Ich habe mich dann doch entschieden zu gehen.
Momentan befindet sich Albanien im Lockdown. Alle Land- und Seewege sind ab morgen zu. Die Notaufnahme in Krankenhäuser, Clubs, Bars, Restaurants, Schulen, Kindergärten, Universitäten, Behörden, Geschäfte, Banken, Theater, Museen, Kinos, Kirchen, Moscheen. Alles ist zu. Sogar der Zoll scheint nicht mehr zu arbeiten. Supermärkte, Apotheken und Bäckereien sind noch geöffnet, wenn sie schließen müssen sie Strafe zahlen. Der private und öffentliche Pkw-Verkehr ist in den größeren Städten und manchen Autobahnabschnitten untersagt. Nur von Sonntag 24:00 bis Montag 8:00 gibt es ein kurzes Fenster, in dem man sich bewegen darf, danach bis aufs Erste nicht mehr. Reisende aus Italien und Griechenland müssen in Quarantäne, sonst drohen hohe Strafen. [Quelle]
Edi Rama, der Präsident regiert neuerdings nur noch über Facebook-Posts. Generell scheint er eine Affinität für das Digitale entwickelt zu haben; An alle albanischen Nummern werden Sms Nachrichten verschickt. Der Originaltext ist auf albanisch, aber ich habe diese Übersetzung gefunden.
hey it’s Ed, please wash your hands frequently. Don’t leave your place unless necessary. Try to keep your windows open as much as you can. Don’t fall for fake news. Don’t be worried but be careful. If you seem to have any symptoms call 127. Hugs from afar.
Da anscheinend die albanische Regierung glaubt, dass Vodafonenutzer nicht lesen können, wird ihnen diese Nachricht auch alle paar Telefonaten noch vorgelesen.
Das Verbreiten von Fake News steht neuerdings unter Strafe, was genau Fake News allerdings sind, wurde nicht konkretisiert.
Die Ausreise für März 2020 von kulturweit wurde abgesagt. Bereits ausgereiste Freiwillige sollen überlegen, ob sie bleiben oder gehen. Der IJFD hat seine Freiwilligen, aus Albanien abgezogen. Auch alle Peace Corps Freiwilligen wurden evakuiert.
Und so entschied ich mich, nach einem Gespräch mit den Schwestern im Kloster und einem mit der nicht wirklich kompetenten deutschen Botschaft zu gehen.
Vor allem für einen von den beiden Jungen, den die Schwestern adoptiert haben, schien das sehr interessant zu sein. Sein ganzes Leben schon kommen junge Deutsche und Schweizer und bleiben zwischen 3 und 12 Monaten. Für ihn ist das ganz normal. Er bindet sich auch nicht wirklich stark an die Praktikanten. Doch ich schien mit meiner spontanen Abreise dann doch nochmal etwas besonderes für ihn zu sein: „Bist du traurig, dass du gehen musst? Kommst du nochmal wieder? [Zu der anderen Freiwilligen] Bist du traurig, dass Jana geht? [wieder zu mir] Wann fährst du morgen? Wie kommst du zum Flugahfen?“
Gute Frage: wie kommt man zum Flughafen in einem Land was komplett im Lockdown ist?
Wir mussten uns registrieren mit meinen Kontaktdaten, meinem gebuchten Flug, dem Nummernschild des Fahrzeugs und den Kontaktdaten einer Schwester, die mich netterweise gefahren hat. Außerdem hatten wir zwei Kopien von meinem Ticket und eine Kopie von meinem Reisepass dabei, damit die Schwester auch wieder zurück fahren konnte.
Nach etwa einem Kilometer kam die erste Polizeikontrolle. Wir wurden vermutlich schon angekündigt, da wir durchgewinkt wurden. Am Anfang gab es noch relativ viel Verkehr, nicht zuletzt, weil wir über die Hauptroute zwischen Montenegro und Albanien fuhren und noch viele Radfahrer mit Mundschutz unterwegs waren, doch mit der Zeit wurde es weniger.
Je näher wir nach Tirana kamen, desto weniger Autos sah man. Die Straßen auf denen sich normalerweise Autos, Lkws, Furgons tummeln und an den Seiten meistens Obstverkäufer sitzen, die das verkaufen, was einen halben Meter hinter ihnen angebaut wird, sowie Cd-Verkäufer und Albaner, die am Straßenrand auf ihren Bus warten, niemand war da. Es wirkte fast schon gespenstisch. Teilweise sahen wir für 20 Minuten kein anderes Auto, außer einen Polizeiwagen, der uns dann gleich erstmal anhielt, dann aber doch nichts von uns wollte.
Ich kann mir auch Tirana ehrlich gesagt ohne Cafes und Autos nicht vorstellen.
Am Flughafen trugen alle Mundschutz und Handschuhe. Die Parkplätze wurden gewaschen und zum ersten Mal musste man selber ein Ticket ziehen. Auf dem Parkplatz standen albanische, aber auch deutsche und Diplomatenautos.
Der Flug war relativ leer. Da waren drei junge Deutsche, die ein Praktikum an einer Schule im Osten in Pogradec gemacht hatten, sechs französische Skifahrer und ein paar Albaner, ein paar Deutsche. Ich saß alleine in meiner Reihe links von mir war auch eine Reihe komplett frei. Viele trugen Mundschutz. Es hatte alles etwas von Apokalypse.
Gelandet in Frankfurt war dann alles wie normal. Keine Fieberkontrollen (wie ich sie noch bei der Einreise nach Albanien machen musste), kein Nachprüfen, ob wir nicht doch aus einer roten Zone kommen und so viele Autos auf der Autobahn.
Doch als ich da saß und auf mein aufgegebenes Gepäck wartete überkam mich ein Gefühl des Scheiterns. Ich wusste, dass die albanische Regierung gerade massiv in Meinungs-, Presse-, Bewegungs- und Versammlungsfreiheit eingriff und dass das albanische Gesundheitssystem, da die meisten Ärzte und Krankenschwestern in Deutschland und Westeuropa sind, keiner solchen Krise gewachsen ist. Doch trotzdem hatte ich das Gefühl weggelaufen zu sein.
Zum einen, weil noch andere Freiwillige und deutsche Freunde da blieben und sie irgendwie mit der Situation fertig werden würden und zum anderen, weil ich so viel gefühlt durchgemacht habe in Albanien. Dem Erdbeben war doch auch niemand gewachsen und trotzdem haben wir es durchgestanden.
Ich weiß rein rational, dass zu gehen die richtige Entscheidung war, mal schauen, ob nach ein paar Tagen zu Hause auch meine emotionale Seite überzeugt sein wird.
Aber ich habe Albanien immer noch nicht komplett Tschüss gesagt. Ich habe noch Kontakt mit meinen Freunden vor Ort, Deutschen sowie Albanern und ich habe noch so viel Geld in Lek, das ich nicht umtauschen möchte, dass ich nochmal wiederkommen muss.