doch der Kaukasuswind hat Kraft. Er peitscht die Wolken quer über den Horizont und bringt das, was man sich so sehr gewünscht hat – Schnee. So viel, dass der eingeschliffene Fahrstil über den Haufen geworfen werden muss, will man nicht noch einen weiteren Kopfsprung ins dichte Weiß machen. Erst im größten Schneegestöber macht es Klick. Im wahrsten Sinne des Wortes die Sinne vernebelt, wird euphorisch vorneweg gefahren – wenn man auch nicht mehr genau weiß, wie man zur Talstation kommt. Auf den Hütten bringt einem das einst gelernte Schulrussisch auf einmal mehr, als die inzwischen halbwegs angeeigneten Georgisch-Vokabeln. Als es dann aber darauf an kommt, hilft weder Russisch noch Georgisch oder Englisch gegen die plötzlichen organisatorischen Launen des Restaurantchefs.

Die Küche ist zu und zum Jahreswechsel tun es die klassischen Nudeln mit Tomatensoße. „Gilozaw achal zels!“, sage ich da nur.

Wieder in der Großstadt, gibt man sich Mühe, so viel wie möglich von seinem zweiten Zuhause zu zeigen – und fühlt sich dabei selbst fast wie ein Tourist – ein Tourist in der Stadt, in der man doch schon längst keiner mehr ist. Menschen und Orte beginnen zu strudeln, sich zu vermischen und wollen nicht zusammenpassen. Den Schulweg, den man 4 Monate lang täglich allein zurückgelegt hat, läuft man nun gemeinsam. Doch es ist nur ein Urlaub. Ein Urlaub ohne wegzufahren. Eine Pause vom Alltag. Und so bleibst du hinter der sich immer wieder öffnenden und schließenden Schiebetür des Flughafeneingangs stehen, hast dich nicht neben ihn in den Flieger gesetzt.

Diese Tatsache lässt dich die noch übrige halbe Nacht nicht mehr schlafen. Die Feiertagsleere ist zurück. Die, die dich stumm auf deinem Schreibtischstuhl verharren und deine Bilderwand anstarren lässt. Ein zweites Weihnachten Anfang Januar.

Sehnsüchtig wartest du auf deine kleine zweite Familie und auf den Alltag. Denn auch den hast du irgendwie vermisst.

Anne SOphie

გილოცავ შობა! (Gilozaw shoba!)

Dank rührend-nächtlicher Weihnachtswichtelei ist die Küche am Morgen des 4. Advents behängt wie ein Christbaum.

Mit der Weihnachtsmütze auf dem Kopf wird ein Eierkuchen nach dem Anderen gebacken, sich unmittelbar vor dem Schmaus noch mit dem Gasherd in Brand gesetzt und schließlich am festlich gedeckten Tisch die Bescherung vorgenommen.

Weil vor Abflug und Besuch noch einiges an Hausarbeit zu erledigen ist, putzt man im Weihnachtsliedertakt Bad und Küche und sortiert die letzten Habseligkeiten in den Koffer. Und da man ohnehin in Gedanken Zuhause ist und weiß, welchen Zeitplan die Familie bei der Festbegehung verfolgt, lässt sich die FaceTime-Verabredung noch viel einfacher treffen. Entgegen der heimischen Tradition gibt es weder Linsen noch Bratwurst und Klöße. Anstatt dessen mache ich mir auf dem wohl einzigen Weihnachtsmarkt der Stadt ein weiteres Geschenk, bevor wir zum Abendessen unweihnachtliche, aber doch sehr feine Pizza und Pasta bestellen.Dabei entsteht auch die Schnapsidee, Annabells bevorstehenden Arbeitstag am 25. etwas umzustrukturieren. Von ihrem herzallerliebsten Deutschlehrerinnenteam bewilligt, darf ich sie begleiten und ein paar Stunden georgische Schulluft schnuppern. Von der ersten Deutschlern-CD meines Lebens bis hin zu einer unerwarteten zuckersüßen Weihnachtsaufmerksamkeit eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Anne SOphie

Wie ein Pyramidenmännchen

So schnell rennt die Adventszeit an mir vorbei, so schnell renne ich… Das Einzige: Ich renne nicht im Kreis. Ein Glück… Zuallererst: Die Plätzchen sind gebacken und sogar der Adventskranz wurde entzündet. Wenn er auch dieses Jahr ohne Tannenzweige auskommen muss und erst zum zweiten Advent brannte – wir sind trotzdem sehr stolz auf ihn. Seit Anfang letzter Woche glitzert auch endlich die ganze Stadt – die Weihnachtsbeleuchtung macht ihrem Namen alle Ehre. In Sachen Geschenkebesorgung hänge ich dieses Jahr dennoch hinterher, obwohl es nun wirklich nicht viele sind. Ich kam nicht dazu.

Am zweiten Advent eine spontane Weinverkostung gemacht und einen herzallerliebsten Flohmarkt besucht, läutete den dritten Dezembersonntag die fürs gesamte Schulteam organisierte Weihnachtsfeier ein. Es ist ein sehr schöner Abend mit georgischem Essen, georgischen Liedern und Tänzen gewesen. Letztere habe ich vergangene Woche in einer mehr oder weniger spontanen Tanzstunde selbst ausprobieren dürfen und mich davon überzeugen können, dass sie genauso schwierig wie außergewöhnlich und wunderschön sind.In der Schule wurde die letzten Wochen fleißig für das Weihnachtskonzert und die Theateraufführung geprobt, die Aufstellung besprochen, letzte Basteleien für den Weihnachtsmarkt fertiggestellt und das Aushangsplakat gestaltet. Heute fand alles mit einer ganztägigen Schulhausverschönerung und der finalen Veranstaltung seinen Abschluss.

Schlussendlich war auch der zwischenzeitliche Ärger um die sagenumwobene Justin-Bieber-Biographie in den Momenten vergessen, in denen ich die für mich gemalten Bilder meiner Zweitklässler in den Händen hielt.

Und damit liegt der letzte Arbeitstag im Jahr 2017 hinter mir und ich hocke bei Räucherkerzenduft auf meinem Bett, mein längst geöffnetes Weihnachtspäckchen vor mir (Die Umstände haben es nicht anders zugelassen.) und kann nicht glauben, dass wir morgen zum Frühstück nur noch zu zweit sein werden.

Morgen wird der wahrscheinlich einzige zweitägige Weihnachtsmarkt in ganz Tbilisi besucht und am Sonntag die letzte Adventskranzkerze entzündet. Es ist die Allerletzte. Vielleicht hätten wir uns unsere Vorräte besser einteilen sollen.

Anne SOphie

Wenn der erste Schnee fällt

… sitzt man in einer voll besetzten Marschrutka nach Kutaissi, den Arm seines Sitznachbarn vor der Nase, der meint sich definitiv über zwei Plätze hinweg festhalten zu müssen. Periodisch zieht es an den Waden. Das Leid der letzten Reihe, wenn die Kofferraumtüren nicht dicht halten. 

Wenn der erste Schnee fällt, ist es Ende November und Wochenende. Und wie es sich für den ersten Schnee gehört, fällt er kräftig. So kräftig, dass er schon 20 Minuten nach dem Ortsausgangsschild Tbilisis erste Unfälle auslöst und uns zur Pinkelpause knapp 2 Stunden später die erste Schneeballschlacht der Saison beschert. Nach einem plötzlichen Umstieg absolvieren wir die letzten Meter bis zum Ziel im Beisein von Frischfleischware. Weil der erste Schnee fällt, kann die Kühlkette jedoch ausnahmslos gewährleistet werden. Und so hopst der Schinken eben mit uns ins Zentrum.

Die drittgrößte Stadt Georgiens sitzt zwischen dem kleinen und dem großen Kaukasus wie ein Spiegelei in der Bratpfanne. Weil sich der Taxifahrer weigert, erklimmt man den Pfannenrand zu Fuß und erreicht das Motsameta Kloster einige Kilometer Serpentinenstraße weiter. Auf dem Weg eine herzzerreißende tierische Begegnung. Wir tun was wir können, nur können tragischerweise wenig tun.
Die Aussicht vom Kloster auf den Rioni und die schneeweißen Bergketten nimmt einem wiederholt die Sinne. Und sie kommen auch nicht wieder, als man pünktlich zum Sonnenuntergang vor der Bagrati Kathedrale steht und den Blick über die Stadt schweifen lässt. Doch ehe man sich’s versieht, ist das Teehaus besucht, der Kuchen gegessen und die letzte Oper des Abends gehört und man sitzt zwischen 24 wilden Tannenbaumbastlern in der ersten Klasse, knotet Faden an Faden und fädelt Perlen auf. Oder man greift noch rechtzeitig bei der Adventskalendergestaltung ein, wenn die kleinen Pappboxen schon vor der Befüllung zugeklebt werden wollen.

Außerdem lernt man in einem Dreitagesakt die georgischen Postbestimmungen und das Bürgerzentrum kennen, verfügt nun zwangsweise über örtliche Steuernummer und freut sich schlussendlich doch über die weit gereisten Wollsocken aus dem eigenen Kleiderschrank.

Schon fast gleichzeitig darf man selbst das erste Türchen öffnen und weil die städtische Weihnachtsbeleuchtung mit Regenschirmen, Würfeln und Vögeln den Dezemberbeginn anscheinend verschlafen hat, wird zum Küchenputz lautstark Bachs Weihnachtsoratorium gehört und die erste heimische Räucherkerze entzündet.

Parallel zum Weihnachtsbefehl und kurzfristiger Adventswichtelei reiht sich eine Geburtstagsfeier an die nächste. Und sie lassen die Nächte kurz werden. Wie viele sind es noch bis zum ersten Weihnachten zu zweit? Zu wenig. Ich muss noch Plätzchen backen.

Anne SOphie

Der Kopf schreit Halbzeit

Das Zwischenseminar liegt hinter mir. Fünf Tage hatte ich Zeit – Zeit zum Reden, Nachdenken, Reflektieren, Luft ablassen, Durchatmen, Mich-Glücklich-schätzen, Kritisieren, Ideen entwickeln und Pläne schmieden. 5 Tage zum Frische-Luft-atmen, Ruhe genießen und den niedlichsten Hundewelpen der Welt streicheln.

Wie gut hat diese Woche getan. Wie viele Fragen wurden beantwortet, wie viele Anregungen gegeben und neue Ideen in den Raum gestreut und wie schön war es, die Tage mit Leuten zu verbringen, denen es genauso oder eben anders geht. Die meisten der 15 Freiwilligen aus Georgien, Armenien und Aserbaidschan kannte ich schon aus Berlin. Einen Großteil sehe ich jede Woche. Und trotzdem wird man nicht müde, hat noch so viel zu erzählen und die Abende waren, begleitet von diversen Karten- und Rollenspielen, speziellen Tanzmoves und mehrstimmigen Gesängen, einer lustiger als der andere.

Wenn man vom abendlichen WechselBAD der Gefühle (ich spreche tatsächlich vom Duschen) und unserem überdimensionierten Schlafsaal absieht, ist die Zeit wieder einmal viel zu schnell vergangen.

Und ehe man es sich versieht fährt man also noch (oder sollte ich sagen, wieder?) im Klassenfahrtsmodus zurück zum Sammelplatz Didube und genießt das letzte Wochenende in großer Runde. Ein geniales Frühstück nach dem anderen, Stadttouren die neben dem üblichen Tourinap allerhand Geheimtipps auf Lager haben, ein Mittagessen hoch über der Stadt, Barbesuche und ein guter armenischer Roséwein führen zur Erkenntnis:

„Zuhause ist der Ort, an welchen man sein Herz verliert und wo es Menschen gibt, mit denen man sich verbunden fühlt.“

Anne SOphie

Platzmangel

Verwirrt blättere ich im Kalender hin und her. Irgendwo zwischen den Seiten suche ich mein Zeitgefühl. Es hat sich auf und davon gemacht. Zwischen dem letzten Blogpost und dem heutigen Tag liegt gefühlt ein Fingerschnippen. Gleichzeitig habe ich so viel erlebt, es müssten Monate vergangen sein. Die Realität will mir einreden, es ist nichts von beidem. So viele Kleinigkeiten, Momentaufnahmen wirbeln mir durch den Kopf: manche spannend, manche lustig, ganz alltäglich, kurios, deprimierend, ärgerlich. Ich kann so viel nicht erzählen, nur das Wichtigste vielleicht.

In unsere Wohnung ist ein Staubsauger eingezogen. Zugegeben, er ist schon etwas altersschwach, aber wenn man ihn einfühlsam behandelt, hält er ein Zimmer lang durch und lässt sogar die Reste der geplatzten Glühbirne verschwinden… nur das Wichtigste? In meiner Urlaubswoche verhindern in die Sonne blinzelnde, müde Hundeaugen auf den Marmorstufen hin zur „Sameba“-Kathedrale allzu großen Realitätsverlust. Die Kathedrale selbst, Baujahr 2004, wirkt wie vom Himmel gefallen.

Am Lisi Lake sitze ich auf einer Bank, beobachte zwei Schlangen im Gras und zähle fast 50 Angler.
Am letzten Oktoberwochenende darauf hopsen 5 Deutsche, 3 Franzosen und 1 Britin kilometerlang auf einer Schotterpiste durch eine schier endlose Steppenlandschaft an die aserbaidschanische Grenze. Das Kloster Davit Garejas will besichtigt werden. Lediglich zwei davon sind noch erhalten, das untere Höhlenkloster Lavra gut zu erreichen.
Nach einem Picknick und dadurch bereits von betagten georgischen Damen mit Rock, Handtasche, Stöckelschuhen und Kopftuch überholt, lässt man sich doch noch zur Kraxelei bis hin zum höher gelegenen Kloster Udabno hinreißen. Statt die im Reiseführer versprochenen Fresken im Inneren des Klosters zu sehen, steht man allerdings bereits von Nebel umhüllt vor verschlossener Tür. Alternativ riskiert man, von zwei aserbaidschanischen Grenzsoldaten kritisch beäugt, einen Blick auf das Nachbarland. Ich ärgere mich, dass ich nicht weiß, wie man „Guten Tag“ auf aserbaidschanisch sagt.

Unsere Kürbisschnitzstunde an Halloween führt zu unserem neuen Mitbewohner Tornike, der uns zuverlässig durch die letzte Woche leuchtet, heute jedoch wieder ausziehen muss. Mit unserem zweitägigen Besuch aus Batumi letztes Wochenende erkundeten wir bei strahlend schönstem Wetter Mzcheta, die einstige Hauptstadt Georgiens. Wir haben das Glück, Gottesdienste in der Swetizchoweli Kathedrale und dem Samtawro Kloster mitzuerleben, picknicken zwischen den alten Mauern der Burgruine Bebrisziche und genießen vom Kloster Dwari aus die Aussicht auf die Stadt und die Schnittstelle der Flüsse Mtkwari und Aragvi.

Unvollständig und ein Abriss. Aber vom alltäglichen Wahnsinn hier habe ich nicht so schöne Bilder. Anne SOphie