(K)ein Tornado

Das Thema bleibt der Sturm. Heute war ich in der Schule und es war wieder Unterricht. Zwar nicht normal, aber es waren – wenn auch nicht alle – Schüler und Lehrer da. Alle hatten enormen Redebedarf. Vielen geht es gut, viele sind sehr müde, weil sie am Wochenende aufgeräumt haben, viele haben kein Licht, Wasser, Internet, Telefon, Fernsehen und bekommen daher nichts von außen mit.

Jeder hat seine Geschichte und DIE Frage heute war: „Und bei dir daheim?“ Ja, heute wurde hauptsächlich geredet, denn alle wollen sich austauschen, sind verunsichert, verärgert, verzweifelt, traurig – manche auch lustig und unbeschwert, weil sie nach Bariloche auf Abschlussfahrt gehen.
Es ist schwer, alles zu beschreiben. Ich will aber auf jeden Fall ein bisschen von meinem Tag erzählen, die Fotos vom Ostertrip müssen warten!

Heute Morgen schien alles mehr oder weniger normal. Es waren weniger Schüler gekommen, aber es fand Unterricht statt. Alle Prüfungen für diese Woche waren abgesagt und die Lehrer haben auch mit den Schülern gesprochen, wenn Redebedarf war. Manche Kinder kamen ganz besorgt in den Unterricht: „Ich hab meine Hausaufgaben nicht machen können, unser Dach fehlt und ich schlafe gerade bei meinem Opa.“ So oder so ähnlich. Dafür hatte heute jeder Verständnis. Von den Lehrern sind ja auch manche recht betroffen.
Nicht alle, die hier arbeiten und zur Schule gehen, wohnen auch in Moreno. Manche kommen aus Ituzaingó, Merlo… Dort war es teils auch wirklich schlimm. Wie schon beschrieben, gab es einzelne Straßen, in denen nicht passiert  ist, außer ein paar umgeknickten Zweigen. Aber in anderen Teilen muss es wie im Film gewesen sein. Teilweise haben die Leute anscheinend ihre Stühle und andere Dinge, wie Waschmaschinen, auf den Bäumen wieder gefunden.
Viele Häuser hier haben Dächer aus einer Art Wellblech, das sich der Wind geholt hat. In Ituzaingó waren davon viele betroffen. Die Menschen sind dann losgezogen und haben ihr (rotes oder grünes oder wie auch immer) Dach gesucht. Teilweise haben sie es wieder gefunden, teils nicht.

Ob es nun ein Tornado war oder irgendein anderes komisches und seltenes Wetterphänomen, sei dahingestellt. Ich bin kein Metereologe und ich hab das alles hier auch nicht selber erlebt. Es war auf jeden Fall wild für das, wie die Häuser gebaut sind.
Zu den meist gehörten Sätzen heute gehörte auch: „Dieses Land ist auf so etwas nicht vorbereitet.“ Die Menschen wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen und befürchten, dass es Jahre dauern wird, bis sie sich wieder davon erholt haben, vor allem aus finanzieller Sicht, denn es ist sehr teuer, alles zu reparieren.

Das mit den Preisen ist eine andere Geschichte: Alle horten Wasser und Kerzen, es gibt dann kein Wasser und keine Kerzen, warum auch immer. Die Preise sind verrückt. Die Leute brauchen die Dinge und bezahlen welchen Preis auch immer. Bei uns hier ist das Wasser auch etwas teurer als vorher, aber manche sagen, dass die sechs Liter Wasser, die normal zwischen 10 und 12 Pesos kosten, bei ihnen 50 Pesos kosten. Genauso mit den Kerzen (20 statt 2 Pesos) und den Generatoren (3000 oder mehr Pesos statt 1500).

Ich erzähle hier Ausschnitte von dem, was ich heute gehört habe. Ich bezweifle nicht, dass das ein oder andere Detail im Laufe wiederholter Erzählungen oder aufgrund des Schocks dazu erfunden wurde. Ich selbst habe es nicht erlebt, finde es aber wichtig, dass darüber gesprochen wird. Die Leute hier fühlen sich nämlich auch im Stich gelassen. Eine Frau hat zum Beispiel einen Kameramann vom Fernsehen bei ihr in der Nähe gesehen, der irgendwas Unbedeutendes gefilmt hat, während nebenan Chaos pur herrschte. Auf die Frage, wieso er nicht da drüben filmt, meinte er, er habe die Anweisung, den kleinsten Schaden zu zeigen. Die Leute denken, dass man die Nachrichten am Anfang zurückhalten wollte, damit man nicht sieht, wie groß das Ausmaß ist.

Das sind alles Spekulationen, aber wenn man das hört, dann fragt man sich schon Sachen… Genauso auch, dass viel gestohlen und eingebrochen wird. Ich selbst habe nichts mitbekommen, aber alle sind verunsichert und vorsichtig. Deswegen war der Unterricht heute Nachmittag auch schon nicht mehr ganz so normal. Nach und nach kamen immer mehr besorgte Eltern und haben ihre Kinder direkt aus dem Unterricht geholt, um sie mit nachhause zu nehmen. Im Zentrum von Moreno, so hieß es, haben sie nämlich die Straßen abgesperrt und protestiert, damit ihnen Wasser gebracht wird und ihr Licht gerichtet wird. Ich habe nichts gesehen. Normalerweise nehme ich den Bus in der Nähe vom Bahnhof. Aber mir wurde empfohlen, lieber nicht allein heim zu gehen… und nicht den Bus zu nehmen, weil er bestimmt nicht ankommt, weil die Straße gesperrt wurde. Ich hab mich dann umgehört und eine Frau, die auch in der Schule arbeitet, hat uns mit dem Auto mitgenommen und ganz Nähe von unserem Haus abgesetzt.

Mittlerweile ist es ganz ruhig auf der Straße. Irgendwie sind alle daheim. Auch wenn es teils Panikmache ist, will doch keiner einfach so sorglos durch die Gegend laufen… Und die Sirenen der Feuerwehr und Polizei gehen auch die ganze Zeit. Tja, ansonsten ist bei mir eigtl. alles wie immer, aber auch doch nicht: Heute Abend sind wir hier daheim – nur, dass drei von fünf Leuten um halb neun immer noch nicht heimgekommen sind, obwohl sie normal schon um sechs daheim sind. Naja, sie werden wohl irgendwo steckengeblieben sein. Ich halt euch auf dem Laufenden.

Update

So, mittlerweile geht (bei mir zuhause) wieder alles: Strom, Telefon, Internet, Wasser. Mein Tag war aber schon noch von den Nachwirkungen des Tornados gekennzeichnet.

Heute Morgen bin ich ganz normal zur Schule. Im Bus war deutlich weniger los als sonst um diese Uhrzeit. In der Stadt waren die Menschen schon am Aufräumen. Überall die üblichen Schlangen: Vor Geschäften, vor Geldautomaten, vor der Rentenkasse. In der Schule: Alles still. Am Eingang ein Aushang, dass heute der komplette Unterricht ausfällt.

Ich habe kurz mit der Direktorin gesprochen und eine Runde in der Schule gedreht, um zu sehen, ob irgendwas kaputt gegangen ist. Dann habe ich mich wieder auf den Heimweg gemacht: Zum ersten Mal zu Fuß, da ich ja Zeit hatte und irgendwie noch nicht allzu viel von Moreno kenne.

Zuhause angekommen, hab ich festgestellt, dass der Kühlschrank warm war und es wieder, wie gestern Abend schon, keinen Strom gab. Tja, kein Strom heißt nix Laptop. Und Internet ging ja eh seit dem Sturm noch gar nicht.

Also hab ich mein Zeug für die Masterbewerbungen zusammengepackt und bin zum Carrefour gelaufen, um dort ins Internetcafe zu gehen. Da gab es aber auch keinen Strom, also kein Internet.

Bei der Gelegenheit habe ich den x-ten Versuch gestartet, Geld abzuheben, damit ich meine Miete bezahlen kann. Aber alle vier (!!!) Geldautomaten haben kein Geld (immer noch nicht!). Das passiert öfter. Aber eher am Ende des Monats. Da aber der Tornado war, haben alle Leute viel Geld abgehoben und waren einkaufen… Auf dem Heimweg von der Schule hatte ich auch schon bei vier Banken versucht, Geld zu bekommen. Entweder  war der Geldautomat tot oder es waren gefühlte 476 Menschen vor mir in der Warteschlange…. Verrückt!

Tja, unverrichteter Dinge bin ich also vom Carrefour erst mal heim und hab gelesen. Nachmittags war ich dann doch nochmal in der Stadt in einem Internetcafe. Da gab es Strom. Ich wusste ja nicht, wie lange wir  daheim noch abgeschnitten sein würden.

Als ich dann wieder heimkam, hat tollerweise schon wieder alles funktioniert. Keine Ahnung, welche Leitungen da wie zusammenhängen. Später wollte ich in´s Fitness, aber da haben sie mir gesagt, dass heute nix ist, weil es kein Licht gibt…
Naja, mal sehen, wie lang es noch dauert, bis hier wieder Alltag einkehrt.

Hier noch ein paar Links für die, die es interessiert:

13 Tote bei Unwetter in Buenos Aires

17 muertos y daños impresionantes en Buenos Aires, Argentina por la tormenta (4/4/12)

Tormenta: 14 muertos, los destrozos en Morón Buenos Ares Argentina en un Club (5/4/12)

Ituzaingó se recupera del tornado

(Wie viele Menschen gestorben sind, weiß ich nicht. Es wird immer von 13 bis 17 gesprochen…)

Ausnahmezustand in Moreno

Am Mittwochabend hat hier in Moreno gegen 20 Uhr ein Tornado gewuetet.

Daher herrscht momentan Ausnahmezustand. Es geht – Gott sei Dank – allen gut und es ist nichts Schlimmeres passiert. Auf das andere Haus auf unserem Grundstueck ist ein Baum gefallen. Verletzt wurde hier bei mir niemand.

Momentan gibt es kein Telefon und kein Internet bei mir daheim (Ich bin im Internetcafe). Seit Freitag geht immerhin Licht und Wasser wieder.

Ich wollte euch nur kurz informieren, in Deutschland kam davon – soweit ich weiss – nichts an. Es geht mir gut. Ich kann mich gerade eben nur nicht so oft melden, weil ich ein bisschen abgeschnitten bin. Mal sehen, wie lange die Aufraeum- und Reparaturarbeiten dauern. Auf der Strasse und den Grundstuecken liegen immer noch lauter Baueme kreuz und quer. Teils wurden ganze Haeuser vom Wind abgedeckt oder von herabfallenden Aesten zweigeteilt.

Die Zugverbindungen gehen mittlerweile wieder… Naja, war jedenfalls echt wild.

Ob ich morgen ganz normal arbeite, weiss ich momentan nicht, denn von der Schule ist ein Maedchen umgekommen und der Schulfhof ist scheinbar auch verwuestet. Ich war noch nicht dort. Ich melde mich wieder.

Trotz frohe Ostern euch allen! Esst ein Stueck Osterlamm und ein paar Eier fuer mich mit (Hab meine verschenkt! Soll dir Danke sagen, Mama! =) Die Eier kamen TOP an :))