Kein Ende in Sicht…

Nach den letzten Wochen dachte ich eigentlich, dass es nicht schlimmer kommen kann. Aber es geht und zwar das schlimmste, was ich mir je hätte vorstellen können. Meine Oma ist am 19. November im Alter von 96 Jahren gestorben.

Ich weiß gar nicht, was ich sagen oder fühlen soll. Um ehrlich zu sein, haben meine Familie und ich uns schon seit längerem darauf versucht vorzubereiten und an den Gedanken zu gewöhnen, aber natürlich kann man sich darauf nie vorbereiten und ich bin unendlich traurig und geschockt.

Nach einer Nachricht meiner Schwester, dass sie meine Oma im Pflegeheim besucht hatte und sie sich weigerte, etwas zu essen, zu trinken und zu reden, wusste ich irgendwie, dass etwas nicht in Ordnung ist… also noch weniger als sonst. Sie aßen wohl noch ein Stück Kuchen zusammen und meine Oma sagte, wie gut ein Glas Sekt dazu passen würde und dann schlief sie ein und wachte nicht mehr auf. Eigentlich ein schöner Tod.

Bereue ich es, nicht bei ihr gewesen zu sein in den letzten zwei Monaten? Nein. Ich weiß, dass meine Oma sich so gefreut hat, dass ich die Möglichkeit habe nach Mexiko zu gehen und das sie so stolz auf mich war. Am selben Tag, als ich nach Guadalajara geflogen bin, habe ich sie nochmal im Pflegeheim besucht. Als ich ihr erzählte, dass wenn ich nächstes Jahr im August zurück komme sie 97 Jahre alt ist, sagte sie „Das ist zu alt… das mach ich nicht.“ und spätestens da hatte ich die beängstigende Vorstellung sie nicht mehr wiederzusehen. Ich umarmte sie ganz fest und sagte ihr, dass ich sie unglaublich doll lieb habe und sie drückte meine Hand so fest sie es konnte.

Was mache ich jetzt also? „Fliegst du zurück nach Deutschland?“, fragte mich Isabell eigentlich sofort nachdem ich auf einmal weinend im Kindergarten vor ihr stand und erzählte, was passiert war. Und ich glaube ja. Es würde sich für mich einfach falsch anfühlen, es nicht zu tun. Ich weiß nicht wann und ich weiß nicht für wie lange und ich muss auch erst mal mit meinen Eltern, der Schule und kulturweit reden. Denn, wenn ich zurück nach Deutschland fliege, möchte ich vermutlich auch über Weihnachten bleiben. Auch, wenn das überhaupt nicht der Plan war. Aber ich möchte auch unbedingt wieder zurück nach Mexiko. Ich habe mein Leben hier, trotz der ganzen Strapazen so lieb gewonnen und ich könnte mir nicht vorstellen, alles jetzt einfach abzubrechen. Der Gedanke nicht wieder zurück zu kommen, ist genauso komisch wie wieder nach Deutschland zu fliegen, wenn man sich eigentlich darauf eingestellt hat ein ganzes Jahr zu bleiben. Ich weiß aber auch, dass ich alles andere bereuen würde. Ob ich es auch mache, oder machen darf, ist noch etwas anderes, aber es wäre mein Wunsch.

Am Freitag fliege ich erst mal nach Kolumbien zum Zwischenseminar und dann sehe ich weiter.

Ich hab dich ganz doll lieb Omi.

I`m a survivor!

Ich erinnere mich noch, wie während des ersten Monats zu allen meinen Freunden und meiner Familie sagte: „Alles ist einfach so perfekt. Ich bin schon richtig skeptisch… Ist das die Ruhe vor dem Strum?“… Und hier sind wir nun. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht wie und wo ich anfangen soll. Die letzten beiden Wochen kamen mir vor wie ein ganzes Jahr. Die Tiefpunkte, die ich erlebt habe, reichen vermutlich auch dafür…

Fangen wir also von vorne an. An einem Mittwoch hatte ich mal wieder ein Gespräch mit Gastmutter, während wir im Auto saßen. Meiner Familie und engen Freunden hängt das Thema vermutlich schon zum Halse raus (mir ehrlich gesagt auch) aber es ging natürlich mal wieder um das Deutsch meines Gastbruders Samuel, welches immer noch schlecht ist beziehungsweise sogar noch schlechter. Während unseres Gespräches viel mehrfach der Satz „Daran musst du was ändern“ und ein Satz, der mir die Kehle zu geschnürt hat: „Am Ende deines Aufenthaltes muss Samuel fließend Deutsch sprechen und du fließend Spanisch“. An dem Abend habe ich zwei Stunden heulend mit Leo telefoniert. Ich hielt diesen Druck und die Erwartungen, die unerfüllbar schienen einfach nicht mehr aus. Ich hasse das Wort „müssen“. Natürlich möchte ich Spanisch lernen, aber eben, weil ich es möchte und nicht, weil ich es muss. Und dann „Erwartungen“… auch ein Horrorwort.

Viele Mexikaner haben mich gefragt, was meine Erwartungen sind oder waren als ich hierhergekommen bin. Und ehrlich gesagt hatte ich keine.  Wozu auch? Denn wie mein Vater immer sagt: Oft kommt es anders und selten wie man denkt. Ich habe mich fast schon geweigert über Mexiko und Guadalajara zu informieren. Denn ich wollte mir mein eigenes Bild machen. Ich wollte ganz unvoreingenommen sein. Und ich bereue meine Entscheidung nicht. Ich wollte nicht von irgendeinem Reiseguru hören, wie „die Leute hier so sind“, wenn jeder Mensch doch ganz unterschiedlich ist und man nichts verallgemeinern kann. Mein Motto ist immer: Je weniger Erwartungen man hat, desto glücklicher ist man. Und es hat sich für mich bis jetzt immer bewahrheitet. Zum Beispiel habe ich gedacht, dass ich bei meiner Gastfamilie einfach nur einen Raum haben werde und ansonsten auf mich allein gestellt bin. Stattdessen bin ich in der Familie integriert und fahre zu Oma und Opa und auf Reisen. Das ist besser als alles, was ich hätte erwarten können.

Nach Zusammenbruch Nummer eins folgte am Freitag ein weiteres Gespräch. Diesmal aber (Überraschung!) nicht über meinen Gastbruder, sondern über die Sicherheit und Leo. In einem eineinhalb stündigen Vortrag hat mir meine Gastmutter diverse Horrorgeschichten erzählt, die meiner Gastfamilie und engen Freunden passiert sind und ich war schockiert, fast traumatisiert. Geschichten über eine Freundin meiner Gasttante, die einem alten Mann helfen wollte und dann auf einmal in einem Auto saß und nach Thailand verschifft werden sollte, oder meinem Gastvater, der zweimal fast erschossen wurde. Mein Gastbruder, der mit zwei fast gekidnappt wurde. Meine Gastmutter, die für ein Jahr in einer Beziehung war, bis sich herausstellte, dass ihr Freund Drogen herstellt und verkauft. Die Haushälterin meiner Gastgroßeltern, die mit einer Droge so gefügig gemacht wurde, dass sie ihr ganzes Geld und Schmuck ohne Widerrede dem Täter gegeben hat.

Und ich begann alles zu hinterfragen. Wieso verstand ich mich so super gut mit Leo? Wieso fühlte ich mich in seiner Nähe so unfassbar wohl? Wieso hatte ich in letzter Zeit keinen wirklichen Appetit? Wieso kamen in diesem Moment all diese Zweifel auf und wenn ich in seiner Nähe war, war ich zweifelsfrei und mir zu 100% sicher, dass nie etwas Böses in ihm sein könnte.

Ich fühlte mich total verloren und wusste gar nicht wo mir der Kopf steht. War ich auf Drogen und wurde die ganze Zeit manipuliert oder waren das meine eigenen Gefühle? War das alles einfach nur verrückt oder ein ausgeklügelter Plan? Verlor ich mich selber, wenn ich diese Gedanken hatte oder war ich immer noch ich selbst? Werde ich jemals jemandem 100% trauen können oder war das nicht möglich?

Und wieder übermannten mich meine Gefühle und ich weinte darüber, dass alles so verdammt kompliziert war.

In derselben Woche waren in der Deutschen Schule sehr viele Feierlichkeiten. Einmal der vierzigjährige Geburtstag der Schule am Freitag, sowie das Oktoberfest am Samstag. Viel zu erledigen und alle waren aufgeregt.

Ein Missverständnis zwischen meine Ansprechperson und mir sorgte für ein weiteres Drama und ich begann mich zu fragen, ob ich eigentlich gut in meinem Job war. Was hielten eigentlich die Erzieherinnen im Kindergarten von mir? Erwartete die Schule, dass ich in meinen ersten beiden Monaten schon fünf AGs leite, so wie es an meinem ersten Tag rüberkam? Waren sie enttäuscht von mir und hätten sich mehr erhofft?

Sonntag war dann der Höhepunkt dieser Woche. Ich hatte auf einmal 38,8 Grad Fieber, Kopfschmerzen und Augenschmerzen und alles deutete darauf hin, dass ich das berühmte Dengue-Fieber hatte. Eine Krankheit, die von Mücken übertragen wird und zum Teil sogar lebensbedrohlich sein kann. Ich schluckte also diverse Paracetamol, denn was anderes kann man leider nicht tun und blieb am Montag und Dienstag zu Hause um mich auszukurieren. Glücklicherweise ging es mir schnell wieder besser und wir konnten das Dengue-Fieber ausschließen.

Und dann kam Freitag (gestern). Ich hatte mich mal wieder mit Leo verabredet, gingen wir in einen Irish Pub und tranken ein paar Bier als Leo sagte, dass er mit mir reden müsse. Ich wusste, dass wir früher oder später über uns reden mussten. Das war sogar mein Wunsch gewesen. Ich hatte ihm ein paar Tage zuvor gebeten, ehrlich mit mir zu sein. Egal, wie hart die Wahrheit auch sein mag. Das war einfach ein persönliches Anliegen von mir. Eine andere lange Geschichte, aber Ehrlichkeit ist mir sehr wichtig. Also sagte er mir, dass er mich liebt und absolut toll findet… aber nur als Freundin. Irgendwie hatte ich es geahnt, war aber in dem Moment trotzdem geschockt und etwas verletzt. Der Witz bestand nämlich aus all den Dingen, die er mir davor erzählt hat. Zum Beispiel, dass ihn jedes Lied das er hört ihn an mich erinnert. Dass er komplett mein ist. Dass er mich am liebsten heiraten und mit mir nach Deutschland kommen will. Dass er viel zu schnell Gefühle für mich entwickelt. Sogar seine Freunde kamen zu mir und haben mich gefragt, ob wir zusammen sind, denn Leo erzähle ständig nur von mir, dass es schon nervig wäre.

Da lag ich also nachts um drei Uhr morgens wieder in meinem Bett, heulend und mich selbstverfluchend, wie ich immer so naiv sein konnte. Ich meine mir war klar gewesen, dass diese ganze Sache mit dem heiraten total bescheuert und nicht ernst gemeint war und tief in mir drin, wusste ich auch, dass kein Paar aus uns geworden wäre. Aber, wieso hatte er mich, nachdem er mir gesagt hat, dass wir „nur Freunde“ sind trotzdem geküsst? Wieso wollte er, dass ich trotzdem zu ihm nach Hause komme und nur neben ihm im Bett liege und kuschle… „so ganz unter Freunden“? Ja, ich bin vielleicht naiv und ja, ich fühle immer sehr viel, aber ich bin nicht dumm und ich lasse auch niemanden so mit mir spielen.

Tja, und hier sitze ich nun bei strömenden Regen in meinem Zimmer und denke mir, was zur Hölle war das für eine beschissene Woche. Eine richtige sche*ß Woche. Und trotzdem bin ich auf eine absurde Art und Weise dankbar. Wer hätte gedacht, dass ich innerhalb von zwei Monaten diverse Familiendramen, eine tödliche Krankheit und eine fast schon Trennung durchlebe? Und ohne selbstverliebt zu klingen (oder vielleicht nur ein bisschen): Ich bin so stolz auf mich, wie ich alles gemeistert habe und meistere. Ich weiß, dass das Gefühl verloren zu sein, was ich die letzten Wochen hatte, einfach mein Leben ist, was mich gerade dermaßen aus meiner Komfortzone schleudert, dass mir schwindelig wird. Ich habe das Gefühl, dass ich wieder ein Stück gewachsen bin… innerlich. Wieder ein bisschen stärker, wieder eine neue Erfahrung und wieder, habe ich mich neu kennengelernt. Das ist das Leben und ich bin froh, dass es immerhin nie langweilig wird. Da kann ich nicht meckern! Also versuche ich jetzt einfach alle Götter im Himmel anzuflehen, dass es ab jetzt wieder bergauf geht und möchte mich an dieser Stelle nochmal bei all meinen Freunden und meiner Familie bedanken, die mich nie im Stich lassen und jede Freude, Trauer und Wut mit mir durchleben und teilen. Ich habe euch ganz doll lieb.

Also werde ich jetzt einfach tief durchatmen und mit neuem Elan und Optimismus durchstarten. Wünscht mir Glück!

prägende Ereignisse – Rückblick Monat Zwei

Ich habe das Gefühl, dass diesen Monat drei sehr prägende beziehungsweise wichtige Dinge passiert sind.

In chronologischer Reihenfolge:

Wie ich in meinem letzten Post schon kurz erwähnt habe, war ich in den Herbstferien mit meiner Gastfamilie in Bucerias, einem Ort in der Nähe von Puerto Vallarta. Dort, wo das salzige Wasser des Pazifiks an den Strand trifft.

Und als ich dort so im Meer stand. Umgeben von den hohen Bergen und Palmen, verspürte ich nicht nur das Gefühl von unglaublicher Dankbarkeit, sondern auch Vertrauen.

Denn so poetisch und bescheuert, wie es auch klingt: Jedes Mal, wenn mich eine der großen Wellen hochriss und ich den Boden nicht mehr unter den Füßen spürte, konnte ich mir trotzdem sicher sein, dass ich wieder sicher auf dem Boden abgesetzt werde. Egal, wie hoch die Welle und egal, wie sehr ich es wollte oder nicht. Und in diesem Moment dachte ich mir, wieso nur der Welle trauen und nicht gleich dem ganzen Leben. Wieso mir den Kopf zerbrechen, wenn ich auch einfach tief durchatmen und mir sicher sein kann, dass am Ende des Tages schon irgendwie alles gut sein wird. Und um ehrlich zu sein hat mir diese Denkweise bis jetzt so viel Gutes, Zuversicht und innere Ruhe gebracht.

Wie zum Beispiel bei „Geschehnis“ Nummer zwei.

Ich will meinen Blog offen gestalten. Nicht jeder Tag meines Lebens in Mexiko ist perfekt, auch wenn ich hier sehr glücklich bin. Es gibt wie im Ozean, wie eine Welle immer Höhen und Tiefen und ich gebe zu, dass ich letzte Woche ein kleines Tief hatte. Beziehungsweise einfach etwas, dass mich sehr beschäftigt hat.

An einem Sonntagmorgen (um genau zu sein den 27. Oktober) hatte ich, nach einer gewissen Partynacht zu der ich später noch kommen werde, ein Gespräch mit meiner Gastfamilie.

Es ging hauptsächlich um das bekannte Problem mit meinem Gastbruder, welches ich schon etwas in dem Blogeintrag über meine Gastfamilie (Klick!) erwähnt habe. Im Folgenden möchte ich keinen als schuldig darstellen, sondern will lediglich das Gespräch und meine Emotionen dabei schildern.

Meiner Gastfamilie war nämlich auch aufgefallen, dass irgendetwas nicht richtig bei meinem Gastbruder und mir hinhaut. Ich erklärte ihnen die Situation, dass ich manchmal das Gefühl hätte, dass er Angst vor mir hätte und mich einfach nicht mag. Zu hören, dass dies stimme, war hart für mich. Insbesondere das Gespräch, was dann folgte, indem mein Gastbruder toll dargestellt wurde und mir das Gefühl gegeben wurde, dass alles mein Fehler ist und sie total enttäuscht von mir sind, war sehr überraschend für mich… ein bisschen wie ein Schlag in Gesicht. Schließlich hatte ich davor all meinen Freunden und meiner Familie berichtet, wie klasse meine Familie ist, wie super wir uns verstehen und das ich nicht mal Heimweh habe! Zu hören, dass sie nicht dasselbe fühlen, hatte mich sehr getroffen. Grund dafür waren unter anderem, dass ich viel in meinem Zimmer bin und mich zu wenig im Familienleben integriere und dass ich mehr mit Samuel Deutsch üben und ihn ansprechen soll. Auch wenn ich froh war, dass sie es mir gesagt hatten, musste ich diesen Kloß an Negativem erstmal verdauen.

Samuel war bei dem Gespräch nicht anwesend, sondern bei meiner Gasttante. Nachdem Gespräch sind meine Gasteltern mehr oder weniger vom Frühstückstisch aufgesprungen und ihn abholen gefahren und ich stand da wie ein begossener Pudel. Ich wusch das Geschirr ab und dachte über das nach, was mir gerade passiert ist und konnte nicht anders als zu weinen. Ich war immer noch so überrascht, wie ich mich so hatte täuschen können.

Ich rief meine Familie in Deutschland kurze Zeit später an und erklärte ihnen, was passiert ist. Das was mir eigentlich schon klar war, stand nach dem FaceTime-Gespräch fest: Ich musste nochmal mit meiner Gastfamilie über alles reden.

Wie ich so war verbrachte ich viel Zeit mit nachdenken, reflektieren und überlegen, was und wie ich es am besten sage.

Den Tag darauf sprach ich also meine Gastmutter nach dem Abendbrot nochmal darauf an. Ich erklärte ihr, dass ich das Gefühl hätte sie enttäuscht zu haben und dass es mir leidtue. Der Grund, wieso ich bei geschlossener Tür in meinem Zimmer sei, hatte gar nichts damit zu tun, dass ich mich von meiner Gastfamilie belästigt fühle, sondern einfache Gründe wie meine fast immer offenen Fenster, wegen denen die Tür immer zu fiel, dass ich Spanisch übe und meine Gastfamilie nicht stören will oder ich insbesondere während des ersten Monats einfach k.o. von meinem neuen, langen und abwechslungsreichen Tagesablauf war. Ich erzählte, dass ich es einfach nicht gewohnt war, jeden Tag von früh bis spät beim „LaserTag“, Familientreffen, Restaurants oder Einkaufszentren zu sein. Meine Gastmutter verstand dies und meinte, dass sie sich einfach Sorgen gemacht hätten, dass ich Heimweh hätte. Insbesondere nach dem ersten Monat komme dies schließlich häufig vor. Ich erzählte ihr, dass das Gegenteil der Fall sei und ich mich ehrlich gesagt sehr wohl fühle und das Gespräch deshalb sehr überraschend für mich war. Was für mich auch noch ein wichtiger Punkt war, war das Thema „Samuel Deutsch beibringen“. Ich wusste, dass mein Gastbruder nicht der beste in Deutsch war und seine Lust und Laune die Sprache zu lernen, beziehungsweise die Zeit zu investieren auch eher gering. Ich bin keine ausgebildete (Deutsch-) Lehrerin und wenn meine Gasteltern mich bitten mit ihm Deutsch zu üben, ohne genau zu sagen was, kann ich keine Unterrichtsstunde mit perfekten Materialien her zaubern und weiß, wo seine Probleme sind. Ich helfe immer gerne und so gut ich kann, aber am Ende des Tages, muss mein Gastbruder selber die Vokabeln lernen, da kann ich noch so viele Vokabel-Memorys basteln und mit ihm spielen.

Wir einigten uns also darauf, dass ich die darauf folgende Woche mit Samuels Deutschlehrerin sprechen würde und mich über die Dinge, die nicht so gut laufen informiere und mit Samuel jeden Tag, wenn auch nur kurz, übe. Dass ich meiner Gastfamilie so viel wie möglich sage, was ich in meinem Zimmer mache, sowie einmal die Woche koche und das Haus fege und wische, weil die Haushaltshilfe nur montags und mittwochs kommt.

Ich bin froh, dass wir noch einmal darüber reden konnten, aber ich fühle mich sehr unter Druck gesetzt. Ich weiß jetzt, dass der einzige Grund, wieso ich bei meiner Gastfamilie lernen kann, der ist, dass ich meinem Gastbruder Deutsch beibringe. Hinzukommt, dass ich jetzt das Gefühl habe die ganze Zeit von ihnen beobachtet und analysiert zu werden, wodurch ich mich einfach nicht wie ich selber fühle und als wenn ich Dinge mache/sage/tue, weil ich es will, sondern weil ich sie machen muss. Auch wenn ich sie davor vielleicht ohne drüber nachzudenken gemacht hätte.

Auf die Frage meiner Freunde und Familie, ob ich nicht meine Gastfamilie wechseln oder ausziehen will, antworte ich immer mit nein. Denn ich mochte/mag meine Gastfamilie und hoffe einfach, dass dies nur eine Phase ist und bald wieder besser wird.

Kommen wir also zu Ereignis Nummer drei.

Mein neuer Freund! Ja, ich weiß es klingt total bescheuert, dass ich mich so darüber freue und es als Ereignis betitle. Aber so ist es nun mal. Leo habe ich über Tinder kennengelernt und bevor alle aufschreien: Er ist ganz normal und wir haben uns irgendwelche Hintergedanken kennengelernt. Ehrlich gesagt, haben wir eigentlich kaum gesprochen, bevor wir uns getroffen haben. Ich habe auf Tinder lediglich geschrieben, dass ich gerne ein paar Leute kennenlernen würde, wir haben gematched, uns kurz darüber unterhalten, was ich in Guadalajara mache und dann war erstmal wieder Sendepause. Er lud mich ein paar Wochen später zu einer Party ein, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil ich ich im Urlaub war. Dann war wieder Ruhe und auf einmal fingen wir an zu schreiben und ich erzählte ihm, dass ich eine Liste hätte mit Museen zu denen ich gerne gehen würde und er bot mir an mitzukommen. Wir trafen uns also am Samstag im Hospicio Cabañas (einem sehr interessanten Museum, über die Geschichte Mexikos und ganz vielen tollen Kunstwerken von unfassbar begabten Menschen aus dem Norden Mexikos)  und ich war eigentlich sofort dankbar und begeistert von seinem Wissen über die mexikanische Kultur/Kunst und seinem sehr guten Englisch, auch wenn er dies immer abstreitet). Obwohl ich mir vor unserem Treffen gesagt habe, dass wenn es nichts ist, ich einfach nach dem Museumsbesuch wieder nach Hause und ihn nie wieder sehen muss, verstanden wir uns so gut, dass wir beschlossen durch die Stadt zu schlendern, in eine Bar zu gehen (wo ich gefühlt jedes existierende mexikanische Bier probiert habe) und danach feiern zu gehen. Ja, das alles war definitiv nicht geplant! Wir trafen uns direkt am Mittwoch nochmal und dann wieder am Samstag, wo ich seine Freunde kennenlernte und sind eigentlich ständig dabei zu schreiben und unser nächstes Treffen zu planen. Und tja, was soll ich sagen? Ich bin unglaublich froh und dankbar ihn hier zu haben. Bei dem ganzen Drama mit meiner Gastfamilie stand er mir immer zur Seite und ich kann mit ihm über jeden Käse reden und er wäre für mich da… und umgekehrt natürlich genauso. Wir können den ganzen Tag lachen, essen, schreiben, trinken, uns gegenseitig piesacken und die Ohren voll heulen und es würde trotzdem nie langweilig werden. Wer hätte gedacht, dass ich so schnell einen so tollen Menschen und besten Freund kennenlernen würde? Ein Glück hatte ich an diesem Samstag meine Paranoia zu Hause gelassen und einfach mal dem Leben vertraut 🙂

So viel von mir heute! Wie immer sind Fragen, Kommentare und Anregungen herzlich Willkommen… Bis bald!

 

sicher-lich

Ich glaube, das erste, was einem in den Sinn kommt, wenn man an Mexiko denkt ist: Tequila, Tacos und alle möglichen Sicherheitsbedenken. Tja und was bleibt mir anderes übrig als zu sagen, dass diese Klischees tatsächlich wahr sind.

Ich muss aber auch dazu sagen, dass mir bis jetzt noch nichts passiert ist. Dennoch war ich am Anfang sehr paranoid. Während ich in Deutschland immer gesagt habe, dass schon alles gut wird, schließlich gibt es hier auch Menschen, die ganz normal ihr Leben leben, war ich doch etwas panisch als ich in Mexiko ankam. Ich erinnere mich noch daran, wie ich einmal durch einen Park auf dem Weg zu einem Shopping-Center gegangen bin und mir nicht getraut habe, eine Sonnenbrille aufzusetzen oder Musik zu hören, weil ich Angst hatte, nicht zu hören oder zu sehen, was um mich herum passiert. Und um ehrlich zu sein ist diese Art von Paranoia sehr ungewohnt für mich. Ich würde mich sogar tatsächlich als naiv einschätzen und kann mir nicht vorstellen, dass mir irgendwer etwas Böses antun könnte.

Ich vermute allerdings, dass diese ganze Sensibilisierung, dass etwas passieren könnte, tatsächlich etwas Gutes hat. Denn ich muss nun mal hier in Mexiko aufpassen. Ich kann nicht leugnen, dass ich mit meinen blonden Haaren und blauen Augen nicht auffalle. Und ich gebe zu ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass sich Leute auf ihren Fahrrädern nochmal umdrehen, wenn sie an mir vorbeifahren oder ich, wenn ich gerade mal zwei Minuten irgendwo sitze direkt angesprochen werde und dann den mittlerweile klassischen Spruch höre, was ich für schöne Augen hätte und dass meine Haare aussehen als wären sie aus Gold. In Begleitung von anderen Mexikanern, bin ich relativ unauffällig und werde nicht unbedingt beachtet.

Es gibt ein paar Sicherheitsregeln, die es einem aber leichter machen und mittlerweile habe ich mich daran auch schon gewöhnt. Zum Beispiel:

  1. Wenn ich das Haus ohne meine Gastfamilie verlasse, muss ich ihnen immer über WhatsApp meinen Standort schicken, damit sie wissen wo ich bin.
  2. Fahre ich mit einem Uber (eine Art Taxifirma) muss ich gucken, ob das Kennzeichen richtig ist, die Farbe und Marke des Autos, sowie der Name des Fahrers.
  3. Nicht alleine im Dunkeln draußen sein und einsame Gegenden meiden.
  4. Alles, wo ich ein ungutes Gefühl habe oder mir nicht sicher bin vermeiden.
  5. Ich muss Personen, die ich kennenlerne, mindestens einen Monat kennen, bevor ich zu ihnen nach Hause gehe, weil sie mich ausnutzen oder belästigen könnten.
  6. Geld nicht sichtbar zeigen oder zählen. Gleiches gilt für das Handy. Dieses sollte insbesondere nicht nah an Straßen benutzt werden, da Motorradfahrer es im Vorbeifahren aus der Hand reißen können.
  7. Immer beobachten, was um dich herum passiert. Auch auf der anderen Straßenseite.
  8. Keinen auffälligen oder viel (Gold-)Schmuck tragen.
  9. Und das, was für mich am härtesten ist: „Traue niemandem“

Generell wird gesagt, dass das Stadtzentrum Guadalajaras gefährlicher ist und man aufpassen soll. Die Vororte wie Zapopan gelten als relativ sicher. Dennoch gibt es natürlich immer Ecken, die man meiden sollte.

Ich bin dennoch der Meinung, dass man ganz gut selber einschätzen kann, wie man sich verhält oder verhalten muss. Ich gehe auch ganz normal und benutze dabei mein Handy und gehe mittlerweile auch durch den Park mit Sonnenbrille und Musik auf den Ohren. Ich treffe mich mit fremden Leuten und ich bin auch nach 20 Uhr außer Haus. Trotz aller Warnungen, Ängste und Vorurteile muss man sich trotzdem sagen, dass Guadalajara eine ganz normale Stadt ist, mit ganz normalen Leuten und das alles, was mir hier passieren könnte, auch in Deutschland passieren kann. Man muss halt einfach nur vorsichtig sein.

Aber das Thema Sicherheit spielt nicht nur eine Rolle in Sachen Kriminalität, sondern auch in der Gesundheit.

So darf man beispielsweise auf gar keinen Fall das Wasser aus der Leitung trinken, oder an zwielichtigen Straßenständen essen. Ich habe tatsächlich von zwei Mädchen gehört, die aktuell im Krankenhaus liegen, weil sie sich daran nicht gehalten haben und die jetzt nahezu todkrank sind (wenn auch wieder auf dem Weg der Besserung… trotzdem nichts, was man erleben will/muss).

Hinzu kommt das erhöhte Risiko von Krankheiten, die durch Mücken übertragen werden. Eine Krankheit die in Guadalajara sehr oft vorkommt (insbesondere in der ärmeren Bevölkerungsschicht) ist das Dengue-Fieber. Leider, kann man sich dagegen kaum schützen. Um das Risiko zu verringern kann man jedoch (hochwertigen!) Mückenschutz auftragen, viel trinken, and allen Fenstern und Türen Mückennetze anbringen und was meine Gastfamilie und ich machen, sind Vitamin B Tabletten einzunehmen, die angeblich helfen (Genau habe ich das Prinzip aber immer noch nicht verstanden). Symptome wären beispielsweise: Lichtempfindlichkeit, grippeartige Erscheinungen, schmerzende Augen und Gliederschmerzen. Das Fieber kann leider auch tödlich ausgehen. Die passiert aber, dank der guten medizinischen Versorgung selten. Malaria ist in Mexiko kaum verbreitet.

Wieso habe ich also diesen komischen Titel „sicher-lich“ gewählt? Klar, muss ich hier mehr beachten. Zumindest mehr als das, was ich bewusst in Deutschland beachten musste. Dennoch fühle ich mich „irgendwie sicher“ hier. Quasi sicher mit Sternchen.